Das Scheitern immer mitgedacht

Von Christian Gampert |
Die Beziehung Paul Virilios zu den Künsten untersuchte jetzt ein Symposium im Zentrum für Kunst und Medientechnologie. Richtig berühmt geworden ist Virilio als Analytiker des ersten Golfkriegs, den er als den ersten am Bildschirm geführten Krieg begriff. Auf der Tagung beschrieb der Medientheoretiker John Armitage vor allem die destruktive, militärische, nihilistische Seite der Videotechnik.
Abgesehen von manchen politischen Fragwürdigkeiten - Hätten die Amerikaner denn Saddam Husseins Einmarsch in Kuweit denn einfach akzeptieren sollen? - haben Virilios Technik-Thesen immer eine kleine Schieflage: wo er die "Ersetzung" des menschlichen Auges durch den technischen Seismographen erkannt haben will, ist es immer noch das menschliche Subjekt, das das Nachtsichtgerät oder Zielfernrohr in Anschlag bringt. Im angeblich virtuellen Bildschirmkrieg starben sehr real Soldaten, und israelische Bürger setzten sich aus ganz wirklicher Angst vor Saddam Husseins Geschossen Giftgasmasken auf.

In Karlsruhe nun, wo man die Beziehung Virilios zu den Künsten untersuchen wollte, ging es auch gleich mit dem Krieg los, mit der Kriegskunst: der Medientheoretiker John Armitage beschrieb vor allem die destruktive, militärische, nihilistische Seite der Videotechnik und kam auf diese Weise flugs zu einer verheerenden Gesellschaftsdiagnose: Die USA seien ein neurasthenisches Staatswesen, beherrscht von der Banalisierung des Bildes, einer militarisierten Ästhetik und einem gewaltbestimmten Alltagsverständnis. Solche Thesen klingen immer gut, vor allem, wenn man sie mit Virilios Ansichten über Krieg und Film abfedern kann - eine differenzierte soziologische Betrachtung sind sie freilich kaum.

Der Krieg aber ist weniger theoretischer als vielmehr biographischer Ausgangspunkt von Virilios Denken - das wurde auch in der von dem Berliner Merve-Verleger Peter Gente kuratierten ZKM-Ausstellung klar. Virilio hat den zweiten Weltkrieg als Kind angstvoll erlebt und später manisch die Befestigungsanlagen des Atlantikwalls abfotografiert - der Bunker wurde zum Ausgangspunkt seines architektonischen Denkens. In jeder technischen Erfindung musste er fortan deren Versagen, deren Zusammenbruch und Scheitern, den Unfall mitdenken, beim Schiff den Schiffbruch, bei der Lokomotive das Entgleisen, beim Flugzeug den Absturz, beim Atomkraftwerk den Super-GAU.

Ursprünglich aber hat der heutige Dromologe, der Theoretiker der Hochgeschwindigkeit sakrale Glasfenster montiert - und inmitten all der an die Ausstellungs-Wand getackerten Text-Zeugnisse und Presseartikel über die rastlose Analyse der "Entwirklichung" der Welt durch Beschleunigung ist die Gläubigkeit, der Katholizismus Virilios das eigentlich rührende, fast surreale Moment. Peter Gente erklärt Virilios Religiösität aus einem Bedürfnis nach "christlicher Barmherzigkeit":

"Er hat sich sehr früh mit dem Abbé Pierre, also mit den Arbeiterpriestern solidarisiert, ist über die ja auch zum Katholizismus übergetreten, und diese Tendenz wird in der späten Zeit Virilios immer stärker. Ich habe das Gefühl, dass er sehr leidet unter den gegenwärtigen Verhältnissen in der Welt, unter dem Irak-Krieg und allem, was in Nahost passiert, und dass er ein bisschen Zuflucht im Glauben sucht."

Auf dem Symposion ging es um die Virtualisierung der Welt - durch das Gewaltsame der immer höher getriebenen Alltags-Geschwindigkeit, um das Verschwinden des Individuums in den Medien: Der Augsburger Philosoph Claus Morisch beschäftigte sich mit der Revolution des Transportwesens (im 19.Jahrhundert), der der Übertragungsmedien im 20. und der zukünftigen Revolution der Transplantationen im 21.Jahrhundert. Der Schriftsteller und ehemalige Lufthansa-Pilot Jürgen Ploog beschrieb in einem eindrücklichen Beitrag sein entgrenztes Nomadenleben als Flugzeugführer, de-lokalisiert, im Nirgendwo der Zeitzonen, immer unterwegs und in ständigem Stillstand begriffen.

Die psychische Leere dieses immerwährenden Flucht-Zustands schien ihm in Virilios Ausdruck vom "Körper als metabolischem Fahrzeug" am besten charakterisiert. Der Medientheoretiker Frank Böckelmann analysierte die geschichtslosen, gesichtslosen, gleichwohl global vernetzten Städte, alle ähnlich; der Versuch, über das Internet Gemeinschaft zu stiften, sei sinnlos; im terroristischen Anschlag werde das virtuelle, indirekte Dasein brutal auf Gegenwart und Geschichte zurückgestoßen.

Als einer der wenigen Virilio-kritischen Referenten erwies sich der Berliner Philosoph Daniel Tyradellis. Das Apkalyptische in Virilios Denken schien ihm zu allgemein; mit Gilles Deleuze schlug er vor, der Einzelne müsse wieder "Autor seiner Missgeschicke" werden:

"Was ich ganz wichtig finde in der Auseinandersetzung mit einem Denker ist die Frage, was bedeutet das, was er da sagt, konkret für das einzelne Leben - weil letztlich muss jeder Mensch ganz persönlich mit dem, was geschieht, einen Umgang finden. Und wenn mir schreckliche Ereignisse zustoßen, wie zum Beispiel der Unfall (was ja einer der Lieblingsbegriffe Virilios ist), dann muss ich für mich selber einen Weg finden und es bringt mir nichts, in einer Ressentiment-Figur auf andere zu verweisen und zu sagen: Ihr seid schuld, dass es mir so schlecht geht. Das finde ich einen Punkt, der bei Virilio nicht sauber genug getrennt ist. Man wird dann sehr schnell zu einem Moralisten, der immer recht hat, wenn es um schlimme Dinge geht. Wenn man aber zunächst davon ausgeht: Die Welt ist nun mal, wie sie ist, dann bringt mir eine solche Theorie nichts, um mich selber in ein akzeptierendes Verhältnis zu dem, was nun mal geschieht, zu bringen."


Service:
Eine Ausstellung zum Thema des Symposiums ist noch bis zum 7. Januar 2007 imZentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) zu sehen.