"Das Parlament will eine einheitliche europäische Aufsicht"

Sven Giegold im Gespräch mit Dieter Kassel · 24.07.2012
Dass die nationalen Bankaufsichten immer wieder zu enge Partnerschaften mit ihren Banken eingegangen seien, gehe jetzt zum Schaden der Steuerzahler aus, sagt Sven Giegold, EU-Parlamentarier für die Grünen. Er spricht sich für eine europäische Bankenaufsicht aus.
Dieter Kassel: Wenn es darum geht, mit Steuergeldern marode Banken zu retten, dann arbeiten die europäischen Geldinstitute in der Regel gerne mit der EU zusammen - in anderen Fällen weniger. Deshalb soll eine gemeinsame europäische Bankenaufsicht bald einschreiten, bevor die Banken Milliarden brauchen. Unsere Brüssel-Korrespondentin Annette Riedel berichtet über Pläne, die - wie man zugeben muss - nicht so ganz neu sind.

Radiofeuilleton Thema, Deutschlandradio Kultur (MP3-Audio) Annette Riedel über bereits bestehende Einrichtungen zur Kontrolle von Banken und Finanzwirtschaft und die geplante neue europäische Bankenaufsicht. Am Telefon begrüße ich jetzt Sven Giegold. Er sitzt für Bündnis 90/die Grünen im Europäischen Parlament und ist finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Guten Morgen, Herr Giegold!

Sven Giegold: Ja, guten Morgen, Herr Kassel!

Kassel: Wenn wir jetzt schon drei oder sogar vier Einrichtungen auf EU-Ebene haben, die die Finanzwirtschaft kontrollieren, wozu brauchen wir dann noch eine fünfte?

Giegold: Tja, das ist wirklich eine gute Frage. Darum kann es meiner Meinung nach nicht gehen. Zum einen, die Aufteilung dieser Finanzaufsicht auf drei verschiedene Behörden plus den Systemrisikorat war ja schon wieder ein Kompromiss zwischen den Mitgliedsländern, denn Frau Riedel in ihrem Beitrag ließ weg, dass die auch noch in drei verschiedenen Städten sitzen, nämlich Frankfurt, Paris und London. Und das ist sicher nicht effektiv, sondern jetzt geht es darum, eine einheitlichere Struktur zu schaffen und nicht eine weitere noch hinzuzufügen.

Zumindest muss die Bankenaufsichtskompetenz, liegt ja im Moment nach wie vor bei den Nationalstaaten, die europäische Bankenaufsicht ist lediglich das Dach dafür. Und jetzt geht es darum, dass die eigentliche Kompetenz, also auch die Entscheidungsgewalt im Normalfall beim Dach liegt und nicht mehr bei den nationalen Behörden. Und das ist sinnvoll, weil die nationalen Behörden immer wieder in zu enge Partnerschaft mit ihren Banken gegangen sind, statt die zu kontrollieren, um den eigenen Finanzstandort gegenüber anderen Finanzplätzen in Europa zu stärken. Und dieser falsche Wettbewerb bei der Aufsicht geht jetzt zum Schaden der Steuerzahler aus, und auch zum Schaden der Währungsstabilität.

Kassel: Was wären denn - eine haben Sie jetzt indirekt schon genannt, aber auch noch darüber hinaus - was wären denn in Ihren Augen die absoluten Mindestanforderungen an eine europäische Bankenaufsicht?

Giegold: Die zentrale Frage ist ja immer die: Macht eine Bank zu risikoreiche Geschäfte im Vergleich zu dem Eigenkapital, über das sie verfügt? Das ist die zentrale Frage der Bankenaufsicht. Und in diesem Bereich haben die nationalen Aufseher immer wieder beide Hühneraugen zugedrückt und den Banken zu risikoreiche Geschäfte erlaubt in der Hoffnung, dass, wenn es schief geht, im Zweifelsfall doch in irgendeiner Form die EU als Ganzes oder zumindest die Eurozone geradesteht.

