"Das Opernhaus lebt wie ein Mensch"

Von Elke Pressler · 04.11.2013
Seit dieser Spielzeit ist der Japaner Ryusuke Numajiri Generalmusikdirektor am Theater Lübeck. Doch ein Neuanfang sieht anders aus. Eher hält es der neue Chef mit dem Wahlspruch "Keine Experimente". Denn neue japanische Töne in Lübeck, das wäre ein "bisschen zu einfach", findet Numajiri.
"Ich gucke ins Wörterbuch, und dann stoppen wir. Dann weiter, weil sonst immer, immer Loch."

Er spielt mit der Sprache:

"Marzipan. Niederegger. Hansestadt ."

Er kokettiert mit seinem ach so mangelhaften Sprachvermögen:

"Asiatische Iden-ti-tät?" (lacht)

Er gibt den Unsicheren, Ahnungslosen – und hat es doch faustdick hinter den Ohren: der bald 50-jährige, japanische Dirigent Ryusuke Numajiri, eben gerade aus Tokio eingetroffen und seit dieser Spielzeit frischgebackener Generalmusikdirektor am Theater Lübeck.

"Das Opernhaus lebt wie ein Mensch, es hat viele Funktionen: Schauspiel, Oper, Konzert und Kinderprogramm, und ein wichtiger Teil ist, neue Künstler wachsen zu lassen. Und als Chef kann ich mit meinen Kollegen zusammen träumen. Die Bühne ist ein Traum. Und wir träumen zusammen. Das ist sehr schön für mich."

Die Saison läuft bereits seit August, und die erste große Neuproduktion des Hauses, Giuseppe Verdis "Don Carlo", steht - unter seiner Leitung - kurz bevor. Immerhin ist es sein Einstand als neuer Chef, nach zwei Monaten endlich – doch Ryusuke Numajiri sieht keinen Grund zur Eile oder zu künstlerischer Besorgnis.

"Ja, drei Wochen ist bisschen kurz - aber für mich genug."

Selbstbewusst – oder kokett ?

"Ich sage nur wichtige Sachen",

mischt der weltweit gefragte Gastdirigent das Theater in der norddeutschen Provinz auf.
"Meine Agentur kontrolliert alles, ja."

Denn eigentlich sollte ein musikalischer Chef alle Tage vor Ort, in seinem Hause, sein!

"Ja, ich muss als Lübecker hier wohnen. Hier gibt es ein Foto an der Wand von Furtwängler in diesem Zimmer; er war auch so."

Eben! Lübeck: ein traditionsbewusstes Haus, mit Namen höchst illustrer Vorgänger!

"Dieses Jahr bisschen wenig, weil ich habe schon viele andere Engagements; nächstes Jahr mehr und übernächstes Jahr kann ich immer hier bleiben."

Seine Hände sind klein. Sein Händedruck ist sehr weich, beinahe schlapp, ängstlich. In der Probe jedoch blüht Ryusuke Numajiri auf. Er dirigiert, als sei es eine Festvorstellung – zupackend, temperamentvoll, mit mitreißenden, umarmenden Großbewegungen. Der schwarze Haarschopf fliegt entfesselt vor und zurück.

"Das erste Treffen mit dem Orchester war sehr schön. Ich selbst fall in love."

"Ich weiß nicht, wie das Orchester denkt zuerst, aber ich habe gedacht: Das ist mein Platz. Ich soll hier kommen."

"Er musiziert sehr lebendig",

sagt Jakob Meyers, Fagottist und seit 13 Jahren im Lübecker Orchester.

"Er hat sehr viel Schwung, wir sind ja ganz am Anfang erst, die ersten Proben sind sehr effektiv – ja, wir sind guter Dinge, wir freuen uns!"

"In Japan habe ich Schwierigkeit. Weil ich spreche Japanisch. Alle verstehen Japanisch!"
"In Deutschland ich kann nicht alles auf Deutsch erklären, deswegen probiere ich immer mit den Händen, manchmal funktioniert das besser. Das ist sehr schwer zu erklären, warum, aber es ist so."

"Herr Brogli-Sacher …"

- der Schweizer Vorgänger -
"… hat viel Wagner und Strauss hier gemacht."

"Deswegen das Orchester spielt diese Sachen sehr gut. Ich möchte zu diesem Orchester mehr Flexibilität: Wenn ich dirigiere, dann sofort Reaktion! Wenn das dazu, dann wird das Orchester fast perfekt."

Allein oder einsam fühlt sich der Japaner Ryusuke Numajiri in der Fremde nicht – im Gegenteil. Er vermisst keine japanische Tradition, keine japanische Musik.
"Von Takemitsu gibt es viele japanische Stücke, aber Niveau ist nicht ganz hoch, leider. Er kann gut auf Landsleute verzichten."

"Japaner möchten nicht immer zusammen, und Japaner kocht japanisches Essen selbst zu Hause. (lacht) Ich koche selbst. Ist komisch?"

Eine Familie hat er nicht.

"Keine Kinder; ich habe eine Frau."

Und er huldigt auch nicht der japanischen Kunst des Augenblicks. Eigentlich ist er kaum zu greifen.

"Kunst ist für mich, zu leben, ja. In Lübeck, Hamburg, Tokio – überall."

Hauptsache wohl: Es erklingt Musik - eine Sprache, die er formen und gestalten kann: als Pianist und als Dirigent. Von Fragen der Mentalität, der Identität, vom Dirigieren als Psychologie hält er wenig.

"Wenn das nicht klappt, wir sagen Sayonara (lacht), aber ich hoffe, dass es klappt. Fünf Jahre mit einem Orchester ist nicht so lang. Fünf Jahre verstehen einander gut, und dann weitere fünf Jahre mehr entwickeln."


Mehr Infos im Web: Theater Lübeck