Das Spiel ist aus

23.06.2010
Die neue Technik hat Einzug gehalten in die Literatur und auch in die Kinder- und Jugendliteratur. Ohne Handy und PC, ohne Internet-Chat oder iPod-Musik läuft kaum noch etwas. Dass auch ein Computer-Spiel ein tolles Thema für einen Jugendroman sein kann, hat die österreichische Autorin Ursula Poznanski mit ihrem neuen Roman "Erebos" bewiesen.
Zwei Protagonisten hat dieser Thriller: den 16-jährigen Nick und seinen bösen Gegenspieler, das Computerspiel Erebos. Heimlich wird es an Nicks Schule verteilt, man darf es nur allein spielen und mit niemandem darüber reden. Auch Nick wird süchtig nach Erebos, das auf den ersten Blick nur eine sagenhafte Fantasy-Kampfwelt mit fiesen Monstern und blutrünstigen Schlachten entfaltet. Je weiter er aber mit seiner Spielfigur Sarius eindringt in die Erebos-Welt, desto mehr nimmt umgekehrt Erebos Einfluss auf Nicks Alltag - bis er sich weigert, das Spiel auf Leben und Tod weiter mitzumachen und zum Erebos-Gegner wird, mit allen unheimlichen Konsequenzen, rasantem Showdown und Happy End.

Das Spiel Erebos ist ein hochintelligentes und technisch perfektes Superhirn, es kann denken und reagieren, reden und seine Spieler manipulieren. Ursula Poznanski zeigt auf subtile Weise, wie die jungen Spieler quasi hineingezogen werden in den Bildschirm, wie die Spiele-Welt sie – und mit ihnen die Leser – fasziniert, festhält und fordert. Sarius weiß, was Nick denkt, und Nick führt Aufträge aus, die Sarius erhält – die Grenzen zwischen Spiel und Realität werden fließend. Dass die Erebos-Welt fast nur aus Schlagen und Schießen, Kämpfen und Metzeln besteht, also banal ist, zeigt, dass auch intelligente Superhirne hirnrissige Kriege anzetteln können.

Eine moralisierende Botschaft bietet Ursula Poznanski ihren Lesern jedoch nicht. Vielmehr eine ebenso kreative wie psychologisch interessante Erzählung über eine Gruppe junger Leute, die sich gegen Computer-Sucht, Verführung, Ehrgeiz und Angst kaum wehren können. "Erebos" holt die jungen Leute da ab, wo sie heute meist sitzen: vor dem Computer. Als Grenzgänger zwischen Roman und Computerspiel könnte das Buch darum auch Computerfreaks zum Lesen bringen.

Es gibt zwei Erzähler in diesem gut gemachten, spannenden Unterhaltungsroman. Einen allwissenden und einen Ich-Erzähler. Dieses Ich taucht nur ein paar Mal auf und entpuppt sich als das Spiel selbst beziehungsweise als sein Erfinder; als eine böse Macht, die – wie jeder Erzähler oder Autor – imstande ist, über Leben und Tod, Glück und Unglück seiner "verkrüppelten Ideenwesen" zu entscheiden. So reflektiert die Autorin auch das Schreiben selbst mit, was der turbulenten Handlung eine weitere Bedeutungsebene hinzufügt.

Präzise und sensibel ist Nicks Schulalltag und der Umgang mit seinen Freunden beschrieben, mitreißend der Übergang aus dem Alltag in den Spielekosmos und ausgesprochen kreativ die Erebos-Welt mit ihren unheimlichen Kreaturen und Action-Szenen. Ursula Poznanski hat einen technisch -und erzähltechnisch - mitreißenden Schmöker geschrieben, der dazu manchen Denkanstoß gibt. Auf seinen fast 500 Seiten wird er nie langweilig und muss sich nur eine Frage gefallen lassen: Warum ist der Vorname der Autorin auf dem Titel nicht ausgeschrieben?! Wollte man(n) da unter den Tisch kehren, dass hier eine Frau einen perfekten Sommerthriller geschrieben hat?

Besprochen von Sylvia Schwab

Ursula Poznanski: Erebos
Loewe Verlag, Bindlach 2010
486 Seiten, 14,90 Euro, ab 12 Jahre