"Das Publikum läuft zum Privaten"

Moderation: Liane von Billerbeck · 21.05.2012
Der türkische Ministerpräsident Erdogan will die Spielpläne der Staatstheater mitbestimmen. Das sei "ein Eingriff in die künstlerische Freiheit", meint die Journalistin Susanne Güsten. Das wirklich Aufregende werde privat organisiert, während das Stadttheater ein Programm von vor 50 Jahren habe.
Liane von Billerbeck: Geht es den türkischen Staatstheatern an den Kragen oder ist das nur ein böses Spiel? Das fragen sich im Moment viele Theaterleute in der Türkei, seit bekannt wurde, dass Ministerpräsident Erdogan die türkischen Staatstheater privatisieren will. Hochmut hat er den Theaterleuten vorgeworfen.

Was dahintersteckt, darüber wollen wir jetzt mit unserer Korrespondentin Susanne Güsten in Istanbul sprechen, ich grüße Sie! Hallo, Frau Güsten!

Susanne Güsten: Hallo, Frau von Billerbeck!

von Billerbeck: Ist das nur Theaterdonner ... Hören Sie mich, Frau Güsten?

Güsten: Ich höre Sie!

von Billerbeck: Gut. Ist das nur Theaterdonner der Regierung Erdogan, oder soll es da den Bühnen tatsächlich an den Kragen gehen?

Güsten: Nein, der Gesetzentwurf, den habe ich hier schon vor mir liegen, der Gesetzentwurf zur Privatisierung der staatlichen Theater. Das ging ganz, ganz schnell, seit die Idee überhaupt aufkam vor einem Monat, denn die Regierung hat ja viel Übung in Privatisierung. Da brauchen die nicht lange dazu, von der Idee zur Umsetzung.

Und der Gesetzentwurf liegt jetzt hier schon sehr detailliert, da geht es darum, wie man die vielen Tausend Beschäftigten, welche man in Vorruhestand schickt, welche man übernimmt in andere Staatsbetriebe, andere, Dritte, die vielleicht sich privaten Theatergesellschaften anschließen wollen oder neue gründen wollen, die sollen staatliche Unterstützung bekommen. Es wird auch ganz klar schon durchdekliniert, wie man jetzt Bühnenbildner und Kostüme, wie man ...

von Billerbeck: ... jetzt ist die Leitung weg, wir versuchen es gleich noch mal. - Ah, da ist sie wieder ...

Güsten: ... private Betriebe, die dann auch für private ... die dann auch privaten Theatern zur Verfügung stehen. Also, schon sehr, sehr genau, das Kabinett hat auch im Prinzip schon zugestimmt. Der Gesetzentwurf muss noch mal durch durchs Kabinett, aber dann ist klar: Die 60 staatlichen Theater in der Türker werden privatisiert.

von Billerbeck: Nun sind da die ganzen Durchführungsbestimmungen offenbar schon viel klarer als die Ursache der ganzen Entscheidung. Wie begründet denn die Regierung diese Privatisierung der Staatstheater?

Güsten: Nun, man muss vielleicht ausholen: Es begann damit, dass in Istanbul, mit den städtischen Theatern gab es einen Konflikt, weil die Stadt Istanbul gesagt hat, diese Spielpläne, das sind einfach immer die gleichen, wir wollen jetzt mal das etwas auf eine breitere Basis stellen. Und haben vorgeschlagen, eine Kommission einzuführen, die die Spielpläne für die städtischen Theater macht.

Bisher war es nur, waren es die Theater selber, die das bestimmten, und nun soll die Kommission gebildet werden, in denen auch Vertreter der Stadt saßen, aber auch Vertreter von freien Theatern, Vertreter von Kulturstiftungen und eben auch die Theater, die städtischen Theater selber. Und die sollten gemeinsam die Spielpläne bestimmen. Daraufhin gab es einen Aufschrei von den städtischen Theatern, die bisher immer völlige Freiheit hatten über ihre Spielpläne, und ich lese Ihnen vielleicht nachher mal so einen Spielplan vor, den aktuellen Spielplan vom Istanbuler Stadttheater, das gibt dann vielleicht auch ein bisschen Aufschluss über diesen Konflikt.

Auf jeden Fall haben die sich darüber gewehrt und haben gesagt, wir bestimmen alleine, was wir spielen. Vor dem Hintergrund dessen, dass diese städtischen Theater, die staatlichen Theater Ausgaben in Millionenhöhe haben und Einnahmen in sehr, sehr viel niedrigerer Höhe und dass die vielen freien Theater, von denen es dreimal so gibt wie staatliche Theater, viel besser besucht werden und viel weniger Geld bekommen und trotzdem mindestens genau so viel Produktionen machen, das war also der Hintergrund des Streites.

