Das Turnschuhwunder
In Düssin im Landkreis Ludwigslust staunten die Leute, als sie das Schild vor dem alten Kuhstall sahen: Umbau und Umnutzung als Laufschuhfabrik. Beim Bürgermeister, beim Denkmalschutzamt und bei der Agentur für Arbeit empfing man die Hamburger Investoren mit offenen Armen. Sie versprachen Jobs - ein paar erst, doch wenn es gut liefe, wer weiß, auch Arbeit für viele! Hoffnung zog ein in Düssin … Aufbau Ost mit Turnschuhen - eine Langzeitbeobachtung aus der ostdeutschen Provinz.
Düssin – eine Handvoll Häuser. Teil der Gemeinde Brahlstorf; Brahlstorf, "bekannt für schmackhaften Spargel". 1194 erstmals urkundlich erwähnt, am äußersten Rand des Naturparks Mecklenburgisches Elbetal gelegen.
Leere Straßen. Am Schloss blättert der Putz. Ein leerer Spielplatz, Rolläden, die heruntergelassen werden, der Himmel schwer, im Vorgarten eine Deutschlandfahne.
Februar 2007. In einem Stall, in dem zu LPG-Zeiten vierhundert Kühe standen, reißen Bauarbeiter Wände ein. 6600 Quadratmeter auf drei Etagen. Maurer, Dachdecker, Zimmerleute (auf drei Etagen). Im Juni will Lars Lunge auf den ersten 500 Quadratmetern Sportschuhe Made in Mecklenburg produzieren.
"Wir wollen hier mit acht Leuten im Juni starten, und es soll relativ schnell sich auf fünfundzwanzig bis dreißig Leute entwickeln."
Steine, Balken, Kabel, Dämmplatten. Tonnenweise Stahl und in der Decke Löcher, aus denen das Heu für die Kühe heruntergeworfen wurde. Der Kuhstall ist Düssiner Wahrzeichen, ein Denkmal, hundert Jahre; in naher Zukunft wäre er in sich zusammengefallen. Für 20.000 Euro haben Lars Lunge und sein Bruder Ulf ihn von der Treuhand ersteigert.
"Wenn man produzieren will, ist das auch ’ne Kostenfrage, und in einer Großstadt wäre das nicht realisierbar."
Seit dreißig Jahren verkaufen Lunges Laufschuhe, in sechs eigenen Läden in Hamburg und Berlin. Fünfzig Mitarbeiter, drei Millionen Jahresumsatz. Und seit dreißig Jahren träumen sie von dem perfekten Laufschuh, den sie nun selbst herstellen wollen.
"Es gibt manchmal sehr bewegte Momente, wenn Leute anrufen und sich bewerben, weil sie einfach ganz dringend einen Arbeitsplatz brauchen. Die händeringend nach Arbeit suchen, weil sie sonst ihr Haus verkaufen müssen, aus Wohnungen ausziehen müssen – aber es keine Arbeitsplätze gibt."
Im Gemeindehaus in Brahlstorf sitzt Gerhard Wartmann, Bürgermeister (seit siebzehn Jahren).
"Brahlstorf war immer Industriestandort, wir hatten immer sehr viele Arbeitsplätze. Zu Ost-Zeiten war es so, dass die Leute hier nach Brahlstorf zur Arbeit gekommen sind. Wir haben achthundert Einwohner und hatten über fünfhundert Arbeitsplätze – das war schon was."
Heute gibt es siebzig Arbeitsplätze, sagt er, achtzig; optimistisch geschätzt. Viele pendeln, arbeiten in Hamburg (164 Kilometer hin und zurück), Lüneburg (110 Kilometer), Schwerin (112 Kilometer). Noch kann sich die Gemeinde eine Kindertagesstätte leisten. Eine Bücherei (geöffnet dienstags und freitags 14 bis 18 Uhr).
Dann sprach Lars Lunge vor.
Wartmann: "Es war sehr realitätsnah. Er hat von sich erzählt, dass er viele Sportgeschäfte schon hat und die Idee, nicht in Fernost produzieren zu lassen, sondern in Deutschland. Arbeitsplätze zu schaffen. Ein Produkt Made in Deutschland anzubieten. Davon war ich begeistert! Wie er das so rübergebracht hat … – der hat das so plastisch erzählt, man konnte sich so richtig reinversetzen und hat quasi schon mitgesponnen, mitgedacht: So könnte das mal aussehen … - ja."
Plötzlich ist da Hoffnung – und der Bürgermeister fest entschlossen, sie halten, zu hegen, zu pflegen. Von Anfang an, sagt er und streckt die Beine aus (Cowboystiefel, Lederhosen), vom allerersten Moment an hatte er ein gutes Gefühl.
Wartmann: "Man empfindet manchmal, ob es ein Spinner ist oder nicht. Und hier habe ich eindeutig das Gefühl, er steht mit beiden Beinen im Leben… Und ja, vielleicht erfüllt er sich einen Traum damit, das würde ich schon so denken, aber ist das was Schlimmes? Im Gegenteil, ich finde das gut."
Mierzejewski: "Ich war skeptisch gewesen. Weil ja schon einige Leute hier Objekte gekauft haben im Dorf, zum Beispiel das Schloss. Da ist ja nichts passiert."
