„Das religiöse Denken ist ein Urcharakteristikum des Menschen“
Für den Wissenschaftsredakteur Ulrich Schnabel ist Religion ein wichtiges Merkmal des Menschseins. „Denn alle anderen Dinge, Werkzeuge, Sprache usw. gibt es in rudimentärer Form auch im Tierreich. Das ist unser eigentliches Charakteristikum. Und das wird nicht verschwinden“. Allerdings hätten die religiösen Institutionen momentan Schwierigkeiten und müssten sich erneuern.
Herbert A. Gornik: Ulrich Schnabel ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur in der Sendung „Religionen“. „Die Vermessung des Glaubens“ heißt sein Buch, „Forscher ergründen, wie der Glaube entsteht und warum er Berge versetzt“, im Blessing Verlag München erschienen, 574 Seiten und kostet 24,95 Euro.
Längst hat ja auch die Hirnforschung, besonders die Neurobiologie, den Glauben entdeckt und bisweilen mutiert sie auch zur Glaubensforschung. So bescheiden noch der Obertitel daherkommt und ganz demütig einen Bestsellertitel zitiert, „Die Vermessung der Welt“ nämlich von Daniel Kehlmann über den Landvermesser, den Mathematiker Gaus und den reisenden Universalgelehrten Wilhelm von Humboldt, so gewaltig setzt der Untertitel an: „Wie der Glaube entsteht und warum er Berge versetzt“. Aber, wer den Mund voll nimmt, das Herz ist ja oft voll, willkommen Ulrich Schnabel. Was messen Sie, wenn Sie den Glauben messen?
Ulrich Schnabel: Ja, man misst natürlich nicht die Existenz Gottes. Man beantwortet nicht die Frage, gibt es Gott oder nicht. Was man messen kann, aber ist die Auswirkung eines religiösen Glaubens auf den Menschen selbst, und zwar auf verschiedenen Ebenen, medizinisch, psychologisch, anthropologisch, neurobiologisch, da gibt es mittlerweile sehr viele Studien, die auch zum Teil sehr überzeugende oder originelle auch Ergebnisse haben. Und diese Studien mal zusammenzufassen und auch so ein bisschen zu interpretieren und vielleicht auch überzogene Interpretationen gerade zu rücken, das ist das Ziel dieses Buches.
Gornik: Nun sind es ja nicht nur die Auswirkungen des Glaubens, sondern es sind ja auch die Auswirkungen des Glaubens innerhalb des Gehirns. Da tut sich doch offenbar was in den Nervenzellen. Was tut sich denn da?
Schnabel: Ja, die Hirnforschung hat sich in den vergangenen Jahren sehr häufig mit Meditationsexperimenten beschäftigt. Versuche, meditierende Mönche mit dem EG oder dem Kernspintomografen zu untersuchen. Und man stellt fest, dass diese Meditationsübungen, auch Beten kann man als Meditationsübung bezeichnen, dass die durchaus eine nachweisbare Änderung der Hirnaktivität haben, über die Interpretation dieser Ergebnisse allerdings, da gehen dann die Meinungen doch weit auseinander.
Gornik: Zum Beispiel?
Schnabel: Es gibt Leute, die machen eine Studie an meditierenden Mönchen und sagen, wir haben jetzt das Gottesmodul gefunden. Und das ist Quatsch, muss man ganz deutlich sagen. Es gibt kein Gottesmodul im Kopf, es gibt nicht so den Universalschalter. Sondern wenn man diese Studien alle zusammennimmt, dann stellt sich nämlich was ganz Kurioses heraus, dass die neurobiologische Auswirkung solcher praktischer Methoden wiederum davon abhängt, was jemand glaubt, wer als religiöser Christ einen Psalm zitiert, hat eine andere Hirnaktivität wie ein Ungläubiger, der denselben Psalm zitiert.
Gornik: Es gibt ganz widersprüchliche Untersuchungen und Sie zitieren die auch. Auf die Frage, warum kann der Glaube eigentlich Berge versetzen oder was an ihm genau kann Berge versetzen, alleine da gibt es schon verschiedene Auffassungen. Die einen sagen, es ist nur die Motivation und die anderen sagen, wenn der Berg nicht vornherein versetzt ist, funktioniert beim Glauben auch nichts, oder?
