"Das trägt zur Versachlichung der Debatte bei"

Bogdan Musial im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 08.01.2013
Nicht alle polnischen Zwangsarbeiter hätten dieselben schrecklichen Erfahrungen gemacht, sagt der polnisch-deutsche Historiker Bogdan Musial. Die deutsche Ausstellung zu diesem Thema in Warschau bewerte er positiv, weil sie zeige, dass die Deutschen nichts "unter den Teppich kehren" wollten.
Liane von Billerbeck: Etwa drei Millionen Polen haben während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeit in Deutschland geleistet. Eine deutsche Ausstellung, die schon in Berlin, Moskau, Dortmund zu sehen war, thematisiert das Thema Zwangsarbeit jetzt aus deutscher Perspektive und fragt nach dem Verhältnis von Zwangsarbeitern und Deutschen im NS-Staat. Viel Material für diese Ausstellung kommt aus Polen, aber sie bietet doch einen explizit deutschen Blick auf das Thema. Initiiert wurde sie von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora und gefördert von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft. Wie da deutscher Blick und polnische Besucher aufeinandertreffen, das wird mein Thema sein im Gespräch mit dem Historiker Bogdan Musial.

Zuvor ein paar Eindrücke aus dem, was in der Ausstellung zu sehen ist, von Vladimir Balzer.

Ich bin jetzt mit dem polnisch-deutschen Historiker Bogdan Musial verbunden. Er hat über Zwangsarbeit im zweiten Weltkrieg geforscht und auch mit zahlreichen Zeitzeugen gesprochen. Herr Musial, ich grüße Sie!

Bogdan Musial: Guten Tag!

von Billerbeck: Wie wurden die ehemaligen Zwangsarbeiter und ihre Geschichte nach dem Krieg in Polen behandelt?

Musial: Nach '45 in Polen waren die Zwangsarbeiter im Gegensatz beispielsweise zur Sowjetunion als Opfer anerkannt, waren die nicht verfolgt. Das war schon im Vergleich, wie erwähnt, zur Sowjetunion, ganz gut, und als Opfer waren die anerkannt. Aber in der Geschichtspolitik oder Propaganda wurde Zwangsarbeit als ein Verbrechen dargestellt, war auch eine Verschleppung, war auch eigentlich - keine Frage - ein Verbrechen, aber es wurde von der kommunistischen Propaganda ausgeschlachtet, benutzt, besonders in den 50er-, 60er-Jahren, und da war ein, kann man sagen, ein Gegensatz. Weil das ist die persönliche Erfahrung von vielen Zwangsarbeitern, die meisten von denen waren in der Landwirtschaft angesetzt, waren junge Männer und junge Frauen ...

von Billerbeck: Das heißt, die hatten ganz andere Erfahrung als die in der öffentlichen Propaganda Postulierten?

Musial: So ist es, genau. Weil in der öffentlichen Propaganda waren vor allem die Zwangsarbeiter in KZs und in Betrieben, und da war ganz schlimm natürlich, selbstverständlich. Unterschiedlich war, anders war in der Landwirtschaft - und das kam meistens, in der Regel kam es auf die einzelnen Privathaushalte, einzelnen Bauern -, und die Zwangsarbeiter, junge Männer, junge Frauen, und diese Bauern vor Ort waren angewiesen auf deren Zusammenarbeit. Und oft war es so, dass sie da relativ gut behandelt worden sind, da fehlte also… sie mussten nicht hungern, weil hungrige Menschen arbeiten nicht gut, das ist selbstverständlich, und nicht selten entstanden auch zum Teil ziemlich gute Beziehungen, die auch nach '45, nachdem die zurückgekehrt sind, weiter gepflegt worden sind. Das ist eben das Erstaunliche. Und diese Beziehungen wurden dann gepflegt über Jahre hinweg, über Jahrzehnte, bis heute, zum Teil bis heute, wenn die noch leben. Das kam auch über die Kinder von den Zwangsarbeitern, oder Enkelkinder und so, und das ist in vielen Fällen dann so. Und das heißt, auf dieser Ebene, auf der Narration, der alltäglichen Narration, war diese Zwangsarbeit, war nicht so "schlimm" in Anführungsstrichen, wie es in der offiziellen Propaganda gewesen ist.

von Billerbeck: Sie haben ja nun mit vielen Zeitzeugen gesprochen und haben offenbar auch in der eigenen Familie solche Geschichten erzählt bekommen. Was ist Ihnen da gesagt worden?

