Das neue Nationalgefühl der Russen
Die blau-weiß-rote Fahne, die Rückkehr zur Sowjethymne mit verändertem Text und zum alten russischen Wappen gehörten zu den Symbolen eines neuen russischen Nationalbewusstseins, meint die ehemalige Moskau-Korrespondentin von Deutschlandradio Kultur, Sabine Adler, anlässlich des "Tages der Staatsflagge der russischen Föderation" am 22. August.
Hettinger: Sabine Adler war sechs Jahre lang Moskau-Korrespondentin von Deutschlandradio Kultur und hat daher aus eigener Anschauung ihre Erfahrungen mit dem Tag der Staatsflagge der russischen Föderation gemacht. Frau Adler, wie feiern die Russen denn diesen Feiertag?
Adler: Also, ob sie diesen Feiertag wirklich feiern als einen Feiertag - es ist zum Beispiel kein arbeitsfreier TFeiertag - das ist also noch fraglich, aber auf jeden Fall ist natürlich das Bewusstsein für diese neue Symbolik, die ja noch gar nicht so lange besteht, eben die russische Flagge, die blau-weiß-rote Flagge für die Rückkehr zur Sowjethymne, nach dem es ja eine andere Hymne mehrere Jahre zwischendurch gegeben hat und auch die Rückkehr zum alten russischen Wappen, das hat schon Bedeutung. In seinem Bewusstein ist diese Staatssymbolik also etwas, worauf er stolz ist, worauf er besteht und was er auch sehr gerne vertritt und auch gewürdigt wissen möchte.
Hettinger: Also dieser Feiertag geht nicht mit dem eigentlich zu erwartenden Tschingderassabum auf den Straßen einher? Keine Paraden, keine großen Feierlichkeiten?
Adler: Nein, das muss man sich wirklich völlig anders vorstellen und eigentlich ist das auch mit ganz vielen Feiertage so. Der ganz große Feiertag, das ist natürlich der 9. Mai des Sieges, der wird mit Paraden gefeiert, wenn auch natürlich jetzt nicht mehr mit Militärparaden. Die anderen, die neuen Feiertag, zum Beispiel der Tag der Unabhängigkeit Russlands, das sind Feiertage, da wissen die Russen manchmal nur, dass es eben freie Tage gibt, und es gibt ja auch so eine ganz eigentümliche Regel in Russland, wenn zum Beispiel so ein Feiertag auf einen Samstag fällt, dann wird der nachgeholt beziehungsweise vorgeholt, denn ein Feiertag am Samstag wäre ja ein verloren Tag, eben doch nicht richtig ein Feiertag, also wird er vorgezogen auf den Freitag und dann ist meistens schon so ab Donnerstag Mittag Pause, dann geht ganz Russland sozusagen ins Feiertagswochenende.
Hettinger: Ein Land in Agonie. Sie sprechen von diesen jüngeren Feiertagen, nun ist doch auch gerade dieser 22. August eine Landmarke, eine wichtige Landmarke in der jüngeren Geschichte Russlands. Wie kommt das, dass das mehr oder weniger unter geht?
Adler: Man verbindet diesen Tag sehr eng mit Jelzin, er hat eine damals wirklich sehr patriotische auch sehr gewürdigte Rolle gespielt, dass will man gar nicht wegwischen, aber die Rolle, die Jelzin dann zu Anfang der 90er Jahre bis 1999 gespielt hat, die stößt in Russland auf allgemeine und ganz verbreitete Kritik. Mit Jelzin verhält es sich fast so ein bisschen wie mit Michael Gorbatschow: Im Inland sind es im Grunde genommen fast verhasste Figuren. Gorbatschow eben, den man verantwortlich macht für den Zerfall der Sowjetunion. Boris Jelzin übrigens auch, er war ja derjenige, der nach diesem Augustputsch das Ende der Sowjetunion eingeläutet hat mit der Abspaltung Russlands von den anderen Sowjetrepubliken. Und in der Rolle, die Jelzin dann gespielt hat, Stichwort Privatisierung, die wenigen, diese sogenannten Oligarchen, die sich auf unverschämte Art und Weise bereichert haben, was zu einer unglaublichen Massenverarmung geführt hat - auf der anderen Seite. Das ist etwas, wofür man Jelzin verantwortlich macht und weshalb man ihm diesen eigentlich historisch gebührenden Platz dann doch nicht einräumen möchte. Und es gibt noch einen anderen Aspekt dabei, wenn man sich anschaut, an diesem weißen Haus, vor dem weißen Haus, wo die Panzer aufgefahren waren und wo Jelzin höchst selbst mit seinem eigenen Körper, mit seiner eigenen Person die Demokratie verteidigen wollte, zu diesem historischen Ort begibt sich kaum noch jemand. Wenn man sich anschaut, wer da noch hingeht, das sind in den vergangenen Jahren immer weniger gewesen. Anfangs waren es vielleicht noch ein paar hundert Aktivisten, die daran auch teilgenommen haben, dann wurden es immer weniger. Und ich erinnere mich an das vorige Jahr, da waren wirklich ein paar Duzend Leute, weniger als hundert da, die tatsächlich dies mit einer Würdigung versehen wollten, indem sie selbst nochmal mit Flaggen in den Händen an dieses Ereignis an diesem Ort vor dem weißen Haus erinnern wollten.
