Das plastische Werk eines Malers

Von Jochen Stöckmann |
Der Däne Asger Jorn (1914 - 1973) gehört zu den bedeutendsten Repräsentanten der skandinavischen Kunst im 20. Jahrhundert. Jorn ist vor allem mit seinen Bildern in internationalen Sammlungen und Museen vertreten. Sein plastisches Œuvre ist hingegen bislang weniger bekannt. Die Ausstellung "Asger Jorn in Italien" in Emden verspricht Abhilfe.
Breites Fischmaul und spitzer Geierschnabel, züngelnder Schlangenkopf und hohläugiger Totenschädel, unter diesem in sich verdrehten Doppel- und Dreifachkopf eine vielarmige Gestalt, die sich aus dem Boden hervorzuringeln scheint, trotz ihres massiven, ja gedrungenen Körpers. Die irritierend schönen Monstren sind entstanden, als sich der Däne Asger Jorn Mitte der Fünfziger der Keramik zuwandte. Einem Stoff, aus dem damals die spießigen Träume vom trauten Heim waren - und genau dagegen richtete sich Jorns Kunst unter der Devise "Schönheit muss nicht gefällig sein". So sieht es Nils Ohlsen, wissenschaftlicher Leiter der Emder Kunsthalle:

"Jorn provoziert geradezu, dass auch der Betrachter das Bild vollenden kann. Diese Keramiken sind weiß Gott nicht irgendwelche Blumenvasen, wo irgendwie ein Gesicht draufgetupft wird, sondern das ist Materie die implodiert, die explodiert, die aufgerissen wird, die durchlöchert wird, die uns trotzdem irgendwie wieder Geschichten erzählt von nordischen Trollen und Fabelwesen."

In der expressiven Gestaltung der Skulpturen, beim spontanen Knautschen und Kneten des Materials spielt vordergründig Humor eine Rolle, auch der Spaß an kräftigen Farben. Eine Reliefplatte etwa zeigt ein graues Gesicht mit Schrunden und Schraffuren, aus dem dann aber ein blaugraues Auge hervorschimmert. Dominierend aber sind drei, vier blutrote Flecken, Wundmale vielleicht.

Und dann die Augen: Mal blinkende Sterne, dann leere Höhlen, regelrecht ausgestochen und schwarz schillernd ausgemalt. Da geht es um die nackte Angst, um das Signum einer ganzen Epoche, die Atmosphäre der Zeit direkt nach dem Weltkrieg, als Asger Jorn fast wie ein Flüchtling, materiell ungesichert, nach Parisaufenthalt und schwerer Tuberkulosekrankeit in Italien landete.

"Mit seiner damals wirklich bettelarmen Familie kommt er in dieses winzige, traditionelle Keramikstädtchen Albisola, an der ligurischen Küste - und stößt da auf ein Medium, in ein Fluidum, als hätten die auf ihn gewartet. Lucio Fontana stellt ihm sein Atelier zur Verfügung, es gibt diese reiche Tradition einer Familie Mazotti , die quasi schon darauf eingestellt ist, dass Leute kommen, die nicht unbedingt nur Aschenbecher und Schüsseln drehen wollen."

Die aber auch nicht in einer weltfernen Künstlerkolonie leben wollen. Vom engen Kontakt mit den "Einheimischen" zeugt etwa Jorns eigenwillige Porträtskulptur des Bürgermeisters von Albisola: Ein Stuhl mit knallroter Rückenlehne, auf der ein langer brauner Tonstreifen als Nase klebt, daneben zwei schwarze Löcher als Augen. Der dänische Gast zeigte sich als Liebhaber der Weiberfastnacht, bei der die Frauen auf Steckenpferdchen durch die Gassen ritten. Und auch als Künstler kaprizierte sich Jorn auf ein "volkstümliches" Genre, gab ihm aber ganz neue Facetten:

"Sei es eben Teppichweberei oder Keramik: diese Dinge, die immer auch ein bisschen stiefmütterlich betrachtet werden, die hat er gerade hervorgezerrt. Und gezeigt, dass damit auch moderne, abstrakte und expressive Kunst zu machen ist."

