Das Trivialste und das Höchste
Die Begegnung mit dem Fremden steht im Zentrum der Hamburger Lessingtage, bei denen Theater-Gastspiele aus vielen Ländern der Welt zu sehen sind. Mit einer Reise durch Navid Kermanis monumentalen Roman "Dein Name" wurde das Festival eröffnet.
"Gott in der Höh sei Preis und Ehr". Live gespielt heute Abend, zur Eröffnung der dritten Lessingtage in Hamburg. Ein erster Hinweis darauf, auf welche Reise die Macherinnen und Macher der Veranstaltung das Publikum mitnehmen wollen.
Der Rahmen für die Eröffnungsfeier ist maßgeschneidert. Exakt zugeschnitten auf Navid Kermanis Roman "Dein Name". Der Rahmen, das sind die Hamburger Deichtorhallen und die aktuelle Ausstellung über "Wunder – vom 4. Jahrhundert bis zur Gegenwart": Spiegel, in denen sich das eigene Bild hundertfach bricht, mächtige umhäkelte Findlinge in grellen Farben und Stiche aus dem Mittelalter, die von wundersamen Erscheinungen, von Engeln und Weissagungen erzählen. Mittendrin lesen 30 Schauspielerinnen und Schauspieler kurze Passagen aus Kermanis 1200-Seiten-Roman. Sie berichten von kleinen und großen Geschichten, vom Tod, von der Angst, von Trennung und dem Ankommen in neuen Welten:
Mann: "Ich laufe jeden Tag durch mein Viertel hinterm Bahnhof. Ich höre etwas Arabisches, dort Polnisch, links etwas, was nach Balkan klingt.""
Frau: "Die Frau nimmt ihr Buch und liest seitdem drei Meter von ihm entfernt mit Kopfhörern auf der Matratze. Auf welcher der Mann für gewöhnlich schläft.""
Frau: ""Die Geburt des eigenen Kindes ist das Glück schlechthin.""
Die schiere Themenfülle von Kermanis Roman korrespondiert perfekt mit dem Motto der Lessingtage: "Um alles in der Welt" lautet der diesjährige Titel und darum soll es auch gehen bei den Gastspielen aus München und Berlin, Madrid und Helsinki. Und Kermani selbst war sofort begeistert von der Idee und machte heute Abend gleich mit bei den Lesungen der Romanfragmente:
Navid Kermani: ""Die Idee kam vom Thalia-Theater. Ich war hier in Hamburg. Ich hatte eine Lesung im Literaturhaus. Und dann haben die mich eingeladen in die "Wunder"-Ausstellung. Da war diese Idee schon da. Und dann hatte ich natürlich schon meine Ideen, wie es funktionieren könnte. Aber ich habe das nur so hinzugefügt, diesen einen oder anderen Gedanken. Ansonsten bin ich hier auch nur Gast oder: Mitwirkender."
Kermani sitzt an einem kleinen runden Tisch, vier Besucher sitzen dicht an dicht im Halbkreis vor ihm.
Kermani: ""Zwei Tage lang trat sie nur morgens – wenn sie zur Schule ging – und abends vor dem Essen vor die Tür ihres Zimmers, schwieg auf alle Fragen, wurde immer von Minute zu Minute von Schüttelfrost gepackt und überlegte allen Ernstes.""
Es ist die Intimität der vielen kleinen Lesungen, die das Publikum begeistert. Mit der nun gewählten Form ist Kermani überglücklich. Vor sich auf dem Tisch zeigt er das Plakat, auf dem alle Lesungs-Stationen, die Vorleser und die verhandelten Themen vermerkt sind: Felix Knopp liest über "Frieden", Katia Danowski über "Filmkunsttheater", Matthia Lejas Thema ist "Lampedusa", Sandra Flubachers der "Aufbruch".
Kermani: "Es ist wie so ein Traum, den man so hat. Diese verschiedenen Fäden. Und dann plötzlich ist das alles real! Und es sind Menschen, die erzählen ihre eigenen Geschichten dazu. Da bin ich natürlich schon etwas in Verzückung!"