Hettinger: Also jetzt stark verkürzend gesagt. Die Russen igeln sich ein, und trauern der vergangenen Größe nach.
Adler: Das würde ich so nicht sagen. Das finde ich jetzt zu sehr verkürzt, ehrlich gesagt, denn sie igeln sich eigentlich nicht ein, aber sie wenden sich jetzt der Zeit sehr weit zu und da hat die Geschichte vielleicht auch deshalb einen so geringen Platz, weil es in Russland kaum eine Aufarbeitung der Geschichte gibt, weil man sich kaum mit der jüngeren aber auch mit der älteren Geschichte, zum Beispiel die gesamte Geschichte des Zweiten Weltkrieges, noch nicht kritisch befasst hat und vor allem auch noch nicht in ihrer Breitenwirkung befasst hat. Und man ist doch immer noch sehr mit dem Überleben, mit dem heutigen Tag beschäftigt. Aber dem steht eben wirklich gegenüber, das, was ich zu Anfang gesagt habe, es gibt auch ein neu erwachtes Bewusstsein. Russland ist wieder wer in der Welt. Putin hat Russland auf die internationale Bühne zurückgeholt, man schämt sich - anders als bei Boris Jelzin - nicht mehr für den Präsidenten, sondern man ist stolz auf ihn. Und dieses Gefühl, das ist schon sehr verbreitet und vor allem auch in der jungen Generation sehr verbreitet.
Hettinger: Also ein Nationalgefühl, das da wiedererweckt wird. Welche Symbole hat denn das?
Adler: Dieses Nationalgefühl hat eben die Ikone Putin, ganz klar an vorderster Front und eben die neue Nationalhymne, die ja die alte war. Das heißt, diese Rückkehr zur Sowjethymne - versehen allerdings jetzt mit einem neuen Text - das war etwas, was aus dem tiefsten Herzen des Volkes kam, dass man zu dieser Hymne zurückkam und natürlich auch die Flaggen. Die Flaggen sieht man, wenn man zum Beispiel beobachtet, es gibt eine Jugendbewegung "Iduschtschie vmeste", das heißt "gemeinsam gehen" und gemeinsam gehen, da meint man, meint diese Jugendorganisation, gemeinsam mit Putin gehen. Und wenn die irgendwo sich versammeln, irgendwo zu Werke sind, dann sind sie das eben in der Regel auch mit der russischen Flagge.
Hettinger: Nun gibt es viele westliche Beobachter, die in diesem neu erwachten Nationalgefühl eine Vorstufe zu einem neuen russischen Nationalismus sehen. Wie bewerten Sie denn das?
Adler: Diese Gefahr des Nationalismus ist eine nicht zu übersehende Gefahr, wenn man sich in dem Land aufhält und natürlich machen zum Beispiel Kommunisten, aber auch die sogenannte liberale Partei Russlands unter Schirinowski sehr großen Gebrauch davon mit dieser neuen Symbolik, und die hat dann tatsächlich wirklich schon fast revanchistische Züge, und es kann einem himmelangst werden, wenn man anschaut, wie viele neue Parteien - zum Beispiel "Rodina", die Partei "Heimat" - genau auch auf einen solchen Zug aufspringen. Sie sind jetzt ein bisschen im Abseits, weil sich eben doch immer alles nur auf Putin konzentriert und auf die Kremlpartei, aber diese Bewegung am Rande, dieser im Grunde genommen schon fast braune Sumpf, der sich da auch gebildet hat, die darf man nicht übersehen. Die sind natürlich Das ist auch ganz wichtig, um eben zum Bespiel Kritik am eigenen Land zu verhindern. Und was mir noch im Zusammenhang mit der russischen Flagge einfällt: Es gab eine für mich wirklich zutiefst unangenehme Begegnung mit der russischen Flagge, das war mal in Tschetschenien, als ich tatsächlich inkognito in Tschetschenien war und mich da auf einer Straße in einem Schwarztaxi bewegte, da kamen uns eben eine ellenlange russische Kolonne entgegen, auf dem ersten Fahrzeug eine überdimensional große russische Flagge und auf dem Schlussfahrzeug noch mal. Welchen Hass das unter den Tschetschenen hervorgerufen hat, das kann man eigentlich nur ahnen und das war, fand ich, eine wirklich völlige Fehlbesetzung oder Fehlplatzierung der Flagge, erstens in dem Ausmaß, zweitens in dem Land, dass ja immerhin Teil Russlands ist.
