Das sinnliche Seniorenheim

Von Karin Lamsfuß |
Lothar war früher immer allein. Dann traf er Anneliese. Jetzt teilen sie sich ein Doppelzimmer - in einem Altenheim. Im Münsteraner Seniorenzentrum Meckmannshof sind Liebespaare erwünscht. Und die Pfleger respektieren ihre Intimität.
Lothar Vohl und Anneliese Voss betreten die große Cafeteria im Foyer des evangelischen Altenzentrums Meckmannshof. Langsam schieben sie ihre Rollatoren vor sich her, die an den Seiten mit Stofftieren geschmückt sind. Beide sind sehr krank, das Sprechen fällt ihnen schwer. Was auffällt, sind die verstohlenen Blicke, die sie sich zuwerfen. Denn trotz körperlicher Einschränkungen haben sie sich hier ineinander verliebt.

Lothar Vohl: "Sommerfest, beim Grillen draußen, alles war besetzt, und bei ihr war noch was frei, sie sagte ja, und da hab ich mich dazu gesetzt."

Anneliese Voss: "Und unsere Stationsleiterin, die sah das, die kniff uns ein Auge zu, und irgendwie ist das dann so weitergegangen. Und jedes Mal, wenn wir uns trafen, haben wir uns angesprochen und dann sagte sogar Herr Schulten vom Sozialdienst 'Ach, ich glaube, es gibt bald wieder eine Hochzeit auf dem Meckmannshof!'"

Die beiden Senioren haben sich im Meckmannshof kennen gelernt und sind seit drei Jahren ein Paar. Anfangs gab es Treffen auf der Parkbank und schüchternes Händchenhalten auf dem Zimmer, wenn dort gerade mal sturmfreie Bude war.

Anneliese Voss: "Ich hatte zuerst ein Zweibettzimmer mit einer älteren Frau, und die ist im März gestorben, und dann fragte er: 'Oder sollen wir zusammenziehen?' Am anderen Tag kriegten wir schon die Zusage: Wir können zusammenziehen."

Liebespaare sind im evangelischen Altenzentrum durchaus erwünscht, so Heimleiter Helmut Scheuer:

"Gott hat Mann und Frau geschaffen, damit sie miteinander glücklich werden sollen, das ist etwas, was natürlich auch wir im Alter hier finden."

Hier wird zwar nicht gekuppelt – das müssen die alten Menschen schon selbst in die Hand nehmen. Aber das Personal tut alles, um verliebten Paaren das Leben so schön und einfach wie möglich zu machen. Baldiger Umzug ins Doppelzimmer ist ein Aspekt, Wahrung der Intimität ein anderer.

"Es gibt da auch ein Schildchen vor der Tür, und dann wird da eben nicht eingetreten, selbst wenn in der Pflege was erforderlich wäre, dann verschieben wir dann schon mal die Aufgaben und sehen zu, dass wir dann reingehen, wenn das Schild wieder weggenommen ist. Wir klopfen natürlich auch in der Zwischenzeit nicht."

Nun bewohnen Anneliese Voss und Lothar Vohl ein Doppelzimmer. Er beschenkt sie immer noch regelmäßig mit Blumen.

Vohl: "Ich war früher immer alleine. Ich hätt' nicht gedacht, dass es in meinem Alter noch mal so funkt."

Beziehungen zu fördern, Intimität zu wahren, all das gehört zum christlichen Leitbild des Meckmannshofs.

"Christlich heißt ja auch, dass Menschen sich so entfalten können und leben können, wie sie das gerne möchten bzw. was sie auch selber wertvoll und wichtig finden. Wir mischen uns ja auch nicht ein in deren Intimleben, wie gesagt: Wir schützen das uns respektieren das. Entscheiden tut immer der Mensch selbst. Christlich heißt für uns, dass diese Freiheit gegeben wird, und dass der Mensch frei und selbstständig entscheiden kann und die notwendige Hilfe dazu erfährt, wenn der denn etwas benötigt, um diese Beziehung weiter zu bauen."

Liebesbeziehungen in Altenheimen sind auch deshalb so selten, weil diese zarten Pflänzchen in den meisten Einrichtungen nur schwer gedeihen können. Das Ambiente ist meist alles andere als romantisch, Rückzugsorte suchen verliebte Paare in der Regel vergebens.

"Das ist also der Snoezelen-Raum unseres Meckmannshofes. Ein Snoezelen-Raum ist dazu da, dass man über seine Sinne alles wahrnimmt, was anregt, was schön ist."

Ein warmer, fensterloser Raum im Keller des Meckmannshofs. Eine Farblampe wirft abwechselnd rosa, blaue und gelbe Strahlen gegen die Diskokugel an der Decke, die dann die bunten Tupfer gleichmäßig im Raum verteilt. Eine Wassersäule mit aufsteigenden Leuchtpartikeln simuliert Meeresstimmung.

