Das Ufo von Metz

Barbara Grech im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 11.05.2010
Das Centre Pompidou-Metz gilt als "Filiale der Hoffnung" im einstigen Industrierevier. Geplant sind Ausstellungen aus der Sammlung des Pariser Mutterhauses wie auch eigene Projekte. Das ungewöhnliche Gebäude wurde von dem Japaner Shigeru Ban entworfen.
Liane von Billerbeck: Wer in Frankreich moderne Kunst von Rang sehen wollte, der musste bisher fast immer und ausschließlich nach Paris. Doch das könnte sich ändern, denn nun gibt es ausgerechnet im lothringischen Metz eine Filiale des berühmten Museums Centre Pompidou in moderner und zudem ökologischer Architektur gebaut nach Entwürfen des Japaners Shigeru Ban. Welche Hoffnungen man in dem kriselnden Industrierevier an diesen kulturellen Leuchtturm Centre Pompidou-Metz hat, das haben wir die Kulturjournalistin Barbara Grech gefragt. Sie hat das Projekt seit Monaten journalistisch begleitet. Ich grüße Sie!

Barbara Grech: Schönen guten Tag!

von Billerbeck: Wie reagieren denn die Metzer, die Lothringer, auf dieses moderne Ufo, also den Kunsttempel von Ban?

Grech: Also größtenteils sind sie schon sehr stolz, dass sie jetzt auch mal von der Grand Nation bedacht worden sind sozusagen. Es ist da ein bisschen eine Region, die ja so ein bisschen verloren ist und die man gern vergisst in Frankreich. Das ist vor allem das Symbol für diese Wiederentdeckung, das sehen die meisten Lothringer und Metzer in diesem neuen Bau. Und er ist ja auch wirklich schön und imposant, wie meine Kollegin ja gerade beschrieben hat.

von Billerbeck: Gibt es da schon so einen neuen Namen dafür? Es wird ja oft gerne gemacht, dass man so einen Bau, wenn der eine einigermaßen auffallende Form hat, dann irgendwie tituliert. Haben die Metzer da schon eine Bezeichnung gefunden?

Grech: Also einen Spottnamen habe ich noch nicht gehört, aber es wird oft auch als Ufo bezeichnet, und das aus zweierlei Gründen: Zum einen, weil es etwas futuristisch natürlich aussieht, weil es ja wie ein Solitär hier steht in einer Brachlandschaft, die erst sich entwickeln wird, und natürlich auch, weil Ufo immer bedeutet, Paris kommt von oben und lässt sich in der Region nieder. Also das ist schon das, was ich manchmal höre.

von Billerbeck: Lothringen – Sie haben es auch schon erwähnt – gilt ja als eine der französischen Problemregionen: hohe Arbeitslosigkeit, zahlreiche Industriebrachen in einer eher trostlosen Landschaft. Das ist keine Ecke, in der man Ferien machen möchte. Wie kam denn das Centre Pompidou gerade auf Metz in Lothringen als Standort für seine neue Dependance?

Grech: Nun, die Idee ist natürlich dahinter, dass man versucht, gerade ärmere Regionen, die nicht so bekannt sind, bekannter zu machen. Das ist natürlich schon eine zentrale Idee von Paris, wo man gewisse Regionen stärken möchte, aber natürlich kommt auch hinzu, dass der damalige Kultusminister Jean-Jacques Aillagon, der davor auch noch Leiter des Centre Pompidou in Paris war, hier aus der Gegend stammt, und das hat natürlich schon auch geholfen, dass dieses Prestigeobjekt hier jetzt in Metz steht.

von Billerbeck: Das Zentristische, das galt ja für Frankreich lange, Paris war immer der Mittelpunkt von allem – Politik, Kultur, Musik, Kunst. In Deutschland kann man das gar nicht so richtig verstehen, da ist Kultur Ländersache, und deshalb wundern sich hierzulande Leute nicht, wenn Initiativen auch in der Provinz gestartet werden. In Frankreich aber geht man mit diesem Centre Pompidou ja ganz neue Wege, denn beim Thema Kultur kannten die Franzosen eben doch vorrangig Paris. Der ehemalige Direktor vom Pompidou, der hat mal gesagt: Wer nicht in diesem Pariser Museum hängt, der existiert nicht. Hat sich daran was geändert, Frau Grech, und seit wann beobachten Sie diese Entwicklung?

Grech: Also diese Entwicklung ist sehr, sehr neu, und das Centre Pompidou in Metz ist auch sozusagen die erste Kunstfiliale Frankreichs, so was gab es vorher noch nicht. Das wird auch hier gefeiert, man betont, dass das eben das erste Projekt ist, wo die Kultur in Frankreich dezentralisiert wird, darauf ist man sehr, sehr stolz, und man wird sehen, ob sich das weiterentwickelt. Es gibt ja noch ein zweites Projekt, das Louvre will ja eine Filiale in Lens eröffnen, also es gibt gewisse Tendenzen. Das rührt auch daher, dass das Guggenheim-Museum ebenfalls vor ein paar Jahren eine Filiale in Frankreich gründen wollte. Da hat Frankreich natürlich gleich Nein gesagt, und ich glaube, das hat dieser ganzen Dezentralisierung auch einen großen Schub gegeben.

von Billerbeck: Weil Sie gerade Guggenheim sagen, da könnte man ja ein Beispiel erwähnen, das vielleicht vergleichbar ist mit dem Neubau in Metz für das Centre Pompidou, das Guggenheim in Bilbao meine ich. Das wurde ja auch zu einem großen Anziehungspunkt in einer Stadt, die vorher auch keine große Touristenecke war. Will man diese Erfahrung aus Bilbao quasi in Metz nachmachen?