Adler: Also, ob sie diesen Feiertag wirklich feiern als einen Feiertag - es ist zum Beispiel kein arbeitsfreier TFeiertag - das ist also noch fraglich, aber auf jeden Fall ist natürlich das Bewusstsein für diese neue Symbolik, die ja noch gar nicht so lange besteht, eben die russische Flagge, die blau-weiß-rote Flagge für die Rückkehr zur Sowjethymne, nach dem es ja eine andere Hymne mehrere Jahre zwischendurch gegeben hat und auch die Rückkehr zum alten russischen Wappen, das hat schon Bedeutung. In seinem Bewusstein ist diese Staatssymbolik also etwas, worauf er stolz ist, worauf er besteht und was er auch sehr gerne vertritt und auch gewürdigt wissen möchte.
Hettinger: Also dieser Feiertag geht nicht mit dem eigentlich zu erwartenden Tschingderassabum auf den Straßen einher? Keine Paraden, keine großen Feierlichkeiten?
Adler: Nein, das muss man sich wirklich völlig anders vorstellen und eigentlich ist das auch mit ganz vielen Feiertage so. Der ganz große Feiertag, das ist natürlich der 9. Mai des Sieges, der wird mit Paraden gefeiert, wenn auch natürlich jetzt nicht mehr mit Militärparaden. Die anderen, die neuen Feiertag, zum Beispiel der Tag der Unabhängigkeit Russlands, das sind Feiertage, da wissen die Russen manchmal nur, dass es eben freie Tage gibt, und es gibt ja auch so eine ganz eigentümliche Regel in Russland, wenn zum Beispiel so ein Feiertag auf einen Samstag fällt, dann wird der nachgeholt beziehungsweise vorgeholt, denn ein Feiertag am Samstag wäre ja ein verloren Tag, eben doch nicht richtig ein Feiertag, also wird er vorgezogen auf den Freitag und dann ist meistens schon so ab Donnerstag Mittag Pause, dann geht ganz Russland sozusagen ins Feiertagswochenende.
Hettinger: Ein Land in Agonie. Sie sprechen von diesen jüngeren Feiertagen, nun ist doch auch gerade dieser 22. August eine Landmarke, eine wichtige Landmarke in der jüngeren Geschichte Russlands. Wie kommt das, dass das mehr oder weniger unter geht?
Adler: Man verbindet diesen Tag sehr eng mit Jelzin, er hat eine damals wirklich sehr patriotische auch sehr gewürdigte Rolle gespielt, dass will man gar nicht wegwischen, aber die Rolle, die Jelzin dann zu Anfang der 90er Jahre bis 1999 gespielt hat, die stößt in Russland auf allgemeine und ganz verbreitete Kritik. Mit Jelzin verhält es sich fast so ein bisschen wie mit Michael Gorbatschow: Im Inland sind es im Grunde genommen fast verhasste Figuren. Gorbatschow eben, den man verantwortlich macht für den Zerfall der Sowjetunion. Boris Jelzin übrigens auch, er war ja derjenige, der nach diesem Augustputsch das Ende der Sowjetunion eingeläutet hat mit der Abspaltung Russlands von den anderen Sowjetrepubliken. Und in der Rolle, die Jelzin dann gespielt hat, Stichwort Privatisierung, die wenigen, diese sogenannten Oligarchen, die sich auf unverschämte Art und Weise bereichert haben, was zu einer unglaublichen Massenverarmung geführt hat - auf der anderen Seite. Das ist etwas, wofür man Jelzin verantwortlich macht und weshalb man ihm diesen eigentlich historisch gebührenden Platz dann doch nicht einräumen möchte. Und es gibt noch einen anderen Aspekt dabei, wenn man sich anschaut, an diesem weißen Haus, vor dem weißen Haus, wo die Panzer aufgefahren waren und wo Jelzin höchst selbst mit seinem eigenen Körper, mit seiner eigenen Person die Demokratie verteidigen wollte, zu diesem historischen Ort begibt sich kaum noch jemand. Wenn man sich anschaut, wer da noch hingeht, das sind in den vergangenen Jahren immer weniger gewesen. Anfangs waren es vielleicht noch ein paar hundert Aktivisten, die daran auch teilgenommen haben, dann wurden es immer weniger. Und ich erinnere mich an das vorige Jahr, da waren wirklich ein paar Duzend Leute, weniger als hundert da, die tatsächlich dies mit einer Würdigung versehen wollten, indem sie selbst nochmal mit Flaggen in den Händen an dieses Ereignis an diesem Ort vor dem weißen Haus erinnern wollten.
