Das süße Gift der Droge Politik

Von Rainer Burchardt |
Trotz alledem: das Hamsterrad der Politik dreht sich weiter. Gewiss, mit Matthias Platzeck wurde wieder einer Opfer der Zentrifugalkraft der öffentlichen Mandats- und Management-Turbine – doch der politische Schleudergang bleibt eingelegt. Weh dem, der den dazugehörigren Schwindelanfall nicht verträgt.
Einer, der es wissen muss und trotzdem noch munter mithält, sagte kürzlich, von den Politikern werde Übermenschliches verlangt, und gleichzeitig werde ihnen Unmenschliches unterstellt. Zieht man die handelsübliche Larmoyanz dieser Berufsbildbeschreibung ab, so bleibt doch noch mehr als nur die Skizze eines Jobs.

Die Politoholics sind unter uns – Junkies des öffentlichen Machtgetriebes, Drogenabhängige von Macht, Medien und Mandaten – das vermeintlich unablässige Tun im Dienste der Menschheit entpuppt sich so gesehen sehr schnell als Ersatzhandlung in Tateinheit mit extremem Geltungsbedürfnis. Als eine Wirksamkeitspsychose und nicht zuletzt auch Selbstbefriedigung durch virtuellen Bedeutungswahn.

Das Glücksgefühl von Erfolg, Wichtigkeit und vermeintlichem Lebenssinn fordert allerdings einen hohen Preis: gesunde Seele, kranker Körper ließe sich dieses Phänomen beschreiben – weit entfernt vom humanistischen Idealbild des mens sana in corpore sano.

Willy Brandt, Gottvater der Sozialdemokratie, verfiel regelmäßig in Depressionen, zog sich vom Alltag und in sich selbst zurück, war tagelang nicht ansprechbar. Helmut Schmidt ließ sich als Kanzler einen Herzschrittmacher einpflanzen, Horst Seehofer, einst, ein Schuft der Böses dabei denkt, Gesundheitsminister, entkam nur knapp nach einer Herzmuskelentzündung dem frühen Tod. Trotz des Willens, kürzer zu treten, ist er wieder voll im Geschäft. Dasselbe gilt für Peter Struck nach einem Schlaganfall, Gregor Gysi nach einem Herzinfarkt, Franz Müntefering nach einem öffentlichen Zusammenbruch und so weiter.

Eine Liste, die sich beliebig verlängern ließe. Den meisten der betroffenen Politiker ist eines gemein: Sie tun ganz einfach so, als wäre nichts geschehen. Letztlich auch Matthias Platzeck, der zwar den SPD-Parteivorsitz schleunigst abgab, jedoch als Ministerpräsident und Parteivorsitzender in Brandenburg weitermachen will. Als wäre das keine Belastung.

Was also treibt diese Leute? Von Hans Dietrich Genscher, der stets unter Herzrhythmusstörungen zu leiden hatte, sagte man, er brauche die Politik und sein Amt als lebensverlängerndes Elixier. Von Johannes Rau wurde dasselbe behauptet.

Tatsächlich ähnelt diese Spielart des Suchtverhaltens der ganz profanen Drogenabhängigkeit. In seinem Buch mit dem trefflichen Titel "Höhenrausch" hat der Publizist Jürgen Leinemann diese öffentlichen Politjunkies analysiert. Sie brauchen, so Leinemann, Erfolg, Lob, öffentliche medienwirksame Auftritte etwa in Talkshows, Erwähnung in Zeitungen und was sonst noch zu den wohlfeilen Selbstbestätigungen gehört.

Aber brauchen wir solche Politiker? Überspitzt formuliert: Wie steht es eigentlich um deren Wirksamkeit, deren Zurechnungsfähigkeit. Viele strotzen selbstbewusst mit einem angeblichen 18-Stunden-Arbeitstag. Wo doch nicht nur Arbeitpsychologen wissen, dass nach spätestens zehn Stunden permanenter Beschäftigung der Akku leer ist. Der Rest ist Selbstbezwingung, Trance, Auszehrung.

Wie sollen da noch klare Entscheidungen getroffen werden können. Oft genug sind es Nachtsitzungen, in denen etwa bei EU-Agrarverhandlungen, Tarifauseinandersetzungen oder Krisenausschusssitzungen Beschlüsse mit durchaus eingreifenden Folgen gefasst werden. Im Rausch von Nacht und Macht.

Politik, so hat Johannes Rau einmal selbstkritisch formuliert, sei wie Erdnussessen. Wer einmal damit anfange, könne nicht mehr aufhören. Ein ebenso zutreffender wie erschreckender Vergleich. Hier kommen dann sehr schnell Begriffe wie Abhängigkeit und Willensschwäche ins Spiel.

Und so also sollen die meisten unserer Politiker beschaffen sein. Zu deren Rechtfertigung sei gesagt, sie können sich diesem Druck von innen und außen offenbar kaum entziehen, denn wer das tut, hat schon von vornherein verloren.

Und wer noch rechtzeitig aussteigen will, der wird sehr schnell Entzugserscheinungen gewärtigen müssen. Matthias Platzeck hat so gesehen sich nur auf halben Entzug gesetzt, doch es ist absehbar, dass er alsbald auch seine anderen Ämter abgeben wird. Wer das süße Gift der Macht und eine herannahende Kanzlerkandidatur genascht hat, der kann nur nach dem Motto ganz oder gar nicht handeln.

Die Politik ist eben ein mörderisches Geschäft. Das sollte jeder wissen, der sich darauf einlässt. Zu Risiken und Nebenwirkungen sollten weder Parteivorsitzende noch Wähler befragt werden.

Prof. Rainer Burchardt ist Journalist und Medienwissenschaftler. Er lehrt an der Hochschule Kiel im Bereich Medien- und Kommunikationsstrukturen. Er hat zudem seit längerer Zeit eine Honorarprofessur an der Hochschule Bremen inne. Rainer Burchardt war zuvor seit Juli 1994 Deutschlandfunk-Chefredakteur.
Vor seiner fast zwölfjährigen Tätigkeit beim Deutschlandfunk war Burchardt langjähriger ARD-Korrespondent in Brüssel, Bonn, Genf und London. Unter anderem schrieb er für "DIE ZEIT", "Sonntagsblatt" und andere Zeitungen und ist Vorstandsmitglied der Journalistenvereinigung "Netzwerk Recherche".