"Das Regime in Nordkorea ist grausam, aber nicht dumm"

Moderation: Axel Rahmlow · 16.02.2013
Mit seinem dritten Atomwaffentest hat das kommunistische Regime in Nordkorea Empörung hervorgerufen. Man müsse sich aber sogar darauf einrichten, dass Nordkorea in absehbarer Zeit über Nuklearwaffen verfüge, sagt Markus Kaim von der Stiftung für Politik und Wissenschaft.
Deutschlandradio Kultur: Gast ist Markus Kaim. Er ist der Forschungsgruppenleiter für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, die sowohl den Bundestag als auch die Bundesregierung in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik berät. Herzlich willkommen, Herr Kaim.

Markus Kaim: Ich grüße Sie.

Deutschlandradio Kultur: Herr Kaim, es scheint, als wäre die Welt in dieser Woche ein stückweit unsicherer geworden. Am Dienstag hat das kommunistische Regime in Nordkorea zum dritten Mal nach 2006 und 2009 einen Atomtest durchgeführt. Der junge Erbdiktator Kim Jong-un hat der Welt gezeigt, dass er sich von Sanktionen und Druck nicht beeindrucken lassen will.

Wenn Sie jetzt den Bundestag oder die Bundesregierung beraten, muss man dann nicht so ehrlich sein und sagen, dieser Erbdiktatur Nordkorea kann man die Atombombe eigentlich nur noch nehmen, wenn man einen Regimesturz will?

Markus Kaim: Ich fürchte, diese Schlussfolgerung könnte zutreffend sein. Nordkorea ist einer der Fälle in der internationalen Politik, wo wirklich ganz unterschiedliche Politikansätze in den letzten 20 Jahren versucht worden sind. Man kann der internationalen Staatengemeinschaft nicht den Vorwurf machen, dass sie etwas unversucht gelassen hätte.

In den 90er-Jahren, noch zur Präsidentschaft von Bill Clinton, gab es den Versuch, mit ökonomischen Anreizen und einem Nahrungsmittelprogramm die nordkoreanische Führung zu einem Einlenken in der Nuklearfrage zu bewegen. Und das hat ja auch einige Fortschritte gezeitigt.

In den vergangenen Jahren hat die internationale Gemeinschaft eher auf Sanktionen gesetzt, beschlossen von den Vereinten Nationen, Hand in Hand mit diplomatischen Offensiven, den so genannten Sechsergesprächen, die ja von 2003 bis 2009 in verschiedenen Hauptstädten stattgefunden haben unter Beteiligung von Russland, den USA, Japan, China und den beiden koreanischen Staaten. Und man muss leider zu der Schlussfolgerung kommen, all das hat in der Frage des Nuklearprogramms Nordkoreas keine Fortschritte gezeitigt. Und so schmerzhaft das ist, ich fürchte, wir müssen uns darauf einrichten, dass die nordkoreanische Führung in absehbarer Zeit über Nuklearwaffen verfügen wird.

Deutschlandradio Kultur: Und mit dieser Realität haben sich die Regierungen der Welt schon abgefunden?

Markus Kaim: Das kann ich im Einzelnen nicht nachweisen. Und es gehört sicher zum Handwerk eines guten Diplomaten, immer auf Hoffnung zu verweisen, auf Gesprächskanäle, die noch offen sind. Nur, wer darauf verweist, muss letztlich die Antwort darauf geben, was denn noch bleibt. Nach dem Amtsantritt des neuen Machthabers in Nordkorea hat es eine Reihe von Beobachtern gegeben, die auf eine Art Tauwetter verwiesen haben, was jetzt kommen könnte.

Es gab auch erste vorsichtige Signale. Aber letztlich liegt die Schlussfolgerung nahe, dass auch Kim Jong-un eine Politik der internen Repression mit außenpolitischer Aggression kombiniert. Und das ist eine Politik, die schon sein Großvater und sein Vater über Jahre und Jahrzehnte im Amt gehalten haben. Und ich sehe nicht, gemessen an den Rahmenbedingungen, mit denen wir im Moment zu tun haben, dass sich daran etwas ändern sollte.

