"Das sind Mieter! Es gibt sie noch!"

Von Michael Watzke · 06.11.2013
Endlos dreht sich die Mietpreisspirale in München aufwärts. Das rückt jetzt die Satiriker auf den Plan: Als fiktives Maklerunternehmen laden "Goldgrund Immobilien" zur Verkaufstour durch die Landeshauptstadt. Es geht vorbei an Luxusbauten, Hausbesetzern und Mieterprotesten.
Wenn junge Menschen in München ein Haus besetzen, klingt das volkstümlich. Ein uraltes Lied vor einem uralten Haus. Die "Schicksals-Combo", eine bayerische Volkspunk-Gruppe, besetzt die Pilotystraße 8 - einen wunderschönen Altbau in bester Münchner Innenstadt-Lage.

"Wir warten, wie lange es dauert, bis die Polizei kommt und uns möglicherweise rausschmeißt. Denn im Grunde … wir haben halt keinen Schlüssel, das ist nicht unser Haus. Wir haben auch niemanden gefragt, ob wir hier sein dürfen."

Wen hätte Lisa Rüffer auch fragen sollen? Das verträumte Gründerzeitgebäude vis-à-vis des Amtssitzes von Bayerns Ministerpräsidenten Seehofer steht seit fast zehn Jahren so gut wie leer, sagt der Münchner Kulturmanager und Hobby-Hausbesetzer Till Hofmann.

"Es wird seit 2004 sukzessive entmietet. Es wohnt noch eine Dame drinnen, und die wollen sie am liebsten auch raushaben, weil es weggerissen werden soll. Und da haben wir halt was dagegen."

"Wir" - das sind die Aktivisten von "Goldgrund Immobilien", einer fiktiven Comedy-Maklergesellschaft. Und "die" - das ist die Stadt München, der das Gebäude gehört, die aber nicht verraten will, was sie mit dem Gebäude plant. Die Stadt wartet einfach darauf, dass die letzte Mieterin, eine 90 Jahre alte Dame, endlich aus ihrer Dachgeschosswohnung auszieht oder … nun ja …

Im vierten Stock spielt die "Schicksals-Combo" ein Solidaritätskonzert. 200 Zuhörer sind gekommen. Und die alte Dame, die zwar kein Interview geben möchte, aber sich über die Besucher freut, sagt Till Hofmann.

"Die will nicht alleine leben. Die ist hier geboren. Also die wird hier nicht ausziehen. Find' ich auch richtig, es ist einfach ein total schönes Haus. Die Stadt ist jetzt am Zug. Die sollte das Haus renovieren. Dann ist für beide das richtige Ziel erreicht."

Nicht weit vom alten Haus in der Pilotystraße steht Dirk von Stahligk vor einem modernen Reisebus.

"Schönes Wetter heute, hallo! Willkommen zu unserer kleinen Rundfahrt. Jetzt geht's weiter, wir müssen hier mal durch, denn wir arbeiten ja hier, ha ha ha!"

Vorbei an der teuersten Immobilie der Stadt
Der Mann im feinen Anzug und mit goldenem Helm auf dem Kopf deutet hinter sich, auf das Luxus-Hochhaus "The Seven", die teuerste Immobilie der Stadt.

"The Seven! Oder wie wir immer sagen: the Heaven!"

Dirk von Stahligk stellt sich als CEO von "Goldgrund Immobilien" vor. Er lädt zu einer Busreise durch München, zu den Immobilien-Filetstücken der Stadt.

"Wer ist Goldgrund und was leisten wir? In einem Satz: Wir handeln mit ihrem Lebensraum. Oder anders ausgedrückt: 'Global immo-playing worldwide in local investors.'"

Der vorgebliche Immobilien-Tycoon und sein Kompagnon Mark Bench, den er den "Bench Mark" nennt, preisen im branchenüblichen Makler-Sprech die teuersten Wohnungen Deutschlands an. Etwa das "Seven", in dem der Quadratmeter 20.000 Euro oder mehr kostet.

"The Seven ist eine Erfolgsstory, das kann man jetzt schon sehen. Vielleicht sogar die Erfolgsstory im Immobilienbereich in unserer schönen Landeshauptstadt."