Und dann sagte Erdogan, so, jetzt mag ich nicht mehr, jetzt privatisieren wir die ganzen Theater, dann könnt ihr spielen, was ihr wollt, und wir müssen das nicht mehr bezahlen. Das ist der politische Hintergrund. Und er hat auch einen kulturellen Hintergrund: Es gibt in diesem Land ja nach wie vor einen Kulturkonflikt zwischen den alten Eliten, die das Land jahrzehntelang regiert haben, also Atatürks Erben, die auch die Kultur sehr geprägt haben, und jetzt den anatolischen Massen, die mit dem Wirtschaftswunder der letzten Jahre hochgekommen sind und die Erdogan gewählt haben und für die Erdogan steht und die einen ganz anderen Geschmack haben.

Die alten Eliten hatten einen sehr verwestlichten Geschmack, haben teilweise ihre Komponisten, ihre Theaterschaffenden in den 30er-, 40er-Jahren nach Deutschland geschickt, nach Europa geschickt, um zu lernen, wie man das macht, und die haben versucht, eine westliche Kultur in der Türkei zu schaffen. Die anatolischen Massen, die anatolischen Menschen, die jetzt langsam zu Geld, zu Wohlstand, zu politischer Macht kommen, die haben eine ganz andere Kultur mitgebracht, die haben damit nichts am Hut.

Und darum ging es jetzt am Ende. Es ging darum, wer zahlt, schafft an, die Leute wollen das nicht sehen, Erdogan spricht für diese Leute, der sagte, also, wenn ihr das weiter spielen wollt, dann spielt das, aber nicht mit unserem Geld. Also, so ist es ganz grob gesagt, der Konflikt.

von Billerbeck: Man kann das natürlich nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen, aber ich mache es trotzdem mal: Ich stelle mir gerade vor, was passieren würde, wenn es jetzt hier einen Repertoire-Beirat gäbe, wo unter anderem auch staatliche uns städtische Stellen drin säßen, die darüber mitbestimmen, was gespielt wird. Da wäre der Teufel los!

Güsten: Ja, ich erzähle Ihnen vielleicht mal, was im Moment im Istanbuler Theater los ist, ich habe hier den Spielplan vom Istanbuler Stadttheater und da sehen wir, dass gespielt wird eine Operette von 1933 von Ekrim Resit Rey, das ein Ideologe von Atatürk, da geht es darum, wie das Land verwestlicht wird, wie man sich verwestlichen soll, also, wie die Türkei, wie die Türken lernen sollen, möglichst westlich zu sein.

Also auch nicht mehr ganz frisch und nicht mehr ganz aktuell, weil, im Moment machen die Türken ja was anderes. Dann wird ein Musical von 1914 gegeben, eine musikalische Komödie, auch etwas angestaubt, Aziz Nesin wird ein Stück gespielt, ein türkischer Klassiker, gut, auch schon 100 Jahre her, dass er geboren worden ist. Und dann noch eine Komödie aus osmanischer Zeit.

Das ist das, was am Stadttheater aufgeführt wird, und das ist das, was eigentlich immer am Stadttheater aufgeführt wird. Parallel läuft hier im Moment das Istanbuler Theaterfestival, da sind 40 türkische Ensembles dabei, die meisten davon privat, auch ein oder zwei staatliche, da sind sechs oder sieben Nationen vertreten, da wurde gerade von der Berliner Schaubühne, wurde der "Hamlet" aufgeführt, da bekommt Thomas Ostermeier jetzt auch einen Sonderpreis für sein Lebenswerk, hier wird Experimentelles aufgeführt, hier wird klassisches Theater aufgeführt.

Also, es ist eine Riesensache, alle zwei Jahre findet das statt, und das ist privat organisiert und privat finanziert. Das ist von einer Kulturstiftung, die hier von einem großen Mäzenen, einem großen Industriellen veranstaltet wird, und von einem andern Mäzenen, einer anderen großen Industrieholding wird das finanziert und gesponsert. Das ist also rein privat. Also, alles, was im Moment wirklich aufregend ist im Theater, das kommt, das wird gesponsert, da gibt es Mäzenen, das wird privat organisiert, während das Istanbuler Stadttheater ...

von Billerbeck: ... jetzt ...

Güsten: ... vor 50 Jahren hat.

von Billerbeck: Da sind immer ein paar Lücken, verzeihen Sie bitte die akustische Qualität! Trotzdem die Frage an Sie, Frau Güsten: Das heißt, es wird in der Türkei künftig keine städtischen und staatlich geförderten Theater mehr geben?

Güsten: Nun, sie sind ja bis jetzt auch schon in der Minderheit. Es ist so, dass sich die Zahl der privaten Ensembles wegen dieser Misere an den staatlichen Theatern, die auch unglaublich ineffizient waren, unglaublich aufgeplusterte Versorgungsbetriebe, viele von den Schauspielern haben selber gar nicht mehr dort gespielt, sondern haben in Seifenopern im Fernsehen gespielt, während sie ihre Gehälter bezogen.