Und glücklich mit der Umsetzung seiner Idee und vor allem mit dem Roman von Kermani ist auch Joachim Lux, Intendant des Thalia-Theaters. Kermanis Geschichten seien ein Geschenk, so Lux:
"Es geht um Alles! Um das Trivialste und das Höchste. Das Philosophischste, das Theologische. Das ist so reich und plötzlich entdeckt man, wenn man in die Tiefen zurückgeht, dass so viel Jean Paul und Hölderlin irgendwie auch miteinander verwandt sind. Und das macht natürlich Spaß, in der Polyphonie und der Kakophonie unseres Lebens solche Gemeinsamkeiten zu finden."
Wie in den vergangenen Jahren ist der Bogen der Lessingtage weit gespannt: beide Teile von Goethes "Faust" kommen zur Aufführung, "Three Kingdoms" vom englischen Dramatiker Simon Stephens, "Die Kontrakte des Kaufmanns" von Elfriede Jelinek oder das Stück "Atropa" vom Flamen Tom Lanoya. Daneben gibt es Stücke von Ilija Trojanow, Wim Vandekeybus und – selbstverständlich – auch solche von Gotthold Ephraim Lessing: "Emilia Galotti" eröffnet die Theatertage. Handfester Ärger steht dem Thalia-Theater am kommenden Montag bevor: Dann steht das Stück "Golgata Picnic" von Rodrigo Garcia auf dem Programm. Ein Stück, das schon bei den Aufführungen in Paris für heftige Reaktionen streng gläubiger Christen, vor allem von Katholiken gesorgt hat. Keine Frage: Garcias Stück ist eine Frontalkritik nicht nur, aber vor allem am christlichen Glauben.
Joachim Lux: "Dieser Abend ist hart. Der ist wirklich extrem, das kann man gar nicht ableugnen. Und ich kann auch verstehen, wenn man sich davor schützen will. Aber nicht zu rechtfertigen ist es, wenn aus ideologischen Gründen ultraorthodoxe, ich sag mal: so genannte Katholiken versuchen, da verhohlen und unverhohlen Terror und Druck auszuüben. Das ist nicht in Ordnung."
Am Ende bleibt zu hoffen, dass auch die Gegner dieses einen Stücks in den Dialog über Weltreligionen eintreten, den das Thalia-Theater zum Abschluss der Lessingtage plant: die Lange Nacht der Weltreligionen beschäftigt sich zum Abschluss der Lessingtage am 4. Februar mit "Schöpfungsmythen" und den "großen Erzählungen zur Entstehung der Welt". Vielleicht herrschen dann wieder die Toleranz und die Offenheit, die die Kritik am "Golgata Picnic" vermissen lässt und für die Gotthold Ephraim Lessing so gekämpft hat.
Informationen der Lessingtage Hamburg
Der Rahmen für die Eröffnungsfeier ist maßgeschneidert. Exakt zugeschnitten auf Navid Kermanis Roman "Dein Name". Der Rahmen, das sind die Hamburger Deichtorhallen und die aktuelle Ausstellung über "Wunder – vom 4. Jahrhundert bis zur Gegenwart": Spiegel, in denen sich das eigene Bild hundertfach bricht, mächtige umhäkelte Findlinge in grellen Farben und Stiche aus dem Mittelalter, die von wundersamen Erscheinungen, von Engeln und Weissagungen erzählen. Mittendrin lesen 30 Schauspielerinnen und Schauspieler kurze Passagen aus Kermanis 1200-Seiten-Roman. Sie berichten von kleinen und großen Geschichten, vom Tod, von der Angst, von Trennung und dem Ankommen in neuen Welten:
Mann: "Ich laufe jeden Tag durch mein Viertel hinterm Bahnhof. Ich höre etwas Arabisches, dort Polnisch, links etwas, was nach Balkan klingt.""
Frau: "Die Frau nimmt ihr Buch und liest seitdem drei Meter von ihm entfernt mit Kopfhörern auf der Matratze. Auf welcher der Mann für gewöhnlich schläft.""
Frau: ""Die Geburt des eigenen Kindes ist das Glück schlechthin.""
Die schiere Themenfülle von Kermanis Roman korrespondiert perfekt mit dem Motto der Lessingtage: "Um alles in der Welt" lautet der diesjährige Titel und darum soll es auch gehen bei den Gastspielen aus München und Berlin, Madrid und Helsinki. Und Kermani selbst war sofort begeistert von der Idee und machte heute Abend gleich mit bei den Lesungen der Romanfragmente:
Navid Kermani: ""Die Idee kam vom Thalia-Theater. Ich war hier in Hamburg. Ich hatte eine Lesung im Literaturhaus. Und dann haben die mich eingeladen in die "Wunder"-Ausstellung. Da war diese Idee schon da. Und dann hatte ich natürlich schon meine Ideen, wie es funktionieren könnte. Aber ich habe das nur so hinzugefügt, diesen einen oder anderen Gedanken. Ansonsten bin ich hier auch nur Gast oder: Mitwirkender."