Das ist natürlich bitter-ironisch, aber den Gästen der Bustour bleibt das Lachen oft im Hals stecken. Etwa Mieterin Sylvia Schneider.

"Ich hab' zwar das Glück, dass ich eine gute und bezahlbare Wohnung hab. Aber das ist in München ein großes Glück. Es gibt junge Ehepaare und Studenten, die finden keinen bezahlbaren Wohnraum mehr. Ich finde, da sollte man ein bisschen drauf schauen."

Draufschauen will auch Alex Rühle. Der SZ-Journalist sitzt neben dem Fahrer des Reisebusses und hilft beim Navigieren durch die Stadt. Rühle ist Mitgründer von "Goldgrund Immobilien".

"Diesmal war die Idee, ein paar neuralgische Punkte anzufahren und eine Art Volkshochschulkurs zu geben. Mit einer Mischung aus Kabarett und unseren zwei Klapp-Kameraden da, die diesen Immobilien-Porno-Sprech draufhaben. Und gleichzeitig an verschiedenen Orten Bürger-Initiativen vorzustellen. Ich finde gar nicht alle dieser Bürger-Initiativen wirklich gut. Man muss sich wirklich ein eigenes Bild machen."

Der Bus hält vor einem 60er-Jahre-Wohnblock in Schwabing. Auf dem Bürgersteig der Kopfsteinpflaster-Straße protestieren 50 Mieter.

"Falls jemand noch nie welche gesehen hat: Das sind MIETER! Es gibt sie noch! Lachen. Ganz toll. Was steht da? ‚Bündnis Bezahlbares Wohnen!' Ganz toll!"

"Why not? Bavaria is a free state! Das sind die Worte vom EU-Kommissar, der den Verkauf der GBW-Wohnungen begleitet hat. Die CSU schwindelt und behauptet, dass verkauft werden musste! Die windelweiche Sozialcharta ist ein Blanko-Check für die Patrizia AG!"

Mieter mit Zukunftsängsten
Gertraud Seitz, 87 Jahre alt, steht vor ihrer Mietwohnung. Sie stützt sich auf einen Gehstock und seufzt. Der Wohnblock gehörte früher der GBW, einer Immobilien-Tochter der Bayerischen Landesbank. Sie hat rund 32.000 Wohnungen an den privaten Wohninvestor Patrizia verkauft. Nun plagt sich die Mieterin mit Zukunftsängsten.

"Da weiß man nix! Diese Wohnungsgesellschaft, die das alles zusammenkauft - das san ja nicht nur mir hier in Minga, sondern in Perlach und überall! Das sind diese Wohnungshechte, gell? Die gehen über Leichen!"

Bisher gab es noch keine Kündigungen, auch keinen Bruch der vereinbarten Sozialcharta. Nur das Gerücht, die Patrizia wolle in der Schwabinger Wohnanlage "nachverdichten". Aber das finden selbst manche Gäste im Bus nachvollziehbar - bei der derzeitigen Wohnungsnot in München.

"So, liebe Leute, es geht weiter, es geht weiter! Irgendwann wird es ungesund, hier rumzustehen!"

Die Goldgrund-Tour durch München ist ein Panoptikum durch den Immobilien-Wahnsinn der teuersten Stadt Deutschlands. Lösungen können Dirk von Staligk und Mark Bench natürlich nicht anbieten. Dafür aber goldene Gags:

"Ein paar Luftballons für Sie! Wir nennen sie auch gern Immo-Blasen!"

Mit goldenen Immo-Blasen schunkelt der Bus zur Hausbesetzung in der Pilotystraße 8. Dort steht mittlerweile ein Polizei-Auto vor dem Eingang. Zwei Beamte wollen wissen, was los ist, die Grünen-Politikerin Sabine Nallinger vermittelt.

"Die Stadt München, ist die da eingeweiht?"

"Nein, aber ich bin die Grünen-OB-Kandidatin und im Aufsichtsrat von der Gewofag. Und das ist eine Aktion, die beschränkt sich auf heute Nachmittag und Abend."

So grausam der Mietmarkt in München auch sein mag - Hausbesetzungen laufen hier halt doch ein wenig … friedlicher ab als in Hamburg oder Berlin.
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