Schnabel: Ja, die Berge versetzende Kraft des Glaubens ist natürlich nicht absolut, die natürlich eingeschränkt. Aber es gibt aus der Medizin sehr starke Hinweise darauf, dass eine positive Erwartungshaltung, nenne ich es mal, oder so nennen es die Mediziner, neurobiologische und pharmakologische Wirkungen in Gang setzen kann, die genau die erhofften Wirkungen hervorrufen. Es wird dann gerne mit dem Stichwort Placeboeffekt belegt, wobei Placebo immer so abwertend klingt. Aber tatsächlich zeigt sich, dass jede medizinische Intervention, auch eine ganz normale ärztliche Behandlung, von dieser Kraft zerrt.
Gornik: Sie zitieren eine Studie über Toleranz und Neigung zu Vorurteilen. Diese Studie kommt zu dem Schluss, Nichtgläubige und hoch Religiöse stimmen weitgehend überein. Sie haben die größte Toleranz, diese beiden Gruppen und die geringste Neigung zur Vorurteilen. Wie kommt das?
Schnabel: Es gibt verschiedene Interpretationen, wie man das erklären kann. Die Wissenschaftler haben das zunächst nur mal festgestellt und die für mich eigentlich überzeugendste Erklärung ist die Folgende. Jemand, der eine gesicherte Überzeugung hat, der in sich ruht, egal, ob er nun sicher ist in seinem Glauben an Gott oder sicher in seinem Nichtglauben, der kann offener gegenüber anderen umgehen. Jemand, der allerdings unsicher ist, der so ein bisschen glaubt, aber sich nicht so ganz sicher ist, der muss natürlich diese Unsicherheit verbergen. Und das tut er oft dadurch, dass er andere dann eher ausgrenzt oder intoleranter ist.
Gornik: Auf dieser Ebene, Ulrich Schnabel, liegt auch eine zweite Beobachtung in einer anderen Studie. Bei Glück und Gesundheit zeigt sich nämlich ein ganz anderes Bild. Die Ungläubigen und die hoch Religiösen, die sind, sagt die Studie, deutlich gesünder und glücklicher. Die schwach Religiösen sind kränklicher und fühlen sich unglücklicher. Was schließen Sie daraus?
Schnabel: Eigentlich würde ich sagen, das ist derselbe Mechanismus, auch wieder Leute, die einen gesicherten Glauben in welcher Richtung auch immer haben. Die machen sich nicht so viele Sorgen. Jemand, der schwach gläubig ist, der ist häufig am Zweifeln und interpretiert jedes Ereignis, stellt ihn vor Fragen, muss ich das religiös interpretieren oder nicht. Das ist jemand, der permanent sich selbst auch infrage stellt, und das ist psychologisch gesehen, keine wirklich gesunde Lebenshaltung.
Gornik: Gut, aber das heißt doch, wenn ich es richtig verstehe, wer sich sicher ist, wer hoch motiviert ist, der lebt eindeutiger und der lebt auch besser. Wozu brauchen wir aber die Neurobiologie und die Hirnforschung? Wenn das doch schon der große Reformator Martin Luther auch gewusst hat in dem legendären Satz, wir dürfen ihn auch im Kultursender, Deutschlandradio Kultur, zitieren: „Aus einem verzagten Arsche kommt nie ein fröhlicher Furz.“
Schnabel: Ja, das ist bei der Neurobiologie wie in vielen anderen Bereichen auch, die Neurobiologie eröffnet uns oft nicht wirklich neue Einsichten, sondern die bestätigt eigentlich nur altbekannte Einsichten, allerdings vielleicht mit neuen Methoden.
Gornik: Das heißt aber auch, unser Gehirn selbst denkt gar nicht oder glaubt gar nicht. Wenn ich Sie richtig verstehe, Sie haben vorhin gesagt, es ist wichtig, wie das Gehirn auf etwas im Kontext reagiert, was vorher gekommen ist, was um uns herum ist. Dann denkt und glaubt nicht das Gehirn, sondern es vernetzt nur all diese Eindrücke, die sich im Leben schon an das Individuum herangetragen haben?
