Das philosophische Bestiarium

Der Maulwurf – Hoffnung in finsteren Zeiten

Illustration eines Maulwurfs, der sich durch die Erde gräbt.
Ein Blindgänger, aber ein beharrlicher Wühler: der Maulwurf. © Nora Haakh
Von Johanna Tirnthal · 12.08.2018
Von Kant verspottet, erfährt der Maulwurf bei Hegel eine erste Würdigung. Von Marx wird er dann endgültig zum Helden der Geschichte erklärt. Weil er beharrlich wühlt und sich seine Wege durch die Finsternis gräbt. Vergeblich, aber mit Zuversicht.
Der kleine Maulwurf ist flauschig und fast blind. Alles andere als eine Bestie. Noch dazu verbringt er sein ganzes Leben unter Tage. Fast könnte man ihn also bemitleiden, wie er Schaufel um Schaufel endlose Gänge durchs dunkle Erdreich gräbt – wären da nicht seine unansehnlichen Hinterlassenschaften über Tage und vor allem das Problem der Fundamente, wie schon Immanuel Kant in der "Kritik der reinen Vernunft" moniert:
"Beschäftigen wir uns jetzt mit einer nicht so glänzenden, aber doch auch nicht verdienstlosen Arbeit, nämlich: den Boden eben und baufest zu machen, in welchem sich allerlei Maulwurfsgänge einer vergeblich, aber mit guter Zuversicht, auf Schätze grabenden Vernunft vorfinden, und die jenes Bauwerk unsicher machen."
Ein Maulwurf gräbt sich durch die Erde.
Der Maulwurf bereitet den Boden für Veränderungen.© picture alliance/Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB
Vom großen Aufklärer Kant derart verspottet und zu ewig geistiger Finsternis verdammt, bleibt dem Maulwurf nichts übrig, als den großen Vernunft-Gebäuden unter der Sonne zu spotten. Baut ihr nur auf unsicherem Boden, denkt er sich und gräbt weiter nach einem Schatz, den er nicht kennt – vergeblich, aber mit guter Zuversicht.

Der Geist gräbt unter der Erde fort

Es soll nur fünfzig Jahre dauern, da sieht Hegel im Maulwurf alles andere als einen Blindgänger der Vernunft. Nein, ist der Idealist überzeugt: Der Fortschritt kann auf den Maulwurf im Untergrund nicht verzichten. Denn über Tage kann nur umgewälzt werden, was auch unter Tage aufgemischt wird.
"Bisweilen erscheint der Geist nicht offenbar, sondern treibt sich, wie der Franzose sagt 'sous terre' herum. Hamlet sagt vom Geiste, der ihn bald hier- und bald dorthin ruft: 'Du bist ein wackerer Maulwurf', denn der Geist gräbt unter der Erde fort und vollendet sein Werk."
So heißt es in Hegels "Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte". So viel hegelsche Dialektik lässt sich das kleine Wühltier gern gefallen, und nun doch ordentlich charmiert, gräbt er weiter nach dem Schatz – vergeblich, aber mit guter Zuversicht.
Doch es wird noch besser. Diesmal sollen nur 30 Jahre ins Land ziehen, bis das wühlende Kerlchen vollends zum Helden der Geschichte erklärt wird. Im Reich der Dunkelheit soll er nicht zu Ende bringen, was im Reich des Lichts bereits erkannt und angestoßen. Nein, da ist sich diesmal Karl Marx sicher, es ist das kleine Wühltier selbst, das den Boden für die Revolution bereitet:
"Aber die Revolution ist gründlich", heißt es im 18. Brumaire. "Sie ist noch auf der Reise durch das Fegefeuer begriffen. Sie vollbringt ihr Geschäft mit Methode. Bis zum 2. Dezember 1851 hatte sie die eine Hälfte ihrer Vorbereitung absolviert, sie absolviert jetzt die andere. [...] Und wenn sie diese zweite Hälfte ihrer Vorarbeit vollbracht hat, wird Europa von seinem Sitze aufspringen und jubeln: Brav gewühlt, alter Maulwurf!"
Ich wühle mit Methode? Welche Methode, fragt sich der fast blinde Maulwurf da bei sich und ein bisschen mulmig ist dem kleinen Kerl nun schon – die ganze Last der Revolution, des Fortschritts auf einmal allein in seinen Schaufeln? Doch er gräbt weiter seine Wege durch die Finsternis. Denn was soll er auch tun, dort unten, außer graben – vergeblich, aber mit guter Zuversicht.

Er gräbt nach einem Schatz, den er nicht kennt

Die Revolution ist ausgeblieben. Das weiß auch der alte Maulwurf. Doch auch jetzt gräbt er weiter nach einem Schatz, den er selbst nicht kennt. Denn er weiß, dass auf das Unerwartete nur stößt, wer seine Möglichkeit bewahrt. Denn wenn der Maulwurf eins verkörpert, dann das Prinzip Hoffnung, auch in Zeiten in der Finsternis. Also gräbt er weiter, noch immer vergeblich, aber mit guter Zuversicht.
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