Das Museum als Anstalt
Thomas Zipp verwandelt die Räume der altehrwürdigen Kunsthalle Fridericianum durch düstere Ästhetik und satirische Übertreibung in seine Vision einer „psychiatrischen Anstalt“. Damit konfrontiert er die Besucher mit Fragen nach Norm und Abweichung, sozialer Ausgrenzung sowie der Einordnung des Selbst in die Gesellschaft.
Diese Glocke verheißt nichts Gutes, sie ist Teil eines bedrückenden Machtgefüges, denn Thomas Zipp hat im Fridericianum, dessen Entstehung sich dem Geist der Aufklärung verdankt, eine psychiatrische Anstalt eingerichtet. Der Schlaf der Vernunft gebiert hier Ungeheuerliches – in fahlem Licht, auf dunklen Fluren und hinter hellen Türen. Waschräume mit alten Duschen sind in diesem monumentalen Bauwerk angedeutet, Behandlungsräume mit Liegen und Gurten zum Festschnallen, ein Therapiezimmer mit Pulten, Papier und Malstiften, ein Saal zum Speisen – und einer zum Schlafen mit 14 durchwühlten Betten und abgelegten Büchern.
In einem Raum dürfen Patienten – oder sollte man eher von Probanden sprechen? – in Beichtstühlen ihr Gewissen erleichtern und zu den Klängen eines Harmoniums singen. Und unweit des düsteren Direktorenzimmers ist eine weiß ausstaffierte Gummizelle eingerichtet. Dabei bleibt Vieles kulissenhaft: Die Türen stehen frei und die Wände der Anstaltsräume sind allein durch Zipps Zeichnungen und durch seine Acrylgemälde markiert, die in der Luft auf gleicher Höhe hängen. Rein Wolfs, der künstlerische Leiter der Kunsthalle Fridericianum:
„Ich sehe das hier als eine dunkle Ausstellung, aber nicht als eine völlig hoffnungslose. Man sieht, dass hier neue Weltentwürfe angeboten werden, es kann weitergehen. Klar ist aber auch die Schattenseite – die des Lebens und eines Hauses wie dem Fridericianum.“
An der Frontseite des mächtigen Gebäudes verkünden gemalte Buchstaben das lateinische Motto vom gesunden Körper, in dem ein gesunder Geist wohnt.
Um Norm und sogenannte Abweichung bewegt sich diese weitläufige Installation, um Kreativität, Rausch und Wahn. Dabei sind die Bilder von Thomas Zipp ein rätselhafter Kosmos für sich: Skelette, alptraumhafte Gesichter, manchmal mit leeren Sprechblasen, und Fratzen, mit denen der Künstler auf Ernst Jüngers „Psychonauten” hinweisen will, die bei ihrer drogenstimulierten Reise ins Unbewusste keine Abgründe scheuen. Und in Textarbeiten huldigt Zipp ausdrücklich den Surrealisten und ihrer automatischen Schreibweise.
Und da stehen immer wieder Büsten – streng blickende Männer mit Bärten a la Sigmund Freud. Andere Figuren haben spitze Mützen auf und ihre Augäpfel sind glänzende Kugeln. Von diesen Herrschaften könnte man schlecht träumen.
Auf manchem Sockel steht der Name „Pattex”, dies ist wohl das Rauschmittel für den schmalen Geldbeutel.
Der 1966 in Heppenheim geborene Zipp hat in London und an der Frankfurter Städelschule Malerei studiert. Aber auf eine bestimmte Gattung der Bildenden Künste will sich der inzwischen als Professor Lehrende nicht festlegen lassen – diese Schau unterstreicht es.
Thomas Zipp: „Ich gehe nicht von einem speziellen Medium aus. Im Vordergrund steht eher eine Idee oder Denkweise. Und danach suche ich dann nach einer Umsetzungsmöglichkeit für diese Gedanken und füge alles zusammen. Alle Möglichkeiten, die ich habe, können dabei auch benutzt werden.“
Zipp führt ältere und jüngere Bilder und Skulpturen seines Oeuvres zu einer Art Gesamtkunstwerk zusammen und lässt sich dabei ganz auf den jeweiligen Ort, dessen Architektur und Geschichte ein. In Kassel findet sich wie bei ihm üblich eine Büste Martin Luthers – und zwar eine ohne Gesicht. Auch auf Künstler der Moderne wird locker angespielt, von de Chirico bis zu Jackson Pollock.
Man kann beim Gang durch diese Ausstellung versuchen, der individuellen Mythologie Zipps, seinen kühnen Gedankensprüngen und heftigen Assoziationen auf die Spur zu kommen, kann sich aber auch von der Atmosphäre im ganzen einfangen lassen.
