"Das Land kollabiert"
Der Großvater ging als Wirtschaftsflüchtling nach Portugal, nun kommt sein Enkel wieder zurück. Der Journalist Miguel Szymanski will seinen Töchtern nicht zumuten, was er in Portugal jeden Tag sehen muss: Menschen, die sich aus Mülltonnen ernähren, den Niedergang eines ganzen Landes.
Matthias Hanselmann: Zehntausende Portugiesen verlassen ihr krisengeschütteltes Land. Einer von ihnen ist Miguel Szymanski. Herr Szymanski ist Wirtschaftsjournalist, hat früher für das Goethe-Institut in Lissabon gearbeitet und schon etliche Artikel über die Lage in Portugal und die Situation der Menschen dort geschrieben. Jetzt ist er mit seiner Familie nach Süddeutschland gezogen, man kann sagen: geflüchtet. Wovor, das wird er uns jetzt selbst erzählen, Miguel Szymanski ist für uns in einem Studio in Ulm. Willkommen beim Radiofeuilleton!
Miguel Szymanski: Vielen Dank, Herr Hanselmann.
Hanselmann: Herr Szymanski, wovor genau sind Sie geflüchtet?
Szymanski: Sie erwähnten Schulden ohne Ende. Die gibt es tatsächlich, Gott sei Dank nicht meine persönlichen, sonst wäre ich untergetaucht und nicht im Studio in Ulm. Tatsächlich aber schuldet Portugal derart viel Geld, es sind insgesamt, es ist die wahnsinnige Summe von 800 Milliarden Euro. Die Staatsverschuldung, die private Verschuldung, die Schulden der Unternehmen – Portugal schuldet so viel Geld, dass man beobachten kann, wie das Land kollabiert. Und das passiert zurzeit. Das Erziehungssystem funktioniert schlecht, das Gesundheitssystem funktioniert sehr schlecht. Es ist kein Land, wo ich meine Kinder großziehen möchte. Und nach einer sehr schönen, sehr langen Zeit, einer langen Fiesta im Süden muss ich mich nach 25 Jahren auf meine deutschen Wurzeln zurückbesinnen, und vor einer Woche bin ich nach Deutschland zurückgekommen.
Hanselmann: Das heißt, Sie waren früher schon einmal nach Deutschland ausgewandert?
Szymanski: Ja, aus ähnlichen Gründen waren mein Vater und meine Mutter Anfang der 70er-Jahre aus Portugal nach Deutschland gekommen. Auch damals funktionierte das Land plötzlich nicht mehr nach der Nelken-Revolution. Es war sehr instabil. Die ganzen demokratischen Institutionen, die ganz frisch aufgebaut wurden und sehr viel versprachen, waren noch der großen Gefahr des Kommunismus – damals sah das mein Vater so, er war selber aus der DDR geflüchtet in den 50ern, und er befürchtete, Portugal würde zu einem kommunistischen Land werden. Und tatsächlich sah es eine Zeit lang so aus, und wir sind in den 70ern nach Deutschland gekommen. Ich habe mein Abitur hier gemacht. Und nach dem Abitur bin ich nach Portugal, das war vor 25 Jahren, und habe dort mein ganzes berufliches Leben verbracht, in Lissabon.
Hanselmann: Sind Ihre Kinder denn der Hauptgrund für die Entscheidung gewesen, jetzt wieder nach Deutschland zu gehen? Welche Aussichten hätten sie denn in Portugal gehabt, Ihre beiden kleinen Mädchen?
