Das Model, das keins sein will

Von Martin Böttcher |
In Tokio wird aus dem tätowierten Austauschstudenten David Schumann mit lückenhaften Japanischkenntnissen ein gefragtes Modemodel. Der 33-Jährige hat seine Erlebnisse zu Papier gebracht und ist derzeit mit „The Tokyo Diaries“ auf Lesereise in Deutschland.
„Hajime mashite“

David Schumann spricht Japanisch. Kein Wunder, schließlich hat er es studiert und verbringt seit Jahren viel Zeit in Japan. Viel Lust, japanische Sätze ins Mikrofon zu sprechen, hat er aber nicht: Der 33-Jährige will nicht auf Knopfdruck für andere den Clown spielen. Dabei arbeitet er in einem Job, in dem genau das von ihm erwartet wird.

„Normalerweise sage ich, dass ich Model bin, auch wenn ich versuche, das nicht von mir aus zu erzählen, weil ich finde, dass es wie Angeberei klingt. Aber das Modeln macht 80 Prozent meiner Einkünfte aus. Ich identifiziere mich allerdings nicht mit dem Job, denn an ihn bin ich rangekommen wie die Jungfrau zum Kinde und ich habe einfach nur das Glück, den machen zu können.“

Groß ist David Schumann, fast 1,90, sehr schlank, und er redet wie ein kleiner Wasserfall. Die braunen Haare trägt er an den Seiten und im Nacken kurz, mit unordentlichem Scheitel zur Seite frisiert. Bartstoppeln zieren sein Gesicht, großflächige Tätowierungen verschwinden unter einem dunklen, langärmligen T-Shirt. David Schumann, Model vom Typ attraktiv-verlottert, ist für ein paar Wochen in Deutschland, zu Besuch in der alten Heimat.

„Mir ist superwichtig, auch mindestens drei, vier Monate in Deutschland zu verbringen, denn hier habe ich meine Freunde, und nach sechs, sieben Monaten Tokio vermisse ich das auch. Da brauche ich dieses Lebensgefühl, was ich hier habe und was ganz anders ist als das da drüben. Deswegen ist mir immer dran gelegen, in beiden Welten zu Hause zu sein. Deswegen würde ich Heimat auch nicht geografisch festmachen, sondern mit einer Art Lebensgefühl. Und das habe ich halt in Tokio und das habe ich hier.“

Rückblende: März 2005. David Schumann besteigt ein Flugzeug Richtung Tokio, für mindestens ein Jahr will er dort studieren. In Japan fühlt er sich zunächst einsam, er lernt, er feiert, hat Liebeskummer und streitet sich auch mal mit seiner Gastfamilie. Das normale Programm eines Austauschstudenten eben. Dann passiert etwas: Auf der Straße spricht ihn eine junge Frau an, eine Fotografin. David Schumann, geboren 1976 in Bonn, tätowierter Punkrocker, wird von einer japanischen Agentur als Modemodel entdeckt.

„Ja, das hört sich erstmal wie ein Widerspruch an. Und ist es natürlich auch. Aber wenn man den Gedanken weiterspinnt, dann verträgt sich gar kein Job mit Punkrock, ob du nun modelst und Designerzeug anpreist oder im Supermarkt Sachen verkaufst, macht für mich keinen Unterschied. Es gibt einfach kein richtiges Leben im falschen.“

Seit David Schumann als Model entdeckt wurde, hat sich vieles für ihn geändert: Er pendelt zwischen Japan und Deutschland hin und her. Er ist ein gefragter Interviewgast, auf der Straße sprechen ihn fremde Frauen an – sie kennen ihn aus dem Fernsehen und aus Magazinen. Aber nicht nur für ihn haben sich die Dinge gewandelt, auch er selbst ist, zum Teil ein Anderer geworden:

„Jetzt hab ich auch Selbstvertrauen in mein Äußeres, das hatte ich vorher nie. Ich finde mich nicht schön, aber ich finde mich okay, ich komm klar mit mir. Und das ist positiv. Das Negative: Manchmal geht man zu 20 Castings, wird aber nicht genommen, dann hast Du vielleicht nur einen Job im Monat, verdienst nur 200 oder 300 Euro. Dann kannst du die Miete nicht zahlen, dann denkst du: Ich muss abnehmen. Sitzt meine Frisur nicht richtig? Muss ich die Haare kürzer oder länger haben?“

Über den alten und den neuen David Schumann, über seine Zeit in Japan, über Studium und Frauen, über das Modeln und Musik hat er ein Buch geschrieben: „The Tokyo Diaries“. Die Hälfte des Buchs muss in betrunkenem Zustand entstanden sein, so kann man aus den Zeilen herauslesen.

Tagebuchartige Aufzeichnungen, die einen mitfiebern lassen, ob auch wirklich alles gut geht für den freundlichen, sympathischen Mann so weit weg von zu Hause – selbst wenn es nur um japanische Zeichentrickfilme geht.

„20. Juli 2006: Mein erster Auftritt im japanischen TV. Vor ungefähr zwei Wochen hat mich eine Nachfrage erreicht, ob ich nicht als deutsche Vertretung in einer TV-Show mit dem Thema ‚Japaner verstehen die Genialität ihrer eigenen Animé nicht’ teilnehmen möchte. Nicht nur, dass es sich dabei um eine Live-Sendung handelt. Nein, auch über das Thema weiß ich doch eigentlich überhaupt nichts. Aber für solche Gedanken ist es jetzt längst zu spät.“

David Schumann. Autor, Übersetzer. Musiker, Vegetarier, Sternzeichen Fische, Schalke-04-Fan. Fashion-Model, das den Modezirkus eher affig findet. Das Japanologie-Studium mit Bestnoten abgeschlossen. Mal Single, mal liiert. 33 Jahre alt. Und jetzt?

„Ich will nicht einer von diesen Erwachsenen werden, die den Schuss nicht gehört haben, die mit 45 in die Disco rennen und neben den 20-Jährigen stehen, und alle denken: ‚Oh Gott, was will der hier!’ Ich will in Würde altern, in jedem Alter so cool sein wie es halt irgendwie geht. Angemessen. Aber wie das geht, das weiß ich noch nicht, und deshalb habe ich Angst vor dem Alter.“

David Schumann: The Tokyo Diaries
Rockbuch Verlag, Hamburg 2009
320 Seiten, 16,90 Euro


Lesungen:
07.09.2009 Schuhfabrik, Ahlen
08.09.2009 Kulturhaus (III und 70), Hamburg
09.09.2009 Gleis 22, Münster
10.09.2009 Ostwerk, Augsburg
11.09.2009 Ampere Club, München
06.10.2009 Moritzbastei, Leipzig
07.10.2009 Drucklufthaus, Oberhausen
08.10.2009 MUZclub, Nürnberg
09.10.2009 Kulturpalast (ex Tattersaal), Wiesbaden
14.10.2009 Die Werkstatt, Köln
15.10.2009 Lagerhalle, Osnabrück
16.10.2009 Admiralspalast (Foyer 101), Berlin