Das Motiv der Endlosschleife

Von Günther Beyer |
Der Schweizer Künstler Max Bill war als Architekt, Grafiker und Designer ein Tausendsassa der Kunst. Das Museum MARTa Herford will anlässlich seines 100. Geburtstag in der Ausstellung "Ohne Anfang, ohne Ende" nun mit seinem Talent als Maler bekannt machen. Immer wieder hat er das Motiv der "endlosen Schleife" variiert.
Die Skulptur ist einfach perfekt: ein breites Band aus geädertem Marmor, das sich in einer eleganten Windung zu einer endlosen Schleife verschlingt. Egal, welchen Punkt der Betrachter wählt – die Schleifenbahn wird sein Auge mit sanftem Schwung an den Ausgangspunkt zurückführen. 1935 war Max Bill zum ersten Mal auf das Motiv der "endlosen Schleife" gestoßen, und er hat es während seines langen Künstlerlebens immer wieder variiert. Arbeiten wie diese haben Max Bills Ruf als herausragender Bildhauer begründet.

Aber der Schweizer war ein Tausendsassa, war Architekt und Grafiker, Typograph und Designer. Im MARTa Herford ist vor allem der Maler Max Bill zu entdecken.

"Ich denke, das leitet fast einen Paradigmawechsel ein in der Rezeption von Bill"," sagt Angela Thomas-Schmid, Leihgeberin, Kunsthistorikerin und zweite Ehefrau des 1994 verstorbenen Künstlers mit Blick auf die verengte Wahrnehmung ihres Mannes. " "Bill war ein Workaholic, und der hat auf völlig verschiedenen Gebieten gearbeitet, aber in der Malerei war er so gesehen am freiesten, weil, da wusste er nicht, wo das später mal hinkommt, hatte keinen Auftraggeber gehabt. Während bei Skulpturen, das war schon ein Mittelding, da hat er oft schon gewusst, das kommt an den und den Ort, da musste er schon auf die Umgebung achten, um das gut zu integrieren, und am wenigsten frei war er in der Architektur, weil, da hat er seinen Bauherrn, der eigene Wünsche hat."

So heiter kann eine Lektion in Geometrie sein – wenn Max Bill der Lehrer ist! Auf den kalkweißen, mal schiefen, mal organisch gewundenen Wänden des MARTa hängen Bilder mit farbigen Rechtecken, Quadraten und Linien. Eine Leinwand ist mit einem Raster von 25 verschieden farbigen Quadraten bemalt und heißt "kühles gleichgewicht". Ein anderes Bild zeigt rote Quadrate, auf die unterschiedlich feine schwarze Linien zulaufen und die Bill etwas hochtrabend als "simultankonstruktion zweier progressiver systeme" bezeichnet. Die Arbeiten sind geprägt von einem Gefühl heiterer Gelassenheit, von einem sicheren Gespür für Harmonie und Schönheit.

Über Jahrzehnte ändern sich Stil und künstlerisches Vokabular bei Bill kaum. Angela Thomas-Schmid wird manchmal gefragt, ob denn Max Bill nur einen Stil gehabt habe:

"Und dann habe ich gesagt: Bill hatte ein großes Spektrum, und man kann sagen, das reicht von aggressiv bis lyrisch, also hat sanfte Farben gemalt, wenn man nicht weiß, wer´s war, könnte man meinen, das hat ne Künstlerin gemacht. Also er hat auch diese weiblichen Seiten in sich ausgelebt, wie das Künstler eh besser können als andere Menschen normalerweise."

"Ich, ein Katzenmensch", heißt ein frühes Selbstporträt. Anfangs malt er noch figurativ, lässt Anklänge an Paul Klee erkennen. Unter einem anderen Bauhaus-Lehrer, Theo van Doesburg, mausert er sich zum Anhänger der so genannten "konkreten Kunst".Van Doesburg, auf den die Bezeichnung "konkrete Kunst" zurückgeht, lehrt: "Nichts ist konkreter, wirklicher als eine Linie, eine Farbe, eine Oberfläche". Und sein Schüler Bill formuliert später: "Das ziel der konkreten kunst ist es, gegenstände für den geistigengebrauch zu entwickeln."

Diese Fundamente aus der Bauhaus-Zeit verfestigten sich in Max Bills Leben zu einer unumstößlichen Weltanschaung, meint Jan Hoet, Kurator der Documenta 1992 und heute künstlerischer Direktor von MARTa:

"Ich bin nicht so sicher, ob Max Bill ein richtig guter Dozent war. Er war ein sehr guter Künstler, und er war auch dogmatisch eingestellt. Aber das gehörte zu diesem Stil von Leuten, die glaubten an die Veränderung der Welt. Glaubten an Schönheit und Form. Glaubten, durch die Kunst Glück zu bringen."

Das wirft die Frage nach der Aktualität des Jubilars auf. Unter dem Motto "Variationen über Max Bill" hat Jan Hoet neun junge Künstlerinnen und Künstlereingeladen, sich mit der "konkreten Kunst" auseinanderzusetzen. Alle neun arbeiten mit geometrischem, stereometrischem oder minimalistischem Vokabular, greifen auf Ei-Form, Kuben, Quader zurück. Aber während Bills makellose Formen auf die Verwirklichung einer gesellschaftlichen Utopie zielen, Erlösung durch Schönheit einfordern, zeigen die zeitgenössischen Arbeiten deutliche Blessuren. Sollbruchstellen sind vorgezeichnet, Weltverbesserung war gestern.

Jens Wolf malt unvollendet bleibende Kreisringe auf eine Holzplatte, die bereits beschädigt ist. Christoph Haerles eiförmige Skulptur ist mit schrillem Nagellack überzogen. Und Riccardo Previdi, 1974 in Mailand geboren, setzt sich mit minimalistischen Künstlern wie Michelangelo Pistoletto und Mario Merz auseinander. Er greift in seinen beziehungsreichen Skulpturen, die er als"Nachbearbeitungen" bezeichnet, in der Tradition der italienischen Arte povera auf billige, industriell gefertigte Materialien zurück.

Previdi: "Das ist Karton, die normalerweise für Pizzaschachteln benutzt wird. Die Firma, die diesen Streifen gedruckt hat, ist eine, die genau diese Schachtel für Pizza macht, und die Spiegelfolie ist die billigste Version von die, die Pistoletto benutzt hatte. Der hatte Edelstahl benutzt, was ich benutze, ist viel billiger und ist Styropor."

Von der "endlosen Schleife" Max Bills zur Pizzaschachtel - dazwischen liegen 70 Jahre der Fabrikation von "gegenständen für den geistigen gebrauch". Abgesehen davon, dass der Bereich Design nur schwach vertreten ist, dokumentiert MARTa den Pionier und die Zeitgenossen überzeugend. Dazu trägt nicht zuletzt der Museumsbau, die fensterlos-schiefe Ziegelburg des Dekonstruktivisten Frank O. Gehry bei.

Thomas-Schmid: "Ich habe gerade gedacht, wir müssten Gehry jetzt schreiben, wie glücklich wir sind über diese Präsentation. Es sieht aus, als ob Gehry dieses Museum für Bill gebaut hätte, so wie man von Bilbao sagen kann, das war für Serra, der hat da sehr gut hineingepasst. Man geht völlig glücklich aus dieser Ausstellung heraus."

Service:
Die Ausstellung "Max Bill: ohne Anfang ohne Ende" ist vom 2.2. bis 30.3.2008 im Museum MARTa Herford zu sehen.