Das längste Orgelkonzert der Welt
Das Konzert in der Burchardi-Kirche in Halberstadt dauert schon zehn Jahre. Monatelang hören die Besucher einen Akkord. Am Montag wechselt der Klang wieder. Bis der allerletzte Orgelton verklingt, soll es noch mehr als 600 Jahre dauern.
Wenn man die ehemalige Klosterkirche betritt, ist der etwas schräge Akkord zunächst erst dezent zu hören. Doch obwohl seit Monaten immer die gleichen sieben Töne gespielt werden, verändert sich beim Gehen der Klangeindruck.
„Der Ton hört sich überall anders an. Wenn ich meinen Kopf bewege, wenn ich zum Beispiel in diesen Chorumgang eintrete, dann wird es sehr harmonisch, sehr verhalten; wenn ich direkt an diesem Klangkörper stehe, dann ist es schon ein bisschen aggressiver, jeder Schritt, jede Bewegung lässt dieses Konzert anders klingen.“
Margot Dannenberg betreut seit acht Jahren das Projekt. Sie ist Hausmeisterin und Fremdenführerin, die Frau für alle Fälle.
„Wir hören im Moment das a, das c, das fis, das doppelt gestrichene gis, das d, das e und das doppelt gestrichene as. Noch kann ich das so runterleiern, was sicher irgendwann schwieriger werden wird.“
Der 1992 in New York gestorbene Konzeptkünstler John Cage schrieb 1987 das Orgelstück „As slow as possible“. Zehn Jahre später fragten sich Musiker und Cage-Fans in Deutschland, wie langsam „so langsam wie möglich“ bedeuten könnte. Auf eine Antwort stießen sie in Halberstadt: Dort war im Jahr 1361 die erste Großorgel der Welt entstanden; dieses Datum nahmen die Initiatoren des Cage-Projektes zum Anlass, im Jahr 2000 die 639-jährige Geschichte der Orgel in die Zukunft zu spiegeln: „As slow as possible“ soll möglichst bis zum Jahr 2639 durch die Burchardi-Kirche klingen.
Margot Dannenberg war von Anfang an begeistert von dem Projekt. Die Zeitdimension erinnert sie an den Bau der Kathedralen seit dem Mittelalter, der sich über Jahrzehnte, Jahrhunderte hinzog.
„Der Optimismus pur in die Zukunft, dieses Ur- und Gottvertrauen, die nächste Generation wird es schon machen, den Staffelstab einfach weiterzugeben, wichtig ist für mich, dass man dabei sein konnte, das Projekt ein kleines Stück begleiten durfte, das ist das Tolle an dem Projekt.“
„Der Umgang mit der Zeit, das war das, was mich am Anfang fasziniert hat.“
Rainer Neugebauer ist Vorsitzender der Halberstädter John-Cage-Orgel-Stiftung.
„Inzwischen habe ich neu hören gelernt durch dieses Projekt. Cage sagt ja, alle Klänge haben den gleichen Wert, was wir als Geräusch abtun, ist für ihn genauso gut und das fasziniert mich, dass ich Gelassenheit bekommen habe.“
Natürlich: der Avantgarde-Komponist John Cage ist nicht der musikalische Mainstream. Davon zeugen unter anderem seine Stücke wie zum Beispiel „4'33'‘: vier Minuten und 33 Sekunden, in denen kein Ton gespielt wird.
„Es gibt Menschen, denen entgleisen förmlich die Gesichtszüge, wenn sie Musik von John Cage hören, da kommt eine Einstellung, die man vielleicht auch lernen muss, sich mit zeitgenössischer Musik mal auseinanderzusetzen.“
Dennoch entdecken Rainer Neugebauer und Margot Dannenberg bei den meisten Besuchern eine positive Aufgeschlossenheit für das längste und ungewöhnlichste Orgelkonzert der Welt:
„Es kommen Menschen, die einfach völlig ohne Vorstellung sind, die einfach diesen Hinweis lesen und nur neugierig sind und gehen, nachdem sie erfahren haben, warum Menschen auf die Idee gekommen sind, so ein Projekt überhaupt ins Leben zu rufen, ich würde sagen, sie gehen zu 95 Prozent begeistert nach Hause. Es gibt nur ganz wenige, die diesen wichtigen philosophischen Hintergrund nicht erkennen und sich nur an diesem Ton entlanghangeln.“
„Das ist für viele Leute völlig verstörend, kein Mensch, der in das Konzert geht, kann es als Ganzes hören, wir hören nicht viel an Rhythmik und Melodik. Für die meisten der Besucher ist es der Umgang mit der Zeit. Wir leben in einer Zeit, wo wir keine Zeit haben und da wird es gemacht, was, ich sage es gern mit Shakespeare, was über Menschenwitz hinausgeht, was über unser eigenes Leben hinausgeht.“
Ein Glücksfall für das Projekt ist das ehemalige Gotteshaus, das einst Klosterkirche für die Zisterzienserinnen war. Doch das liegt schon lange zurück:
Rainer Neugebauer: „Für das Gebäude ist das eine Nutzung, der der ursprünglichen Nutzung wieder nahe kommt, es ist ja kein sakrales Gebäude mehr, unter Napoleon säkularisiert, es war Schweinestall, Brauerei, Scheune, man sieht diesem Gebäude die Spuren der Geschichte an, der Raum symbolisiert die Geschichte des Klosters seit dem 12. Jahrhundert.“
Margot Dannenberg: „Zu einem Orgelkonzert gehört auch eine Kirche, und was mich an diesem uralten Gemäuer fasziniert, ist, dass es sehr viele Parallelen gibt. Es war ja immerhin eine Klosterkirche, die Nonnen haben ja auch durch das Leben ihres Glaubens versucht, der Ewigkeit ein Stück näher zu kommen und wir wollen das auch mit diesem Stück von John Cage.“
In der Burchardi-Kirche stößt man auf eine kleine improvisierte Orgel, die von einem Sockel erklingt. Die entsprechenden Tasten werden von Sandsäckchen niedergedrückt. Im hinteren Bereich der Kirche arbeitet ein Blasebalg.