Schnabel: Ja, ich finde, diese Meinung, die heute so etwas vorherrschend ist, unser Gehirn entscheidet für uns. Das ist ja ein ganz platter Materialismus. Und das ist völliger Unsinn, weil natürlich ist das Gehirn ein Teil unserer Person. Und zu dieser Person gehört noch ganz viel mehr. Da gehört natürlich einmal der Körper und da gehört aber auch unser Umfeld, da gehören die Menschen, mit denen wir uns umgeben. Da gehört die Kultur, in der wir uns bewegen. Und all das bündelt sich in dem, was wir Person nennen und das Gehirn ist nur ein Teil davon. Und was glaubt, ist letztendlich diese ganze Bündelung der Einflüsse, die Person.
Gornik: Wir sprechen mit Ulrich Schnabel im Deutschlandradio Kultur in der Sendung „Religionen“ über sein Buch „Die Vermessung des Glaubens“. Sie haben in dem Buch einen interessanten doppeldeutigen Satz geschrieben, nicht nur einen, ganz viele. Aber der hat mich etwas verfolgt. Der heißt: „Jede Religion ist ein zweischneidiges Schwert“, schreiben Sie, „sie kann dem Einzelnen helfen“, so wörtlich, „sich aus seiner Ich-Zentriertheit zu befreien und kann ihn auf einer anderen Ebene umso mehr versklaven“. Haben Sie ein Beispiel für diese Befreiung, die zugleich Versklavung ist?
Schnabel: Nehmen wir den Begriff Gott. Gott ist, so wie ich ihn verstehe, eigentlich eine Metapher dafür, für etwas, was uns über unser eigenes beschränktes Weltbild hinausführt. Wir selbst sind eben nicht allmächtig, allwissend usw. Und der Begriff Gott erinnert uns daran, dass wir selbst eben beschränkt sind. Und das ist eigentlich etwas, was uns öffnen kann, was uns irgendwie toleranter machen kann gegenüber anderen. Wir halten unsere Meinung nicht für die allein selig machende usw.
Das kann sich aber auch umkehren. Wenn ich nun sage, Gott ist für mich eine materielle Realität, der an meiner Seite steht, ich habe den richtigen Gott, andere haben den falschen Gott, dann kommt da eher so eine fundamentalistische Einstellung rein, die eigentlich das Gegenteil dessen ist, was aus meiner Sicht die Religionen bewirken sollen. Und diese Zweischneidigkeit, die sehen wir leider in der Religionsgeschichte immer wieder.
Gornik: Sie sagen, in Europa gibt es eine Schwächung des religiösen Gefühls. Sie sagen auch, eine Schwächung der Religion, das religiöse Erleben wird immer wichtiger auf Kirchentagen, Pilgerreisen, in der Eventkultur. Andererseits, die Institution mit ihren strukturierten Angeboten hat etwas Mühe, die Seele zu finden. Heißt das aber nicht, eigentlich ist die Institution wie schon so oft in der Krise, der Glaube aber vielleicht gar nicht? Unser Hirn wird neue Wege der Vernetzung finden, die dem Glauben neue Türen öffnen?
Schnabel: Das denke ich, davon bin ich überzeugt. Vor allem auch, wenn man sich die Ergebnisse der Anthropologie und Evolutionsbiologie anschaut, wird einem klar, das religiöse Denken ist ein Urcharakteristikum des Menschen. Es gibt Forscher, die sagen, das religiöse Denken ist überhaupt das einzige wirkliche Merkmal, was uns vom Tier unterscheidet. Denn alle anderen Dinge, Werkzeuge, Sprache usw. gibt es in rudimentärer Form auch im Tierreich. Das ist unser eigentliches Charakteristikum. Und das wird nicht verschwinden. Was tatsächlich Mühe hat derzeit, sind die Institutionen. Und die werden sich entweder erneuern oder sie werden durch andere Institutionen verdrängt werden. Aber ich glaube, soweit ist es mit unseren Kirchen noch nicht.
