Das Seniorentheater boomt

Dialog zwischen den Generationen auf der Bühne

05:08 Minuten
Zuschauer verfolgen ein Stück des Seniorentheaters Spätlese in Frankfurt an der Oder.
Ältere Schauspielerinnen treten in Frankfurt an der Oder auf. © Picture Alliance / dpa / Patrick Pleul / Zentralbild
Von Bernhard Doppler · 18.05.2019
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Immer mehr alte Menschen treten als Laienschauspieler auf. Zugleich gibt es Bemühungen, das Seniorentheater in die professionellen Theater zu integrieren. In Mühlheim tritt das Seniorentheater "Spätlese" beispielsweise auf der "Volxbühne" auf.
Es mag mit dem Wandel in der Bevölkerungsstruktur, dem Alten der Gesellschaft zusammenhängen, das Seniorentheater boomt. Allein in Nordrhein-Westfalen sind seit der Jahrtausendwende 51 neue Senioren-Laien-Theatergruppen gegründet worden und in Esslingen findet dieses Wochenende das erste internationale Seniorentheatertreffen des Deutschen Amateurtheatervebandes statt. stAGE.
Gleichzeitig gibt es aber auch Bemühungen, das Seniorentheater in die professionellen Theater als Teile der Bürgerbühnen zu integrieren. Wie etwa in Mülheim, wo das ehemalige Seniorentheater "Spätlese" unter dem Namen "Volxbühne" an das Theater an der Ruhr eingegliedert wurde. Diese Woche hatte dort Goethes Faust Premiere.

Arbeit mit allen Generationen

Goethes "Faust", ein Drama auch über das Alter? Faust, ein Verzweifelter, einer, der an einem Endpunkt angekommen ist, für den Wissenschaft, Religion, Lebensfreude ihre Bedeutung verloren haben. Neun Mitglieder des "Theaters der Generationen" haben in der Mülheimer Volxbühne – geschrieben mit X – Goethes "Faust" einstudiert – ihr Alter: zwischen 52 und 82 Jahren.
Jörg Fürst ist der künstlerische Leiter der Mülheimer Volxbühne. Als Seniorentheater will er sie nicht verstanden wissen:
"Der Ansatz ist eher die generationsübergreifende Arbeit, also einen neuen Dialog zwischen den unterschiedlichen Generationen zu stiften. Exemplarisch hat es relativ zu Anfang eine Produktion gegeben, ‚TraumA‘, die sich mit Lebensentwürfen, Träumen und Traumata unterschiedlicher Generationen auseinandersetzte. Da waren Leute beteiligt: Amateurspieler zwischen 13 und 85 und drei professionelle Schauspieler."

Mit Jelineks "Winterreise" auf die Bühne

Die erste Aufführung galt 2015 Elfriede Jelineks "Winterreise". Die ausufernden Textflächen der österreichischen Autorin sind eine Überforderung für die alten Amateurdarsteller, so schien es. Doch selten leuchtete die Auseinandersetzung mit Jelineks Vorlage so ein wie hier: Schließlich geht es auch um den an Alzheimer erkrankten Vater der Autorin.
Schon länger im Team dabei: Adelheid Borgmann. Die frühere medizinische Assistentin wollte eigentlich immer Rundfunksprecherin werden. Nun spielt sie, 82 Jahre alt, das Gretchen.
"Es war früher hier ein Seniorentheater, das wurde 1990 gegründet und ich war gleich ziemlich von Anfang an dabei. Das nannte sich Spätlese, war also richtig typisches Seniorentheater. Wir haben die Stücke alle selbst entwickelt – auch zu Tabuthemen, wie sexuellen Missbrauch, dann ein Stück "Bis zum Letzten", es ging um die Pflege der Angehörigen."

Schauspieler können sich ausprobieren

Glaubst du an Gott? Gretchens Frage an Faust wird immer wieder und immer lauter gestellt. Für Adelheid Borgmann eine sehr existentielle Frage. Gretchens Problem ist auch ihres. Die anderen Rollen – wie Faust und Mephisto werden wechselhaft besetzt:
"Das hat eine ganz andere Spannung, dass wir das sowohl mit Männern als mit Frauen besetzt haben. Faust und Mephisto, weil ich denke, wir haben männliche und weibliche Anteile."
Findet Helga Tillmann. Sie ist schon lange beim Seniorentheater der Volxbühne Mülheim dabei:
"Schön ist, dass man sich ausprobieren kann. Das kann man im täglichen Leben nicht. Und hier kann man mal so richtig Gas geben. Und das ist einfach großartig."

Intensive Beschäftigung mit Theaterstoff

Textlücken oder fehlende Präsenz sieht man in der eineinhalbstündigen Aufführung nicht, vielleicht auch weil die Darsteller pro Jahr voll Energie ganz sich einem Projekt widmen. Seniorentheater erscheint beinahe wie ein unpassender Begriff.
"Gibt’s die Alten noch wie wir sie im Kopf haben, dieser Frage muss man sich stellen. Wenn ich mir heute manche mit 60 oder Anfang 70 angucke, sehen die aus wie damals Mitte- End-Vierzieger. Und deshalb muss man ein bisschen vorsichtig sein."

Nach der Pensionierung auf die Bühne

Das mit den Männern im Seniorentheater ist aber ein Problem: Es gibt deutlich weniger als Frauen. Bei "Winterreise" war es überhaupt nur einer, der alzheimerkranke Vater, bei Faust sind es schon mehr – immerhin ein Drittel. Andreas Beutner spielt unter anderem Mephisto:
"Wenn ich mich hier zwischen den beiden Damen sehe, fühle ich mich fast als Greenhorn. Ich bin nämlich erst vor vier Jahren zur Volxbühne gekommen. Das war nach meiner Pensionierung. Ich sage deshalb Greenhorn, weil ich habe bis dahin noch niemals Theater gespielt. Ich durfte auch in der Schule nicht Theater spielen."

Workshop für die Schauspieler

Das Theater der Generationen hingegen steht in Mülheim weiterhin offen. Und nicht nur ausschließlich für Senioren.
"Wenn man mit uns Kontakt aufnehmen will, jeder ist herzlich willkommen. Die Eintrittstür hier in die Volxbühne ist ein wöchentlicher Workshop, im Moment haben wir ein Truppe zusammen, die jüngsten sind zwei 13jährige Mädchen und die ältesten sind unsere ältesten Mitspieler über 80 und da findet dann ein quasi wöchentliches Theatertraining im Sinne wie es auch auf Schauspielschulen passiert."
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