Letztlich gibt es nur drei Möglichkeiten. Die halte ich aus heutiger Sicht alle drei für unrealistisch: erstens eine interne Revolution in Nordkorea – danach sieht’s überhaupt nicht aus, ein Militärangriff von wem auch immer, unter amerikanischer Führung – danach sieht es überhaupt nicht aus. Und die dritte Option wäre, dass die chinesische Führung ihre schützende Hand endgültig und unwiderruflich und mit schmerzhaften Folgen von Nordkorea wegzieht. Und auch danach sieht’s nicht aus. Von daher muss man hier, glaube ich, sehr ausgenüchtert zurückbleiben.

Deutschlandradio Kultur: Kommen wir doch mal zu den USA. Wenn der Test jetzt am Dienstag eine Provokation sein sollte, vor der State of the Union-Rede von Barack Obama vor dem Kongress, dann müsste man ja sagen, er ist gescheitert, weil, zwei Sätze hat Obama an Nordkorea gerichtet. Aber die USA können doch kein Interesse daran haben, dass sie theoretisch irgendwann einmal mit Interkontinentalraketen mit bestückten Minisprengköpfen erreichbar sind.

Markus Kaim: Also, ich glaube, die konkrete Bedrohung, die von Nordkorea gegenüber den USA ausgeht, ist überschaubar. Wir haben es hier mit einem Regime zu tun, was grausam sein mag und eine außenpolitische Rhetorik pflegt, die uns nicht gefallen wird, aber ich glaube, auch dieses Regime ist nicht so dumm, allen Ernstes damit das amerikanische Territorium anzugreifen.

Aber vielleicht ist die Tatsache, dass Barack Obama so wenig über Nordkorea gesprochen hat, auch ein Indiz dafür, dass diese Frage letztlich eine geringe Priorität für die zweite Amtszeit von Präsident Obama haben wird und dass vielleicht auch in Washington eine Form von Resignation Einzug gehalten hat. Wenn man sich mal in globaler Perspektive vergegenwärtigt, wo die amerikanischen Prioritäten sind, dann ist grundsätzlich ohnehin eine Art Innenwende, eine Art Rückzug aus der Weltpolitik zu verzeichnen.

Und wenn es um einzelne Schwerpunkte der dann noch verbleibenden amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik geht, dann reden wir von anderen Akteuren. Dann reden wir vom Aufstieg Chinas und wie dieser zu handeln ist. Wir reden über die Frage des Nahost-Friedensprozesses. Wir reden über Iran und anderes mehr, aber Nordkorea genießt, glaube ich, im Moment keine Priorität.

Deutschlandradio Kultur: Nordkorea ist in seiner Unberechenbarkeit ja auch gewissermaßen berechenbar – Provokation, dann irgendwie die Hoffnung, dass man an den Verhandlungstisch wieder kommt, um neue Mittel zu bekommen, das kennen wir ja seit gut 20 Jahren mittlerweile. Aber Sie haben gerade schon China angesprochen. Ist denn nicht eigentlich die Provokation Nordkoreas viel mehr gegenüber dem großen Bruder gerichtet?

Markus Kaim: Also, wenn man der Frage nachgeht, wer denn eigentlich die Verlierer dieses Nukleartests der vergangenen Woche sind, dann bin ich versucht zu sagen, alle außer Nordkorea. Die USA haben wir schon angesprochen. China ist vor den Augen der Weltöffentlichkeit diskreditiert. Die Suggestion, der Eindruck, dass China einen wirksamen Hebel auf die Führung in Pjöngjang hätte, ist nicht glaubhaft zu vermitteln.

Nordkorea hat die ohnehin existierenden Konflikte und Konfliktlinien in Asien – Stichwort: zwischen Südkorea und Japan, zwischen Japan und China und andere mehr – sozusagen noch befeuert. Sozusagen die gesamte regionale Sicherheitsarchitektur ist in Mitleidenschaft gezogen.
Eins der Probleme gerade in Asien ist ja, dass es keine regionalen Sicherheitsorganisationen gibt, die sich solchen Fragen annehmen könnten, ungleich zum Beispiel des euroatlantischen Gebietes. Und mit solchen Provokationen rückt eine regionale Sicherheitsorganisation, wo dann tatsächlich auch Fragen von nuklearer Bewaffnung, von Abrüstung, Rüstungskontrolle diskutiert würden, noch viel weiter in die Ferne.

