Das politische Leben eines Konzeptkünstlers

Von Elske Brault |
Im G von Bevölkerung sprießt ein Ahorn, das Ö ist unter Brombeerranken begraben: Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlungen im Deutschen Bundestag, hat im Sommer mit ausdrücklicher Genehmigung Hans Haackes schon zur Gartenschere gegriffen, damit der Schriftzug "Der Bevölkerung" überhaupt noch von der Besuchergalerie aus zu lesen ist. Für Kaernbach ist dieses Werk das avantgardistischste im gesamten Gebäude, denn es entwickelt sich immer weiter.
"Und das ist insofern sehr schön und spannend, weil sich mit dieser Erde, die aus dem Wahlkreis gebracht wird, dann ja sehr oft eine Geschichte verbindet."

Heimaterde, Volk: Von den Nationalsozialisten pervertierte Begriffe. Der Schriftzug "Der Bevölkerung" antwortet auf die unter Wilhelm II. am Reichstagsgebäude angebrachte Inschrift "Dem deutschen Volke". Diese Inschrift nämlich schließt Einwanderer aus, findet Hans Haacke. Auch er hat das Wort "Volk" benutzt: In einem Wettbewerbsentwurf für den Hof der Leipziger Nikolaikirche, wo 1989 die Bevölkerung der DDR skandierte: Wir sind das Volk. Den Wettbewerb hat Haacke verloren, doch Fotos in der Berliner Ausstellung zeigen seinen Entwurf: Eine Leuchtschrift aus blauen Neonröhren "Wir (alle) sind das Volk".

Durch die Retrospektive in Berlin und Hamburg müssen Besucher sich geradezu durchlesen. Schwarze Schrift auf weißem Grund ist auch Haackes jüngstes Werk am Eingang zur Akademie der Künste in Berlin: Die Namen und Todesdaten von 48 Personen überziehen die Glasfront, teilen sie auf halber Höhe wie ein Epitaph, eine Grabinschrift. Geboren in Vietnam, Ghana oder Rumänien, lesen wir. Überfahren in Dresden, erstochen in Berlin, erschlagen in Saal in Mecklenburg-Vorpommern – weil sie nicht deutsch aussahen. Titel der extra für die Ausstellung gefertigten Arbeit: Kein schöner Land.

Auf nationalsozialistisch anmutenden Fahnen listete der Künstler 1991 die Deutsche Industrie im Irak, von AEG bis Thyssen. Und das hat damals auf dem Münchner Königsplatz sicher noch stärker gewirkt als jetzt in den Hamburger Deichtorhallen.