"Das stärkt natürlich das Selbstbewusstsein aller Frauen in Afrika"

Bartholomäus Grill und Barbara Lochbihler im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 07.10.2011
Erst kürzlich noch hat der Afrika-Kenner Bartholomäus Grill die liberianische Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf für die "Zeit" interviewt. Der Friedensnobelpreis stärke ihre Position als Vorbild. Auch die Frauenrechtlerin Barabara Lochbihler hat die drei Preisträgerinnen für ihr mutiges und kluges Verhalten in Kriegssituationen gewürdigt.
Liane von Billerbeck: Drei Frauen bekommen in diesem Jahr den Friedensnobelpreis: Ellen Johnson-Sirleaf, Leyma Roberta Gbowee und Tawakkul Karman, alle drei kämpfen seit Jahren für Frauenrechte. Ellen Jonson-Sirleaf kommt dabei eine besondere Rolle zu, sie ist die erste Frau auf dem afrikanischen Kontinent, die in das höchste Staatsamt eines Landes gewählt wurde. Als Präsidentin Liberias und Hoffnungsträgerin für den ganzen Kontinent.

Bartholomäus Grill, Afrika-Kenner, Buchautor, langjähriger Korrespondent und Reporter für die "Zeit" hat sie kürzlich besucht. Er ist jetzt telefonisch aus Kapstadt zugeschaltet. Herr Grill, ich grüße Sie!

Bartholomäus Grill: Guten Tag!

von Billerbeck: Was bedeutet das, wenn eine Frau wie Ellen Johnson-Sirleaf zu den Friedensnobelpreisträgerinnen 2011 gehört?

Grill: Das stärkt natürlich das Selbstbewusstsein aller Frauen in Afrika. Ellen Johnson-Sirleaf war ja vorher schon ein Leitbild, ein großes Vorbild für die Frauen auf dem Kontinent, egal ob man sich mit Parlamentarierinnen in Ruanda oder Ministerinnen in Südafrika unterhielt, überall hielten die Frauen ganz große Stücke auf sie, weil sie es eben geschafft hat, nach 158 Jahren Männerherrschaft in Liberia, die Macht zu erobern und ein am Boden liegendes Land, ein Nachkriegsland mit einer schwer traumatisierten Bevölkerung wieder aufzurichten.

von Billerbeck: Sie haben die erste Präsidentin, die erste gewählte Präsidentin Afrikas kürzlich besucht. Was für eine Politikerin haben Sie da getroffen?

Grill: Eine sehr resolute, entschlossene, klarsichtige Frau, die unglaublich selbstbewusst auftritt, um nicht zu sagen autoritär, die sehr klar spricht, die genau weiß, was sie will, die aber andererseits manchmal auch so wirkt wie ein Sisyphos, den der Albert Camus mal beschrieben hat als einen glücklichen Menschen.

Sie hat sechs Jahre lang schwere Steine auf einen Berg gerollt, und die kamen ihr immer wieder entgegen wie eine Lawine, und sie rollt weiter und sie wird vermutlich auch wieder zur Präsidentin gewählt werden.

von Billerbeck: Welchen Weg ist denn Ellen Johnson-Sirleaf gegangen, bis sie in dieses höchste Staatsamt Liberias gekommen ist?

Grill: Ja, sie hat eine steile internationale Karriere hinter sich. Sie hat ja in Harvard Verwaltungswissenschaften studiert, also an der amerikanischen Eliteuniversität. Sie hatte Spitzenpositionen bei der Weltbank inne, sie war Bankdirektorin, sie hat die Afrika-Abteilung der Entwicklungsagentur der Vereinten Nationen geleitet, sie war schon mal Vize-Finanzministerin in ihrem Land. Sie ist eine hochkompetente, qualifizierte Entwicklungsökonomin, wie geschaffen für den Job, der eigentlich ein unmöglicher ist, nämlich so ein kaputtes Land wieder aufzubauen.

von Billerbeck: Bei Liberia, da denken die meisten von uns sicherlich noch an Charles Taylor und "Blutdiamanten". Was für ein Land hat sie denn übernommen, und was hat sie konkret für die Stärkung von Frauenrechten getan?