Gornik: Ulrich Schnabel war das. „Die Vermessung des Glaubens – Forscher ergründen, wie der Glaube entsteht und warum er Berge versetzt“, erschienen ist das Buch im Blessing Verlag München, hat 574 Seiten und kostet 24,95 Euro. Ulrich Schnabel, herzlichen Dank!
Längst hat ja auch die Hirnforschung, besonders die Neurobiologie, den Glauben entdeckt und bisweilen mutiert sie auch zur Glaubensforschung. So bescheiden noch der Obertitel daherkommt und ganz demütig einen Bestsellertitel zitiert, „Die Vermessung der Welt“ nämlich von Daniel Kehlmann über den Landvermesser, den Mathematiker Gaus und den reisenden Universalgelehrten Wilhelm von Humboldt, so gewaltig setzt der Untertitel an: „Wie der Glaube entsteht und warum er Berge versetzt“. Aber, wer den Mund voll nimmt, das Herz ist ja oft voll, willkommen Ulrich Schnabel. Was messen Sie, wenn Sie den Glauben messen?
Ulrich Schnabel: Ja, man misst natürlich nicht die Existenz Gottes. Man beantwortet nicht die Frage, gibt es Gott oder nicht. Was man messen kann, aber ist die Auswirkung eines religiösen Glaubens auf den Menschen selbst, und zwar auf verschiedenen Ebenen, medizinisch, psychologisch, anthropologisch, neurobiologisch, da gibt es mittlerweile sehr viele Studien, die auch zum Teil sehr überzeugende oder originelle auch Ergebnisse haben. Und diese Studien mal zusammenzufassen und auch so ein bisschen zu interpretieren und vielleicht auch überzogene Interpretationen gerade zu rücken, das ist das Ziel dieses Buches.
Gornik: Nun sind es ja nicht nur die Auswirkungen des Glaubens, sondern es sind ja auch die Auswirkungen des Glaubens innerhalb des Gehirns. Da tut sich doch offenbar was in den Nervenzellen. Was tut sich denn da?
Schnabel: Ja, die Hirnforschung hat sich in den vergangenen Jahren sehr häufig mit Meditationsexperimenten beschäftigt. Versuche, meditierende Mönche mit dem EG oder dem Kernspintomografen zu untersuchen. Und man stellt fest, dass diese Meditationsübungen, auch Beten kann man als Meditationsübung bezeichnen, dass die durchaus eine nachweisbare Änderung der Hirnaktivität haben, über die Interpretation dieser Ergebnisse allerdings, da gehen dann die Meinungen doch weit auseinander.
Gornik: Zum Beispiel?
Schnabel: Es gibt Leute, die machen eine Studie an meditierenden Mönchen und sagen, wir haben jetzt das Gottesmodul gefunden. Und das ist Quatsch, muss man ganz deutlich sagen. Es gibt kein Gottesmodul im Kopf, es gibt nicht so den Universalschalter. Sondern wenn man diese Studien alle zusammennimmt, dann stellt sich nämlich was ganz Kurioses heraus, dass die neurobiologische Auswirkung solcher praktischer Methoden wiederum davon abhängt, was jemand glaubt, wer als religiöser Christ einen Psalm zitiert, hat eine andere Hirnaktivität wie ein Ungläubiger, der denselben Psalm zitiert.
Gornik: Es gibt ganz widersprüchliche Untersuchungen und Sie zitieren die auch. Auf die Frage, warum kann der Glaube eigentlich Berge versetzen oder was an ihm genau kann Berge versetzen, alleine da gibt es schon verschiedene Auffassungen. Die einen sagen, es ist nur die Motivation und die anderen sagen, wenn der Berg nicht vornherein versetzt ist, funktioniert beim Glauben auch nichts, oder?