Und inzwischen sind die privaten Theater aufgeblüht, es gibt inzwischen dreimal so viele private Theaterensembles wie staatliche, und dort gehen die Leute hin. Also, die Zahl der Besucher hat sich versiebenfacht in den letzten fünf Jahren der privaten Theater, während es an den staatlichen Theatern doch etwas langsamer bergauf geht.

Obwohl die Regierung Erdogan die Zahl der staatlichen Theater - und das etwas ironisch - verdoppelt hat in ihrer Amtszeit. Also, es geht eindeutig sowieso, das Publikum läuft zum Privaten hin und deswegen bleibt der Aufschrei in den Theaterkreisen - der ist schon da, der Staat will uns hier reinreden in die Programme und das sind Eingriffe in die künstlerische Freiheit -, der blieb doch ziemlich stark beschränkt auf die Kreise der Staatstheater, um die es jetzt ging, weil, wer richtig gutes Theater machen wollte, der hat das vorher schon am freien Theater gemacht, und nicht am Staatstheater.

von Billerbeck: Nun gibt es aber auch heftige Kritik seitens Schauspielern. Der bekannteste Fernsehkommissar beispielsweise, so eine Art türkischer Schimanski, der hat protestiert und hat gesagt, da gäbe es Eingriffe, ein Komponist will auswandern. Sind das vielleicht trotzdem Äußerungen, die über diese Privatisierung der Theater hinausgehen und die etwas sagen über die Kulturpolitik der Regierung Erdogan?

Güsten: Also, sie sagen eigentlich mehr über den Kampf der Kulturen in diesem Land. Die Kulturpolitik, es ist ja nicht so, dass sie den Theatern keine Subventionen mehr geben werden, es soll durchaus auch weiter Subventionen geben. Es werden freie, die wurden auch bisher schon unterstützt, es sollen Neugründungen unterstützt werden. Der Staat will halt keine Theater mehr betreiben, so wie er auch vorher schon ganz, ganz viele andere Bereiche des Staates privatisiert hat, Telekommunikation, Transport, Alkohol.

Und meistens doch mit ganz positiven Ergebnissen, also ... Zum Beispiel konnte man vor zehn, 15 Jahren, als der Wein hier noch von Staatsmonopolen hergestellt wurde, den konnte man nicht trinken. Inzwischen, seit das alles privatisiert worden ist, gibt es hier schöne Winzereien, die ganz, ganz tollen Wein machen. Also auch durchaus ja auch eine kulturelle Errungenschaft. Also, es ist jetzt nicht so, dass hier nun Kahlschlag gemacht werden soll, dass die dem nur den Stempel aufdrücken wollen.

Es ist auch eine Frage der Effizienz und das ist ja auch kein Eingriff in die künstlerische Freiheit, das zu privatisieren. Es ist vielleicht eine Steigerung der Effizienz, aber kein Eingriff. Aber dahinter steht tatsächlich, dass man sich nicht grün ist. Also, wie die Leiter der staatlichen Theater, die sich immer noch als Bannerträger, als Erben von Atatürk und seinen Theaterschriftstellern verstehen, die haben mit Menschen wie Erdogan und den Menschen, die Erdogan wählen, nicht viel am Hut.

Sie erwähnten den Schriftsteller, den Komponisten, der auswandern will, Fazil Say, diesen großen Pianisten und Komponisten. Der hat es sich zwar inzwischen anders überlegt mit dem Auswandern nach Japan, aber er ist sich mit der Regierung spinnefeind. Er sagt, diese Leute sind Bauern, das sind Trampel, die kommen nicht in meine Konzerte. Und wenn der Ministerpräsident in meine Uraufführung kommt, dann schaut er auf den Boden oder schaut weg, weil ihn das langweilt.

Er sagt, er hat keine Ahnung von Kultur, das ist ein kulturloser Mensch. Und das ist eigentlich sehr, sehr bezeichnend, das ist das, was die meisten Menschen von dieser sehr dünnen, alten Oberschichtelite, von den, was weiß ich, an den Hochschulen ... Das nicht mehr so sehr, aber Militär, Bürokratie, Justiz, was die von diesen Leuten halten, die jetzt an die Macht gekommen sind. Die hören Arabeskmusik, da hat sich Fazil Say auch immer wieder so drauf aufgeregt, hat auf Twitter geschrieben und das hat das ganze Land aufgeregt, dass er sich für seine Landsleute schämt, die so eine schlechte Musik hören.

Die haben halt einen anderen Geschmack! Und das ist, das prallt ziemlich zusammen. Und das Problem ist, dass jetzt diese Bauerntrampel, die einen anderen Geschmack haben, dass die jetzt an der Macht sind und dass die auch das Geld in der Hand haben.

von Billerbeck: Susanne Güsten aus Istanbul über die Ankündigung der Regierung Erdogan, die türkischen Staatstheater zu privatisieren. Der Kulturkampf, der wird uns bestimmt noch weiter beschäftigen, der dort tobt. Danke Ihnen!

Güsten: Wiederhören!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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