Deutschlandradio Kultur: Aber Kim Jong-un weiß doch eigentlich auch, dass selbst, wenn die Chinesen das jetzt sehr scharf verurteilt haben und auch in den Medien dort Kritik daran erlaubt ist, an diesem Test, dann weiß das Regime doch, dass China am Ende es nicht fallen lassen wird. Dafür steht doch für China da auch viel zu viel auf dem Spiel. Die brauchen doch Nordkorea als Puffer, die Rohstoffe vor Ort, da gibt’s doch so viele Gründe.

Markus Kaim: Ich glaube, dieses ganz alte Argument des Puffers zwischen Südkorea und China und genau genommen zwischen der amerikanischen Truppenpräsenz in Südkorea hat aufgrund der amerikanisch-chinesischen Spannungen der vergangenen Jahre sogar noch an Bedeutung gewonnen.

Ich kann mich dran erinnern. Vor einigen Jahren galt dieses Argument als nahezu obsolet, warum noch ein Puffer, warum dieser Puffer denn notwendig sei. Aber ich glaube, die chinesische Führung kalkuliert in diesen Kategorien. Und das Argument, dass die USA sich zum Pazifik hinwenden würden, auch im militärischen Sinne, der Eindruck hat dieses Argument genau verstärkt.

Deutschlandradio Kultur: Und gleichzeitig aber haben jetzt auch Südkorea und Japan angekündigt darauf zu reagieren. Südkorea führt momentan oder hat diese Woche Marineübungen an seinen Küsten durchgeführt. Es gab auch die Berichte, dass man die eigene Entwicklung von Raketen weiterführen will. Ebenso in Japan gab es scharfe Reaktionen. Sicherheitspolitisch gesehen: Droht uns jetzt in Asien oder droht in Asien generell ein neues Wettrüsten?

Markus Kaim: So weit will ich vielleicht nicht gehen, weil tatsächlich so was dann ja auch unintendierte Folgewirkungen für andere hat. Aber, was ganz eindeutig ist, dass der Aufstieg Chinas sozusagen ein machtpolitisches und sicherheitspolitisches Denken, was wir aus Europa aus dem 19. Jahrhundert kennen, so eine Mächtebalance, in Asien richtig auf die Tagesordnung gesetzt hat.

Das heißt, zwei Dinge, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben – der Nuklearkonflikt in Nordkorea und der Aufstieg Chinas bzw. die bipolare Weltordnung, wenn man noch mal davon ausgeht, zwischen China und den USA, runtergebrochen auf Südostasien –, hat dazu geführt eben, dass viele Akteure bereits zuvor angefangen haben, unter anderem da zu kooperieren, erst mit Blick auf China. Und diese Kooperation wird, glaube ich, jetzt noch weiter verstärkt werden.

Und ein gutes Beispiel für sozusagen einen Aufstieg nationalistisch-aggressiver Rhetorik ist der Wahlsieg von Premierminister Abe in Japan, wo wir das genau illustrieren können, dass eigentlich jemand, ein Premierminister ins Amt gewählt wird mit einer Programmatik, die vor wenigen Jahren in Japan undenkbar gewesen wäre, nämlich die Nachkriegsverfassung zu ändern und sozusagen das Paradigma, dass Japan ein pazifistisches Staat sei, der ja überhaupt keine eigene Armee unterhalten würde, sondern nur Selbstverteidigungskräfte, wie es in der Verfassung heißt, dass dieses Paradigma nicht mehr zu gelten scheint. Das illustriert diese tektonischen Verschiebungen in Südostasien, die nicht originär mit Nordkorea zu tun haben, aber wir jetzt auch im Falle Nordkoreas noch einmal sehen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Kaim, wenn diese Woche über Nordkorea berichtet wurde, dann gibt es auch einzelne Meldungen, die sagen: Das war gar nicht ein Test nur für Nordkorea, sondern das war auch ein Zweiländertest. Es gibt Berichte, dass der Iran, dem der Westen ja auch vorwirft, verdeckt an einem Nuklearprogramm zu arbeiten, an diesem Test beteiligt war. Und es gibt schon seit letztem Jahr eine verstärkte Kooperation offiziell im Forschungsbereich. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass zwei Staaten in so einem Fall zusammenarbeiten?