Szymanski: Sie sind nicht der Hauptgrund, ich möchte sagen, sie sind der einzige Grund. Maria ist drei, Sophia ist fünf, und das ist das richtige Alter. Ich möchte nicht, ich könnte – man kann natürlich in Lissabon eine deutsche Schule besuchen, sofern man sich diese leisten kann, aber die Kinder würden dann unter einer Glasglocke groß werden und man müsste sie vor dem schützen, was drum herum passiert, und das ist allerhand. Ich möchte nicht, dass meine Kinder sehen, wie sich alte Menschen aus Mülltonnen ernähren, ich möchte nicht, dass sie sehen, dass ihre gleichaltrigen Kollegen keinen Zugang zu Medikamenten haben, und das kann man jetzt schon beobachten. Und die Aussichten sind für die – wie gesagt, diese Schulden sind so hoch, ich würde – pro Kopf schuldet jeder Portugiese 80.000 Euro zurzeit, wenn man das pro Kopf rechnet, per capita. Da meine Töchter nicht arbeiten, meine Mutter und meine Großmutter auch nicht, schulde ich so circa 400.000 bis 500.000 Euro. Und das wird natürlich kein Portugiese zurückzahlen können. Deswegen sind es nicht Zehntausende, besser gesagt, es sind Zehntausende, es sind über 100.000 Portugiesen, die zurzeit jedes Jahr auswandern. Das ist mehr als zur Zeit des Kolonialkriegs.
Ich bin einer von diesen über Hunderttausend, und Gott sei Dank habe ich nicht diese ganzen Barrieren, die viele meiner Landsleute haben. Zurzeit, ich rede deutsch und ein bisschen, wie Pessoa sagt, die Sprache ist meine Heimat, und ich fühle mich eigentlich schon als Heidenheimer, wo ich seit dem 2. Juli gemeldet bin.
Hanselmann: Würden Sie denn sagen aus diesen Gründen, dass die Menschen, die Portugal den Rücken kehren, Wirtschaftsflüchtlinge sind?
Szymanski: Die EU-Kommission, Brüssel nennt das freien Personenverkehr. Ich nenne es Wirtschaftsflüchtlinge. Das tun auch Gott sei Dank andere Leute, die noch einen kühlen Kopf bewahren und sich nicht von diesen Bürokratenausdrücken beirren lassen. Es sind Wirtschaftsflüchtlinge, ich bin selber einer in gewissem Sinne, denn man kann nicht in einem Land leben, wo die Institutionen ausbluten. Und das ist ein Land, das menschenleer wird, weil die qualifiziertesten Leute auswandern. Man kann nicht Kinder in einem Land großziehen, wo es nur noch alte Menschen gibt und wo es keine Industrie, keine Fischereiflotte und kaum noch Landwirtschaft gibt, weil das alles im Laufe der letzten 20 Jahre, während diese Fiesta lief, an Brüssel abgegeben wurde in gewisser Weise.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton, wir sprechen mit Miguel Szymanski. Er ist Wirtschaftsjournalist, hat 25 Jahre in Portugal gelebt und ist vor Kurzem nach Deutschland gekommen, hauptsächlich, um seinen Kindern optimale Ausbildung und damit Zukunftschancen zu ermöglichen. Herr Szymanski, wie ist es Ihnen bisher in Deutschland ergangen. Haben Sie zum Beispiel gleich eine Wohnung gefunden?
Szymanski: Es war nicht allzu schwierig, es war, möchte ich sagen, leichter, als ich gedacht habe, obwohl man die Sache mit einigem Optimismus angehen muss. Also, wir waren nach einer fünf-, sechstägigen Reise, Autoreise, wir sind mit dem Familienkombi gekommen und haben nur die wichtigsten Sachen mitgebracht. Und wir haben die Reisetage in Hotels verbracht. In Heidenheim waren wir in einer Jugendherberge, und ich war sehr zuversichtlich, dass wir schnell eine Wohnung finden würden. Wir haben auch schnell eine Wohnung zur Zwischenmiete gefunden und danach, innerhalb von vier, fünf Tagen auch eine definitive Wohnung ab dem 1. August. Also das war keine größere Schwierigkeit. Wie gesagt, wenn man sich sprachlich verständigen kann und ein bisschen Optimismus hat, und der Immobilienmarkt ist ja offen – es war nicht so schwierig, muss ich eigentlich sagen.
Hanselmann: Hat Ihnen das auch einen Job beschert inzwischen?