Grill: Ja, wie gesagt, das Land lag vollkommen am Boden nach 14 Jahren Bürgerkrieg, 200.000 Toten, Hunderttausenden von Entwurzelten, die Infrastruktur zerstört, es war ein Staatswrack, das sie übernommen hat. Und da hat sie systematisch die demokratischen Institutionen gestärkt, sie hat die Wirtschaft wieder angekurbelt, sie hat eine Versöhnungskommission geschaffen, um die Wunden der Vergangenheit zu heilen, sie hat ein Gesetz zum Pflichtschulbesuch für alle Kinder verabschiedet und so weiter. Also sehr viele Verdienste – und vor allen Dingen hat sie die Rolle der Frauen gestärkt.

Auch in ihrem Kabinett sitzen an drei Positionen Ministerinnen, wenngleich Kritiker sagen, es sei immer noch viel zu wenig. Aber sie hat eben auch die Position von Frauen gestärkt, wie Leyma Gbowee, die zweite Nobelpreisträgerin aus Liberia, das ist ja sensationell, gab es überhaupt noch nie in der Geschichte der Nobelpreisvergabe, die auch eine Friedensaktivistin war und die im Grunde die Mütter und die Töchter und die Schwestern all der Kämpfer und Kindersoldaten und Mörder zusammengebracht hat über ethnische und religiöse Grenzen hinweg. Und das sind gewaltige Verdienste, die wiederum ausstrahlen auf ganz Afrika und eine Ermutigung sind für alle Frauen.

von Billerbeck: Sie haben die Präsidentin und jetzige Mit-Friedensnobelpreisträgerin – so habe ich das in Ihrem "Zeit"-Artikel gelesen – auch nach Versäumnissen in ihrer ersten Wahlzeit, Wahlperiode gefragt, und da hat sie nicht auf die Frauen, sondern auf die Männer verwiesen, die von Ihnen eben schon erwähnten ehemaligen Kindersoldaten und die Rebellen, denen sie nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet habe. Warum ist das so wichtig?

Grill: Weil nach einem derartigen Krieg, der über 14 Jahre dauert und die Nation zerreißt, natürlich viele ehemalige Krieger und Kämpfer übrig bleiben, die jetzt noch arbeitslos sind und die ein ständiges Gewaltpotential bilden. Und die Hauptherausforderung ist eben, diesen Leuten Brot und Arbeit zu verschaffen.

von Billerbeck: In Liberia wird am Dienstag kommende Woche gewählt. Stehen die Chancen von Frau Johnson-Sirleaf gut?

Grill: Ich habe mit vielen Leuten gesprochen in Monrovia und auch im Hinterland, und die Antwort lautet unisono: Wen sollen wir wählen? Na, Ellen, wen sonst? Das ist unsere Präsidentin, und die soll auch unsere Präsidentin bleiben.

von Billerbeck: Der "Zeit"-Reporter Bartholomäus Grill über eine der drei Friedensnobelpreisträgerinnen 2011, die liberianische Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf. Danke Ihnen! Von Kapstadt wechseln wir nach Brüssel, dort arbeitet Barbara Lochbihler als Abgeordnete von Bündnis 90/Grüne und Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Europäischen Parlaments. Ich grüße Sie!

Lochbihler: Guten Tag!

von Billerbeck: Frau Lochbihler, Sie haben sich lange für Frauenrechte eingesetzt, haben bis 1999 der Women’s International League for Peace and Freedom in Genf vorgestanden und dann bis 2009 als Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International. Was war Ihr erster Gedanke nach der Bekanntgabe der diesjährigen Friedensnobelpreisträgerinnen?