Frank Mierzejewski, Heizungsbauer. Wohnt an der Kreuzung Dorfstraße/Schlossstraße, schräg gegenüber vom Kuhstall.
Renk: "Natürlich haben wir uns gefreut, dass jemand kommt."
Annemarie Renk. Hat früher im Kuhstall gearbeitet.
Renk / Tramnitzki: "Wir haben doch genug Gebäude hier, die alle verfallen. Passiert doch nichts. – Beim Schloss werden wir ja auch noch sehen, wie es sich da verhält."
Annie Tramnitzki, geborene Pupke; Pupkes – eine alteingesessene Familie.
Renk: "Aber das geht doch auch schon Jahre. Jahre!"
Vor Lunges waren andere hier: Einer zog ein Küchenstudio auf – und ging pleite. Einer kaufte das Schloss, um eine Altenresidenz zu eröffnen – und ward nicht mehr gesehen.
Doch, eine gewisse Euphorie gäbe es, sagt Michael Feihstel; gänzlich uneuphorisch.
Feihstel: "Wie soll man das sagen? Man braucht nicht zu glauben, dass da jetzt sofort ein Wunder eintritt und auf einmal alle Leute Arbeit finden. Aber ich denke, für einen gewissen Teil der Menschen wird sich da schon was ergeben."
Er arbeitet bei Lunge. Hatte gar nichts mitbekommen von den Bauarbeiten im Kuhstall, aber sein Vater ist mit dem Bürgermeister befreundet, und der wusste, dass Lunges IT-Leute suchten. Jetzt fragen ihn die Leute, ob’s noch mehr Stellen gibt.
Juni 2007. Die Bauarbeiten sind noch nicht fertig, Maschinen noch nicht da. Keine Produktion. Im August geht’s los.
August 2007. Bauarbeiten noch nicht fertig, Maschinen kommen im Oktober, im Dezember geht’s los. Bewerbungen laufen.
Der Investor … – hat sich verschätzt.
Oktober 2007. Bauarbeiten teilweise fertig, Maschinen gerade aufgestellt, sieben Mitarbeiter eingestellt. Erster Schuh voraussichtlich im Januar im Handel.
Der Aufschwung dauert, die Hoffnung … – muss warten.
Februar 2008: Bauarbeiten dauern an, Maschinen laufen. Erster Schuh voraussichtlich im Frühjahr im Handel.
März 2008. Am Ortseingang zwischen Wiesen: der Kuhstall. Einhundertzwanzig Meter lang, leuchtend roter Backstein, das Dach neu gedeckt, auf der Spitze ein Glockentürmchen.
Lunge: "Die Baumaßnahmen haben länger gedauert – ein Elektriker, der nicht konnte, Steine, die fehlten, wir mussten alte nehmen, wir durften keine neuen nehmen. Man kann das nicht bis zum Ende durchplanen. Und man muss überlegen: Warten wir jetzt? Oder machen wir es teurer aber schneller? Am Ende des Tages müssen wir es auch bezahlen. Und dann ist das Warten manchmal besser als das teuer zu bezahlen."
2007 sollten 15.000 Laufschuhe hergestellt werden – jetzt, im März 2008, ist das erste Modell kurz vor der Serienreife. Der Investor (bodenständig und allürenfrei) gibt sich gelassen.
Lunge: "Tja, wie das eben immer so ist: das dauert alles ein bisschen länger, aber wird nun umso besser."
Es riecht nach Leim. In einem Regal Sportschuhe (grün-weiß) in verschiedenen Größen – an einem großen Tisch eine Frau (blonder Pferdeschwanz, rosa Pulli, Weste).
Snitil: "Ich bin froh, dass ich eine von den Ersten war. Da habe ich nie mit gerechnet."
Viola Snitil. Früher Zerspanerin, später Erzieherin im Säuglingsheim. Nach der Wende nahm sie, was sie kriegen konnte, doch immer wieder kriegte sie nichts. Hörte schließlich von Bauarbeiten im Kuhstall.
Snitil: "Meine erste Reaktion: Bewerbung hinschreiben."
Sie hoffte. Wartete. Hatte Geduld und Glück und steht jetzt am Laserzuschneidetisch und schneidet zu. Brachte gleich noch eine Bekannte unter.
Rust: "Turnschuh nähen, das hab ich noch nie gemacht – aber warum nicht? Ich bin da eigentlich nicht so ängstlich. Irgendwie bin ich immer wieder ins kalte Wasser gesprungen."
Doris Rust. Heute den vierten Tag hier. Maschinenkeramikerin, nach der Wende Verkäuferin. Näht gern. Hoffte, wartete, hatte Glück.
Snitil: "Das Team ist gut, die Chefs sind super, die Arbeit macht Spaß – was will man noch? Man ist glücklich."
Sieben Mitarbeiter arbeiten in der Halle. Keiner aus Düssin. Einer aus Brahlstorf. Alle anderen aus der Umgebung. Die Designerin aus dem Westen.
Tramnitzki: "Ich bin zurzeit Rentner und dadurch habe ich mich da nicht beworben."