Musial: Beispielsweise mein entfernter Onkel, der war mit 16, wurde er verschleppt, und da hat er auf einem Bauernhof gearbeitet, und seine Erfahrung war, also die er mir erzählt hat, völlig anders, war sehr gut, dass er gut behandelt worden ist, praktisch als ein Mitglied der Familie hat er natürlich gearbeitet, hat er ein bisschen Geld bekommen. Natürlich hat er aber gelitten wegen Sehnsucht, wegen Heimat, also er wollte nach Hause, und das konnte er, durfte er nicht. Das war für ihn natürlich schrecklich. Und danach, nach '45 wurden diese Kontakte wirklich weiter gepflegt bis zu seinem Tode, und seine Söhne bis heute unterhalten diese Beziehungen. Das ist eben das Erstaunliche, und es ist kein Einzelfall. Ich kenne so viele Beispiele von ähnlichen ... und das hat sehr viel dazu beigetragen, dass dieses Bild, das Bild von Deutschland und von Deutschen, es passte nicht zusammen mit der kommunistischen Propaganda, wo es wirklich, Restdeutschland als wirklich das…

von Billerbeck: Der Hort des Bösen?

Musial: Genau, genau, das passte nicht so, weil diese privaten Erinnerungen, Erfahrungen waren zum Teil anders.

von Billerbeck: Welche Bedeutung hat denn die Geschichte der Zwangsarbeiter und deren Erlebnisse im heutigen Polen? Wird über das Thema überhaupt noch gesprochen?

Musial: Das Thema ist heute seit einigen Jahren, kann man sagen, schon nicht abgeschlossen, aber wird sachlich diskutiert. Noch vor etwa 15 Jahren, vor zehn Jahren, vor einer Dekade, war es noch emotional besetzt, war debattiert viel, aber seit diesen Auszahlungen, dass Deutschland etwa knapp eine Milliarde Euro bezahlt hat als Entschädigungszahlungen - und das wurde bis 2006 ausbezahlt -, die Sache ist versachlicht worden, und es hat diese emotionale Komponente längst verloren, wird nicht mehr innenpolitisch als Instrument gegen Deutschland ... egal was, also es wird nicht mehr instrumentalisiert, und spielt insofern eine Rolle sachlicher, also ist historisiert worden inzwischen. Und das, kann man sagen, ist schon ein Erfolg der deutschen Geschichtspolitik, eben durch offenes, offensives Umgehen mit dem Problem, mit dieser materiellen Wiedergutmachung und gleichzeitig auch der offene Umgang damit. Weil mit diesen Auszahlungen war auch verbunden sehr oft beispielsweise Einladungen von ehemaligen Zwangsarbeitern nach Deutschland. Und das hat auch vieles dazu beigetragen, dass das Thema hat nicht mehr diese ...

von Billerbeck: Sprengwirkung?

Musial: Ja, Sprengwirkung.

von Billerbeck: Nun wird eine deutsche Ausstellung in Warschau eröffnet. Was meinen Sie, welche Wirkung kann solch eine Ausstellung über Zwangsarbeit haben? Es sind zwar viele polnische Materialien da drin, aber doch aus deutscher Perspektive.

Musial: Das trägt zur Versachlichung der Debatte bei. Die Debatte gibt es, jetzt aber inzwischen eben eine sachliche Debatte, und das kann man nur positiv sehen, dass das die deutsche Seite zeigt, das wirklich, nach dieser Wiedergutmachung, dass man nicht versucht, das unter den Teppich zu kehren, zu vergessen, sondern im Gegenteil, wir wollen drüber diskutieren, wir wollen es zeigen, aufzeigen, wer es gewesen ist, und das kommt mit Sicherheit sehr gut an.

von Billerbeck: Das sagt der polnisch-deutsche Historiker Bogdan Musial über die Ausstellung "Zwangsarbeit - die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg". Die Ausstellung wird heute eröffnet und ist dann bis zum 8. März im Warschauer Königsschloss zu sehen. Herr Musial, herzlichen Dank!

Musial: Danke schön!

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