Das Unmögliche möglich machen

Von Gerrit Stratmann · 06.07.2005
Für einen Fernsehfilm wurden Knochen gebraucht, die nach einem mehrere tausend Jahre alten Fund aussehen sollten. Ein anderes Mal täuschend echte Goebbels-Tagebücher. Die "Werkstatt für Unbeschaffbares" in Berlin macht das Unmögliche möglich.
Wenn es schnell gehen muss, dann ist Angelika Mende in ihrem Element. Unter Zeitdruck hat sie die besten Ideen und kommt am schnellsten voran:

" Insofern, dass man nicht lange überlegen kann, mach ich es jetzt hellblau oder dunkelblau, sondern man muss sich ganz viel auf seinen Bauch verlassen. Also nicht lange nachdenken, sondern machen. Weil wirklich ganz oft Sachen über Nacht gebraucht werden."
"Werkstatt für Unbeschaffbares" hat Angelika Mende ihre Dienstleistung genannt. Das ist ein großes Versprechen, auf das vor allem Film- oder Theaterproduktionen gerne zurückgreifen. Deren Wünsche sind oft dringlich oder ausgefallen und damit kurzfristig unbeschaffbar – wenn, ja, wenn Angelika Mende nicht wäre. Die ehemalige Requisiteurin beschafft alles, was man nicht kaufen oder leihen kann:

" … zum Beispiel eine Voodoopuppe, die aussieht, wie der Schauspieler in dem Film, also der halt die Rolle in dem Film spielt. Es gibt zwar Voodoopuppen fertig zu kaufen, aber die sehen natürlich nicht aus wie ein ganz bestimmter Schauspieler, die sehen halt irgendwie anders aus. Und so was ist zum Beispiel unbeschaffbar, so was muss man herstellen."

Ihre Sachen sind Spezialanfertigungen. Für einen Film von Peter Greenaway hat sie aus Holz ein Schachbrett mit sieben Gelenken gebastelt, das sich in jeder Reihe einmal falten lässt. Für einen Fernsehfilm wurden Knochen gebraucht, die nach einem mehrere tausend Jahre alten Fund aussehen sollten und die von Angelika Mende täuschend echt über Nacht reproduziert wurden. Für andere Produktionen hat sie Goebbels-Tagebücher und alte Briefe gefälscht.

Neben solchen ausgefallenen Requisiten entwirft die Frau für alles aber auch Studiokulissen oder bearbeitet Sonderwünsche der Werbebranche. Und manchmal kommt zwischendurch ein ungewöhnlicher Auftraggeber ins Haus.

" Ich hab letztes Jahr für ein Museum gearbeitet, für die Neue Galerie in New York, die wollten ein Kunstwerk nachgebaut haben; das war der preußische Erzengel von John Heartfield und Ralf Schlichter von 1920, den gibt's halt nicht mehr, das Original, und dann haben sie halt von mir einen neuen machen lassen. Und der wird nächstes Jahr auch in der MoMA in New York gezeigt."

Trotz der musealen Ehrung ihrer Replik bleibt die Enddreißigerin bescheiden. Ihre eigene Tätigkeit sieht sie ganz nüchtern:

" Also, ich würde mich nicht als Künstlerin bezeichnen, ich würde das eher als kreatives Handwerk bezeichnen. Künstlerisch angehaucht vielleicht."

Ihre Arbeiten modelliert, sägt, bohrt, klebt und schneidert sie in ihrer Wohnung im vierten Stock. Ein wuchtiges Regal im Werkraum hält dafür ständig Farben, Lacke, Schrauben, Stoffe, Gips und Holz vorrätig.

Fast verwundert reagiert sie auf die Frage, ob sie schon einmal einen Kunden enttäuschen musste. Dabei lädt der Anspruch ihrer Werkstatt, Unbeschaffbares zu beschaffen, geradezu dazu ein, an der Erfüllbarkeit mancher Wünsche zu zweifeln. Aber seltsamerweise hat sie fast immer die passende Idee, wo sie Sachen herbekommt, oder wie sie sie herstellen kann.

" Ich hab komischerweise eigentlich immer ne Lösung parat. Das is, glaub ich, auch das, warum es mir so Spaß macht und ich auch davon irgendwie ganz gut leben kann, weil ich halt meistens sofort nicht nur eine Lösung hab, sondern drei. Und zwischen denen muss ich dann entscheiden, welche die Beste ist."

Die gelernte Schauwerbegestalterin sieht ihre kreative Intelligenz vor allem darin begründet, dass sie die Augen offen hält. Ihre Tochter, das Leben und der Erfahrungsschatz ihrer Mutter sind die Quellen ihrer Inspiration, sagt sie.

Für sich selbst hat sie bis jetzt kaum Unbeschaffbares gebaut, allerhöchstens eigene Möbel. Für andere hingegen baut sie auf Wunsch schon mal Miniaturmodelle.

" Ich hab mal für ne Berliner Kioskbesitzerin ihr Kiosk nachgebaut, und zwar wollte ihr Freund ihr das schenken. Also diesen Kiosk gibt es real in der Goldstraße, heißt Lord Extra, und das gibt's jetzt halt auch in Miniatur und das steht da jetzt aufm Kühlschrank. Das war irgendwie total süß, und die hat sich total gefreut."

Zufriedene Kunden kann sie auch sonst für sich verbuchen. Ob es unter ihren Arbeiten Dinge gibt, die sie persönlich für besonders gelungen hält?

" Na, alles! Sonst würde es die Werkstatt nicht verlassen. Das geht erst aus der Werkstatt raus, wenn's richtig gut ist."

Ihre Werke haben die Werkstatt längst verlassen. Bei Angelika Mende sind keine Ausstellungsstücke zu bestaunen. Der leere Arbeitstisch ruft nach neuen Aufträgen, gerne scheinbar Unbeschaffbares – und wenn es eilt, notfalls auch über Nacht ...

Abmoderation: Gerrit Stratmann war das über Angelika Mende und die Werkstatt für Unbeschaffbares. Sie finden die Wrkstatt auch im Internet unter www.werkstatt-fuer-unbeschaffbares.de . Dort können Sie auch die Kontaktadresse nachlesen, wenn Sie privat einen außergewöhnlichen Wunsch in Auftrag geben möchten.