"Snoezelen" - eine Wortschöpfung aus den beiden niederländischen Begriffen für "schnüffeln" und "schlummern" - soll entspannen und die Sinne anregen. Doch der wahre Hingucker im Snoezelen-Raum, findet auch Leiter Helmut Scheuer, ist das riesige Wasserbett in der Mitte.

"Man kann sich gut entspannen auf diesem Wasserbett, kann auch gute, meditative Musik hören und kann sich auf der anderen Seite auch in die Stühle legen und dort genießen und sich gegenseitig sicher auch vieles erzählen und es sich individuell so gemütlich wie möglich machen."

Was genau die Bewohner des Meckmannshofs im Snoezelen-Raum anstellen, bleibt deren Geheimnis. Ein einfaches "Bitte nicht stören"-Schild an der Tür sorgt dafür, dass sie ungestört bleiben. Das Personal wird nur dann eingeweiht, wenn sich jemand die Bedienung des CD-Spielers oder der Lichtsäulen nicht alleine zutraut.

Der Meckmannshof ist berühmt für seine Hochzeiten unter Hochbetagten – auch wenn das Eheglück der über 80-jährigen frisch Vermählten oft nicht lange währt. Und natürlich ist auch junge Liebe unter alten Menschen nicht vor dem Zerbrechen gefeit.

"Da gibt es schon auch Mitarbeiter, die dann Seelsorge betreiben, und auch die Pastoren machen das, und wir geben auch Hilfsmöglichkeiten, dass man im guten Sinne wieder miteinander leben kann in der Einrichtung – selbst wenn die Beziehung zu Ende ist."

Liebe im Altersheim wird nicht von allen gerne gesehen. Vor allem von denen nicht, die dem frischen Glück einsam zuschauen müssen. Diese Erfahrung machte jedenfalls das Liebespaar Gisela Solf und Wolfgang Lortz. Sie ist 81. Er mit seinen 68 beinahe ein junger Hüpfer.

Gisela Solf: "Es sind alles auch ältere Frauen, in meinem Alter oder zum Teil auch noch älter, die nun alle alleine leben, und dann kann man quasi sagen: Es ist so ein bisschen Neid im Spiel."

Die weiblichen Bewohner sind hier, wie in jedem Altenheim, natürlich in der Mehrheit. Und die wenigen Herren somit heiß begehrt.

Wolfgang Lortz: "Man hat auch gesagt 'Mal sehen, wie lange das hält!' Wenn man dann auf jemanden zukommt, da steht eine Gruppe, sagen wir mal drei Frauen, wenn ich jetzt ankomme und auf einmal wird kein Wort mehr gesprochen – ist schon immer ein bisschen komisch."

Wolfgang Lortz und Gisela Solf haben sich ebenfalls im Meckmannshof kennengelernt, vor sechs Jahren. Da arbeitete er stundenweise am Empfang, sie bewohnte eine der Seniorenwohnungen. Jedes Mal, wenn sie dort vorbei kam, war Wolfgang Lortz fasziniert von der blonden 81-Jährigen. Dann fasste er sich ein Herz, setzte sich zu Hause an den Computer und feilte an seiner Liebeserklärung.

" Ich habe eine wunderbare rote Rose ausgedruckt und ein paar nette Zeilen dazu geschrieben, und ich hatte auch ein bisschen schöne Schokolade da, und das habe ich dann halt mitgebracht."

Sie reisen und sie turnen zusammen, sie schwimmen und wandern – so lange es noch geht.

Lortz: "Ich gucke nicht nach dem Alter, ich gucke nach dem Herzen und nach dem Charakter, und das ist das Entscheidende für mich. Und da ist alles okay!"

Solf: "Jeder denkt halt: Naja, sie ist halt nicht mehr so jung, und man weiß nicht, wie viel Zeit man noch hat!"

Die Zeit ist für beide wesentlich kostbarer als noch in jungen Jahren. Dadurch, dass Gisela Solf alleine in einer abgeschlossenen Seniorenwohnung im Altenzentrum lebt, können sich beide dorthin zurückziehen, wenn sie mal ungestört sein wollen.

Lortz: "Das stimmt bei uns wirklich alles. Und ohne Sex könnte ich mir das gar nicht vorstellen."
Solf: "Na, ganz nicht, aber..."

Lortz: "Naja, nun, wir sind ja nun nicht so, dass wir da jeden Tag..."

Solf: "Aber immerhin bin ich ein paar Tage älter, da steht mir das auch dienstgradmäßig zu!"

Wolfgang Lortz kommt jeden Tag in den Meckmannshof: um ehrenamtlich mitzuarbeiten und natürlich, um seine Gisela zu sehen. Eines Tages aber möchte er ganz dorthin ziehen.

"Das muss auch so sein, ich find das toll. Ein Tag ohne sie ist ein verlorener Tag. Ganz einfach."