Szymanski: Ich habe es genau andersherum gemacht. Also, ich habe mich von Lissabon aus beworben, also da bin ich schon ein wenig deutsch, dass ich da ein bisschen organisierter vorgehe und nicht mit 50 Euro in der Tasche nach Deutschland komme. Ich habe mich vorher beworben monatelang, zuerst als Journalist, das habe ich die letzten 25 Jahre gemacht. Ich stelle aber fest, dass der Journalismus ein bisschen – wie ich das überhaupt beobachte: Portugal ist ein bisschen eine Karikatur dessen, was ich in Deutschland teilweise beobachte.
Also dem Journalismus geht es sicherlich nicht gut, insofern bin ich doppelt von der Krise gebeutelt, als Portugiese und als Journalist. Und ich bin ziemlich schnell darauf gekommen, nachdem mein bestes Angebot, obwohl ich doch recht viele Kollegen und Freunde und Bekannte im Journalismus habe, das beste Angebot war eine Praktikantenstelle beim Österreichischen Rundfunk, und ich wollte nicht der älteste Praktikant der ORF-Geschichte sein. Und dann habe ich schnell mich auf etwas anderes konzentriert, ich habe mich auf Fernando Pessoa besonnen, den portugiesischen Dichter, der auch als Werbetexter sehr erfolgreich war, und habe mich, weil ich ja schreiben möchte – und im Grunde ist ja Wirtschaftsjournalismus und Werbetexten, wenn man sich die Wirtschaftsblätter ansieht und die Anlagetipps, haben ja mehr gemeinsam als die Alliteration, habe ich mich für Werbeagenturen beworben und da habe ich – und ich wollte auch eine kleine Stadt, eine kinderfreundliche Stadt. Und die Agentur Becker in Heidenheim hat mich eingeladen ab dem 15. Juli dort anzufangen, worüber ich mich sehr gefreut habe, es ist eine südländisch kreative Agentur und auf der anderen Seite deutsch-solide, seit über 20 Jahren. Und ich werde also nicht nur ein Land wechseln, ich habe auch einen Berufswechsel vor mir, dem ich auch sehr optimistisch entgegensehe.
Hanselmann: Da wünsche ich natürlich viel Glück dabei. Wie geht es Ihren beiden kleinen Töchtern? Die konnten sicherlich schon deutsch, als Sie hier herüberkamen, oder?
Szymanski: Ja, ich habe jahrelang in Lissabon überhaupt kaum Deutsch geredet, nur aus strikt beruflichen Gründen. Und als Sophia vor fünf Jahren geboren ist, habe ich angefangen, zu Hause deutsch zu reden. Sie ist also von Anfang an zweisprachig aufgewachsen. Sie macht sich hier große Sorgen, weil sie fragte mich neulich, wie man einen Schneemann baut ¬– das scheint ihr große Sorgen zu bereiten.
Hanselmann: Noch vielleicht eine Minute lang eine interessante Geschichte. Denn das Auswandern in Ihrer Familie hat ja eine gewisse Tradition. Nicht nur, dass Sie schon mal ausgewandert waren aus Portugal, ihr deutscher Urgroßvater, der ist ja seinerzeit genau in die andere Richtung geflüchtet. Erzählen Sie uns noch kurz davon.
Szymanski: Das ist wahr. Mein Urgroßvater Ernst Friedrich Henzler, den ich noch kennengelernt habe, und den Nachnamen tragen meine Töchter, seinen Nachnamen, ist um 1900 herum aus der Region südlich von Stuttgart, Krötzingen, Nürtingen, der es wirtschaftlich ganz schlecht ging, und viele junge Menschen mussten damals auswandern oder verhungern, so hat er es mir erzählt und ich konnte es später bestätigen. Er ist ausgewandert, erst nach Spanien, Katalonien, und später an die Algarve nach Portugal, wo er eine Korkfabrik dann später aufgebaut hat. Also er ist auch als Wirtschaftsflüchtling, aber, wie Sie sagten, in die entgegengesetzte Richtung ausgewandert.
