Das Prinzip Gier

Von Alexander Schuller |
Man muss weder Adam Smith noch Karl Marx, noch unseren Ludwig Erhard kennen, um zu wissen, dass Geld immer auch Politik ist: Machtpolitik. Jeder Euro, der den Besitzer wechselt, verändert die Macht im Staate und auch uns selbst.
Ganz offensichtlich wird das bei Wahlen. Die Entfernungspauschale entzweit CDU und CSU, die Studiengebühren sind Angelpunkt des Konflikts zwischen Ypsilanti und Koch im Kampf um die Herrschaft in Hessen. Und jetzt der Streit um die Erbschaftssteuer. Hier geht es nur vordergründig um sozialen Ausgleich, in Wahrheit geht es um unser politisches Selbstverständnis.

Dabei wäre die einzig gerechte Erbschaftssteuer gar keine - denn mit der Erbschaftssteuer wird besteuert, was schon längst und vielfach besteuert worden ist. Mit der Erbschaftssteuer stellt sich eine ganz andere, eine fundamentale Frage: Verfügt der Staat über den Bürger oder verfügt der Bürger über den Staat?

Drei wichtige Merkmale kennzeichnen das Erbe. Zum einen ist es das Ergebnis jahrelanger, oft jahrzehntelanger, manchmal sogar jahrhunderte langer Arbeit. Wenn es Gradunterschiede in Eigentum gibt, ist das Erbe in besonderer Weise Eigentum. Zudem ist das Erbe ein Ausdruck von emotionaler Bindung, ein letztes Geschenk, aber auch eine letzte Botschaft an diejenigen, mit denen der Tote sein Leben geteilt hat. Mit dem Erbe sagt der Erblasser: ich bleibe Euch treu, vielleicht sogar: ich liebe Euch.

Das Erbe ist ein wichtiger Teil der Intimsphäre eines jeden Menschen. Schließlich, und das ist ganz und gar politisch, ist das frei verfügbare Erbe die Unabhängigkeitserklärung des mündigen Bürgers. Das Erbe ist Kapital, eine Produktivkraft. Mit dem Erbe kann neuer gesellschaftlicher Wohlstand generiert werden – ohne fremde, vor allem aber ohne staatliche Hilfe. Erst die Verfügungsmacht über Arbeit und Besitz schafft die Gesellschaft verantwortungsfähiger Bürger und ermöglicht Demokratie. Darüber herrscht – abstrakt jedenfalls – allumfassender Konsens.

Das führt uns in die Mitte der brennend heißen, aktuellen Diskussion, in die Debatte um bankrotte Banken und faule Kredite, um verlorene Eigenheime und fallende Kurse. Erbschaftssteuer und Weltwirtschaftkrise sind nämlich sowohl strukturell als auch ideologisch eng verknüpft. Als die Schuldigen gelten natürlich die Banker. Die Kreditnehmer werden übersehen. Das ist kurzsichtig. Besser sollte man nach den Strukturen forschen, und die sind der Frage nach Schuld und Sühne nicht so leicht zugänglich. Aber wer sucht, muß entdecken, dass es eine dramatische Diskrepanz zwischen zu geringem Eigenkapital und zu hohen Ansprüchen gegeben hat – und noch immer gibt. Das eben ist das Synonym für soziale Gerechtigkeit.

Blut ist ein besonderer Saft, aber Gier ist ein besonderes Gift. Wenn soziale Gerechtigkeit in Kredite konvertiert wird, schafft sie sowohl Ansprüche als auch Abhängigkeiten: den entmündigten Bürger, den Hausbesitzer ohne Haus, den Hartz-IVer eben. Es hat nämlich, wenn man solches Vokabular liebt und zwischen Tragik und Komödie nicht unbedingt unterscheiden möchte, eine Art unbewusster Verbrüderung gegeben.

Gierige Banker und gierige Bürger haben sich auf der Basis einer sozialistischen Ideologie zusammengefunden. Die Ideologie, von der hier die Rede ist, verkündet die Allmacht des Staates und die Ohnmacht des Bürgers – sei er nun Banker oder Kreditnehmer. ‚Der Papa wird’s scho richten’, hatte der Qualtinger einst gesungen und meinte bestimmt den Papa Staat. Und Recht hat er bekommen. Derselbe Staat, der dem Bürger das individuelle Erbe raubt, muss dem nunmehr enterbten, mittellosen, aber eben nicht anspruchslosen Bürger milliardenfach zu Hilfe eilen.

Kommen wir zum Punkt. Es gibt nicht nur gierige Banker und gierige Bürger, es gibt auch, und der kommt viel zu wenig ins Gespräch, den gierigen Staat. Der rafft sich zusammen, was ihm nicht zusteht und nennt es gerecht, aber Gerechtigkeit ist gekoppelt an Verantwortung und Folgen. Die Folgen muss der Staat nun tragen, aber die Verantwortung will er anderen zuschieben. Der Bürger seinerseits beruft sich auf seine Rechte und schiebt sie dem mit seiner Allmacht protzenden Staat zurück. So kann es nicht weiter gehen, sagen nun alle.

Dabei ist die Lösung ganz einfach: Es gibt nicht nur Ansprüche, es gibt auch Verantwortung. Es gibt nicht nur Rechte, es gibt auch Pflichten. Wenn alle nur Rechte haben und keine Pflichten, dann hat keiner Rechte. Wer seine Pflicht erfüllt, schafft sich und anderen Recht. Das allein ist soziale Gerechtigkeit. Das gilt sowohl für den Staat als auch für den Bürger. Wir haben eine Bill of Rights. Was uns fehlt, ist eine Bill of Duties. Ärgerlich, dass daran erinnert werden muss.


Alexander Schuller ist Soziologe, Publizist und Professor in Berlin. Er hatte Forschungsprofessuren in den USA (Princeton, Harvard) und ist Mitherausgeber von "Paragrana" (Akademie-Verlag). In seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen befasst er sich mit Fragen der Anthropologie und der Bildungs-, Medizin-, Geschichts- und Alltagssoziologie. Er arbeitet als Rundfunk-Autor sowie für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften wie Merkur und Universitas.
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