Heiko Tramnitzki. Früher Melker im Kuhstall und Meister der Rinderproduktion.
Mierzejewski: "Ich weiß von einigen, dass sie sich beworben haben. Keine Ahnung, was daraus geworden ist."
Frank Mierzejewski (der Heizungsbauer).
Mierzejewski: "Man hat noch keine richtigen Zusagen bekommen, keine Absagen… – oder wer ’ne Absage bekommen hat, hat vielleicht nicht gesagt, dass er eine bekommen hat."
Renk: "Die sollen sich alle gedulden, wie ich gehört habe."
Annemarie Renk.
Mierzejewski: "Man hofft ja immer. Ja, doch… Dass sich das zum Positiven entwickelt hier."
Lunge: "Ich habe mir schon gedacht, dass da viele Bewerbungen kommen, weil man weiß natürlich, wie die Situation hier in Mecklenburg ist. Dass es aber so viele sind, das hätte ich nicht gedacht."
Gefühlte zweihundertfünfzig, sagt Lars Lunge, alles Initiativbewerbungen. Wenn er Zeit hat, schreibt er Absagen. Man kann das freundlich tun, sagt Lunge, ist für beide Seiten leichter. Der Mann aus dem Westen … – er hat Hoffnung in den Ort gebracht.
Lunge: "Ich kann nicht mein persönliches Schicksal damit verbinden. Ich kann natürlich nachvollziehen, was da ist und kann versuchen zu tun, was ich kann, um Leute einzustellen. Aber natürlich sind mir auch Grenzen gesetzt."
Unterdessen beim Bäcker in Brahlstorf (in Düssin gibt’s keinen, zu klein…).
Verkäuferin: "Wir haben gedacht, dass es jetzt ein bisschen mehr Aufschwung gibt für die Region, mehr Arbeitsplätze – aber davon haben wir bis jetzt noch nichts gemerkt. Wir wissen überhaupt nicht, ob es schon angefangen hat, wir wissen gar nichts."
Kundin: "Also ein paar sollen drin arbeiten, aber ob’s stimmt, ich weiß es nicht. – Es ist auch nichts bekannt gegeben worden. Man hätte doch wenigstens ausschreiben können für jemanden, der hier Arbeit sucht, anbieten… aber da ist gar nichts gewesen."
Nebenan geht ein Mann in den Raiffeisenmarkt. Die Bankfiliale beim Bahnhof wurde geschlossen. Auf der Straße zieht eine alte Frau mit Gehwägelchen vorbei. Ein Leichenwagen fährt die Straße hinab.
Im Bürgerbüro sitzt der Bürgermeister (Cowboystiefel, Jeans).
Wartmann: "Es geht manchmal nicht so schnell, wie man sich das denkt. Es gibt ein altes Sprichwort Was lange währt, wird endlich gut. Hoffen wir das!"
Sein Amt verpflichtet zu Optimismus. An die Schuhfabrik glaubt er nach wie vor.
Wartmann: "Es kann im Moment noch gar nicht mehr sein, weil man gerade erst den Schuh testet. Ist ja ein völlig neuer Schuh! Wenn man seinen Worten glaubt, gibt es einen großen Markt in Deutschland, es gibt weit über hundert Geschäfte, die den Schuh Made in Mecklenburg verkaufen wollen. Und ich persönlich kriege auch Anfragen von Bekannten. Mensch, sag mal, wann geht das denn nun los? Ich würde auch gern so einen Schuh kaufen!"
Juni 2008. Die Produktion läuft. Erster Schuh serienreif. Im Juli erste Auslieferung. Bauarbeiten gehen weiter.
Juli 2008. Tagesproduktion zehn bis fünfzehn Paar Schuhe. Ende August Auslieferung, Anfang September die ersten vierhundert Paar im Handel. Bauarbeiten gehen weiter.
August 2008.
Lunge: "Dieses Jahr war das Anstrengendste, was ich überhaupt mal erlebt habe."
Es riecht nach Leim. Überall Stoffrollen, Leder, Sohlen. Schuhe (grün-weiß, federleicht)! Paletten voller Kartons mit dem Aufdruck "Laufschuhmanufaktur Lunge". Zehn Mitarbeiter.
Lunge: "Ich weiß heute, warum mir niemals einer einen Laufschuh bauen wollte, wenn ich durch Europa gezogen bin. Ich bin in Italien gewesen, in Deutschland: Baut uns doch mal einen Laufschuh! Die haben alle den Kopf geschüttelt. Jetzt weiß ich, warum! Weil es superkompliziert ist, die Teile alle so zusammenzubekommen, dass hinterher immer wieder derselbe Schuh rauskommt und dass alle Größen gleich gut passen. Und es kommt ja noch hinzu, dass wir noch eine Firma haben. Ich bau das nebenbei auf! Und das ist das Anstrengende."
Wenn alles fertig ist, haben die Brüder 3,5 Millionen in Grundstück, Gebäude, Renovierung, Maschinen gesteckt; plus 700.000 Euro Anlaufkosten. Die 3,5 Millionen werden zu 43 Prozent gefördert, vom Land und aus EU-Mitteln. Dafür müssen Lunges elf Arbeitsplätze schaffen. Lars Lunge lobt die kooperativen Behörden, die motivierten Mitarbeiter. Hatte er trotzdem Angst, sich zu verheben?