Hanselmann: Und sehr erfolgreich war mit dieser Korkfabrik, hab ich gelesen. Vielen Dank! Miguel Szymanski, der mit seiner Familie aus Portugal nach Deutschland ausgewandert ist, hier Fuß fassen will und dies schon teilweise getan hat. Vielen Dank und alles Gute weiterhin, Herr Szymanski!
Szymanski: Vielen Dank für Ihr Interesse, Herr Hanselmann!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Miguel Szymanski: Vielen Dank, Herr Hanselmann.
Hanselmann: Herr Szymanski, wovor genau sind Sie geflüchtet?
Szymanski: Sie erwähnten Schulden ohne Ende. Die gibt es tatsächlich, Gott sei Dank nicht meine persönlichen, sonst wäre ich untergetaucht und nicht im Studio in Ulm. Tatsächlich aber schuldet Portugal derart viel Geld, es sind insgesamt, es ist die wahnsinnige Summe von 800 Milliarden Euro. Die Staatsverschuldung, die private Verschuldung, die Schulden der Unternehmen – Portugal schuldet so viel Geld, dass man beobachten kann, wie das Land kollabiert. Und das passiert zurzeit. Das Erziehungssystem funktioniert schlecht, das Gesundheitssystem funktioniert sehr schlecht. Es ist kein Land, wo ich meine Kinder großziehen möchte. Und nach einer sehr schönen, sehr langen Zeit, einer langen Fiesta im Süden muss ich mich nach 25 Jahren auf meine deutschen Wurzeln zurückbesinnen, und vor einer Woche bin ich nach Deutschland zurückgekommen.
Hanselmann: Das heißt, Sie waren früher schon einmal nach Deutschland ausgewandert?
Szymanski: Ja, aus ähnlichen Gründen waren mein Vater und meine Mutter Anfang der 70er-Jahre aus Portugal nach Deutschland gekommen. Auch damals funktionierte das Land plötzlich nicht mehr nach der Nelken-Revolution. Es war sehr instabil. Die ganzen demokratischen Institutionen, die ganz frisch aufgebaut wurden und sehr viel versprachen, waren noch der großen Gefahr des Kommunismus – damals sah das mein Vater so, er war selber aus der DDR geflüchtet in den 50ern, und er befürchtete, Portugal würde zu einem kommunistischen Land werden. Und tatsächlich sah es eine Zeit lang so aus, und wir sind in den 70ern nach Deutschland gekommen. Ich habe mein Abitur hier gemacht. Und nach dem Abitur bin ich nach Portugal, das war vor 25 Jahren, und habe dort mein ganzes berufliches Leben verbracht, in Lissabon.
Hanselmann: Sind Ihre Kinder denn der Hauptgrund für die Entscheidung gewesen, jetzt wieder nach Deutschland zu gehen? Welche Aussichten hätten sie denn in Portugal gehabt, Ihre beiden kleinen Mädchen?
Szymanski: Sie sind nicht der Hauptgrund, ich möchte sagen, sie sind der einzige Grund. Maria ist drei, Sophia ist fünf, und das ist das richtige Alter. Ich möchte nicht, ich könnte – man kann natürlich in Lissabon eine deutsche Schule besuchen, sofern man sich diese leisten kann, aber die Kinder würden dann unter einer Glasglocke groß werden und man müsste sie vor dem schützen, was drum herum passiert, und das ist allerhand. Ich möchte nicht, dass meine Kinder sehen, wie sich alte Menschen aus Mülltonnen ernähren, ich möchte nicht, dass sie sehen, dass ihre gleichaltrigen Kollegen keinen Zugang zu Medikamenten haben, und das kann man jetzt schon beobachten. Und die Aussichten sind für die – wie gesagt, diese Schulden sind so hoch, ich würde – pro Kopf schuldet jeder Portugiese 80.000 Euro zurzeit, wenn man das pro Kopf rechnet, per capita. Da meine Töchter nicht arbeiten, meine Mutter und meine Großmutter auch nicht, schulde ich so circa 400.000 bis 500.000 Euro. Und das wird natürlich kein Portugiese zurückzahlen können. Deswegen sind es nicht Zehntausende, besser gesagt, es sind Zehntausende, es sind über 100.000 Portugiesen, die zurzeit jedes Jahr auswandern. Das ist mehr als zur Zeit des Kolonialkriegs.
