Das spannende Grundrecht

Von Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung |
Binnen einiger Wochen ist aus einem vermeintlich langweiligen wieder ein spannendes Grundrecht geworden. Bis vor kurzem war die Pressefreiheit in Deutschland ein Sonntagsreden-Grundrecht. Jetzt ist sie ein Kernthema öffentlicher Debatten.
Wen und was schützt die Pressefreiheit – das war die Frage beim Karikaturenstreit. Darf die Pressefreiheit Unfrieden stiften, oder muss der Staatsanwalt eingreifen, wenn Muslime ihre Religion herabgesetzt wähnen? Müssen dann der Pressefreiheit Zügel angelegt werden?

In der vergangenen Woche wurde nun bekannt, dass der Staat der Pressefreiheit noch ganz andere Zügel angelegt hat, dass nämlich der Staat, in Gestalt des Bundesnachrichtendienstes, Journalisten ausspioniert hat, weil ihm deren Recherchen nicht passten. Es wurde auch bekannt, dass der BND Journalisten angeheuert hat, um Kollegen auszuspähen.

Die Pressefreiheit ist ein großer Strom – wie der Rhein, die Donau oder der Nil. Nicht alles, was dort schwimmt, ist sauber, und nicht alles, was da treibt, ist kostbar. Die Pressefreiheit trägt wertvolle und wertlose Artikel, sie trägt anständige und anstößige Fotos, langweilige und provozierende Karikaturen; und sie muss auch Journalisten ertragen, die nicht so handeln, wie man es sich von einem wünscht, der sich auf ein Grundrecht berufen will. Pressefreiheit gibt es nicht nur für besonders hochstehende Produkte und Protagonisten, sie unterscheidet nicht nach Qualität, sie darf es nicht, weil sonst der, der über die Qualität urteilt, nach seinem Gusto den Schutz der Pressefreiheit gewähren und entziehen könnte. Pressefreiheit wäre kein Grundrecht, sondern Gnadenrecht, abhängig vom Geschmacksurteil. Pressefreiheit funktioniert also nicht nach dem Prinzip, mit dem Aschenputtel die Linsen sortiert hat: Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Wer Pressefreiheit unter den Vorbehalt politischer oder künstlerischer Qualität stellen will, macht sie kaputt.

Dem Staat ist es also nicht erlaubt, die Pressefreiheit nur dann zu achten, wenn ihm die Recherchen, Artikel und Sendungen passen. Er muss sie gerade dann achten, wenn sie ihm nicht passen. Es ist verständlich, dass sich Behörden ärgern, wenn Internas und Unsauberkeiten aus ihrem Haus publiziert werden. Es ist verständlich, dass sie empört sind, wenn die Presse bei ihnen eine Affäre, einen Skandal aufdeckt. Es ist verständlich, dass Behörden, ob Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst oder Ministerium, herauszukriegen versuchen, wer aus ihrem Haus die Presse informiert hat. Es ist aber unverständlich, intolerabel, ja skandalös, wenn sie sich dabei – wie der BND – illegaler Methoden bedienen, wenn sie mit dem Grundrecht der Pressefreiheit so umgehen, als handele es sich um eine Verordnung über Gartenzäune, die man schnell und jederzeit übersteigen kann.

Der Bundesnachrichtendienst soll Rechtsstaat und Demokratie schützen. Dafür ist er da, als Auslandsnachrichtendienst. Wenn er dabei im Inland Grundrechte verletzt, schadet er mehr, als er nützt – vor allem schadet er sich selbst. Das neue Vertrauen und die Wertschätzung, die sich der BND in den vergangenen Jahren aufgebaut hatte, hat er mit den Affären der vergangenen Monate wieder verspielt: da waren die dubiosen Hand- und Spanndienste für die USA im Irak-Krieg, das war der Verdacht von guantanamo-nahen Zeugenvernehmungen im Ausland, all das ist nun Gegenstand des BND-Untersuchungsausschusses. Und jetzt also noch die Spitzel-Affäre.

Der entscheidende Satz dazu ist genau vierzig Jahre alt; er stammt vom Bundesverfassungsgericht: Im Spiegel-Urteil aus dem Jahr 1966, in dem das höchste Gericht die Staatsgewalt und Franz Josef Strauß in die Schranken wies, heißt es: Eine "freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates". Seit der Durchsuchung der Spiegel-Redaktion und der Verhaftung Rudolf Augsteins und seiner leitenden Redakteure, seit dieser Staatsaffäre in der Frühzeit der Bundesrepublik im Jahr 1962, ist dieser Kern- und Hauptsatz der Pressefreiheit von einem deutschen Staatsorgan nicht mehr so geringgeschätzt worden wie heute.

Es handelt sich bei dieser BND-Aktion aber nur um einen von vielen Angriffen, dem sich die Pressefreiheit hierzulande ausgesetzt sieht, wenn auch um den bisher schärfsten. Angriff eins: Seit Jahren wird das Zeugnisverweigerungsrecht, das dem Journalisten per Gesetz zugestanden wird, um seine Informationen und seine Informanten zu schützen, systematisch ausgehöhlt. Sobald eine staatliche Behörde empört ist darüber, dass Vertrauliches aus dem Amt in der Zeitung steht, geht sie davon aus, dass ein Beamter geplaudert, also ein Dienstgeheimnis "verraten" habe. Weil die Behörde ihn nicht kennt, aber ihn greifen möchte, wird ein Verfahren gegen Unbekannt eingeleitet. Bekannt aber ist der Journalist, der die Information veröffentlicht hat. Gegen ihn wird, und das ist mittlerweile hundertfach geschehen, wegen angeblicher Beihilfe oder Anstiftung zum Amtsdelikt ermittelt – und dann sind Zwangsmaßnahmen gegen ihn möglich: Die Durchsuchung von Wohnung und Redaktion, die Beschlagnahme von Computer und Unterlagen. Spektakulär war im Jahr 2005 die Durchsuchung in der Redaktion des Magazins Cicero. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily hatte dem Bundeskriminalamt die Ermächtigung zu den einschlägigen Ermittlungen erteilt.

Der Wert des Zeugnisverweigerungsrechts schrumpft infolge solcher Selbstbedienungsaktionen der Staatsanwaltschaften in den Redaktionen gewaltig; das Bundesverfassungsgericht hat diesen Aktionen bisher nicht Einhalt geboten. Es hat bisher auch das Abhören von Telefon und Handy von Journalisten und die Abfrage der Verbindungsdaten eher lässig behandelt. Das höchste Gericht in Karlsruhe will solche Praktiken zwar nur in "unabweisbaren Fällen" gestatten – aber im Zweifel und bei vermeintlicher Gefahr im Verzug sind die Fälle immer unabweisbar. Aber nicht nur im Strafrecht, auch im Zivilrecht schwindet der Kurswert der Pressefreiheit: Die Gerichte betonen den Persönlichkeitsschutz – tun dies aber neuerdings so exzessiv, dass selbst die seriöse Berichterstattung über Personen der Zeitgeschichte nicht mehr möglich ist.

Die öffentlichen Proteste dagegen sind meist lau, nur selten laut. Offenbar ist die Pressefreiheit in Verruf geraten. Wenn in Redaktionen durchsucht wird, heißt es oft: Irgendwas wird schon faul sein. Solche Reaktionen sind Anlass zur Selbstbesinnung der journalistischen Branche, sie sind aber keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung für illegale und grundrechtsfeindliche Machenschaften von Staatsbehörden.