Rein Wolfs: „Das atmosphärische Moment, wo das Ding im Ganzen auf einen wirkt, finde ich ganz wichtig. Ich liebe Ausstellungen, in die man als Besucher eintauchen kann, in einer anderen Welt verschwindet und dann, wenn man aus dem Haus herauskommt, mit den Augen blinzeln muss, um sich wieder an das Tageslicht zu gewöhnen. Aber es gibt auch die andere Ebene: Es ist hier soviel zu sehen, dass man auch Bild für Bild schaut, denkt und interpretiert – und so weiterkommt. Bei der einen Person wird das eine durchschlagen, bei einer anderen das andere überwiegen.“
Wolfs will das Fridericianum, das „ikonische“ Haus, durch solche Ausstellungen weiter „öffnen”. Vor eineinhalb Jahren hatte bereits Christoph Büchel dessen Charakter spektakulär verändert und in den ehrwürdigen Räumen sogar einen schnöden Supermarkt und eine Stasi-Zentrale mit Schnipsel-Erbe eingerichtet.
Stark ist die Wirkung auch bei Zipp: eine Ausstellung, die durch die Lichtführung, den Kontrast von Düsternis und kalt strahlenden Neonröhren, durch die Auswahl der Möbel und durch die gezeichneten und gemalten Gesichter berührt. Ob sich der Betrachter hier bald schon als Patient fühlt? Zipp über die Rolle des Besuchers:
„Er ist erstmal Außenstehender, aber nach einer Weile, denke ich mir, wird er Teil der Anstalt, Teil des gesellschaftlichen Machtgefüges, und springt zwischen den Rollen hin und her: Er ist sowohl Patient als auch Anstaltsleiter oder Personal.“
Rein Wolfs weist allerdings auf die sichtbar bleibende Konstruktion dieser Installationsräume hin und bezweifelt, dass man von dieser „Anstalt” völlig vereinnahmt werden könnte:
„"Wir haben es mit einer Bühne zu tun: Man läuft über Flure, die erhöht sind. Das Thema Shakespeares, dass die Welt eine Bühne ist, kommt hier stark zur Geltung. Man bleibt Besucher, befragt sich selber, den eigenen Geist und die eigene Seele, man wird herausgefordert, auf das Gesehene zu reagieren – aber das wird dann immer wieder auch auf eine andere Ebene gebracht.“
Tatsächlich beschäftigt sich der Besucher auch mit sich selber – und zugleich mit dem Stellenwert der Kunst, die hier Rausch und Wahn nicht nur ausdrückt, sondern unmittelbar in das Anstaltsambiente und das suggerierte Krankheitsbild einbezogen wird:
„Künstler wurden als gesellschaftliche Außenseiter und Außenseiterinnen dargestellt, diese Thematik spielt auch in dieser Ausstellung eine große Rolle. Kunst hat vielleicht mit Wahnsinn zu tun, versucht aber irgendwann, das Leben selber zu fassen, aber tut es hier und da auf eine wahnsinnige Art und sucht nach der Norm und der Abweichung.“
In einem Raum dürfen Patienten – oder sollte man eher von Probanden sprechen? – in Beichtstühlen ihr Gewissen erleichtern und zu den Klängen eines Harmoniums singen. Und unweit des düsteren Direktorenzimmers ist eine weiß ausstaffierte Gummizelle eingerichtet. Dabei bleibt Vieles kulissenhaft: Die Türen stehen frei und die Wände der Anstaltsräume sind allein durch Zipps Zeichnungen und durch seine Acrylgemälde markiert, die in der Luft auf gleicher Höhe hängen. Rein Wolfs, der künstlerische Leiter der Kunsthalle Fridericianum:
„Ich sehe das hier als eine dunkle Ausstellung, aber nicht als eine völlig hoffnungslose. Man sieht, dass hier neue Weltentwürfe angeboten werden, es kann weitergehen. Klar ist aber auch die Schattenseite – die des Lebens und eines Hauses wie dem Fridericianum.“
An der Frontseite des mächtigen Gebäudes verkünden gemalte Buchstaben das lateinische Motto vom gesunden Körper, in dem ein gesunder Geist wohnt.
Um Norm und sogenannte Abweichung bewegt sich diese weitläufige Installation, um Kreativität, Rausch und Wahn. Dabei sind die Bilder von Thomas Zipp ein rätselhafter Kosmos für sich: Skelette, alptraumhafte Gesichter, manchmal mit leeren Sprechblasen, und Fratzen, mit denen der Künstler auf Ernst Jüngers „Psychonauten” hinweisen will, die bei ihrer drogenstimulierten Reise ins Unbewusste keine Abgründe scheuen. Und in Textarbeiten huldigt Zipp ausdrücklich den Surrealisten und ihrer automatischen Schreibweise.
