Das Stelenfeld
Der Mann hatte eine Ahnung und Sensibilität war sein Charakteristikum. Als Präsident der Akademie der Künste hat er sich um das noch lange nicht glänzende Berlin verdient gemacht. Ein jüdischer Prophet gleichsam, kein biblischer, ein sehr irdischer und mit einem feinen politischen Instinkt begabt. György Konrád veröffentlichte vor einigen Jahren in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen Aufsatz zu dem damals noch heftig umstrittenen Holocaust-Mahnmal.
Es werde, so warnte er, die Deutschen eines Tages vielleicht noch reuen, dass sie den Stelenwald errichten wollten. Nur wenige Tage hat es gebraucht und die Sorge dieses klugen Mannes hat sich als begründet erwiesen. Kein böses Wort über die Parteigänger der modernen Denkmalkunst, aber die Frage bleibt unbeantwortet, ob sie lange genug darüber nachgedacht haben, wie die, eine Modewort, wie die Rezeption ausfallen werde. Ein wogendes Meer seien die Stelen, das Bild ist sogar treffend, aber werden in diesem steinernen Meer alle mehr oder minder gut begründeten Argumente gegen das Mahnmal versinken?
Verstecken wir uns nicht hinter dem unverändert skeptischen Paul Spiegel, dem Böswillige unterstellen mögen, er sei als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland ein Lobbyist und ohnehin nicht als Mann von Kunstverstand ausgewiesen. Die Leute nehmen das Stelenfeld nur als "event" wahr, hat Spiegel gesagt. Die Initiatoren werden es ihm sobald nicht widerlegen können. Die Lobredner des Mahnmals sollten nur mal einige Stunden auf dem Stelenfeld zubringen. An den Ecken des Areals ist auf einer Tafel zu lesen: "Der Besuch des Stelenfeldes erfolgt auf eigene Gefahr". Das hört sich bedrohlich an. Gemeint ist nicht die Gefahr, dass ein Besucher, der wenig oder nichts von der so genannten Endlösung weiß, ganz plötzlich vom einen großen Gefühl des Schmerzes übermannt wird. Aber nein, die Tafel ist baupolizeilich inspiriert, um Schadensersatzforderungen abzuwehren, wenn sich ein Jugendlicher beim fröhlichen Hoppen von Stele zu Stele verletzen sollte.
Schon hat sich in Berliner Zeitungen der Begriff des "Stelenhüpfers" eingebürgert. Das kann nun ein Sport für Punker oder, schlimmer noch, für Skinheads mit Springerstiefeln werden. Natürlich ist das verboten. Es wird sich von denen, die im Stelenfeld die besondere Variante eines "Erlebnisparks" erkennen, eine kleine Mutprobe womöglich, keiner daran halten und kaum einer von ihnen wird sich für den "Ort der Information" unter dem Stelenfeld interessieren, der auf eindringliche Weise das ungeheuerliche Geschehen verbildlicht. Alte Frauen führen ihre Hunde spazieren, Kinder spielen zwischen den Stelen Versteck, ein wirklich idealer Platz. Politiker, wenn sie das Volk beizeiten über ein strittiges Vorhaben aufzuklären versäumt haben, reden davon, jetzt müsse man die Leute "mitnehmen", und andere sagen, man solle abwarten, wie die Leute das Mahnmal "annehmen".
Der Architekt Peter Eisenman, mit der inneren Verfassung der Deutschen von Anfang an wenig vertraut, hat sich ja gewünscht, ein jeder möge seine eigenen Gefühle auf das Stelenfeld projizieren. Ein bedeutender Architekt, aber auch von einer gewissen Einfalt. Die Zeit der Zweifler ist abgelaufen, auch die Besserwisser verstummen. Die Stelen verweigern jede Auskunft. Die immerhin sollte es geben, auf großen Tafeln, mit nur wenigen Worten. Auch das vielleicht ein nutzloser Versuch, die Besucher zu etwas Respekt anzuhalten. Gehören Pietät und Respekt nur zum Wortschatz der Spießer? Israels Außenminister hat den Stelenwald kurz in Augenschein genommen. Er wollte die Initiatoren wohl nicht brüskieren. Wichtiger war ihm ein authentischer Ort: der Bahnhof Berlin-Grunewald. Von dort rollten die Züge mit den Opfern den Gasöfen entgegen. Die Kunstsachverständigen haben sich erfolgreich über die Didakten erhoben. Wer erlebt hat, wie Tag um Tag junge Amerikaner in das Holocaust-Museum in Washington drängen, wo das Grauen von Auschwitz gnadenlos realistisch dokumentiert wird, konnte in den Gesichtern die Erschütterung lesen. Ungewiss, ob György Konrád noch widerlegt wird.