Hettinger: Also jetzt stark verkürzend gesagt. Die Russen igeln sich ein, und trauern der vergangenen Größe nach.
Adler: Das würde ich so nicht sagen. Das finde ich jetzt zu sehr verkürzt, ehrlich gesagt, denn sie igeln sich eigentlich nicht ein, aber sie wenden sich jetzt der Zeit sehr weit zu und da hat die Geschichte vielleicht auch deshalb einen so geringen Platz, weil es in Russland kaum eine Aufarbeitung der Geschichte gibt, weil man sich kaum mit der jüngeren aber auch mit der älteren Geschichte, zum Beispiel die gesamte Geschichte des Zweiten Weltkrieges, noch nicht kritisch befasst hat und vor allem auch noch nicht in ihrer Breitenwirkung befasst hat. Und man ist doch immer noch sehr mit dem Überleben, mit dem heutigen Tag beschäftigt. Aber dem steht eben wirklich gegenüber, das, was ich zu Anfang gesagt habe, es gibt auch ein neu erwachtes Bewusstsein. Russland ist wieder wer in der Welt. Putin hat Russland auf die internationale Bühne zurückgeholt, man schämt sich - anders als bei Boris Jelzin - nicht mehr für den Präsidenten, sondern man ist stolz auf ihn. Und dieses Gefühl, das ist schon sehr verbreitet und vor allem auch in der jungen Generation sehr verbreitet.
Hettinger: Also ein Nationalgefühl, das da wiedererweckt wird. Welche Symbole hat denn das?
Adler: Dieses Nationalgefühl hat eben die Ikone Putin, ganz klar an vorderster Front und eben die neue Nationalhymne, die ja die alte war. Das heißt, diese Rückkehr zur Sowjethymne - versehen allerdings jetzt mit einem neuen Text - das war etwas, was aus dem tiefsten Herzen des Volkes kam, dass man zu dieser Hymne zurückkam und natürlich auch die Flaggen. Die Flaggen sieht man, wenn man zum Beispiel beobachtet, es gibt eine Jugendbewegung "Iduschtschie vmeste", das heißt "gemeinsam gehen" und gemeinsam gehen, da meint man, meint diese Jugendorganisation, gemeinsam mit Putin gehen. Und wenn die irgendwo sich versammeln, irgendwo zu Werke sind, dann sind sie das eben in der Regel auch mit der russischen Flagge.
Hettinger: Nun gibt es viele westliche Beobachter, die in diesem neu erwachten Nationalgefühl eine Vorstufe zu einem neuen russischen Nationalismus sehen. Wie bewerten Sie denn das?
Adler: Diese Gefahr des Nationalismus ist eine nicht zu übersehende Gefahr, wenn man sich in dem Land aufhält und natürlich machen zum Beispiel Kommunisten, aber auch die sogenannte liberale Partei Russlands unter Schirinowski sehr großen Gebrauch davon mit dieser neuen Symbolik, und die hat dann tatsächlich wirklich schon fast revanchistische Züge, und es kann einem himmelangst werden, wenn man anschaut, wie viele neue Parteien - zum Beispiel "Rodina", die Partei "Heimat" - genau auch auf einen solchen Zug aufspringen. Sie sind jetzt ein bisschen im Abseits, weil sich eben doch immer alles nur auf Putin konzentriert und auf die Kremlpartei, aber diese Bewegung am Rande, dieser im Grunde genommen schon fast braune Sumpf, der sich da auch gebildet hat, die darf man nicht übersehen. Die sind natürlich Das ist auch ganz wichtig, um eben zum Bespiel Kritik am eigenen Land zu verhindern. Und was mir noch im Zusammenhang mit der russischen Flagge einfällt: Es gab eine für mich wirklich zutiefst unangenehme Begegnung mit der russischen Flagge, das war mal in Tschetschenien, als ich tatsächlich inkognito in Tschetschenien war und mich da auf einer Straße in einem Schwarztaxi bewegte, da kamen uns eben eine ellenlange russische Kolonne entgegen, auf dem ersten Fahrzeug eine überdimensional große russische Flagge und auf dem Schlussfahrzeug noch mal. Welchen Hass das unter den Tschetschenen hervorgerufen hat, das kann man eigentlich nur ahnen und das war, fand ich, eine wirklich völlige Fehlbesetzung oder Fehlplatzierung der Flagge, erstens in dem Ausmaß, zweitens in dem Land, dass ja immerhin Teil Russlands ist.