Markus Kaim: Also, die konkrete Kooperation kann man nicht ohne geheimdienstliche Erkenntnisse seriös einschätzen, die konkrete Kooperation zwischen Nordkorea und Iran, die Sie angesprochen haben. Wir wissen, selbst viele Geheimdienste wären wahrscheinlich vergleichsweise froh, wenn sie etwas mehr darüber wüssten. Aber der Punkt ist ein sehr guter. Weil, man kann das vielleicht mit einem Beispiel illustrieren.

Seit Anfang des 21. Jahrhunderts stellen wir fest, dass es so etwas gibt, was wir in der Forschung nennen: transnationale Proliferationsnetzwerke. Und das beste oder bekannteste Beispiel, und das ist auch sehr gut untersucht und belegt, ist das so genannte Khan-Netzwerk. Also, der führende pakistanische Nuklearforscher, der als Vater der pakistanischen Atombombe gilt, hat – und jetzt beginnt etwas die Frage der Spekulation – hinter dem Rücken der pakistanischen Führung, unter Duldung der pakistanischen Führung ein privates Netzwerk aufgebaut zu den Staaten, über die wir hier sprechen, zu Nordkorea, zu Iran, auch zu Syrien, wird spekuliert, und hat einzelne Bauteile, das notwendige technologische Know-how und auch zum Teil Personal diesen Staaten gegenüber für Zahlung zur Verfügung gestellt.

Was ich damit sagen will: Ich glaube, diese Frage von transnationalen Proliferationsnetzwerken können wir hier am konkreten Fall gegenwärtig nicht beweisen. Ich halte sie aber für hoch wahrscheinlich.

Deutschlandradio Kultur: Weil ja auch der Iran, wie vom Westen vermutet wird, nach Atomwaffen strebt, eben unter diesem Deckmantel des zivilen Programms. Und auch da gab es diese Woche Neuigkeiten. Es gab eine neue Verhandlungsrunde. Die ist aber diese Woche auch ohne konkrete Ergebnisse zu Ende gegangen. Es soll neue Verhandlungen geben.

Muss man dann eigentlich sagen, dass vielleicht dann doch in diesem Falle George W. Bush Recht gehabt hätte mit seiner berühmt-berüchtigten Axis-of-Evil-Rede?

Markus Kaim: Ich halte von solcher Zuschreibung nichts, weil sie die Unterschiede verwischt und die Gemeinsamkeiten überbetont. Aber der Punkt ist insofern ein valider, da wir es hier mit zwei Staaten zu tun haben, die eigentlich die einzigen beiden sind in den letzten 15 Jahren, die unter Aspekten der nuklearen Proliferation, also der unkontrollierten Weiterentwicklung von ziviler Nuklearenergie zu militärisch nutzbaren nuklearen Fähigkeiten, eigentlich im Augenmerk der internationalen Öffentlichkeit stehen.

Sie unterscheiden sich. Der Iran ist Mitglied des Nichtverbreitungsvertrages von 1970, der eben die militärische Nutzung von der Nuklearenergie verbietet und ein entsprechendes Kontrollregime dem Iran auferlegt hat. Nordkorea hat diesen Vertrag 2003 gekündigt. Also, wir reden hier eigentlich von zwei verschiedenen Paar Schuhen.

