Das Leben der Götter als Dinnerparty

Von Natascha Pflaumbaum |
Seit vergangener Spielzeit produziert die Oper Frankfurt einen neuen "Ring". Die bulgarische Regisseurin Vera Nemirova - Schülerin von Ruth Berghaus - wird bis 2012 alle vier Teile von Richard Wagners "Ring des Nibelungen" inszenieren. Nach "Rheingold" hatte nun "Die Walküre" Premiere.
Wenn Siegmund zu Beginn in kaltem blauen Licht auf einer riesigen, Bühne füllenden Scheibe im Kreis umherirrt, der Schnee unablässig fällt, wenn sich dann langsam aus dem Rondell Ringe schälen, wie die Jahresringe eines Baumes, dann braucht es ein Vorspiel lang, bis man erkennt: das ist die Esche, die Weltesche, der Weltenbaum, in dem auch Nothung steckt, und wir – die Zuschauer - sind außerhalb, wir sind Walhall. Diese Baumscheibe, auf, unter und in der drei Aufzüge lang alles stattfindet, ist in ihrer monumentalen Purheit so imposant und irritierend, weil sie so wandelbar ist. Neigen sich die Ringe, schwebt die Scheibe wie ein von zahlreichen Ringen umgebener riesiger Planet im Raum. Und der Schnee glitzert wie die Sterne eines unendlichen Kosmos.

Stringenter, eindrucksvoller und elementarer kann man die Symbolkraft eines mythologischen Ortes nicht darstellen: diese Bühnenskulptur von Bühnenbildner Jens Kilian ist mindestens dreifach lesbar, denn sie symbolisiert drei Räume zugleich: sie ist die Weltesche Yggdrasil, der Götterkosmos Asgaard – Wotans Wohnort -, und die Menschenwelt Midgard, wo Sieglinde wohnt. In diesen Welten spielt der Mythos von Richard Wagners Tetralogie "Ring des Nibelungen", in diesen drei Räumen spielt vor allem "Die Walküre".

Die bulgarische Regisseurin Vera Nemirova ist eine Meisterin der Reduktion und damit eine sagenhafte Konstrukteurin allegorischer Bilder. Fast ohne Requisiten inszeniert sie dieses Familiendrama zwischen Brünnhilde und Wotan - wie ein Kammerspiel - in monumentalen Tableaus, mit denen sie Richard Wagners Symbolik kongenial übersetzt.

Nemirovas Götter sind Menschen: Die Beziehungen, in denen sich diese Leute verstrickt haben, sind als Stammbaum mit Kreide an eine schwarze Wand geschrieben. Wotan trägt Smoking, Fricka ein schwarzes Taftkleid: ihr Götterleben – eine einzige Dinnerparty. Und Brünnhilde? Rotschopfig – zum Kampf bewehrt mit einer burschikosen schwarzen Outdoorhose. Auch Siegmund soll diese zivile Kampfuniform aus der Wanderabteilung Schutz bieten. Allein Sieglinde wirkt in ihrem schlichten hellblauen Cardigan unauffällig einfach und schlicht.

Der Schein trügt allerdings, denn diese Sieglinde ist der Star der Frankfurter Produktion: Eva-Maria Westbroek singt und spielt diese von starker Empathie getragene Sieglinde frei und unbeschwert. Westbroeks Stimme ist groß, rund, schier schwerelos. Jedes ihrer Worte ist zu verstehen. Ihre natürliche, untrügliche Darstellungskraft macht die Geschichte zu einer echten Liebesgeschichte: Wenn sie sich im ersten Aufzug in Siegmund - Frank von Aken - verliebt, wirkt diese Liebe eben nicht romantisch verklärt oder idealisiert, sondern getragen von echtem Gefühl. Die beiden sind ja auch in Wirklichkeit ein Paar ...

Über allem steht die Liebe, denn die Götter dieser "Walküre" sind tatsächlich immer die anderen. Nemirova zeichnet vor allem Wotan als disparate Figur, zwischen Empathie und kaltem Großmut schwankend. Allein der herzzerreißende Abschied Wotans von Brünnhilde bezeugt dies eindrucksvoll.

Eva-Maria Westbroek ebenbürtig ist Susan Bullock als Brünhilde, die mit ihrem Walkürenruf das Frankfurter Opernhaus erschüttern lässt, denn sie ist eine der wenigen Sängerinnen, die das hohe h und das hohe c im "Hojotoho" tatsächlich aussingen und nicht anschleifen. Susan Bullock zieht nach Eva-Maria Westbroek alle Aufmerksamkeit auf sich: als kampfstarke Schlachtruferin, als einfühlsame Siegmund-Retterin, als ergebene, um Zuneigung bettelnde Wotan-Tochter und am Ende als Verstoßene, Entgöttlichte schlafend im Feuerkreis. Am Ende ist es Susan Bullock, die dieses Spektakel allein mit der Energie ihrer Stimme und ihre kraftvollen Darstellung am Laufen hält.

Der Frankfurter Generalmusikdirektor Sebastian Weigle lässt das Orchester dazu aufschäumen, setzt zum Ende hin fast übermütig auf die Energie von Kontrasten in Tempo und Dynamik. Mitunter fehlt dann die Eleganz, allerdings gewährt er den Sänger immer ihren Raum. Er bettet sie: Siegmunds Darbietung der "Winterträume" erscheint wie ein Orchesterlied. Mitunter brechen die Bläser unschön aus. Vor allem zum Schluss hin sind die Forti sind zu groß und brachial.
Aber egal: Diese Frankfurter "Walküre" ist ein Meisterwerk!

Oper Frankfurt "Die Walküre"