Schnabel: Ja, die Berge versetzende Kraft des Glaubens ist natürlich nicht absolut, die natürlich eingeschränkt. Aber es gibt aus der Medizin sehr starke Hinweise darauf, dass eine positive Erwartungshaltung, nenne ich es mal, oder so nennen es die Mediziner, neurobiologische und pharmakologische Wirkungen in Gang setzen kann, die genau die erhofften Wirkungen hervorrufen. Es wird dann gerne mit dem Stichwort Placeboeffekt belegt, wobei Placebo immer so abwertend klingt. Aber tatsächlich zeigt sich, dass jede medizinische Intervention, auch eine ganz normale ärztliche Behandlung, von dieser Kraft zerrt.
Gornik: Sie zitieren eine Studie über Toleranz und Neigung zu Vorurteilen. Diese Studie kommt zu dem Schluss, Nichtgläubige und hoch Religiöse stimmen weitgehend überein. Sie haben die größte Toleranz, diese beiden Gruppen und die geringste Neigung zur Vorurteilen. Wie kommt das?
Schnabel: Es gibt verschiedene Interpretationen, wie man das erklären kann. Die Wissenschaftler haben das zunächst nur mal festgestellt und die für mich eigentlich überzeugendste Erklärung ist die Folgende. Jemand, der eine gesicherte Überzeugung hat, der in sich ruht, egal, ob er nun sicher ist in seinem Glauben an Gott oder sicher in seinem Nichtglauben, der kann offener gegenüber anderen umgehen. Jemand, der allerdings unsicher ist, der so ein bisschen glaubt, aber sich nicht so ganz sicher ist, der muss natürlich diese Unsicherheit verbergen. Und das tut er oft dadurch, dass er andere dann eher ausgrenzt oder intoleranter ist.
Gornik: Auf dieser Ebene, Ulrich Schnabel, liegt auch eine zweite Beobachtung in einer anderen Studie. Bei Glück und Gesundheit zeigt sich nämlich ein ganz anderes Bild. Die Ungläubigen und die hoch Religiösen, die sind, sagt die Studie, deutlich gesünder und glücklicher. Die schwach Religiösen sind kränklicher und fühlen sich unglücklicher. Was schließen Sie daraus?
Schnabel: Eigentlich würde ich sagen, das ist derselbe Mechanismus, auch wieder Leute, die einen gesicherten Glauben in welcher Richtung auch immer haben. Die machen sich nicht so viele Sorgen. Jemand, der schwach gläubig ist, der ist häufig am Zweifeln und interpretiert jedes Ereignis, stellt ihn vor Fragen, muss ich das religiös interpretieren oder nicht. Das ist jemand, der permanent sich selbst auch infrage stellt, und das ist psychologisch gesehen, keine wirklich gesunde Lebenshaltung.
Gornik: Gut, aber das heißt doch, wenn ich es richtig verstehe, wer sich sicher ist, wer hoch motiviert ist, der lebt eindeutiger und der lebt auch besser. Wozu brauchen wir aber die Neurobiologie und die Hirnforschung? Wenn das doch schon der große Reformator Martin Luther auch gewusst hat in dem legendären Satz, wir dürfen ihn auch im Kultursender, Deutschlandradio Kultur, zitieren: „Aus einem verzagten Arsche kommt nie ein fröhlicher Furz.“
Schnabel: Ja, das ist bei der Neurobiologie wie in vielen anderen Bereichen auch, die Neurobiologie eröffnet uns oft nicht wirklich neue Einsichten, sondern die bestätigt eigentlich nur altbekannte Einsichten, allerdings vielleicht mit neuen Methoden.
Gornik: Das heißt aber auch, unser Gehirn selbst denkt gar nicht oder glaubt gar nicht. Wenn ich Sie richtig verstehe, Sie haben vorhin gesagt, es ist wichtig, wie das Gehirn auf etwas im Kontext reagiert, was vorher gekommen ist, was um uns herum ist. Dann denkt und glaubt nicht das Gehirn, sondern es vernetzt nur all diese Eindrücke, die sich im Leben schon an das Individuum herangetragen haben?
