Das Rationale und das Mythische
Der eine, Gilberto Zorio, baut Boote, Raumschiffe oder taumelnde Sterne zu Installationen. Der Maler Giorgio Griffa dagegen zerlegt das Malen in fundamentale Elemente. Sie leben in Turin und ergänzen sich deshalb so gut, weil sie künstlerisch aus ganz verschiedenen Ecken kommen.
So empfängt die Mathildenhöhe ihre Besucher: die Installationen von Gilberto Zorio bewegen sich ungebärdig, fauchen, zischen und kommen dann, wie entkräftet, wieder zum Stillstand. Da dreht sich ein großer fünfzackiger Metallstern und seine röhrenartige Tentakel bläst dabei dem Betrachter Luft ins Gesicht.
Das Vorderteil eines Schilfbootes ist ebenfalls mit einem solchen Arm verbunden, an dessen Ende rotiert ein Scheinwerfer. In der Gegenbewegung stößt der Schilfnachen hilflos gegen die Wand.
Der Arte-povera-Künstler Gilberto Zorio spielt nicht nur mit dem Raum und mit der Assoziation unkontrollierter Energien. Seine Installationen, ob Raumschiff oder taumelnder Stern, wirken immer deplatziert und sperrig, als sei ihnen der Raum, in dem sie ausgestellt werden, nicht genug.
Innerhalb der Arte-povera-Bewegung gilt Zorio als der Alchemist, als derjenige, der sich hartnäckig mit der Transformation der Materie beschäftigt. Oft sind seine Kanus, seine Speere, seine fünfzackigen Sterne über Rohrleitungen mit Glasgefäßen verbunden, in denen sich farbige Substanzen und Flüssigkeiten sammeln. Alchemie, Mysterienglauben, Grenzerfahrung – die Schwebzustände sind das geheime Zentrum des Werks von Zorio.
Klaus Wolbert, Direktor der Darmstädter Mathildenhöhe: " Er schöpft ja auch aus den unterschiedlichsten Symbolwelten aller Kulturen, das ist für ihn dann konzentriert im Zeichen des Pentagramms, eines globalen Zeichens, das in allen Kulturen auftritt und überall Bedeutung hat, in der Prähistorie bis zur Alchemie, bis zu einem politischen Zeichen, dem Sowjetstern, die Reichhaltigkeit der Inhalte, der Bedeutungen, das ist etwas, das Zorio interessiert, aber nicht im Sinne des Tiefsinns, wie er in der deutschen Kunst sehr oft gepflegt wird, das ist bei den Italienern ein bisschen anders, das ist ein Sinn, der Rätsel stellt, der mehr auf Verborgenes hinweist. "
Auf jeden Fall sind es Bilder der Überwindung menschlicher Begrenztheit. Die so oft auftauchenden Speere zum Beispiel sind Instrumente zur Verlängerung des Arms, die unerwartete Geschwindigkeit aufnehmen und tödliche Energie aussenden können.
Die Boote und Kanus, die durch die Luft schweben, sind Körperhüllen, mit denen der Mensch sich durch fremde Elemente bewegt. Auch der gefallene Stern findet sich in der Darmstädter Ausstellung: gefertigt aus Metallgittern, liegt er am Boden und ist umgeben von Schollen verkrusteter Tonerde. Ein Boot ragt dazu steil in die Höhe, fixiert wie auf einer Abschussrampe. Selbst wenn man den Sinn solcher Konstellationen nicht immer begreift, faszinieren die installierten Bilder Gilberto Zorios durch ihre Materialpoesie.
Der Maler Giorgio Griffa dagegen hat mit Alchemie rein gar nichts zu schaffen. Er ist ein strikter Analytiker und zerlegt das Malen in fundamentale Gesten und Elemente. Ungrundierte, erdig wirkende Leinwände sind mit Nägeln an der Wand befestigt, darauf seriell angelegte Kreise, Tupfer, Farbbalken, Schlangenlinien, Schlaufenbänder, Schuppengeflechte, Rasterungen. Obwohl man zunächst Chiffren für Landschaft zu entdecken meint, für Hügel, Berge, Meereswellen oder Vogelflug, sind dies doch nur Zeichenfolgen ganz elementarer Art. Sie sagen vor allem eins: hier hat jemand Schritt für Schritt den Raum der Leinwand durchmessen und dabei jede abbildhafte Anmaßung der Malerei vermieden.