Grech: Man sagt offiziell natürlich Nein, das will man nicht, das ist auch eine andere Struktur. Das Guggenheim in Bilbao wird ja von New York aus bespielt, das hier soll ja ein eigenes Museum werden, mit einem eigenen Kurator, wo man zwar aus der Sammlung des Centre Pompidou in Paris schöpft, aber man macht eigene Ausstellungen, unabhängig. Das ist ganz, ganz wichtig, und deshalb will man sich nicht mit Bilbao vergleichen. Aber den Effekt, den hätte man natürlich schon gerne, dass jetzt alle Bürger aus Europa hierher strömen und sich dieses Museum anschauen und somit auch die Tourismusbranche angekurbelt wird. Wenngleich ich glaube, dass dieses Centre Pompidou eher eine innerfranzösische Angelegenheit ist. Ich sage immer, sie hätten gern den Lille-Effekt, denn Lille ist eine ähnlich trostlose oder man meint, es ist eine ähnlich trostlose Stadt wie Metz im Norden Frankreichs, und die waren ja 2004 Kulturhauptstadt Europas. Und auf einmal schauten alle Augen, französischen Augen nach Lille, und ganz viele Pariser fanden es auf einmal sehr, sehr chic, einen kleinen Wochenendtrip nach Lille zu machen. Und ich glaube, das erhofft sich Metz in Wahrheit.

von Billerbeck: In Brüssel, wenn man da mal die Augen aufmacht, dann kann man sehen, dass es dort auch eine Vertretung der Regionen gibt. Wenn man das auf Frankreich überträgt, heißt das, die Regionen, die Provinzen werden auch kulturell in Frankreich stärker gegenüber dem Zentrum, also gegenüber Paris?

Grech: Zumindest sagt man das, aber ich glaube nicht so wirklich daran. Ich glaube schon, dass es in einer gewissen Symbolhaftigkeit stecken bleiben wird. Man wird diese Filialen eröffnen, man wird dort große Kunst zeigen, aber ob es tatsächlich zu einer Föderalisierung der Kultur kommt, dass die Regionen selber Kunst und Kultur produzieren und das auch anerkannt wird, das sehe ich eher skeptisch.

von Billerbeck: Wenn man sich ansieht, wie viele Besucher das Centre Pompidou in Paris jedes Jahr besichtigen und dort die Kunstwerke ansehen, dann sind das 5,5 Millionen. Man nannte das gern mal das Wunder von Paris. Was meinen Sie, wird dieses Wunder auch ein Wunder von Metz werden?

Grech: Es wird zumindest ein kleineres Wunder werden. Also es ist ja nicht nur so, dass die Lothringer und die Pariser hierherkommen sollen, vor allem wir Deutsche sind gefragt. Wir sind sozusagen für moderne Kunst eine sichere Bank. Und hier gibt es ja das Saarland und Rheinland-Pfalz, da werden mit Sicherheit die Besucher strömen, außerdem natürlich Belgier und natürlich auch die Luxemburger. Also es gibt schon ein gewisses Potenzial an Besuchern, und natürlich nimmt man am Anfang an, dass natürlich die ganzen Kunst-Kultur-Touristen aus ganz Europa kommen, um sich das große Dach und die große Kunst hier anzugucken.

von Billerbeck: Wie ist denn das Umfeld um diesen Bau, was bietet Metz in der Stadt, außer die Kathedrale, die kennt vielleicht noch jeder so außerhalb, aber wird da auch was getan, dass da ein bisschen was drum herum ist und nicht bloß so ein Ufo da mitten hineingebaut ist?

Grech: Also entgegen der landläufigen Meinung, dass Metz eine triste Stadt sei, ich kann Ihnen sagen, sie ist es nicht, sie ist wunderschön. Die Stadt hat unglaubliche Anstrengungen unternommen in den letzten Jahren, den ganzen Stadtkern zu renovieren und zu restaurieren, das hat sie sehr, sehr gut gemacht. Es ist eine Stadt mit hoher Lebensqualität – man glaubt es kaum, aber es ist so. Es gibt diverse Stadtviertel mit verschiedensten architektonischen Stilen, also von wilhelminischer Architektur bis hin zur mittelalterlichen Architektur. Außerdem hat Metz eine wunderschöne Umgebung. Man kann auch in die Vogesen fahren, da gibt es die Landschaft, die man im Elsass sucht, die völlig überlaufen ist. Das gibt es alles in Lothringen zu entdecken. Also Lothringen hat durchaus was zu bieten, und nicht nur das Centre Pompidou.

von Billerbeck: Das war eine eindeutige Befürworterin der Region und von Metz. Barbara Grech, ich danke Ihnen schön. Über die Filiale der Hoffnung – das neue Centre Pompidou-Metz, das heute eröffnet wird. Präsident Sarkozy kommt höchstpersönlich, und das Centre Pompidou-Metz feiert dieses Ereignis gleich mit fünf Eröffnungstagen vom 12. bis 16. Mai.

Homepage Centre Pompidou-Metz
Der Japaner Shigeru Ban (l.) und der Franzose Jean de Gastines sind die Schöpfer des Center Pompidou in Metz.
Der Japaner Shigeru Ban (l.) und der Franzose Jean de Gastines sind die Schöpfer des Centers in Metz.© AP