Was eigentlich den Punkt, über den wir eben gesprochen haben, noch mal illustriert: Nordkorea ist noch nicht mal Vertragspartei. Das gesamte Kontrollregime der internationalen Atomenergiebehörde in Wien, die diese Vereinbarungen überwacht, gilt hier gar nicht, kann überhaupt nicht in Stellung gebracht werden. Wir wissen faktisch nicht, was in Nordkorea passiert. Und Iran ist insofern ein etwas anders gelagerter Fall. Iran ist nach wie vor Mitglied des Nichtverbreitungsvertrages, weigert sich aber, bestimmte Inspektionen zuzulassen.

Und das ist ja eben auch der größte Punkt des Dissenses zwischen der internationalen Staatengemeinschaft und dem Iran, dass niemand in Abrede stellt, und das ist das vertragliche Recht des Iran, Kernenergie für zivile Zwecke zu nutzen, aber dass erhebliche Fragezeichen bleiben, ob der Iran nicht im Geheimen an einem militärisch nutzbaren Programm arbeitet.

Deutschlandradio Kultur: Mal aus der Sicht der Iraner gefragt, wenn man die Regierung dort und all die Kritik an der Regierung einfach mal außen vor lässt: Da ist ja auch eine andere Situation als in Nordkorea, und zwar dass es ja im Nahen Osten und in der Iranfrage ja auch noch Israel gibt und sich die iranische Führung ja auch durch die Atomwaffen, die Israel – zwar nicht offiziell, aber doch wohl doch – hat, bedroht fühlt. Zu Recht? Könnte man dann auch sagen zu Recht, ich fühle mich bedroht, ich möchte hier gleiche Waffen?

Markus Kaim: Ich glaube, der Unterschied zwischen beiden Akteuren ist, dass Israel niemals eine aggressive Rhetorik gegenüber dem Iran verfolgt hat. Und das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein, dass die Frage von Nuklearwaffen und die Frage, sind sie gefährlich, eigentlich immer oder nur beantwortet werden kann, wenn man das mit der Frage koppelt, von was für einem Regime sprechen wir denn hier.

Konkretes Beispiel: Die Nuklearwaffen Frankreichs und Großbritanniens machen uns überhaupt keine Sorgen. Im Falle Israels, im Falle Indiens, im Falle Pakistans tun sie das auch vergleichsweise wenig. Aber Staaten wie Nordkorea, die eine aggressive außenpolitische Rhetorik verfolgen, und im Falle des Iran gleichermaßen, das ist der eigentliche Punkt, weshalb es uns Sorgen macht.

Es hat zwar Versuche gegeben, die Nuklearwaffen in der Region des Nahen und Mittleren Ostens einzuhegen. Gerade in jüngster Zeit gab es noch einmal eine Initiative zu einer Zone, massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten, nur das Problem ist, dass es so viele politische Hürden gibt, dass diese Vertragsverhandlungen noch nicht einmal begonnen haben. Und ich glaube, solange viele Regime in der Region keinen Frieden mit Israel gemacht haben, wird es auch in dieser Frage keinen Fortschritt geben.

Deutschlandradio Kultur: Israel fühlt sich ja auch in seiner Existenz bedroht durch ein iranisches Atomprogramm. Barack Obama wird jetzt zu Beginn seiner zweiten Amtszeit zum ersten Mal nach Israel reisen, wird dort unter anderem Premierminister Netanjahu treffen. Die USA und Israel, wie müssen die sich denn verhalten? Israel drängt darauf, dass das Problem gelöst wird. Was kann Obama tun?

Markus Kaim: Also, er steht vor einer sehr schmerzlichen Alternative. Seit 2003 verhandeln die fünf Ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates plus Deutschland, unter Beteiligung der Europäischen Union, mit dem Iran über das Nuklearprogramm. Und es ist vergleichsweise wenig rausgekommen. Es hat im vergangenen Jahr noch einmal drei Gesprächsrunden gegeben, im April, im Mai und im Juni. Seitdem sind die Gespräche unterbrochen. Es soll jetzt einen Neubeginn geben am 26. Februar in Kasachstan.

