Das Projekt Benedikt
Sind die Flitterwochen vorbei? Der frisch gewählte Papst Benedikt XVI. hatte die Erwartungen und Vorurteile einer skeptischen Öffentlichkeit unterlaufen, die Ratzinger-Klischees außer Kraft gesetzt. Man sah keinen herrischen Großinquisitor, sondern einen demütigen, fast schüchternen Bischof von Rom. Gerade diese anrührende Schüchternheit stellte sich als sein Charisma heraus.
Inzwischen ist bei den Reformern und Kirchenkritikern wieder Ernüchterung eingekehrt. In Italien führen die Bischöfe, mit voller Unterstützung Benedikts XVI., einen nimmermüden Kampf gegen die rechtliche Anerkennung nichtehelicher Lebensgemeinschaften. Mit Entsetzen stellen fortschrittsfreundliche Gläubige und Bischöfe fest, dass der Papst die lateinische Messe regelmäßig wieder erlauben will. Er hat einen linken Theologen, einen in El Salvador lehrenden Jesuiten, von der Glaubenskongregation zurechtweisen lassen.
In seinem neuen Jesus-Buch legt sich Joseph Ratzinger mit der historisch-kritischen Bibelforschung an und propagiert ein frommes Christus-Bild, wie es in den Evangelien steht. Ist Benedikt XVI. also doch der Reaktionär, den die Ratzinger-Karikaturen erwarten ließen? War der entwaffnend milde Papst der ersten Amtsmonate eine Illusion oder gar eine Mogelpackung?
Nun, das war er gewiss nicht. Das Hin und Her der Benedikt-Bilder zeigt in Wahrheit nur, wie unangemessen die Kategorien von Progressiv und Konservativ, von Links und Rechts zum Erfassen dieses Papstes und der Kirche überhaupt sind. Mit solchen banalen Politisierungen stochert man in der Welt des Glaubens erfolglos herum wie mit einer Gabel in der Suppe. Nicht so viel zu moralisieren, sondern von der Größe und Schönheit des Christentums zu reden, das ist in der Tat das Projekt Benedikts XVI.
Aber dann sollte man sich auch nicht wundern, wenn der Papst eine ernste und feierliche Liturgie verlangt und wenig Gefallen an der klampfenden Unansehnlichkeit findet, mit der die gute Gesinnung allzu oft ihre Gottesdienste gestaltet. Die Abkehr von einer platten Gegenwartsanpassung ist ein hochaktuelles Programm und entschieden moderner als das Hinterherlaufen hinter jedem Zeitgeschmack.
Zwei Jahre im Papstamt sind erst ein Anfang, und niemand weiß, wie viel Zeit dem Achtzigjährigen bleibt. Doch als eine zentrale geistige Figur unserer Tage und unserer Welt hat er sich schon etabliert. Seine Vorlesung in Regensburg, in der er mit einem missverständlichen Zitat Millionen von Muslimen provozierte, war ein diplomatischer Unfall. Aber die Debatten, die darauf gefolgt sind, haben den christlich-islamischen und den westlich-islamischen Dialog auf eine neue Ebene gehoben. Der Papst hat das offizielle Schweigen über die Reformbedürftigkeit der muslimischen Religion gebrochen – und er konnte es tun, weil er nicht aus der Position einer gottfernen Diesseitigkeit sprach, sondern als Gläubiger zu anderen Gläubigen, zu Andersgläubigen. Wie er den "Heiligen Krieg" der Islamisten verurteilt, so wendet er sich umgekehrt auch gegen die totale Säkularisierung, mit der Europa sich von seinen christlichen Wurzeln abschneidet. Eine vernunftgemäße, aufgeklärte Religion als dritter Weg zwischen Fanatismus und Nihilismus, das ist das Angebot dieses Papstes für unsere Gegenwart, und niemand wird sagen können, das seien überholte oder uninteressante Gedanken.
Wird Benedikt XVI. Erfolg haben mit dem Projekt seines Pontifikats? Gewiss keinen so greifbaren wie Johannes Paul II., der wesentlichen Anteil am historischen Sieg über den Kommunismus beanspruchen durfte. Vielleicht kann der Ratzinger-Papst eines Tages nach Moskau reisen, wo der Pole Karol Wojtyla nicht willkommen war, vielleicht kann er für die katholische Kirche das Tor nach China wenigstens einen Spaltbreit öffnen. In der Ökumene, dem Verkehr der christlichen Konfessionen untereinander, wird dieser Papst den Protestanten nicht viel zu bieten haben, aber mit den Orthodoxen spricht er eine gemeinsame Sprache und mag die West- und Ostkirchen näher zusammenbringen. Die wichtigste Rolle jedoch dürfte Benedikt XVI. als Kritiker der Moderne und Gesprächspartner der Weltreligionen spielen – ein Intellektueller auf dem Stuhl Petri, wie es noch keinen gab.
