Das Pessachfest

Von Evelyn Bartolmai · 26.03.2010
Der Sederabend, das große Festmahl, mit dem das Pessachfest beginnt, wird in jeder Familie mit der Frage des jüngsten Kindes in der Runde eröffnet, was diese Nacht von allen anderen unterscheidet. Es ist ein Ritual, und die Antworten stehen seit Jahrhunderten fest. Wenn man die Frage jedoch ein ganz klein wenig verändert und wissen will, was dieses Pessachfest von den vorangegangenen unterscheidet, dann kommt man zumindest in Israel zu höchst interessanten Einsichten.
Jahr für Jahr ist Pessach die Zeit, in der sich Arbeitgeber mehr oder weniger großzügig zeigen und ihre Angestellten mit den unterschiedlichsten Geschenken bedenken. Die Palette der Einfälle, mit denen man seine Mitarbeiter überrascht, ist ziemlich groß. Nicht unbedingt bei Beschenkten, aber bei Bossen und Buchhaltern sehr beliebt sind die routinemäßig im Supermarkt gepackten "Fresspakete”, in denen vorzugsweise kurz vor dem Verfallsdatum stehende Kekse und Süßigkeiten versteckt werden.

Auch zum Großhandelspreis erworbene Restposten an Fußbadewannen, schrill bemalten Blumenvasen und ähnlich nutzlose Dinge sollen bei israelischen Arbeitnehmern Dankbarkeit und Festtagsstimmung auslösen. Und wem als Chef so gar nichts mehr einfällt, der greift zu den sogenannten tlushim - Gutscheinen, mit denen die Leute sich immerhin allein aussuchen können, was sie zu Pessach gerne hätten.

Aber selbst diese Freude ist nicht ungetrübt, denn meist liegt die reale Kaufkraft eines solchen Gutscheins zehn Prozent unter dem aufgedruckten Wert.

Umso erfreulicher ist daher ein Trend, der sich zwar noch in seinen Anfängen befindet, aber immerhin schon von einigen großen Unternehmen wie Clal Industries, Teva, First International Bank und Netvision praktiziert wird. Denn anstatt irgendetwas billig im Zehnerpack und Ausverkauf zu erstehen, haben sich diese Firmen für sozial verantwortungsbewusste oder gar ökologische Geschenke für ihre Mitarbeiter zu Pessach entschieden. ‘Sozial verantwortungsbewusst’ heißt, nicht Billigimporte aus Fernost, sondern in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen oder sozial gefährdete Jugendliche einzukaufen.

Vor drei Jahren entstanden im Rahmen der Initiative Nekudat Mifneh - das heißt ‘Wendepunkt’ - mehrere Projekte unter anderem in Tel Aviv, Jerusalem und Beer Sheva, in denen sozial gefährdete Jugendliche und Erwachsene mit Behinderungen arbeiten können. In einem Jerusalemer Künstlerstudio beispielsweise stellen 17- und 18-jährige Jungen Halsketten aus Glas- und Holzperlen her, eine andere Gruppe produziert die beliebten Jerusalemer Kerzen, die durchweg Unikate und nicht nur in Israel sehr beliebt sind. Eine weitere Werkstatt dieser Initiative besteht im sozial schwachen Tel Aviver Stadtteil Hatikva, dort fertigen vor allem junge Mädchen textile Judaika, die unter anderem vom israelischen Außenministerium für die Botschaften in aller Welt gekauft werden.

Das Besondere all dieser Produkte ist nicht nur, dass sie in Handarbeit und unter künstlerischer Anleitung entstehen und oft auch in selbst hergestellten hübschen Verpackungen auf die Reise gehen, sondern sie bieten den Produzenten, egal ob gefährdete Jugendliche oder Erwachsene mit Behinderungen, die leider auch in Israel so gut wie keine Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt haben, dennoch eine Beschäftigung und mithin ein Einkommen.

Mehr als 2 Milliarden Shekel, das sind immerhin rund 400 Millionen Euro, lassen sich israelische Arbeitgeber inzwischen die Festtagsgeschenke an ihre Angestellten kosten. Und wenn ein zunehmend wachsender Teil dieses Geldes an Menschen geht, die nicht auf der Sonnenseite der Gesellschaft stehen, dann wird damit zugleich auch ein wichtiges Gebot erfüllt, das nicht nur zu Pessach gilt, nämlich diejenigen, die es sich aus eigener Kraft nicht leisten können, an Freude und Wohlstand teilhaben zu lassen.