Ich persönlich, ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen, bleibe zurückhaltend, weil auch die jüngsten Signale der iranischen Führung, ich erinnere mich an die Rede des iranischen Außenministers bei der Münchener Sicherheitskonferenz, die ja sehr viel Beachtung erfahren hat, deuteten nicht darauf hin, dass es in irgendeiner der Fragen zu einem Einlenken konkret in der Nuklearfrage kommen würde oder gar es zu einem – das kann man so schlecht übersetzen – grand bargain kommt, also zu einer großen Paketlösung zwischen den USA und dem Iran, wo also viele, viele Fragen geregelt werden würden und wo dann die Nuklearfrage nur eine unter weiteren ist.

Deutschlandradio Kultur: Vor den Verhandlungen, die Sie gerade angesprochen haben, die jetzt beginnen, hat Iran ja diese Woche auch bekanntgegeben, dass es neue Zentrifugen hat, die mehr Uran anreichern können – auch nicht gerade vertrauenerweckend vor Verhandlungen. Und auf der anderen Seite muss sich doch die iranische Führung auch denken, wenn ich noch mal auf Nordkorea zurückgucke, da spricht eigentlich niemand davon, dass alle Optionen auf dem Tisch liegen, also auch die militärische Option, das heißt, das ist doch eigentlich gerade eine Absicherung. – Mit diesem Hintergrundwissen diese Verhandlungen, die jetzt beginnen, was erwarten Sie denn davon?

Markus Kaim: In der Tat, das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt, dass wir leider, leider festzustellen haben, dass – wenn ein Staat glaubhaft der internationalen Gemeinschaft beweisen kann – er die technischen Fähigkeiten erworben hat, einen Nuklearsprengkopf zu entwickeln, ihn zu miniaturisieren, also sehr klein zu entwickeln, und das entsprechende Trägersystem hat, also eine Mittelstreckenrakete in der Regel, dann ist es gar nicht mehr die Frage, ob diese Waffe wirklich einsatzfähig ist oder sogar zum Einsatz kommt, die abschreckende Wirkung setzt bereits ein. Und das Beispiel Nordkorea legt eine traurige Schlussfolgerung nahe, dass nämlich Staaten, die diesen Punkt erreicht haben, sozusagen immun sind, weil, genau wie Sie gesagt haben, es diskutiert niemand ernsthaft einen Militärschlag gegen Nordkorea.

Man kann im Moment vielleicht noch, wenn man das möchte, einen Militärschlag gegen Iran diskutieren – mit vielen, vielen, vielen Fragezeichen, ob es überhaupt wirksam sein wird, Opferzahlen und anderes mehr, aber es ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch ein Fenster der Gelegenheit offen für einen solchen Militärschlag. Und es kann durchaus sein, und da würde ich die israelische Lesart teilen, dass sich dieses Fenster in wenigen Monaten oder Jahren schließen wird. Und dann ist der Iran sozusagen immunisiert.

Deutschlandradio Kultur: Bis dahin kann der Iran unter anderem durch diese Verhandlungen Zeit gewinnen.

Markus Kaim: Absolut.

Deutschlandradio Kultur: Und an diesen Verhandlungen ist ja auch die Bundesregierung beteiligt. Wie? Was kann die Bundesregierung dort erreichen? Was sollte sie vielleicht erreichen?

Markus Kaim: Ich glaube, die Agenda der Bundesregierung ist vergleichsweise klar. Und die ist auch nachvollziehbar und plausibel, den Iran von seinem militärisch nutzbaren Programm abzubringen und das Ganze zu bewirken mit einem System von Sanktionen, die im Moment noch gelten, bzw. im Umkehrschluss, im Falle eines Einlenkens des Iran wäre es eine Fülle von ökonomischen und politischen Anreizen, eine Aufwertung des Iran in der internationalen Politik, das Ende aller Handelssanktionen mit den entsprechenden positiven Folgen für das Regime, sozusagen die Rückkehr des Iran als anerkannter Partner in die internationale Staatengemeinschaft – eine attraktive Perspektive. – Offensichtlich aber nicht attraktiv genug zum gegenwärtigen Zeitpunkt.