Lunge: "Natürlich hat man nachts gedacht: Ey, jetzt machst du es nicht mehr. Aber das ist einfach was, wo man sagt: Nee, geht nicht. Du hast die Verantwortung dafür übernommen."
Am Laserzuschneidetisch steht immer noch Viola Snitil. Immer noch glücklich. Obwohl es heißt, Lunges zahlten unter Tarif oder, wie Lars Lunge sagt: ortsüblich.
Snitil: "Was nützt es, wenn ich bis nach Hamburg fahre, verdiene meinetwegen zweihundert Euro mehr im Monat – die verfahre ich auch!"
Düssin. Leere Straßen, am Schloss blättert der Putz. Rosen blühen und Hühner laufen durchs Gras. In der Stellmacherei (gegenüber vom Kuhstall) sitzen Heiko Tramnitzki, Annie geborene Pupke, Annemarie Renk.
Tramnitzki / Tramnitzki: "Die Bäume sind grün. Die Straßen sehen super aus, die Häuser – alles toll! Es hat sich hier nichts verändert ... – Nichts. – Nur das Äußere vom Kuhstall hat sich verändert. – Da sind wir froh drüber, alle. Muss man sagen."
Was im Kuhstall passiert? Wissen sie nicht.
Renk / Tramnitzki: "Sollte ja auch mal ein Tag der offenen Tür sein hier … - Darauf warten wir alle! Darauf warten wir, dass wir tatsächlich mal Einsicht bekommen! Das würde uns alle freuen, wirklich wahr."
Dass niemand aus Düssin dort arbeitet – ja, seltsam. Kommt vielleicht noch.
Tramnitzki: "Irgendwas wird uns das bringen. Man darf nicht zu voreilig sein … Die Zeit bringt das mit sich."
Wäre man im Westen genauso geduldig?
Tramnitzki: "Erstmal muss das aufgebaut werden, und dann muss die Produktion voll da sein, damit die Firma nachher Steuern zahlt. Und diese Steuern müssen im Ort bleiben. Nicht, dass die ganz woanders landen die Gelder. – Das bleibt ja nicht bei uns. Wir sind ja nur ein Ortsteil von Brahlstorf. – Und dann gehört alles zum Bereich Boizenburg. Da wird das Geld erstmal hingehen. Und bei uns kommt der Rest an, der übrig bleibt."
Im Feuerwehrhaus in Brahlstorf (in Düssin gibt’s keine Feuerwehr mehr) sitzt der Bürgermeister. Kann es sein, dass man in Düssin ein wenig verschnupft ist, weil der Kuhstall zwar dort steht, der Aufschwung aber doch am Dorf vorbeizuziehen droht?
Wartmann: "Das kommt dort immer so an, das ist aber nicht so. Wir haben immer versucht, Düssin nicht zu benachteiligen."
Neid auf die, die im Kuhstall arbeiten? Nö, sagen alle. Konkurrenz? Gewinner, Verlierer? Kann man so nicht sagen, sagt Heiko Tramnitzki.
Tramnitzki: "Das waren eben die ersten, die waren als erste am Drücker. Die haben Glück gehabt. Und ob da wirklich noch hundert Leute angestellt werden, das weiß eben keiner."
Kanter: "Da kostet ein Schuh – was haben die gesagt? Hundertfünfzig bis zweihundert Euro?"
Holger Kanter. Groß, kräftig, breite Schultern. Feuerwehrmann.
Kanter: "Kann ich mir nicht leisten, auf Deutsch gesagt. ’N Turnschuh für zweihundert Euro kann ich mir nicht leisten."
Voss: "Es heißt immer, wenn sich hier jemand für irgendwas interessiert, kriegt er Fördermittel und Fördermittel, und so lange die die Fördermittel bekommen, passiert auch was. Aber hört es auf, sind die gleich wieder weg."
Doris Voss, Kindergärtnerin.
Voss: "Das haben wir doch schon so oft erlebt, und das geht doch immer so weiter."
Wartmann: "Ich denke, wir leben alle von der Hoffnung irgendwo. Und wenn man die Hoffnung aufgibt, dann ist ja alles vorbei."
Lunge: "Vom Betrieb möchte ich möglichst viele einstellen, je mehr desto besser, darauf ist es ausgelegt. Aber eben bitte so, dass es gesund wächst. Es ist ja nicht so, dass wir hier auf eine Ölader gestoßen sind und nur pumpen brauchen und sagen: ruf mal den Tankwart an. Sondern wir müssen wirklich hart arbeiten und genau rechnen und kalkulieren. Wir unterliegen den klassischen wirtschaftlichen Gesetzen."
Produzieren wir zwanzig Paar Schuhe am Tag, können wir entspannen, bauen wir fünftausend im Jahr, arbeiten wir kostendeckend, sagt Lars Lunge. Zehnmal so viel haben die Händler inzwischen bestellt, sagt Ulf Lunge.