Klaus Wolbert: " Bilder, die eben nichts anderes demonstrieren als Malerei selbst, also die Essenz des Malerischen, und das sind eben diese Grundelemente: Farbe, Farbauftrag, Farbsubstanz und Pinselspur und diese Grundelemente, also all das, was man eben auch als analytische oder fundamentale Malerei bezeichnet, und da ist er ja einer der ganz großen Protagonisten dieser Richtung."
Giorgio Griffa, heute 69 Jahre alt, reagierte mit dieser elementaren Malerei auf die amerikanische Pop-Art, die in den frühen sechziger Jahren auch Italien überflutete. Seitdem markiert er beharrlich Leinwand um Leinwand mit seinen Grundgesten und demontiert damit jegliche Vorstellung von Schöpfergenie, Subjektivität oder Handschrift. Und dennoch ist das alles nicht langweilig, sondern wirkt, aufgrund der kombinierten Pastellfarben, leicht und mediterran.
Gilberto Zorio und Giorgio Griffa leben seit vielen Jahren in Turin, sind befreundet, haben ihre Ateliers nebeneinander. Das ist natürlich nicht genug, um zwei Künstler gemeinsam zu präsentieren. Aber diese beiden ergänzen sich deshalb so gut, weil sie aus ganz verschiedenen Ecken kommen. Das Rationale und das Mythische, die Grenzüberschreitung und die freiwillige Beschränkung, die Esoterik und die trockene Methode – das geht gut zusammen, eben weil es so verschieden ist.
Und allem Anschein nach sind mit den Personen von Giorgio Griffa und Gilberto Zorio die beiden Seiten von Turin verkörpert. Eins jedenfalls eint die beiden Künstler: das italienische Aufbegehren gegen amerikanische Fremdherrschaft in Kultur und Kunstmarkt.
Service:
Die Mathildenhöhe Darmstadt zeigt die Doppelausstellung Gilberto Zorio (Installationen) und Girgio Griffa (Gemälde und Plastiken) vom 24. Juli bis zum 4. September 2005.
Das Vorderteil eines Schilfbootes ist ebenfalls mit einem solchen Arm verbunden, an dessen Ende rotiert ein Scheinwerfer. In der Gegenbewegung stößt der Schilfnachen hilflos gegen die Wand.
Der Arte-povera-Künstler Gilberto Zorio spielt nicht nur mit dem Raum und mit der Assoziation unkontrollierter Energien. Seine Installationen, ob Raumschiff oder taumelnder Stern, wirken immer deplatziert und sperrig, als sei ihnen der Raum, in dem sie ausgestellt werden, nicht genug.
Innerhalb der Arte-povera-Bewegung gilt Zorio als der Alchemist, als derjenige, der sich hartnäckig mit der Transformation der Materie beschäftigt. Oft sind seine Kanus, seine Speere, seine fünfzackigen Sterne über Rohrleitungen mit Glasgefäßen verbunden, in denen sich farbige Substanzen und Flüssigkeiten sammeln. Alchemie, Mysterienglauben, Grenzerfahrung – die Schwebzustände sind das geheime Zentrum des Werks von Zorio.
Klaus Wolbert, Direktor der Darmstädter Mathildenhöhe: " Er schöpft ja auch aus den unterschiedlichsten Symbolwelten aller Kulturen, das ist für ihn dann konzentriert im Zeichen des Pentagramms, eines globalen Zeichens, das in allen Kulturen auftritt und überall Bedeutung hat, in der Prähistorie bis zur Alchemie, bis zu einem politischen Zeichen, dem Sowjetstern, die Reichhaltigkeit der Inhalte, der Bedeutungen, das ist etwas, das Zorio interessiert, aber nicht im Sinne des Tiefsinns, wie er in der deutschen Kunst sehr oft gepflegt wird, das ist bei den Italienern ein bisschen anders, das ist ein Sinn, der Rätsel stellt, der mehr auf Verborgenes hinweist. "
Auf jeden Fall sind es Bilder der Überwindung menschlicher Begrenztheit. Die so oft auftauchenden Speere zum Beispiel sind Instrumente zur Verlängerung des Arms, die unerwartete Geschwindigkeit aufnehmen und tödliche Energie aussenden können.