Jan Roß, geboren 1965, Studium der klassischen Philologie, Philosophie und Rhetorik in Hamburg und Tübingen. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für klassische Philosophie der FU-Berlin. 1991 bis 1996 Redakteur im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeine Zeitung", 1997/98 bei der "Berliner Zeitung". Seit Oktober 1998 politischer Redakteur der "Zeit". 1998 erschien das Buch: "Die neuen Staatsfeinde. Was für eine Republik wollen Schröder, Henkel, Westerwelle und Co?" Zuletzt veröffentlichte er "Der Papst. Johannes Paul II. Drama und Geheimnis".
In seinem neuen Jesus-Buch legt sich Joseph Ratzinger mit der historisch-kritischen Bibelforschung an und propagiert ein frommes Christus-Bild, wie es in den Evangelien steht. Ist Benedikt XVI. also doch der Reaktionär, den die Ratzinger-Karikaturen erwarten ließen? War der entwaffnend milde Papst der ersten Amtsmonate eine Illusion oder gar eine Mogelpackung?
Nun, das war er gewiss nicht. Das Hin und Her der Benedikt-Bilder zeigt in Wahrheit nur, wie unangemessen die Kategorien von Progressiv und Konservativ, von Links und Rechts zum Erfassen dieses Papstes und der Kirche überhaupt sind. Mit solchen banalen Politisierungen stochert man in der Welt des Glaubens erfolglos herum wie mit einer Gabel in der Suppe. Nicht so viel zu moralisieren, sondern von der Größe und Schönheit des Christentums zu reden, das ist in der Tat das Projekt Benedikts XVI.
Aber dann sollte man sich auch nicht wundern, wenn der Papst eine ernste und feierliche Liturgie verlangt und wenig Gefallen an der klampfenden Unansehnlichkeit findet, mit der die gute Gesinnung allzu oft ihre Gottesdienste gestaltet. Die Abkehr von einer platten Gegenwartsanpassung ist ein hochaktuelles Programm und entschieden moderner als das Hinterherlaufen hinter jedem Zeitgeschmack.
Zwei Jahre im Papstamt sind erst ein Anfang, und niemand weiß, wie viel Zeit dem Achtzigjährigen bleibt. Doch als eine zentrale geistige Figur unserer Tage und unserer Welt hat er sich schon etabliert. Seine Vorlesung in Regensburg, in der er mit einem missverständlichen Zitat Millionen von Muslimen provozierte, war ein diplomatischer Unfall. Aber die Debatten, die darauf gefolgt sind, haben den christlich-islamischen und den westlich-islamischen Dialog auf eine neue Ebene gehoben. Der Papst hat das offizielle Schweigen über die Reformbedürftigkeit der muslimischen Religion gebrochen – und er konnte es tun, weil er nicht aus der Position einer gottfernen Diesseitigkeit sprach, sondern als Gläubiger zu anderen Gläubigen, zu Andersgläubigen. Wie er den "Heiligen Krieg" der Islamisten verurteilt, so wendet er sich umgekehrt auch gegen die totale Säkularisierung, mit der Europa sich von seinen christlichen Wurzeln abschneidet. Eine vernunftgemäße, aufgeklärte Religion als dritter Weg zwischen Fanatismus und Nihilismus, das ist das Angebot dieses Papstes für unsere Gegenwart, und niemand wird sagen können, das seien überholte oder uninteressante Gedanken.
Wird Benedikt XVI. Erfolg haben mit dem Projekt seines Pontifikats? Gewiss keinen so greifbaren wie Johannes Paul II., der wesentlichen Anteil am historischen Sieg über den Kommunismus beanspruchen durfte. Vielleicht kann der Ratzinger-Papst eines Tages nach Moskau reisen, wo der Pole Karol Wojtyla nicht willkommen war, vielleicht kann er für die katholische Kirche das Tor nach China wenigstens einen Spaltbreit öffnen. In der Ökumene, dem Verkehr der christlichen Konfessionen untereinander, wird dieser Papst den Protestanten nicht viel zu bieten haben, aber mit den Orthodoxen spricht er eine gemeinsame Sprache und mag die West- und Ostkirchen näher zusammenbringen. Die wichtigste Rolle jedoch dürfte Benedikt XVI. als Kritiker der Moderne und Gesprächspartner der Weltreligionen spielen – ein Intellektueller auf dem Stuhl Petri, wie es noch keinen gab.
Jan Roß, geboren 1965, Studium der klassischen Philologie, Philosophie und Rhetorik in Hamburg und Tübingen. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für klassische Philosophie der FU-Berlin. 1991 bis 1996 Redakteur im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeine Zeitung", 1997/98 bei der "Berliner Zeitung". Seit Oktober 1998 politischer Redakteur der "Zeit". 1998 erschien das Buch: "Die neuen Staatsfeinde. Was für eine Republik wollen Schröder, Henkel, Westerwelle und Co?" Zuletzt veröffentlichte er "Der Papst. Johannes Paul II. Drama und Geheimnis".