Und dieses System muss aufgelöst werden, die Anforderungen an die nationalen Banken und auch an die grenzüberschreitenden, sobald sie eine gewisse Größe jeweils erreicht haben, müssen ganz klar auf der europäischen Ebene liegen, um einheitliche Aufsichtsregelungen durchzusetzen.

Kassel: Das heißt aber dann zum Beispiel auch konkret, dass eine Behörde, die dann in Frankfurt oder wo auch immer sitzt, auch spanische oder irische Banken im Zweifelsfall schließen darf?

Giegold: Genau, das ist die Folge, das bedeutet, im Zweifelsfall muss auch die Kompetenz zur Schließung einer Bank auf der europäischen Ebene liegen. Und das heißt natürlich auch, dass hier ein Problem auftritt, denn wenn eine Bank geschlossen wird, führt das häufig zu Kosten für die jeweiligen Steuerzahler, und so kommt es dann - so käme es dann zu einer Struktur, dass die europäische Ebene eine Entscheidung trifft, für die dann die nationale Ebene haften muss, und deshalb muss man parallel die Möglichkeit, das solche Kosten überwälzt werden, ausschließen. Daher der Vorschlag, dass dann auch die Finanzierung von Bankenabwicklung auf der europäischen Ebene liegen müssen, zum Beispiel durch einen europäischen gemeinsamen Bankenrestrukturierungsfonds, finanziert durch Bankenabgaben, sodass nicht mehr der Steuerzahler, sondern der Finanzsektor selbst für seine Schäden haften muss.

Kassel: Damit haben Sie eines der Gegenargumente von Elke König, der Chefin der deutschen Bankenaufsicht bafin schon entkräftet, die hat nämlich schon gesagt, sie will nicht, dass deutsche Steuerzahler für Entscheidungen anderer haften, die hat aber auch gesagt, sie glaubt - in einem aktuellen "Spiegel"-Interview hat sie das gerade gesagt - sie glaubt nicht, dass eine europäische Bankenaufsicht ihre Einrichtung zum Beispiel ersetzen kann, weil sie nicht glaubt, dass irgendjemand, der irgendwo in Europa sitzt, zum Beispiel die deutschen Banken so gut kennt wie sie.

Giegold: Ja, also es gilt natürlich immer, wer einen Sumpf trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen. Also die nationalen Aufseher haben natürlich kein Interesse an dieser europäischen Struktur, sie möchten weiterhin das Heft in der Hand behalten. Und gerade die deutsche Aufsicht hat sich ja nicht mit Ruhm bekleckert in der Finanzkrise, und davor noch weniger, man schaue nur auf die risikoreichen Geschäfte der Landesbanken HE und so weiter. Die deutsche Struktur hat sich wirklich nicht besonders als ruhmreich erwiesen.

Was aber richtig ist, ist - und das kann ich verstehen -, wenn man sagt, die Steuerzahler sollen nicht in Haftung genommen werden, und Fonds bildet, in die die Banken einzahlen, sei es die Einlagensicherung, sei es ein Restrukturierungsfonds, dann stellt sich dort natürlich die gleiche Frage: Sollen die Einlagensicherungsbeiträge, zum Beispiel der Sparkassen, oder der Deutschen Genossenschaftsbanken, risikoreiche Geschäfte von Investmentbanken in - sagen wir mal - London oder Frankreich finanzieren? Und das kann ich verstehen, dass die entsprechenden Banken sagen, das wollen sie nicht.

Und deshalb muss man sich auch ansehen, ob man wirklich einen einheitlichen europäischen Fonds schafft, oder ob man für verschiedene Bankentypen unterschiedliche Fonds schafft, sodass eben nicht etwa das risikoreiche Investmentbanking durch Geschäftskundengeschäfte und Banken, die die vor allem betreiben, finanziert werden. Das ist genau eines der zentralen Punkte, die bei der Europäisierung beachtet werden müssen.

Kassel: Jetzt haben Sie gerade London erwähnt, im Moment auch noch der Sitz der EBA, also der European Banking Authority. Großbritannien ist natürlich nicht in der Eurozone, wäre es für Sie zwingend, dass die europäische Bankenaufsicht Banken in allen 27 Mitgliedsländern beaufsichtigt, oder reicht es, wenn sie für die Eurozone zuständig ist?