Am Ende der Schlossstraße verrottet das Schloss. An der Dorfstraße steht mächtig und prächtig der Kuhstall, der jetzt eine Laufschuhmanufaktur ist. Für die Lunge-Brüder könnte in Düssin ein Traum in Erfüllung gehen. Für ein paar Leute aus der Gegend auch. Die anderen … – warten ab. Hoffen weiter. Oder hören irgendwann auf. Kein Aufschwung, keine Hoffnung.
Drüben guckt ein Nachbar aus dem Fenster. Und zieht die Gardine wieder zu.
Leere Straßen. Am Schloss blättert der Putz. Ein leerer Spielplatz, Rolläden, die heruntergelassen werden, der Himmel schwer, im Vorgarten eine Deutschlandfahne.
Februar 2007. In einem Stall, in dem zu LPG-Zeiten vierhundert Kühe standen, reißen Bauarbeiter Wände ein. 6600 Quadratmeter auf drei Etagen. Maurer, Dachdecker, Zimmerleute (auf drei Etagen). Im Juni will Lars Lunge auf den ersten 500 Quadratmetern Sportschuhe Made in Mecklenburg produzieren.
"Wir wollen hier mit acht Leuten im Juni starten, und es soll relativ schnell sich auf fünfundzwanzig bis dreißig Leute entwickeln."
Steine, Balken, Kabel, Dämmplatten. Tonnenweise Stahl und in der Decke Löcher, aus denen das Heu für die Kühe heruntergeworfen wurde. Der Kuhstall ist Düssiner Wahrzeichen, ein Denkmal, hundert Jahre; in naher Zukunft wäre er in sich zusammengefallen. Für 20.000 Euro haben Lars Lunge und sein Bruder Ulf ihn von der Treuhand ersteigert.
"Wenn man produzieren will, ist das auch ’ne Kostenfrage, und in einer Großstadt wäre das nicht realisierbar."
Seit dreißig Jahren verkaufen Lunges Laufschuhe, in sechs eigenen Läden in Hamburg und Berlin. Fünfzig Mitarbeiter, drei Millionen Jahresumsatz. Und seit dreißig Jahren träumen sie von dem perfekten Laufschuh, den sie nun selbst herstellen wollen.
"Es gibt manchmal sehr bewegte Momente, wenn Leute anrufen und sich bewerben, weil sie einfach ganz dringend einen Arbeitsplatz brauchen. Die händeringend nach Arbeit suchen, weil sie sonst ihr Haus verkaufen müssen, aus Wohnungen ausziehen müssen – aber es keine Arbeitsplätze gibt."
Im Gemeindehaus in Brahlstorf sitzt Gerhard Wartmann, Bürgermeister (seit siebzehn Jahren).
"Brahlstorf war immer Industriestandort, wir hatten immer sehr viele Arbeitsplätze. Zu Ost-Zeiten war es so, dass die Leute hier nach Brahlstorf zur Arbeit gekommen sind. Wir haben achthundert Einwohner und hatten über fünfhundert Arbeitsplätze – das war schon was."
Heute gibt es siebzig Arbeitsplätze, sagt er, achtzig; optimistisch geschätzt. Viele pendeln, arbeiten in Hamburg (164 Kilometer hin und zurück), Lüneburg (110 Kilometer), Schwerin (112 Kilometer). Noch kann sich die Gemeinde eine Kindertagesstätte leisten. Eine Bücherei (geöffnet dienstags und freitags 14 bis 18 Uhr).
Dann sprach Lars Lunge vor.
Wartmann: "Es war sehr realitätsnah. Er hat von sich erzählt, dass er viele Sportgeschäfte schon hat und die Idee, nicht in Fernost produzieren zu lassen, sondern in Deutschland. Arbeitsplätze zu schaffen. Ein Produkt Made in Deutschland anzubieten. Davon war ich begeistert! Wie er das so rübergebracht hat … – der hat das so plastisch erzählt, man konnte sich so richtig reinversetzen und hat quasi schon mitgesponnen, mitgedacht: So könnte das mal aussehen … - ja."
Plötzlich ist da Hoffnung – und der Bürgermeister fest entschlossen, sie halten, zu hegen, zu pflegen. Von Anfang an, sagt er und streckt die Beine aus (Cowboystiefel, Lederhosen), vom allerersten Moment an hatte er ein gutes Gefühl.
Wartmann: "Man empfindet manchmal, ob es ein Spinner ist oder nicht. Und hier habe ich eindeutig das Gefühl, er steht mit beiden Beinen im Leben… Und ja, vielleicht erfüllt er sich einen Traum damit, das würde ich schon so denken, aber ist das was Schlimmes? Im Gegenteil, ich finde das gut."
Mierzejewski: "Ich war skeptisch gewesen. Weil ja schon einige Leute hier Objekte gekauft haben im Dorf, zum Beispiel das Schloss. Da ist ja nichts passiert."
Frank Mierzejewski, Heizungsbauer. Wohnt an der Kreuzung Dorfstraße/Schlossstraße, schräg gegenüber vom Kuhstall.
Renk: "Natürlich haben wir uns gefreut, dass jemand kommt."
Annemarie Renk. Hat früher im Kuhstall gearbeitet.