Schnabel: Ja, ich finde, diese Meinung, die heute so etwas vorherrschend ist, unser Gehirn entscheidet für uns. Das ist ja ein ganz platter Materialismus. Und das ist völliger Unsinn, weil natürlich ist das Gehirn ein Teil unserer Person. Und zu dieser Person gehört noch ganz viel mehr. Da gehört natürlich einmal der Körper und da gehört aber auch unser Umfeld, da gehören die Menschen, mit denen wir uns umgeben. Da gehört die Kultur, in der wir uns bewegen. Und all das bündelt sich in dem, was wir Person nennen und das Gehirn ist nur ein Teil davon. Und was glaubt, ist letztendlich diese ganze Bündelung der Einflüsse, die Person.
Gornik: Wir sprechen mit Ulrich Schnabel im Deutschlandradio Kultur in der Sendung „Religionen“ über sein Buch „Die Vermessung des Glaubens“. Sie haben in dem Buch einen interessanten doppeldeutigen Satz geschrieben, nicht nur einen, ganz viele. Aber der hat mich etwas verfolgt. Der heißt: „Jede Religion ist ein zweischneidiges Schwert“, schreiben Sie, „sie kann dem Einzelnen helfen“, so wörtlich, „sich aus seiner Ich-Zentriertheit zu befreien und kann ihn auf einer anderen Ebene umso mehr versklaven“. Haben Sie ein Beispiel für diese Befreiung, die zugleich Versklavung ist?
Schnabel: Nehmen wir den Begriff Gott. Gott ist, so wie ich ihn verstehe, eigentlich eine Metapher dafür, für etwas, was uns über unser eigenes beschränktes Weltbild hinausführt. Wir selbst sind eben nicht allmächtig, allwissend usw. Und der Begriff Gott erinnert uns daran, dass wir selbst eben beschränkt sind. Und das ist eigentlich etwas, was uns öffnen kann, was uns irgendwie toleranter machen kann gegenüber anderen. Wir halten unsere Meinung nicht für die allein selig machende usw.
Das kann sich aber auch umkehren. Wenn ich nun sage, Gott ist für mich eine materielle Realität, der an meiner Seite steht, ich habe den richtigen Gott, andere haben den falschen Gott, dann kommt da eher so eine fundamentalistische Einstellung rein, die eigentlich das Gegenteil dessen ist, was aus meiner Sicht die Religionen bewirken sollen. Und diese Zweischneidigkeit, die sehen wir leider in der Religionsgeschichte immer wieder.
Gornik: Sie sagen, in Europa gibt es eine Schwächung des religiösen Gefühls. Sie sagen auch, eine Schwächung der Religion, das religiöse Erleben wird immer wichtiger auf Kirchentagen, Pilgerreisen, in der Eventkultur. Andererseits, die Institution mit ihren strukturierten Angeboten hat etwas Mühe, die Seele zu finden. Heißt das aber nicht, eigentlich ist die Institution wie schon so oft in der Krise, der Glaube aber vielleicht gar nicht? Unser Hirn wird neue Wege der Vernetzung finden, die dem Glauben neue Türen öffnen?
Schnabel: Das denke ich, davon bin ich überzeugt. Vor allem auch, wenn man sich die Ergebnisse der Anthropologie und Evolutionsbiologie anschaut, wird einem klar, das religiöse Denken ist ein Urcharakteristikum des Menschen. Es gibt Forscher, die sagen, das religiöse Denken ist überhaupt das einzige wirkliche Merkmal, was uns vom Tier unterscheidet. Denn alle anderen Dinge, Werkzeuge, Sprache usw. gibt es in rudimentärer Form auch im Tierreich. Das ist unser eigentliches Charakteristikum. Und das wird nicht verschwinden. Was tatsächlich Mühe hat derzeit, sind die Institutionen. Und die werden sich entweder erneuern oder sie werden durch andere Institutionen verdrängt werden. Aber ich glaube, soweit ist es mit unseren Kirchen noch nicht.
Gornik: Ulrich Schnabel war das. „Die Vermessung des Glaubens – Forscher ergründen, wie der Glaube entsteht und warum er Berge versetzt“, erschienen ist das Buch im Blessing Verlag München, hat 574 Seiten und kostet 24,95 Euro. Ulrich Schnabel, herzlichen Dank!