Giegold: Die ganze Sache ist leider wirklich kompliziert, denn der Rat hat sich ja festgelegt, er möchte - also der Rat der Mitgliedsländer - er möchte diese Kompetenz der gemeinsamen Bankenaufsicht der EZB übertragen. Wenn man das macht, braucht man aber nach den europäischen Verträgen Einstimmigkeit. Das ist - diese Einstimmigkeit ist aber kaum zu erzielen, weil Großbritannien vermutlich mit einer solchen Abgabe von Souveränität nicht einverstanden sein wird. Es wird vielleicht einverstanden sein, dass das nur für die Banken der Eurozone gilt, dann ist aber die Frage, welche Kompetenzen bei der EBA in London verbleiben.

Denkbar wäre, dass die Aufsichtsfunktion - also die tägliche Aufsichtsfunktion für die Eurozone - bei der EZB bleibt, aber die gemeinsamen Regeln weiter für die 27 gelten. Das heißt also, die Regeln müssen weiter für den gesamten Binnenmarkt gelten, aber die eigentliche Macht über die einzelnen Banken würde dann nur für die Eurozone bei der Europäischen Zentralbank liegen.

Kassel: Nun haben wir ja schon gehört, dass es drei, je nach Zählweise vier Einrichtungen schon gibt, die eigentlich kontrollieren sollen, die aber aus genannten Gründen eher zahnlose Tiger sind. Warum - die Krise ist ja nicht neu - warum gibt es eigentlich bisher keine wirklich funktionierende europäische Bankenaufsicht?

Giegold: Ja, ich war ja Berichterstatter damals für die Börsen- und Wertpapieraufsichtsbehörde, und wir hatten da direkt nach der Krise einen sehr langen Konflikt mit dem Rat, zwischen Parlament und Rat, das wurde ja im Beitrag auch erwähnt, und das Parlament will eine einheitliche europäische Aufsicht. Und wir konnten das nicht bekommen, weil die Nationalstaaten nach wie vor keine Kompetenzen in diesem Bereich abgeben würden, zum Schaden ihrer eigenen Steuerzahler, die nämlich jetzt die Kosten dieses Unvermögens bezahlen, wie wir in Spanien derzeit sehen können.

Und dieser, das ist ein ganz typischer Konflikt, nur es ist ja erfreulich, dass zumindest die Staatschefs der Eurozone das jetzt verstanden haben. Hätten sie damals unsere Vorschläge unterstützt, dann hätten wir die Bankenunion jetzt längst. Das war übrigens parteiübergreifend Konsens, alle proeuropäischen Parteien in Europa waren im Europaparlament für diesen Vorschlag.

Kassel: Glauben Sie - kurz zum Schluss - ernsthaft daran, dass - am 12. September sollen ja erste Sachen präsentiert werden - dass eine europäische Bankenaufsicht, so wie Sie sie sich vorstellen, sehr bald kommt?

Giegold: Also Europa ist immer Kompromiss. Niemand bekommt alles genau so, wie er sich das vorstellt. Und klar ist aber auch, dass noch etliches Wasser den Rhein herunterfließen wird, bis das beschlossen ist, denn die juristischen Fragen sind kompliziert und auch die haftungstechnischen. Wir haben aber nicht viel Zeit, insofern hoffe ich, dass der Rat bereit ist, hier wirklich einen großen Schritt zu gehen. Er hätte das alles vor drei Jahren schon haben können, insofern ist aber auch vieles schon entwickelt, und darauf können wir jetzt zurückgreifen. Insofern hoffe ich, dass bald wir europäische Kontrolle über die europäischen Banken haben, und nicht mehr die Steuerzahler die Scherben schlecht funktionierender Finanzaufsicht aufkehren müssen.

Kassel: Sagt Sven Giegold. Er sitzt für Bündnis 90/die Grünen im Europäischen Parlament. Herr Giegold, ich danke Ihnen sehr!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Was denken Sie: Brauchen wir diese weitere zentrale Finanzbehörde?
Sagen Sie uns auf Facebook Ihre Meinung!
Mehr zum Thema