Und die Frage, was kann man tun, kann man ja nur beantworten, wenn man der Frage nachgeht, was können denn die Hebel sein. Auch da bin ich mittlerweile ziemlich ausgenüchtert, weil, es gibt kein Land in der internationalen Politik, was einem solchen Sanktionsregime unterliegt, wie das beim Iran der Fall ist – zum Teil beschlossen in den Vereinten Nationen, zum Teil beschlossen im Rahmen der Europäischen Union. Da sind fast kaum noch Stellschrauben. Also, man kann es in dieser Sicht kaum noch strenger fassen. Und dennoch lenkt die iranische Führung nicht ein.

Von daher würde ich auch der Bundesregierung zubilligen, dass – das wird sie nicht so offen sagen und auch nicht so offen sagen können – auch in den Fluren des Auswärtigen Amtes eine gewisse Ratlosigkeit Einzug gehalten hat.

Deutschlandradio Kultur: Und es gibt ja auch ein anderes Beispiel, was vielleicht noch zeigt, warum es einem Regime so schwer fallen kann, von diesem Plan abzulenken. Wenn man sich mal das Beispiel von Muammar al-Gaddafi anschaut, der hat ja eingebilligt, irgendwann sein Atomprogramm aufzugeben, hat dadurch eine Aufwertung bekommen und dann aber in dem Moment, wo er für den Westen keine Gefahr war, als er da angefangen hat, sich gegen seine eigenen Leute zu richten, hat die Nato den Rebellen militärisch entscheidend geholfen und hat damit auch zum Sturz Gaddafis mit beigetragen. Das werden die Iraner doch auch im Kopf haben.

Markus Kaim: Ja, wobei ich die Kausalität hier etwas anders ziehen würde. Hätte Muammar Gaddafi sich nicht gegen die eigene Bevölkerung gewendet, wäre er wahrscheinlich heute noch ein eingeführter, akzeptierter Staatenlenker und ein Partner des Westens bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Also, der Fehler liegt, glaube ich, in seiner Politik.

Aber Ihre Bemerkung weist noch mal in eine wichtige Richtung, dass wir ja uns den Blick nicht verstellen lassen dürfen aufgrund der Fälle, die wir gerade angesprochen haben, Iran, Nordkorea, Israel, Pakistan, Indien, dass eigentlich die Bilanz des Nichtverbreitungsvertrages in den letzten 20 Jahren eigentlich vergleichsweise positiv gewesen ist. 12 Staaten haben ihre Nuklearwaffenprogramme freiwillig aufgegeben, darunter Kasachstan, darunter Südafrika und andere mehr.

Und es bleibt eigentlich nur noch eine Handvoll von Staaten, die uns Sorgen bereiten. Das sind nicht die fünf Ständigen Mitglieder des VN-Sicherheitsrates, die vielleicht aus ihrer Sicht oder aus unserer Sicht Fragen von Abrüstung und Rüstungskontrolle in diesem Bereich nicht ausreichend nachkommen, also, die Frage von nuklearer Abrüstung im globalen Maßstab, da hat es ja auch in den vergangenen Jahren nur moderate Fortschritte gegeben.

Deutschlandradio Kultur: Aber dafür gibt es doch theoretisch jetzt andere Faktoren oder Gruppen, die theoretisch, wo viele Regierungen Angst haben, dass die an Waffen kommen könnten. Zum Beispiel, das ist ja eine große Bedrohung, sehen jedenfalls viele Geheimdienste so, terroristische Gruppen, dass denen dieses Material verkauft werden könnte – einmal natürlich aus monetären Gründen, aber auch aus politischen Gründen, weil dann sozusagen eine nichtstaatliche Gruppe die Schmutzarbeit für ein Regime machen könnte, das über Atomwaffen verfügt.

Markus Kaim: An dieser Stelle bin ich etwas zurückhaltend. Oder ich glaube, wir müssen hier differenzieren. Ich will nicht die Gefahr von Massenvernichtungswaffen in der Hand von transnationalen terroristischen Gruppierungen herunterspielen, aber ich glaube, wenn wir darüber reden, dann reden wir eher über Chemiewaffen und über biologische Waffen, weil die technologische Schwelle und die technologischen Aufgaben, die bei der Frage einer Nuklearwaffe zu bewältigen sind, sind doch so groß, und der Aufwand, der zu betreiben ist, ist so gewaltig, dass ich das privat organisierten Akteuren so nicht zutrauen würde.