Kermani sitzt an einem kleinen runden Tisch, vier Besucher sitzen dicht an dicht im Halbkreis vor ihm.
Kermani: ""Zwei Tage lang trat sie nur morgens – wenn sie zur Schule ging – und abends vor dem Essen vor die Tür ihres Zimmers, schwieg auf alle Fragen, wurde immer von Minute zu Minute von Schüttelfrost gepackt und überlegte allen Ernstes.""
Es ist die Intimität der vielen kleinen Lesungen, die das Publikum begeistert. Mit der nun gewählten Form ist Kermani überglücklich. Vor sich auf dem Tisch zeigt er das Plakat, auf dem alle Lesungs-Stationen, die Vorleser und die verhandelten Themen vermerkt sind: Felix Knopp liest über "Frieden", Katia Danowski über "Filmkunsttheater", Matthia Lejas Thema ist "Lampedusa", Sandra Flubachers der "Aufbruch".
Kermani: "Es ist wie so ein Traum, den man so hat. Diese verschiedenen Fäden. Und dann plötzlich ist das alles real! Und es sind Menschen, die erzählen ihre eigenen Geschichten dazu. Da bin ich natürlich schon etwas in Verzückung!"
Und glücklich mit der Umsetzung seiner Idee und vor allem mit dem Roman von Kermani ist auch Joachim Lux, Intendant des Thalia-Theaters. Kermanis Geschichten seien ein Geschenk, so Lux:
"Es geht um Alles! Um das Trivialste und das Höchste. Das Philosophischste, das Theologische. Das ist so reich und plötzlich entdeckt man, wenn man in die Tiefen zurückgeht, dass so viel Jean Paul und Hölderlin irgendwie auch miteinander verwandt sind. Und das macht natürlich Spaß, in der Polyphonie und der Kakophonie unseres Lebens solche Gemeinsamkeiten zu finden."
Wie in den vergangenen Jahren ist der Bogen der Lessingtage weit gespannt: beide Teile von Goethes "Faust" kommen zur Aufführung, "Three Kingdoms" vom englischen Dramatiker Simon Stephens, "Die Kontrakte des Kaufmanns" von Elfriede Jelinek oder das Stück "Atropa" vom Flamen Tom Lanoya. Daneben gibt es Stücke von Ilija Trojanow, Wim Vandekeybus und – selbstverständlich – auch solche von Gotthold Ephraim Lessing: "Emilia Galotti" eröffnet die Theatertage. Handfester Ärger steht dem Thalia-Theater am kommenden Montag bevor: Dann steht das Stück "Golgata Picnic" von Rodrigo Garcia auf dem Programm. Ein Stück, das schon bei den Aufführungen in Paris für heftige Reaktionen streng gläubiger Christen, vor allem von Katholiken gesorgt hat. Keine Frage: Garcias Stück ist eine Frontalkritik nicht nur, aber vor allem am christlichen Glauben.
Joachim Lux: "Dieser Abend ist hart. Der ist wirklich extrem, das kann man gar nicht ableugnen. Und ich kann auch verstehen, wenn man sich davor schützen will. Aber nicht zu rechtfertigen ist es, wenn aus ideologischen Gründen ultraorthodoxe, ich sag mal: so genannte Katholiken versuchen, da verhohlen und unverhohlen Terror und Druck auszuüben. Das ist nicht in Ordnung."
Am Ende bleibt zu hoffen, dass auch die Gegner dieses einen Stücks in den Dialog über Weltreligionen eintreten, den das Thalia-Theater zum Abschluss der Lessingtage plant: die Lange Nacht der Weltreligionen beschäftigt sich zum Abschluss der Lessingtage am 4. Februar mit "Schöpfungsmythen" und den "großen Erzählungen zur Entstehung der Welt". Vielleicht herrschen dann wieder die Toleranz und die Offenheit, die die Kritik am "Golgata Picnic" vermissen lässt und für die Gotthold Ephraim Lessing so gekämpft hat.
Informationen der Lessingtage Hamburg

Navid Kermani© picture alliance / dpa / Claudia Esch-Kenkel