Das neue Leben alter Nachrichten

Von Tobias Wenzel |
Wenn Zeitungsverlage ihre alten Bestände digitalisieren wollen, kommen sie zurzeit an einer kleinen Firma in Bad Homburg kaum vorbei. Die PrePress Systeme GmbH hat sich darauf spezialisiert, die alten, in Buchform vorliegenden Ausgaben einzuscannen. Vorteil für die Nutzer: anstatt Berge alter Zeitungen durchzuforsten, wird eine Volltextsuche am Bildschirm möglich.
"Das ist vom 3. April 1956. Lüdinghauser Zeitung -Westfälische Nachrichten. Sowjetischer Abrüstungsplan heute in London beraten. Starke Verringerung der Streitkräfte. Höchstens 200.000 Soldaten für die Bundesrepublik."

Siegfried Peis liebt es, in alten Zeitungen zu blättern, sich in die Welt von einst hineinzudenken und sich über die Werbeanzeigen zu amüsieren:

"’Werbung für Anspruchsvolle: Shell Super. Das einzige Benzin-Benzol-Gemisch mit ICA.’ Was immer das sein mag!"

Siegfried Peis hat seine Leidenschaft, alte Zeitungen, zum Beruf gemacht. Mit der Gründung einer kleinen Firma in Bad Homburg.

In einem mittelgroßen Raum stehen drei mannshohe Spezialscanner. An jedem von ihnen sitzt ein Mitarbeiter, blättert Seite für Seite eines unhandlichen Buches um und drückt jedes Mal danach auf ein Fußpedal, um eine Glasscheibe des Scanners auf das aufgeschlagene Buch herunterzufahren. Das ganze beobachtet Siegfried Peis mit gewissem Stolz:

"Das, was wir machen, ist eigentlich ein Markt, den es so noch gar nicht gibt. Wenn Sie zum Beispiel bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung heute anrufen und sie geben irgendeinen Text durch, wo sie nicht wissen, wann der erschienen ist, ist das eine Angelegenheit von Wochen oder Monaten, bis Sie ihn bekommen, weil die müssen ja alle Bücher durchblättern."

Denn die Altbestände der Tageszeitungen sind in Buchform gebunden. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat zum Beispiel erst ab dem Jahr 1992 ihre Ausgaben digital vorliegen. Wer einen Artikel vor 1992 sucht, der muss lange blättern. Oder für viel Geld blättern lassen.

Mehrere Zeitungsverlage fragten bei Siegfried Peis an, ob seine Firma nicht große Bestände von Zeitungen digitalisieren könne. Der gelernte Setzer machte sich also auf die Suche nach einem geeigneten Scanner. Doch den gab es nicht zu kaufen. Also nahm er die Sache selbst in die Hand:

"Ich hatte die Idee im Kopf, wie die zu funktionieren hat. Und dann habe ich mich mit einem kleinen Metallbauer bei uns auf dem Dorf zusammengetan, der recht pfiffig war. Und dann haben wir das Ding gebaut. Und wir sind auch jetzt dabei noch, die Arbeitsabläufe zu verbessern und zu optimieren."

Doch im Großen und Ganzen funktionieren die Scanner – Siegfried Peis nennt sie "Buchwippen" - hervorragend. Vor allem dank seiner patentierten Erfindung:

"Das Besondere an den Anlagen ist eine – ich nenn das mal – mittlere Anpressschiene, die zwischen Buchrücken und Buchblock eingeführt wird und den Buchblock zusätzlich noch mal gegen eine Glasscheibe presst."

Die Anpressschiene verhindert das, was jeder vom Fotokopieren eines dicken Buches kennt: die Verzerrung und Schattenbildung im Bereich des Buchbundes. Was Otto Normalverbraucher als unbedeutender Schönheitsfehler erscheint, stellte für Siegfried Preis ein großes Problem dar. Denn Verzerrungen der Schrift führen zu Fehlinterpretationen der Texterkennungssoftware. Doch mit seinen Spezialscannern hat der Chef der kleinen Digitalisierungsfirma das Problem beseitigt.

Siegfried Peis hat mit seinen Mitarbeitern schon die "Leipziger Volkszeitung" und die Wochenzeitung "DIE ZEIT" digitalisiert. Und nun der größte Auftrag: die Digitalisierung aller Nachkriegsausgaben der "Westfälischen Nachrichten". 1,1 Millionen Seiten müssen eingescannt werden. Mit drei Scannern und einer Doppelschicht von 8 bis 22 Uhr benötigt Peis’ Firma dafür knapp zwei Jahre:

"Die Texterkennung braucht für eine Seite ungefähr 30, 35 Sekunden. Das ist langsamer zum Beispiel als das Scannen. Das gleicht sich aber dadurch aus, dass die Maschinen ununterbrochen, Tag und Nacht, Sonn- und Feiertag laufen."

Computer wandeln die gescannten Seiten vollautomatisch in PDF-Dokumente um und auf Wunsch auch in HTML-Seiten. Einer Volltextsuche steht damit nichts mehr im Wege.

"Die WM 74 hatten wir jetzt, ist schon ein paar Monate her. Da kann man sich auch noch erinnern, dass man da ein kleiner Junge war und hat das ein oder andere Spiel gesehen. Dann Mondlandung. Die hat man dann mal wieder entdeckt."

Thomas Schreiner sitzt vor einer Scan-Maschine und ist gerade mit der Oktober-Ausgabe 2005 der "Westfälischen Nachrichten" beschäftigt.

"Da hatte ich auch gerade die Frau Merkel hier irgendwo, dass sie sich gefreut hat, dass sie an die Macht kommt. Beziehungsweise da gibt’s noch Streit um ihre Macht. Das ist halt ganz witzig an der Arbeit."

Für Siegfried Peis wäre etwas anderes noch interessanter: der Auftrag, die "Westfälischen Nachrichten" von ihrem Beginn im Jahr 1772 an zu digitalisieren. Damals sprach man noch von "Intelligenzblättern":

"Das war ja nicht so wie heute, dass per Internet oder was die Meldungen hereinkamen. Das wurde ja von Händlern weitergetragen. Dann ist da zum Beispiel ein Händler, der von Ort zu Ort zog, in Münster gelandet. Und dann hat er erzählt: ‚Ja, in dem oder dem Ort wurde ein Pfarrer vom Pferdefuhrwerk überrollt.’ Eben diese alltäglichen Dinge, aber auch viel Geschichte, die schon Hand und Fuß hat."