Ich bin einer von diesen über Hunderttausend, und Gott sei Dank habe ich nicht diese ganzen Barrieren, die viele meiner Landsleute haben. Zurzeit, ich rede deutsch und ein bisschen, wie Pessoa sagt, die Sprache ist meine Heimat, und ich fühle mich eigentlich schon als Heidenheimer, wo ich seit dem 2. Juli gemeldet bin.
Hanselmann: Würden Sie denn sagen aus diesen Gründen, dass die Menschen, die Portugal den Rücken kehren, Wirtschaftsflüchtlinge sind?
Szymanski: Die EU-Kommission, Brüssel nennt das freien Personenverkehr. Ich nenne es Wirtschaftsflüchtlinge. Das tun auch Gott sei Dank andere Leute, die noch einen kühlen Kopf bewahren und sich nicht von diesen Bürokratenausdrücken beirren lassen. Es sind Wirtschaftsflüchtlinge, ich bin selber einer in gewissem Sinne, denn man kann nicht in einem Land leben, wo die Institutionen ausbluten. Und das ist ein Land, das menschenleer wird, weil die qualifiziertesten Leute auswandern. Man kann nicht Kinder in einem Land großziehen, wo es nur noch alte Menschen gibt und wo es keine Industrie, keine Fischereiflotte und kaum noch Landwirtschaft gibt, weil das alles im Laufe der letzten 20 Jahre, während diese Fiesta lief, an Brüssel abgegeben wurde in gewisser Weise.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton, wir sprechen mit Miguel Szymanski. Er ist Wirtschaftsjournalist, hat 25 Jahre in Portugal gelebt und ist vor Kurzem nach Deutschland gekommen, hauptsächlich, um seinen Kindern optimale Ausbildung und damit Zukunftschancen zu ermöglichen. Herr Szymanski, wie ist es Ihnen bisher in Deutschland ergangen. Haben Sie zum Beispiel gleich eine Wohnung gefunden?
Szymanski: Es war nicht allzu schwierig, es war, möchte ich sagen, leichter, als ich gedacht habe, obwohl man die Sache mit einigem Optimismus angehen muss. Also, wir waren nach einer fünf-, sechstägigen Reise, Autoreise, wir sind mit dem Familienkombi gekommen und haben nur die wichtigsten Sachen mitgebracht. Und wir haben die Reisetage in Hotels verbracht. In Heidenheim waren wir in einer Jugendherberge, und ich war sehr zuversichtlich, dass wir schnell eine Wohnung finden würden. Wir haben auch schnell eine Wohnung zur Zwischenmiete gefunden und danach, innerhalb von vier, fünf Tagen auch eine definitive Wohnung ab dem 1. August. Also das war keine größere Schwierigkeit. Wie gesagt, wenn man sich sprachlich verständigen kann und ein bisschen Optimismus hat, und der Immobilienmarkt ist ja offen – es war nicht so schwierig, muss ich eigentlich sagen.
Hanselmann: Hat Ihnen das auch einen Job beschert inzwischen?
Szymanski: Ich habe es genau andersherum gemacht. Also, ich habe mich von Lissabon aus beworben, also da bin ich schon ein wenig deutsch, dass ich da ein bisschen organisierter vorgehe und nicht mit 50 Euro in der Tasche nach Deutschland komme. Ich habe mich vorher beworben monatelang, zuerst als Journalist, das habe ich die letzten 25 Jahre gemacht. Ich stelle aber fest, dass der Journalismus ein bisschen – wie ich das überhaupt beobachte: Portugal ist ein bisschen eine Karikatur dessen, was ich in Deutschland teilweise beobachte.
