Das Office schließt nie

19.03.2012
Bürokraten, jene gedrillten Kleinbürger von einst, gibt es nicht mehr, meint Christoph Bartmann. Nach äußerer Erwartung und eigenem Selbstverständnis fühle sich ein Angestellter heute vielmehr als Manager.
Büro, Bank, die Welt der Angestellten und Manager – in der Belletristik ist das schon länger ein Thema, seit der Pleite von Lehman Brothers 2008 nun auch verstärkt im Sachbuch. Es schreiben dort Betroffene, die Entscheider, die plötzlich Abstand gewinnen zu ihrer Welt, weil ein Burnout sie hinausschleudert oder ihnen plötzlich ihr Büroalltag so fremd vorkommt wie ein PC ohne Strom.

Ein solcher Renegat ist Christoph Bartmann, seit über 20 Jahren Angestellter im Öffentlichen Dienst. Derzeit leitet er in der Münchner Zentrale des Goethe-Instituts die Abteilung "Kultur und Information". Er legt nun eine Art Anthropologie des modernen Büromenschen vor.

"Leben im Büro – die schöne neue Welt der Angestellten", schon der Titel seines Buches deutet eine umfassende Negativ-Utopie an. Betonte Siegfried Kracauer in seinem soziologischen Klassiker "Die Angestellten" von 1930 die Trennung von Arbeits-und Freizeitsphäre als charakteristisch für dieselben, so dreht Bartmann den Spieß um: Er entwirft das Bild eines Büros von heute, in dem keine Trennung mehr möglich ist, weil der Angestellte die umfassende Vereinnahmung durch das Büro verinnerlicht hat. Das moderne Büro sei infolge von "tonlos eingewöhnten sozialen Verwerfungen" (Habermas) überall, so seine These. "Office", das Computerprogramm von Microsoft, gilt Bartmann als Symbol dieser Entwicklung; amerikanische Management-Theorien sieht er als deren Auslöser.

Bürokraten, so Bartmann, jene uniformierten, erstarrten, gedrillten Kleinbürger von einst, gebe es nicht mehr. Nach äußerer Erwartung und eigenem Selbstverständnis fühle sich ein Angestellter heute vielmehr als Manager. Tatsächlich sei er das auch. Bartmann bezeichnet diesen neuen Typus von Angestellten als "Virtuosen des Selbstmanagements, flexibel und hochmotiviert", er sei ein "freiwilliger Selbstoptimierer" – das Produkt einer Welt, in der "IT-getriebenes und unterfüttertes Business" nicht mehr nur ein Sektor, sondern Motor gesellschaftlicher Entwicklung sei.

Der Autor macht seine Beobachtungen an Beispielen aus dem Alltag und am Sprachgebrauch fest. Das Büro wird zum Office, der PC-User checkt seine Emails. Statt Anweisungen vom Chef zu befolgen, richtet sich der Angestellte nach einer "Zielvereinbarung"; statt zu kritisieren wird "Support" angeboten. "Neomanagerial" nennt der promovierte Germanist diesen Sprachgebrauch, der, aus Betriebswirtschaft und IT-Branche erwachsen, sich in allen Alltagsbereichen ausbreite – und dafür sorge, dass "Office" nie geschlossen wird.

Wie Bartmann die umfassende Ausrichtung eigenen Handelns an Effizienz und Funktionalität allein durch Sprachkritik überzeugend darstellt, ist eine große Stärke seines Buches. Auch wie er in seiner Analyse E-Kultur (Max und Alfred Weber, Eva Illouz, Foucault u.a.m.) mit U-Kultur verbindet (Stromberg, Miriam Meckel, Jacques Tati). Das ist anschaulich, humorvoll und klug.

Problematisch ist allerdings, dass Bartmann Begriffe wie Bürokratismus nicht eindeutig definiert - und sie daher unscharf bleiben. Auch wechselt bei ihm die Bedeutung des zentralen Begriffes "Büromensch": Mal sind Festangestellte gemeint, mal "White-collar workers" generell.

Bartmann beklagt die Enteignung der Arbeitswelt derer, die sie eigentlich gestalten sollten. Er selbst gibt zu, viel zu viel Zeit mit Sitzungen, Strategie-Meetings, Evaluierungsgesprächen verbringen zu müssen, Sekundärtätigkeiten, die ihn von seiner eigentlichen Arbeit abhalten. Seine Kritik läuft auf eine Rehabilitierung des alten Bürokratie-Begriffes hinaus: Er wünscht sich Institutionen, in denen nicht ständig evaluiert wird, sondern die sich ihr eigenes Urteilsvermögen bewahren, Behörden, in denen Effizienz und Rationalität ein Paar bilden, die verlässlich und kontinuierlich funktionieren. Dort sieht er die Möglichkeit zum Einsatz von Kreativität, Fantasie und Kommunikation. Für ihn ist die Idee des Managements so überholt wie einst der alte Amtsschimmel. Und darum plädiert er für eine stärkere Ausrichtung am Gemeinwohl und lehnt eine Orientierung an der Logik der Börse ab. Das liegt im Trend. Dass es aus dem Inneren des Betriebes heraus gefordert wird, lässt hoffen.

Besprochen von Carsten Hueck

Christoph Bartmann: Leben im Büro
C. Hanser Verlag, München 2012
318 Seiten, 18,90 Euro
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