Renk / Tramnitzki: "Wir haben doch genug Gebäude hier, die alle verfallen. Passiert doch nichts. – Beim Schloss werden wir ja auch noch sehen, wie es sich da verhält."
Annie Tramnitzki, geborene Pupke; Pupkes – eine alteingesessene Familie.
Renk: "Aber das geht doch auch schon Jahre. Jahre!"
Vor Lunges waren andere hier: Einer zog ein Küchenstudio auf – und ging pleite. Einer kaufte das Schloss, um eine Altenresidenz zu eröffnen – und ward nicht mehr gesehen.
Doch, eine gewisse Euphorie gäbe es, sagt Michael Feihstel; gänzlich uneuphorisch.
Feihstel: "Wie soll man das sagen? Man braucht nicht zu glauben, dass da jetzt sofort ein Wunder eintritt und auf einmal alle Leute Arbeit finden. Aber ich denke, für einen gewissen Teil der Menschen wird sich da schon was ergeben."
Er arbeitet bei Lunge. Hatte gar nichts mitbekommen von den Bauarbeiten im Kuhstall, aber sein Vater ist mit dem Bürgermeister befreundet, und der wusste, dass Lunges IT-Leute suchten. Jetzt fragen ihn die Leute, ob’s noch mehr Stellen gibt.
Juni 2007. Die Bauarbeiten sind noch nicht fertig, Maschinen noch nicht da. Keine Produktion. Im August geht’s los.
August 2007. Bauarbeiten noch nicht fertig, Maschinen kommen im Oktober, im Dezember geht’s los. Bewerbungen laufen.
Der Investor … – hat sich verschätzt.
Oktober 2007. Bauarbeiten teilweise fertig, Maschinen gerade aufgestellt, sieben Mitarbeiter eingestellt. Erster Schuh voraussichtlich im Januar im Handel.
Der Aufschwung dauert, die Hoffnung … – muss warten.
Februar 2008: Bauarbeiten dauern an, Maschinen laufen. Erster Schuh voraussichtlich im Frühjahr im Handel.
März 2008. Am Ortseingang zwischen Wiesen: der Kuhstall. Einhundertzwanzig Meter lang, leuchtend roter Backstein, das Dach neu gedeckt, auf der Spitze ein Glockentürmchen.
Lunge: "Die Baumaßnahmen haben länger gedauert – ein Elektriker, der nicht konnte, Steine, die fehlten, wir mussten alte nehmen, wir durften keine neuen nehmen. Man kann das nicht bis zum Ende durchplanen. Und man muss überlegen: Warten wir jetzt? Oder machen wir es teurer aber schneller? Am Ende des Tages müssen wir es auch bezahlen. Und dann ist das Warten manchmal besser als das teuer zu bezahlen."
2007 sollten 15.000 Laufschuhe hergestellt werden – jetzt, im März 2008, ist das erste Modell kurz vor der Serienreife. Der Investor (bodenständig und allürenfrei) gibt sich gelassen.
Lunge: "Tja, wie das eben immer so ist: das dauert alles ein bisschen länger, aber wird nun umso besser."
Es riecht nach Leim. In einem Regal Sportschuhe (grün-weiß) in verschiedenen Größen – an einem großen Tisch eine Frau (blonder Pferdeschwanz, rosa Pulli, Weste).
Snitil: "Ich bin froh, dass ich eine von den Ersten war. Da habe ich nie mit gerechnet."
Viola Snitil. Früher Zerspanerin, später Erzieherin im Säuglingsheim. Nach der Wende nahm sie, was sie kriegen konnte, doch immer wieder kriegte sie nichts. Hörte schließlich von Bauarbeiten im Kuhstall.
Snitil: "Meine erste Reaktion: Bewerbung hinschreiben."
Sie hoffte. Wartete. Hatte Geduld und Glück und steht jetzt am Laserzuschneidetisch und schneidet zu. Brachte gleich noch eine Bekannte unter.
Rust: "Turnschuh nähen, das hab ich noch nie gemacht – aber warum nicht? Ich bin da eigentlich nicht so ängstlich. Irgendwie bin ich immer wieder ins kalte Wasser gesprungen."
Doris Rust. Heute den vierten Tag hier. Maschinenkeramikerin, nach der Wende Verkäuferin. Näht gern. Hoffte, wartete, hatte Glück.
Snitil: "Das Team ist gut, die Chefs sind super, die Arbeit macht Spaß – was will man noch? Man ist glücklich."
Sieben Mitarbeiter arbeiten in der Halle. Keiner aus Düssin. Einer aus Brahlstorf. Alle anderen aus der Umgebung. Die Designerin aus dem Westen.
Tramnitzki: "Ich bin zurzeit Rentner und dadurch habe ich mich da nicht beworben."
Heiko Tramnitzki. Früher Melker im Kuhstall und Meister der Rinderproduktion.
Mierzejewski: "Ich weiß von einigen, dass sie sich beworben haben. Keine Ahnung, was daraus geworden ist."
Frank Mierzejewski (der Heizungsbauer).
Mierzejewski: "Man hat noch keine richtigen Zusagen bekommen, keine Absagen… – oder wer ’ne Absage bekommen hat, hat vielleicht nicht gesagt, dass er eine bekommen hat."