Und da stehen immer wieder Büsten – streng blickende Männer mit Bärten a la Sigmund Freud. Andere Figuren haben spitze Mützen auf und ihre Augäpfel sind glänzende Kugeln. Von diesen Herrschaften könnte man schlecht träumen.
Auf manchem Sockel steht der Name „Pattex”, dies ist wohl das Rauschmittel für den schmalen Geldbeutel.
Der 1966 in Heppenheim geborene Zipp hat in London und an der Frankfurter Städelschule Malerei studiert. Aber auf eine bestimmte Gattung der Bildenden Künste will sich der inzwischen als Professor Lehrende nicht festlegen lassen – diese Schau unterstreicht es.
Thomas Zipp: „Ich gehe nicht von einem speziellen Medium aus. Im Vordergrund steht eher eine Idee oder Denkweise. Und danach suche ich dann nach einer Umsetzungsmöglichkeit für diese Gedanken und füge alles zusammen. Alle Möglichkeiten, die ich habe, können dabei auch benutzt werden.“
Zipp führt ältere und jüngere Bilder und Skulpturen seines Oeuvres zu einer Art Gesamtkunstwerk zusammen und lässt sich dabei ganz auf den jeweiligen Ort, dessen Architektur und Geschichte ein. In Kassel findet sich wie bei ihm üblich eine Büste Martin Luthers – und zwar eine ohne Gesicht. Auch auf Künstler der Moderne wird locker angespielt, von de Chirico bis zu Jackson Pollock.
Man kann beim Gang durch diese Ausstellung versuchen, der individuellen Mythologie Zipps, seinen kühnen Gedankensprüngen und heftigen Assoziationen auf die Spur zu kommen, kann sich aber auch von der Atmosphäre im ganzen einfangen lassen.
Rein Wolfs: „Das atmosphärische Moment, wo das Ding im Ganzen auf einen wirkt, finde ich ganz wichtig. Ich liebe Ausstellungen, in die man als Besucher eintauchen kann, in einer anderen Welt verschwindet und dann, wenn man aus dem Haus herauskommt, mit den Augen blinzeln muss, um sich wieder an das Tageslicht zu gewöhnen. Aber es gibt auch die andere Ebene: Es ist hier soviel zu sehen, dass man auch Bild für Bild schaut, denkt und interpretiert – und so weiterkommt. Bei der einen Person wird das eine durchschlagen, bei einer anderen das andere überwiegen.“
Wolfs will das Fridericianum, das „ikonische“ Haus, durch solche Ausstellungen weiter „öffnen”. Vor eineinhalb Jahren hatte bereits Christoph Büchel dessen Charakter spektakulär verändert und in den ehrwürdigen Räumen sogar einen schnöden Supermarkt und eine Stasi-Zentrale mit Schnipsel-Erbe eingerichtet.
Stark ist die Wirkung auch bei Zipp: eine Ausstellung, die durch die Lichtführung, den Kontrast von Düsternis und kalt strahlenden Neonröhren, durch die Auswahl der Möbel und durch die gezeichneten und gemalten Gesichter berührt. Ob sich der Betrachter hier bald schon als Patient fühlt? Zipp über die Rolle des Besuchers:
„Er ist erstmal Außenstehender, aber nach einer Weile, denke ich mir, wird er Teil der Anstalt, Teil des gesellschaftlichen Machtgefüges, und springt zwischen den Rollen hin und her: Er ist sowohl Patient als auch Anstaltsleiter oder Personal.“
Rein Wolfs weist allerdings auf die sichtbar bleibende Konstruktion dieser Installationsräume hin und bezweifelt, dass man von dieser „Anstalt” völlig vereinnahmt werden könnte:
„"Wir haben es mit einer Bühne zu tun: Man läuft über Flure, die erhöht sind. Das Thema Shakespeares, dass die Welt eine Bühne ist, kommt hier stark zur Geltung. Man bleibt Besucher, befragt sich selber, den eigenen Geist und die eigene Seele, man wird herausgefordert, auf das Gesehene zu reagieren – aber das wird dann immer wieder auch auf eine andere Ebene gebracht.“
Tatsächlich beschäftigt sich der Besucher auch mit sich selber – und zugleich mit dem Stellenwert der Kunst, die hier Rausch und Wahn nicht nur ausdrückt, sondern unmittelbar in das Anstaltsambiente und das suggerierte Krankheitsbild einbezogen wird:
„Künstler wurden als gesellschaftliche Außenseiter und Außenseiterinnen dargestellt, diese Thematik spielt auch in dieser Ausstellung eine große Rolle. Kunst hat vielleicht mit Wahnsinn zu tun, versucht aber irgendwann, das Leben selber zu fassen, aber tut es hier und da auf eine wahnsinnige Art und sucht nach der Norm und der Abweichung.“