Das "Superweib" der deutschen Nation
Freiheitsbraut oder gepanzerte Volksmutter? Die Figur der Germania wurde für die Deutschen zum weiblichen Nationalsymbol. Bettina Brandt widmet dem Phänomen eine exzellente Studie.
Nationen und Völker, die es werden wollten, sahen sich selbst (wie ihre Schiffe) gern weiblich. Als die Weltmeere beherrschende Britannia zum Beispiel oder die türmchenbewehrte Italia "turrita", die Eintracht stiftende "Jungfraw" Helvetia, die nur mit blanker Brust und Freiheitsfahne bewaffnete Marianne. Sie alle wurden - obwohl viel älter - im 19. Jahrhundert zum üppig blühenden Leben erweckt. Von Männern, selbstverständlich.
So auch Germania, diese mit Schwert, Brustpanzer und finsterem Blick bewehrte, den "Völkern der Welt" seit je und uns Heutigen endlich auch extrem unappetitliche trutzige Matrone, die steingewordene Kriegslüsternheit, Verkörperung des aggressiven Deutschlands als Wille und Vorstellung.
Um einen Vergleich europäischer Nationalsymbole allerdings geht es der Bielefelder Historikerin Bettina Brandt in ihrer Langzeitstudie nicht. Sie forscht allein Germania samt Söhnen und Töchtern aus, und das auf mehreren, gegenseitig aufeinander einwirkenden Ebenen. Zum einen zeichnet sie die historische Entstehung und die Transformationen dieser spezifischen Repräsentantin "von Nation, Geschlecht und Politik" nach - von der auf den Adelsstaat gemünzten "Reichsmutter" ab 1500 über die "Braut des Helden" (Hermann, der Römerbesieger) ab Ende des 17. und die ab Ende des 18. Jahrhunderts auch das Bürgertum einschließenden re-installierte "Mutter aller Stände" bis zur "Freiheitsbraut" der 1848er-Träume und die dagegen aufgepflanzte "mütterliche Ikone der Nation" ab 1860, die schließlich pünktlich zur Völkerschlacht 1871 und bis in den Ersten Weltkrieg zwischen "gepanzerter Volksmutter" und "Kriegsbraut" oszilliert.
Zum anderen bindet Brandt die Veränderungen immer wieder zurück an politische und soziale Bedingungen, an historische Umwälzungen und Krisen, in denen immer auch Mentalitätsverschiebungen stattfinden, und reflektiert deren Wechselwirkungen. Sie analysiert drittens die Ikonografie selbst und deren sinnstiftende, mythenbildende bis parareligöse Erfolge. Allein die Präzision, mit der sie Bilder, Denkmäler, Lyrik, Kriegskarikaturen - samt ihren fast immer antifranzösischen Zeichensystemen - auseinandernimmt, schärft den Blick. Wer das gelesen hat, wird sich "deutsche Nationalkunst" genauer ansehen.
Das ist durchaus kein "Kollateralbonus". Bettina Brandt untersucht all das als Kommunikationsformen, mit denen eine Gesellschaft sich erzählt beziehungsweise vorschreibt, wer sie sein will. Es geht bei solchen Repräsentationen immer auch um Männer- und Frauenbilder, und damit um die zentrale Achse politischer Macht und Ohnmacht: das Geschlechterverhältnis. Das Selbstporträt der Nation als "Superweib" deckt sich dialektisch mit der Verbannung der Frauen aus der öffentlichen Sphäre und der Unsichtbarmachung des realen, gar körperlichen Weiblichen.
Bettina Brandts exzellente Studie macht sinnfällig, wie sehr wir von unseren Bildern und Zuordnungen bis heute geprägt sind. Hierzulande liegt das ganze Themenfeld Nation-Krieg-Tod-Weiblichkeit allzu brach. Gut möglich, dass sich das allmählich ändert. Deutschland ist nicht nur wieder ins Kriegführen verstrickt, es hat auch Gender-Studies-Forscherinnen, die keine "Materialschlacht" scheuen.
Besprochen von Pieke Biermann
Bettina Brandt: Germania und ihre Söhne - Repräsentationen von Nation, Geschlecht und Politik in der Moderne
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010
413 Seiten plus über 60 Bildseiten, 59 Euro
So auch Germania, diese mit Schwert, Brustpanzer und finsterem Blick bewehrte, den "Völkern der Welt" seit je und uns Heutigen endlich auch extrem unappetitliche trutzige Matrone, die steingewordene Kriegslüsternheit, Verkörperung des aggressiven Deutschlands als Wille und Vorstellung.
Um einen Vergleich europäischer Nationalsymbole allerdings geht es der Bielefelder Historikerin Bettina Brandt in ihrer Langzeitstudie nicht. Sie forscht allein Germania samt Söhnen und Töchtern aus, und das auf mehreren, gegenseitig aufeinander einwirkenden Ebenen. Zum einen zeichnet sie die historische Entstehung und die Transformationen dieser spezifischen Repräsentantin "von Nation, Geschlecht und Politik" nach - von der auf den Adelsstaat gemünzten "Reichsmutter" ab 1500 über die "Braut des Helden" (Hermann, der Römerbesieger) ab Ende des 17. und die ab Ende des 18. Jahrhunderts auch das Bürgertum einschließenden re-installierte "Mutter aller Stände" bis zur "Freiheitsbraut" der 1848er-Träume und die dagegen aufgepflanzte "mütterliche Ikone der Nation" ab 1860, die schließlich pünktlich zur Völkerschlacht 1871 und bis in den Ersten Weltkrieg zwischen "gepanzerter Volksmutter" und "Kriegsbraut" oszilliert.
Zum anderen bindet Brandt die Veränderungen immer wieder zurück an politische und soziale Bedingungen, an historische Umwälzungen und Krisen, in denen immer auch Mentalitätsverschiebungen stattfinden, und reflektiert deren Wechselwirkungen. Sie analysiert drittens die Ikonografie selbst und deren sinnstiftende, mythenbildende bis parareligöse Erfolge. Allein die Präzision, mit der sie Bilder, Denkmäler, Lyrik, Kriegskarikaturen - samt ihren fast immer antifranzösischen Zeichensystemen - auseinandernimmt, schärft den Blick. Wer das gelesen hat, wird sich "deutsche Nationalkunst" genauer ansehen.
Das ist durchaus kein "Kollateralbonus". Bettina Brandt untersucht all das als Kommunikationsformen, mit denen eine Gesellschaft sich erzählt beziehungsweise vorschreibt, wer sie sein will. Es geht bei solchen Repräsentationen immer auch um Männer- und Frauenbilder, und damit um die zentrale Achse politischer Macht und Ohnmacht: das Geschlechterverhältnis. Das Selbstporträt der Nation als "Superweib" deckt sich dialektisch mit der Verbannung der Frauen aus der öffentlichen Sphäre und der Unsichtbarmachung des realen, gar körperlichen Weiblichen.
Bettina Brandts exzellente Studie macht sinnfällig, wie sehr wir von unseren Bildern und Zuordnungen bis heute geprägt sind. Hierzulande liegt das ganze Themenfeld Nation-Krieg-Tod-Weiblichkeit allzu brach. Gut möglich, dass sich das allmählich ändert. Deutschland ist nicht nur wieder ins Kriegführen verstrickt, es hat auch Gender-Studies-Forscherinnen, die keine "Materialschlacht" scheuen.
Besprochen von Pieke Biermann
Bettina Brandt: Germania und ihre Söhne - Repräsentationen von Nation, Geschlecht und Politik in der Moderne
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010
413 Seiten plus über 60 Bildseiten, 59 Euro