Renk: "Die sollen sich alle gedulden, wie ich gehört habe."
Annemarie Renk.
Mierzejewski: "Man hofft ja immer. Ja, doch… Dass sich das zum Positiven entwickelt hier."
Lunge: "Ich habe mir schon gedacht, dass da viele Bewerbungen kommen, weil man weiß natürlich, wie die Situation hier in Mecklenburg ist. Dass es aber so viele sind, das hätte ich nicht gedacht."
Gefühlte zweihundertfünfzig, sagt Lars Lunge, alles Initiativbewerbungen. Wenn er Zeit hat, schreibt er Absagen. Man kann das freundlich tun, sagt Lunge, ist für beide Seiten leichter. Der Mann aus dem Westen … – er hat Hoffnung in den Ort gebracht.
Lunge: "Ich kann nicht mein persönliches Schicksal damit verbinden. Ich kann natürlich nachvollziehen, was da ist und kann versuchen zu tun, was ich kann, um Leute einzustellen. Aber natürlich sind mir auch Grenzen gesetzt."
Unterdessen beim Bäcker in Brahlstorf (in Düssin gibt’s keinen, zu klein…).
Verkäuferin: "Wir haben gedacht, dass es jetzt ein bisschen mehr Aufschwung gibt für die Region, mehr Arbeitsplätze – aber davon haben wir bis jetzt noch nichts gemerkt. Wir wissen überhaupt nicht, ob es schon angefangen hat, wir wissen gar nichts."
Kundin: "Also ein paar sollen drin arbeiten, aber ob’s stimmt, ich weiß es nicht. – Es ist auch nichts bekannt gegeben worden. Man hätte doch wenigstens ausschreiben können für jemanden, der hier Arbeit sucht, anbieten… aber da ist gar nichts gewesen."
Nebenan geht ein Mann in den Raiffeisenmarkt. Die Bankfiliale beim Bahnhof wurde geschlossen. Auf der Straße zieht eine alte Frau mit Gehwägelchen vorbei. Ein Leichenwagen fährt die Straße hinab.
Im Bürgerbüro sitzt der Bürgermeister (Cowboystiefel, Jeans).
Wartmann: "Es geht manchmal nicht so schnell, wie man sich das denkt. Es gibt ein altes Sprichwort Was lange währt, wird endlich gut. Hoffen wir das!"
Sein Amt verpflichtet zu Optimismus. An die Schuhfabrik glaubt er nach wie vor.
Wartmann: "Es kann im Moment noch gar nicht mehr sein, weil man gerade erst den Schuh testet. Ist ja ein völlig neuer Schuh! Wenn man seinen Worten glaubt, gibt es einen großen Markt in Deutschland, es gibt weit über hundert Geschäfte, die den Schuh Made in Mecklenburg verkaufen wollen. Und ich persönlich kriege auch Anfragen von Bekannten. Mensch, sag mal, wann geht das denn nun los? Ich würde auch gern so einen Schuh kaufen!"
Juni 2008. Die Produktion läuft. Erster Schuh serienreif. Im Juli erste Auslieferung. Bauarbeiten gehen weiter.
Juli 2008. Tagesproduktion zehn bis fünfzehn Paar Schuhe. Ende August Auslieferung, Anfang September die ersten vierhundert Paar im Handel. Bauarbeiten gehen weiter.
August 2008.
Lunge: "Dieses Jahr war das Anstrengendste, was ich überhaupt mal erlebt habe."
Es riecht nach Leim. Überall Stoffrollen, Leder, Sohlen. Schuhe (grün-weiß, federleicht)! Paletten voller Kartons mit dem Aufdruck "Laufschuhmanufaktur Lunge". Zehn Mitarbeiter.
Lunge: "Ich weiß heute, warum mir niemals einer einen Laufschuh bauen wollte, wenn ich durch Europa gezogen bin. Ich bin in Italien gewesen, in Deutschland: Baut uns doch mal einen Laufschuh! Die haben alle den Kopf geschüttelt. Jetzt weiß ich, warum! Weil es superkompliziert ist, die Teile alle so zusammenzubekommen, dass hinterher immer wieder derselbe Schuh rauskommt und dass alle Größen gleich gut passen. Und es kommt ja noch hinzu, dass wir noch eine Firma haben. Ich bau das nebenbei auf! Und das ist das Anstrengende."
Wenn alles fertig ist, haben die Brüder 3,5 Millionen in Grundstück, Gebäude, Renovierung, Maschinen gesteckt; plus 700.000 Euro Anlaufkosten. Die 3,5 Millionen werden zu 43 Prozent gefördert, vom Land und aus EU-Mitteln. Dafür müssen Lunges elf Arbeitsplätze schaffen. Lars Lunge lobt die kooperativen Behörden, die motivierten Mitarbeiter. Hatte er trotzdem Angst, sich zu verheben?
Lunge: "Natürlich hat man nachts gedacht: Ey, jetzt machst du es nicht mehr. Aber das ist einfach was, wo man sagt: Nee, geht nicht. Du hast die Verantwortung dafür übernommen."