Wir sehen ja auch im Falle eines zu allem entschlossenen Regimes wie Nordkorea, dass es Rückschläge gibt, dass Dinge nicht funktionieren, dass Tests fehl gehen. Das heißt, das macht man mal nicht eben sozusagen mit einer Blaupause. Und auch die Vorstellung, dass man Nuklearwaffen in die Hände von – ich mache es mal an einem Beispiel – Al Qaida übergeben würde und Al Qaida an einem Punkt des Nahen und Mittleren Ostens wäre in der Lage, wirklich eine solche Waffe zu zünden und ins Ziel zu bringen, erscheint mir aus heutiger Sicht noch abwegig.

Deutschlandradio Kultur: Aber dass Syrien zum Beispiel mit dem Iran kooperieren könnte und dass dann da sozusagen auch Atomtechnologie ausgetauscht wird, was ja auch immer mal wieder bekundet wird, dass das eine Sorge Israels ist, das halten Sie auch für unwahrscheinlich?

Markus Kaim: Also, nee, ich möchte hier nicht missverstanden werden. Es gibt vergleichsweise sichere Indizien dafür, dass auch Syrien ein militärisch nutzbares Nuklearprogramm verfolgt hat. Und es hat ja bereits im Jahr 2007 einen israelischen Angriff auf syrisches Territorium mit dem Ziel gegeben, eine entsprechende Anlage zu zerstören, auch erfolgreichen Versuch gegeben. Das sind so Indikatoren, aber bislang zumindest ist die syrische Führung weit davon entfernt.

Deutschlandradio Kultur: Im Kalten Krieg war es ja so, dass, wer zuerst schießt mit Atomwaffen, ist als zweiter tot oder als zweiter vernichtet. Das war jedenfalls diese bizarre abschreckende Idee, die dafür gesorgt hat, dass die Waffen wohl nicht benutzt worden sind. Heute gibt es aber mehr Atommächte als noch zu Zeiten des Kalten Kriegs.

Gibt es denn, Sie haben das schon mal angedeutet, die Hoffnung, dass man die Verbreitung von Atomwaffen tatsächlich wirklich irgendwann mal endgültig wird stoppen können?

Markus Kaim: Also, ich glaube, mit einem großen Maß von gutem Willen aller Beteiligten wird man Nuklearwaffen vielleicht nicht von der Erde verschwinden lassen können, aber man kann ihre Zahl enorm reduzieren. Und der amerikanische Präsident hat ja auch in dieser Woche bei seiner Rede zumindest Andeutungen dazu gemacht, dass eine Zahl von – ich glaube – 1700 bis 1800 Trägersystemen in den Händen der USA letztlich keinen Unterschied macht, ob es 1.000 sind, ob es 800 sind oder 1.800 sind.

Und unter dem Aspekt der Auswirkungen der Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise, glaube ich, werden nicht nur die USA, sondern auch andere Staaten, wir sehen das konkret zum Beispiel bei Großbritannien, vor der Frage stehen, ob sie ihre nuklearen Arsenale für die nächsten 20, 30, 40 Jahre so weiterführen wollen. Was ich damit sagen will, ist: Es könnte eine ungewollte, sehr positive Wirkung der Finanz- und Wirtschaftskrise geben, nämlich dass Staaten sich schlicht und ergreifend Nuklearwaffen nicht mehr leisten können. Damit werden sie nicht endgültig verschwinden, aber ich bin relativ zuversichtlich, dass unter denjenigen Staaten, die als klassische Nuklearmächte gelten, nämlich gerade die fünf Ständigen Mitglieder des VN-Sicherheitsrates, die Zahl der Nuklearwaffen deutlich reduziert werden wird.

Deutschlandradio Kultur: Das sind dann doch optimistische Worte zum Schluss von Markus Kaim von der Stiftung für Politik und Wissenschaft. Herr Kaim, ich danke Ihnen für Ihre Zeit heute Mittag.

Markus Kaim: Gerne.
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