Lochbihler: Also sehr große Freude, weil bei allen drei Frauen kann ich feststellen, dass sie sich außerordentlich mutig und klug verhalten haben in einer Kriegssituation oder in einer Nachkriegssituation, und dass das jetzt noch mal mit diesem Friedensnobelpreis gewürdigt wird, das ist gut für diese drei Frauen, aber auch für Frauen weltweit, die in Kriegs- und Konfliktgebieten und Ländern arbeiten.

Denn auch die zweite Frau aus Liberia, die Frau Gbowee, hat ja eine ganz interessante Aktion gemacht. Sie hat Frauen organisiert, landesweit organisiert in einer Women of Liberia Mass Action for Peace, also dass sie hier wirklich aktiv protestieren als Mütter und als Frauen, und haben das 2002 gemacht, haben viel erreicht, viele Frauen haben sich dem angeschlossen. Und das hat auch dazu geführt, dass man Friedensgespräche angefangen hat und dass Taylor, dieser furchtbare Scherge und frühere Präsident, dass er zurückgetreten ist, das ist sehr positiv.

Und sie hat eben dann mitgeholfen und jetzt auch unter der Präsidentin Johnson-Sirleaf, dass man diese Verbrechen an den Frauen – und es gab extrem viele Vergewaltigungen, sexualisierte Gewalt, Zwangsprostitution über viele Jahre hinweg in Liberia, sodass Frauen gar nicht darüber auch oft reden konnten –, und sie arbeitet jetzt auch weiter, dass es Programme gibt, dass es Hilfe gibt, Traumatherapie, aber dass man auch Frauen in die Lage versetzt, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen, also auch mit Aufbau von Projekten.

Wir hatten in unserem Menschenrechtsausschuss vor der Sommerpause eben Frauen auch aus Liberia da, die sich ermutigt gefühlt haben, diesen Weg weiter zu gehen, da zu arbeiten, weil auch die Präsidentin da gute Rahmenbedingungen setzt, aber sie sagt gleichzeitig, es ist ein langer, steiniger Weg noch, weil es viele Widerstände in der Gesellschaft gibt, wenn Frauen dann jetzt nicht nur das Opfer sind, das würde man ja noch verstehen und dann im Leid verharren, sondern wenn Frauen sich eben auch in die Friedens- und die Sicherheitspolitik einmischen.

Um noch mal auf die frau Gbowee zurückzukommen, sie ist ja jetzt auch seit 2007 schon Exekutivdirektorin eines regionalen afrikanischen Netzwerks für Frauen, die sich für Friedens- und Sicherheitsprozesse einsetzen. Also ich bin da sehr froh, und wir haben ja vor ein paar Tagen doch die sehr traurige Nachricht erhalten, dass die Wangari Maathai, die erste Afrikanerin, glaube ich, die den Friedensnobelpreis bekommen hat, verstorben ist. Und ich finde das jetzt auch ein sehr schönes Symbol, dass wieder auch Afrikanerinnen ausgezeichnet werden, die wirklich sehr starke und mutige Frauen sind.

Und sicher, die dritte Preisträgerin aus Jemen ist auch eine Frau, die jetzt in einer so akut schwierigen Situation außerordentlich mutig ist und immer wieder betont, dass sie sich für einen gewaltfreien Kampf einsetzt, dass man eine politische Lösung findet in ihrem Land. Und sie ist ja auch inhaftiert worden und hat zum Beispiel den Tag des Zorns ausgerufen. Also ihr hilft dieser Friedensnobelpreis sicher, ihre Arbeit weiterzuführen und auch internationale Aufmerksamkeit auf solche Initiativen zu lenken.

von Billerbeck: Barbara Lochbihler über die Entscheidung, drei Frauenrechtsaktivistinnen mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen: Die Liberianerinnen Ellen Johnson-Sirleaf und Leyma Roberta Gbowee und die Journalistin Tawakkul Karman aus dem Jemen. Herzlichen Dank für das Gespräch!


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