Am Laserzuschneidetisch steht immer noch Viola Snitil. Immer noch glücklich. Obwohl es heißt, Lunges zahlten unter Tarif oder, wie Lars Lunge sagt: ortsüblich.
Snitil: "Was nützt es, wenn ich bis nach Hamburg fahre, verdiene meinetwegen zweihundert Euro mehr im Monat – die verfahre ich auch!"
Düssin. Leere Straßen, am Schloss blättert der Putz. Rosen blühen und Hühner laufen durchs Gras. In der Stellmacherei (gegenüber vom Kuhstall) sitzen Heiko Tramnitzki, Annie geborene Pupke, Annemarie Renk.
Tramnitzki / Tramnitzki: "Die Bäume sind grün. Die Straßen sehen super aus, die Häuser – alles toll! Es hat sich hier nichts verändert ... – Nichts. – Nur das Äußere vom Kuhstall hat sich verändert. – Da sind wir froh drüber, alle. Muss man sagen."
Was im Kuhstall passiert? Wissen sie nicht.
Renk / Tramnitzki: "Sollte ja auch mal ein Tag der offenen Tür sein hier … - Darauf warten wir alle! Darauf warten wir, dass wir tatsächlich mal Einsicht bekommen! Das würde uns alle freuen, wirklich wahr."
Dass niemand aus Düssin dort arbeitet – ja, seltsam. Kommt vielleicht noch.
Tramnitzki: "Irgendwas wird uns das bringen. Man darf nicht zu voreilig sein … Die Zeit bringt das mit sich."
Wäre man im Westen genauso geduldig?
Tramnitzki: "Erstmal muss das aufgebaut werden, und dann muss die Produktion voll da sein, damit die Firma nachher Steuern zahlt. Und diese Steuern müssen im Ort bleiben. Nicht, dass die ganz woanders landen die Gelder. – Das bleibt ja nicht bei uns. Wir sind ja nur ein Ortsteil von Brahlstorf. – Und dann gehört alles zum Bereich Boizenburg. Da wird das Geld erstmal hingehen. Und bei uns kommt der Rest an, der übrig bleibt."
Im Feuerwehrhaus in Brahlstorf (in Düssin gibt’s keine Feuerwehr mehr) sitzt der Bürgermeister. Kann es sein, dass man in Düssin ein wenig verschnupft ist, weil der Kuhstall zwar dort steht, der Aufschwung aber doch am Dorf vorbeizuziehen droht?
Wartmann: "Das kommt dort immer so an, das ist aber nicht so. Wir haben immer versucht, Düssin nicht zu benachteiligen."
Neid auf die, die im Kuhstall arbeiten? Nö, sagen alle. Konkurrenz? Gewinner, Verlierer? Kann man so nicht sagen, sagt Heiko Tramnitzki.
Tramnitzki: "Das waren eben die ersten, die waren als erste am Drücker. Die haben Glück gehabt. Und ob da wirklich noch hundert Leute angestellt werden, das weiß eben keiner."
Kanter: "Da kostet ein Schuh – was haben die gesagt? Hundertfünfzig bis zweihundert Euro?"
Holger Kanter. Groß, kräftig, breite Schultern. Feuerwehrmann.
Kanter: "Kann ich mir nicht leisten, auf Deutsch gesagt. ’N Turnschuh für zweihundert Euro kann ich mir nicht leisten."
Voss: "Es heißt immer, wenn sich hier jemand für irgendwas interessiert, kriegt er Fördermittel und Fördermittel, und so lange die die Fördermittel bekommen, passiert auch was. Aber hört es auf, sind die gleich wieder weg."
Doris Voss, Kindergärtnerin.
Voss: "Das haben wir doch schon so oft erlebt, und das geht doch immer so weiter."
Wartmann: "Ich denke, wir leben alle von der Hoffnung irgendwo. Und wenn man die Hoffnung aufgibt, dann ist ja alles vorbei."
Lunge: "Vom Betrieb möchte ich möglichst viele einstellen, je mehr desto besser, darauf ist es ausgelegt. Aber eben bitte so, dass es gesund wächst. Es ist ja nicht so, dass wir hier auf eine Ölader gestoßen sind und nur pumpen brauchen und sagen: ruf mal den Tankwart an. Sondern wir müssen wirklich hart arbeiten und genau rechnen und kalkulieren. Wir unterliegen den klassischen wirtschaftlichen Gesetzen."
Produzieren wir zwanzig Paar Schuhe am Tag, können wir entspannen, bauen wir fünftausend im Jahr, arbeiten wir kostendeckend, sagt Lars Lunge. Zehnmal so viel haben die Händler inzwischen bestellt, sagt Ulf Lunge.
Am Ende der Schlossstraße verrottet das Schloss. An der Dorfstraße steht mächtig und prächtig der Kuhstall, der jetzt eine Laufschuhmanufaktur ist. Für die Lunge-Brüder könnte in Düssin ein Traum in Erfüllung gehen. Für ein paar Leute aus der Gegend auch. Die anderen … – warten ab. Hoffen weiter. Oder hören irgendwann auf. Kein Aufschwung, keine Hoffnung.
Drüben guckt ein Nachbar aus dem Fenster. Und zieht die Gardine wieder zu.