Das unbekannte Angola

10.06.2011
Agualusas Roman ist eine Mischung aus Politthriller und Künstlerroman und eine Hommage an Angola, das durch die portugiesische Kolonialherrschaft geprägt ist. Der regimekritische Schriftsteller Falcato und die Sängerin Kianda, die ihren plötzlichen Ruhm nicht verkraftet, verfallen einander.
Der 1960 geborene José Eduardo Agualusa gilt mittlerweile als der erfolgreichste und bekannteste Schriftsteller aus Angola, dem von Kolonialismus und Bürgerkrieg gepeinigten Land im südlichen Afrika, das trotz aller Entwicklungsrückstände einen beeindruckenden kulturellen Reichtum aufweist. "Barroco tropical", Agualusas dritter ins Deutsche übersetzter Roman, ist vom Genre her eine eigenartige Mischung zwischen Politthriller und Künstlerroman, zugleich aber auch eine Hommage an eine kulturelle Vielfalt, die sich nicht zuletzt der portugiesischen Kolonialherrschaft verdankt. Diese hat die angolanische Kultur zusammen mit der brasilianischen und portugiesischen in einen inspirierenden transatlantischen Rahmen gespannt, der keineswegs zufällig mit dem historischen Dreieck des Sklavenhandels identisch ist.

In diesem Dreieck bewegen sich die Agualusas Hauptfiguren: Der bekannte Schriftsteller Bartolomeu Falcato, wie Agualusa selbst ein hellhäutiger Nachfahre der Portugiesen, und die erfolgreiche Sängerin Kianda, in deren Gestalt Agualusa die angolanisch-portugiesische Musik feiert. Spannung bezieht das Buch, das in einer nahen, grotesk die Gegenwart spiegelnden Zukunft angesiedelt ist, weniger aus den verworrenen – und verwirrenden – Intrigen, in die Falcato und Kianda geraten, als aus ihren persönlichen Dramen.

Falcato versteht sich als regimekritischer Schriftsteller, ist aber als bekannte Persönlichkeit und Schwiegersohn eines Generals Teil des Establishments. Die schöne Kianda ist eine Aufsteigerin mit afrikanischen Wurzeln, die ihren plötzlichen Ruhm nicht verkraftet und zur Borderlinerin wird. Falcato und Kianda lernen sich in Brasilien kennen und verfallen einander.

Die zahlreichen anderen Figuren bleiben bei all ihrer Kuriosität Dekoration: eine neunzigjährige Seelenheilerin Mãe Mocinha; ein ehemaliger Minensucher mit zerstörtem Gesicht, der eine Mickey-Mouse-Maske trägt und sie dem Schriftsteller gelegentlich ausleiht; eine ehemalige Miss Angola, die aus einem Hubschrauber geworfen wird, weil sie Jesusvisionen hat und die intimen Geheimnisse der politischen Elite auszuplaudern droht.

"Barroco tropical" ist postmodern im besten wie im schlechtesten Sinn des Wortes. Ebenso zahlreich wie beliebig sind die Anspielungen auf literarische Werke und Schriftsteller. Neben den Kolportageelementen stehen jedoch lesenswerte essayistische Passagen, etwa über das Verhältnis des angolanischen Portugiesisch zu den afrikanischen Sprachen im Land oder über die wechselseitigen künstlerischen Inspirationen im lusophonen Dreieck, die der portugiesischsprachige Dichter Virgílio Lemos aus Mosambik "tropisches Barock" genannt hat.

Zweifellos kennt die postkoloniale Literatur aus den Rändern der ehemaligen Imperien feiner gearbeitete Romane. Dennoch bietet "Barroco tropical" eine unterhaltsame, zuweilen verstörende Story. Ihr nicht geringer Verdienst ist es, uns das unbekannte Angola, seine Kultur und seine Menschen, sehr nahe zu bringen.

Besprochen von Stefan Weidner

José Eduardo Agualusa: Barroco tropical
Roman
Aus dem Portugiesischen von Michael Kleber
A1 Verlag, München 2011
336 Seiten, 22,80 Euro
Mehr zum Thema