Die Boote und Kanus, die durch die Luft schweben, sind Körperhüllen, mit denen der Mensch sich durch fremde Elemente bewegt. Auch der gefallene Stern findet sich in der Darmstädter Ausstellung: gefertigt aus Metallgittern, liegt er am Boden und ist umgeben von Schollen verkrusteter Tonerde. Ein Boot ragt dazu steil in die Höhe, fixiert wie auf einer Abschussrampe. Selbst wenn man den Sinn solcher Konstellationen nicht immer begreift, faszinieren die installierten Bilder Gilberto Zorios durch ihre Materialpoesie.
Der Maler Giorgio Griffa dagegen hat mit Alchemie rein gar nichts zu schaffen. Er ist ein strikter Analytiker und zerlegt das Malen in fundamentale Gesten und Elemente. Ungrundierte, erdig wirkende Leinwände sind mit Nägeln an der Wand befestigt, darauf seriell angelegte Kreise, Tupfer, Farbbalken, Schlangenlinien, Schlaufenbänder, Schuppengeflechte, Rasterungen. Obwohl man zunächst Chiffren für Landschaft zu entdecken meint, für Hügel, Berge, Meereswellen oder Vogelflug, sind dies doch nur Zeichenfolgen ganz elementarer Art. Sie sagen vor allem eins: hier hat jemand Schritt für Schritt den Raum der Leinwand durchmessen und dabei jede abbildhafte Anmaßung der Malerei vermieden.
Klaus Wolbert: " Bilder, die eben nichts anderes demonstrieren als Malerei selbst, also die Essenz des Malerischen, und das sind eben diese Grundelemente: Farbe, Farbauftrag, Farbsubstanz und Pinselspur und diese Grundelemente, also all das, was man eben auch als analytische oder fundamentale Malerei bezeichnet, und da ist er ja einer der ganz großen Protagonisten dieser Richtung."
Giorgio Griffa, heute 69 Jahre alt, reagierte mit dieser elementaren Malerei auf die amerikanische Pop-Art, die in den frühen sechziger Jahren auch Italien überflutete. Seitdem markiert er beharrlich Leinwand um Leinwand mit seinen Grundgesten und demontiert damit jegliche Vorstellung von Schöpfergenie, Subjektivität oder Handschrift. Und dennoch ist das alles nicht langweilig, sondern wirkt, aufgrund der kombinierten Pastellfarben, leicht und mediterran.
Gilberto Zorio und Giorgio Griffa leben seit vielen Jahren in Turin, sind befreundet, haben ihre Ateliers nebeneinander. Das ist natürlich nicht genug, um zwei Künstler gemeinsam zu präsentieren. Aber diese beiden ergänzen sich deshalb so gut, weil sie aus ganz verschiedenen Ecken kommen. Das Rationale und das Mythische, die Grenzüberschreitung und die freiwillige Beschränkung, die Esoterik und die trockene Methode – das geht gut zusammen, eben weil es so verschieden ist.
Und allem Anschein nach sind mit den Personen von Giorgio Griffa und Gilberto Zorio die beiden Seiten von Turin verkörpert. Eins jedenfalls eint die beiden Künstler: das italienische Aufbegehren gegen amerikanische Fremdherrschaft in Kultur und Kunstmarkt.
Service:
Die Mathildenhöhe Darmstadt zeigt die Doppelausstellung Gilberto Zorio (Installationen) und Girgio Griffa (Gemälde und Plastiken) vom 24. Juli bis zum 4. September 2005.