Klaus Bölling, geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des "Weltspiegel", USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt", "Die fernen Nachbarn - Erfahrungen in der DDR" und "Bonn von außen betrachtet".
Verstecken wir uns nicht hinter dem unverändert skeptischen Paul Spiegel, dem Böswillige unterstellen mögen, er sei als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland ein Lobbyist und ohnehin nicht als Mann von Kunstverstand ausgewiesen. Die Leute nehmen das Stelenfeld nur als "event" wahr, hat Spiegel gesagt. Die Initiatoren werden es ihm sobald nicht widerlegen können. Die Lobredner des Mahnmals sollten nur mal einige Stunden auf dem Stelenfeld zubringen. An den Ecken des Areals ist auf einer Tafel zu lesen: "Der Besuch des Stelenfeldes erfolgt auf eigene Gefahr". Das hört sich bedrohlich an. Gemeint ist nicht die Gefahr, dass ein Besucher, der wenig oder nichts von der so genannten Endlösung weiß, ganz plötzlich vom einen großen Gefühl des Schmerzes übermannt wird. Aber nein, die Tafel ist baupolizeilich inspiriert, um Schadensersatzforderungen abzuwehren, wenn sich ein Jugendlicher beim fröhlichen Hoppen von Stele zu Stele verletzen sollte.
Schon hat sich in Berliner Zeitungen der Begriff des "Stelenhüpfers" eingebürgert. Das kann nun ein Sport für Punker oder, schlimmer noch, für Skinheads mit Springerstiefeln werden. Natürlich ist das verboten. Es wird sich von denen, die im Stelenfeld die besondere Variante eines "Erlebnisparks" erkennen, eine kleine Mutprobe womöglich, keiner daran halten und kaum einer von ihnen wird sich für den "Ort der Information" unter dem Stelenfeld interessieren, der auf eindringliche Weise das ungeheuerliche Geschehen verbildlicht. Alte Frauen führen ihre Hunde spazieren, Kinder spielen zwischen den Stelen Versteck, ein wirklich idealer Platz. Politiker, wenn sie das Volk beizeiten über ein strittiges Vorhaben aufzuklären versäumt haben, reden davon, jetzt müsse man die Leute "mitnehmen", und andere sagen, man solle abwarten, wie die Leute das Mahnmal "annehmen".
Der Architekt Peter Eisenman, mit der inneren Verfassung der Deutschen von Anfang an wenig vertraut, hat sich ja gewünscht, ein jeder möge seine eigenen Gefühle auf das Stelenfeld projizieren. Ein bedeutender Architekt, aber auch von einer gewissen Einfalt. Die Zeit der Zweifler ist abgelaufen, auch die Besserwisser verstummen. Die Stelen verweigern jede Auskunft. Die immerhin sollte es geben, auf großen Tafeln, mit nur wenigen Worten. Auch das vielleicht ein nutzloser Versuch, die Besucher zu etwas Respekt anzuhalten. Gehören Pietät und Respekt nur zum Wortschatz der Spießer? Israels Außenminister hat den Stelenwald kurz in Augenschein genommen. Er wollte die Initiatoren wohl nicht brüskieren. Wichtiger war ihm ein authentischer Ort: der Bahnhof Berlin-Grunewald. Von dort rollten die Züge mit den Opfern den Gasöfen entgegen. Die Kunstsachverständigen haben sich erfolgreich über die Didakten erhoben. Wer erlebt hat, wie Tag um Tag junge Amerikaner in das Holocaust-Museum in Washington drängen, wo das Grauen von Auschwitz gnadenlos realistisch dokumentiert wird, konnte in den Gesichtern die Erschütterung lesen. Ungewiss, ob György Konrád noch widerlegt wird.
Klaus Bölling, geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des "Weltspiegel", USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt", "Die fernen Nachbarn - Erfahrungen in der DDR" und "Bonn von außen betrachtet".