Allerdings überließ sich der Schüler von Fernand Léger nicht allein den Emotionen, seine eher rationale Seite brachte den Kunstaktivisten sogar dazu, sich bei Max Bill an der Ulmer Hochschule für Gestaltung , dem "Neuen Bauhaus", zu bewerben:

"Ich denke, Jorn hat schon geahnt, dass er da nicht unbedingt zu den auserwählten Professoren gehört. Aber er hat einfach mal gesagt: 'Hier, ich habe im Grunde die gleiche Idee wie ihr!' Nämlich Kunst für die gesamte Gesellschaft zu machen und nicht isoliert zu sehen. Er hat im Grunde eine Absage provoziert - und sich dann wahrscheinlich die Hände gerieben, weil er dann eben das 'Gegen-Bauhaus' gründen konnte."

Wobei "Gründung" nicht gar so ernst zu nehmen ist: Gerade die Keramikarbeiten entstanden ganz ohne institutionelle Zusammenhänge, mussten daher für die Emder Ausstellung von zahlreichen privaten Leihgeber zusammengeholt werden. Gerade dieser Umstand und der enge Arbeitszusammenhang mit engen Künstlerfreunden der kurzlebigen COBRA-Gruppe macht die Skulpturen und Reliefs aus Albisola zu subjektiv überformten Aus- und "Abdrücke" einer Epoche:

"Die ganzen Leute der COBRA, Leute der späteren Internationalen Situationisten, die damals an vorderster Front für die Avantgarde kämpfen, treffen sich dort. Also, man kann sich das nur in den grellsten Farben vorstellen, was dort wirklich dann freigesetzt wurde an Energie."

Ein Riesenrelief, drei Meter hoch und 27 Meter breit, bearbeitete Asger Jorn ganz energisch: er fuhr mit dem Motorroller hindurch, ließ seinen Hund über das Kunstwerk tapsen.

"Er sieht das nicht als Ausdrucksweise für irgendwelche abstrakten Dinge, sondern er hat immer in seinem Leben sich einfach genau die Materialien genommen und damit gearbeitet, wie er es gerade für nötig gefunden hat. Es gibt Teppiche, es gibt Theatermasken, es gibt Gedichte - es gibt auch Forschungsprojekte zur Wikingerkunst zum Beispiel."

Asger Jorn, der Wissenschaftler. Das war kein Widerspruch zu seiner künstlerischen Arbeit, in der es um die Erkundung und Erweiterung der Grenzen menschlicher Vorstellungskraft ging. Und den Anfang machte man da idealerweise mit dem Aufsprengen festgefügter, kanonischer Genrezuschreibungen:

"Wenn man jetzt hier bei uns in der Ausstellung sieht, dass große Reliefs neben Gemälden hängen - wir haben ja das Glück, die meisten Gemälde von ihm in Deutschland zu besitzen - dann sieht man: Es gibt da keine Grenze. Das Bild wird zum Teil schon fast zum Relief, die Farbe ist richtig dick drauf, er arbeitet da mit den Fingern. Und direkt daneben hängt ein Relief, da ist es fast wieder andersrum: Da wird die Keramik in gewisser Weise zum Bild, und da wird genauso mit Händen gearbeitet, mit Stöcken und wie auch immer."

So gewaltig sich das anhört, so zierlich und durchdacht sind in Emden die Entwürfe für diese Keramikarbeiten anschauen: Meist fertigte Jorn Bozetti an, dreidimensionale Skizzen aus Ton, die nun ebenfalls in Vitrinen ausgestellt werden - und zum Vergleich anregen. Auch den Bogen schlagen zum Ende dieser einmaligen Künstlerbiographie: Einige der kleinen Tongestalten nämlich sind in Marmor ausgeführt - und auch für diese Volte hat Kurator Nils Ohlsen eine Erklärung:

"Er, der ja nun wirklich immer gegen das Klassische und Abgehangene und Etablierte war, beschließt nach Carrara zu gehen und in Marmor zu arbeiten. Offenbar hat er irgendwie gegen Ende seines Lebens gedacht: Mensch, ich muss das jetzt auch noch mal ausprobieren."


Service:
Die Ausstellung "Asger Jorn in Italien" ist bis zum 14. Oktober in der Kunsthalle Emden zu sehen.