Also dem Journalismus geht es sicherlich nicht gut, insofern bin ich doppelt von der Krise gebeutelt, als Portugiese und als Journalist. Und ich bin ziemlich schnell darauf gekommen, nachdem mein bestes Angebot, obwohl ich doch recht viele Kollegen und Freunde und Bekannte im Journalismus habe, das beste Angebot war eine Praktikantenstelle beim Österreichischen Rundfunk, und ich wollte nicht der älteste Praktikant der ORF-Geschichte sein. Und dann habe ich schnell mich auf etwas anderes konzentriert, ich habe mich auf Fernando Pessoa besonnen, den portugiesischen Dichter, der auch als Werbetexter sehr erfolgreich war, und habe mich, weil ich ja schreiben möchte – und im Grunde ist ja Wirtschaftsjournalismus und Werbetexten, wenn man sich die Wirtschaftsblätter ansieht und die Anlagetipps, haben ja mehr gemeinsam als die Alliteration, habe ich mich für Werbeagenturen beworben und da habe ich – und ich wollte auch eine kleine Stadt, eine kinderfreundliche Stadt. Und die Agentur Becker in Heidenheim hat mich eingeladen ab dem 15. Juli dort anzufangen, worüber ich mich sehr gefreut habe, es ist eine südländisch kreative Agentur und auf der anderen Seite deutsch-solide, seit über 20 Jahren. Und ich werde also nicht nur ein Land wechseln, ich habe auch einen Berufswechsel vor mir, dem ich auch sehr optimistisch entgegensehe.
Hanselmann: Da wünsche ich natürlich viel Glück dabei. Wie geht es Ihren beiden kleinen Töchtern? Die konnten sicherlich schon deutsch, als Sie hier herüberkamen, oder?
Szymanski: Ja, ich habe jahrelang in Lissabon überhaupt kaum Deutsch geredet, nur aus strikt beruflichen Gründen. Und als Sophia vor fünf Jahren geboren ist, habe ich angefangen, zu Hause deutsch zu reden. Sie ist also von Anfang an zweisprachig aufgewachsen. Sie macht sich hier große Sorgen, weil sie fragte mich neulich, wie man einen Schneemann baut ¬– das scheint ihr große Sorgen zu bereiten.
Hanselmann: Noch vielleicht eine Minute lang eine interessante Geschichte. Denn das Auswandern in Ihrer Familie hat ja eine gewisse Tradition. Nicht nur, dass Sie schon mal ausgewandert waren aus Portugal, ihr deutscher Urgroßvater, der ist ja seinerzeit genau in die andere Richtung geflüchtet. Erzählen Sie uns noch kurz davon.
Szymanski: Das ist wahr. Mein Urgroßvater Ernst Friedrich Henzler, den ich noch kennengelernt habe, und den Nachnamen tragen meine Töchter, seinen Nachnamen, ist um 1900 herum aus der Region südlich von Stuttgart, Krötzingen, Nürtingen, der es wirtschaftlich ganz schlecht ging, und viele junge Menschen mussten damals auswandern oder verhungern, so hat er es mir erzählt und ich konnte es später bestätigen. Er ist ausgewandert, erst nach Spanien, Katalonien, und später an die Algarve nach Portugal, wo er eine Korkfabrik dann später aufgebaut hat. Also er ist auch als Wirtschaftsflüchtling, aber, wie Sie sagten, in die entgegengesetzte Richtung ausgewandert.
Hanselmann: Und sehr erfolgreich war mit dieser Korkfabrik, hab ich gelesen. Vielen Dank! Miguel Szymanski, der mit seiner Familie aus Portugal nach Deutschland ausgewandert ist, hier Fuß fassen will und dies schon teilweise getan hat. Vielen Dank und alles Gute weiterhin, Herr Szymanski!
Szymanski: Vielen Dank für Ihr Interesse, Herr Hanselmann!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.