Zu Beginn des Werkes hörte der Besucher übrigens 17 Monate lang nur den Blasebalg, da „As slow as possible“ mit einer Pause anfängt. Die Stiftung ist knapp bei Kasse, gesteht Rainer Neugebauer freimütig, denn noch gibt es keine öffentlichen Zuschüsse für das Projekt, das Halberstadt doch immerhin – wie er stolz vermerkt – zum ersten und einzigen Mal auf die Titelseite der New York Times gebracht hat.
„Wir sehen hier am Rande der Kirche eine Stahlleiste, auf der Tafeln drauf sind. Das ist im Moment unsere Hauptfinanzierungsquelle. Wir verkaufen Klangjahre. Ein Klangjahr kostet mindestens 1000 Euro, da wird gesagt, das ist aber auch nicht wenig, aber das hängt hier 639 Jahre, wenn man tot ist und auf den Halberstädter Friedhof kommt, dann muss man nach 20 Jahren schon nachzahlen.“
„Der Ton hört sich überall anders an. Wenn ich meinen Kopf bewege, wenn ich zum Beispiel in diesen Chorumgang eintrete, dann wird es sehr harmonisch, sehr verhalten; wenn ich direkt an diesem Klangkörper stehe, dann ist es schon ein bisschen aggressiver, jeder Schritt, jede Bewegung lässt dieses Konzert anders klingen.“
Margot Dannenberg betreut seit acht Jahren das Projekt. Sie ist Hausmeisterin und Fremdenführerin, die Frau für alle Fälle.
„Wir hören im Moment das a, das c, das fis, das doppelt gestrichene gis, das d, das e und das doppelt gestrichene as. Noch kann ich das so runterleiern, was sicher irgendwann schwieriger werden wird.“
Der 1992 in New York gestorbene Konzeptkünstler John Cage schrieb 1987 das Orgelstück „As slow as possible“. Zehn Jahre später fragten sich Musiker und Cage-Fans in Deutschland, wie langsam „so langsam wie möglich“ bedeuten könnte. Auf eine Antwort stießen sie in Halberstadt: Dort war im Jahr 1361 die erste Großorgel der Welt entstanden; dieses Datum nahmen die Initiatoren des Cage-Projektes zum Anlass, im Jahr 2000 die 639-jährige Geschichte der Orgel in die Zukunft zu spiegeln: „As slow as possible“ soll möglichst bis zum Jahr 2639 durch die Burchardi-Kirche klingen.
Margot Dannenberg war von Anfang an begeistert von dem Projekt. Die Zeitdimension erinnert sie an den Bau der Kathedralen seit dem Mittelalter, der sich über Jahrzehnte, Jahrhunderte hinzog.
„Der Optimismus pur in die Zukunft, dieses Ur- und Gottvertrauen, die nächste Generation wird es schon machen, den Staffelstab einfach weiterzugeben, wichtig ist für mich, dass man dabei sein konnte, das Projekt ein kleines Stück begleiten durfte, das ist das Tolle an dem Projekt.“
„Der Umgang mit der Zeit, das war das, was mich am Anfang fasziniert hat.“
Rainer Neugebauer ist Vorsitzender der Halberstädter John-Cage-Orgel-Stiftung.
„Inzwischen habe ich neu hören gelernt durch dieses Projekt. Cage sagt ja, alle Klänge haben den gleichen Wert, was wir als Geräusch abtun, ist für ihn genauso gut und das fasziniert mich, dass ich Gelassenheit bekommen habe.“
Natürlich: der Avantgarde-Komponist John Cage ist nicht der musikalische Mainstream. Davon zeugen unter anderem seine Stücke wie zum Beispiel „4'33'‘: vier Minuten und 33 Sekunden, in denen kein Ton gespielt wird.
„Es gibt Menschen, denen entgleisen förmlich die Gesichtszüge, wenn sie Musik von John Cage hören, da kommt eine Einstellung, die man vielleicht auch lernen muss, sich mit zeitgenössischer Musik mal auseinanderzusetzen.“
Dennoch entdecken Rainer Neugebauer und Margot Dannenberg bei den meisten Besuchern eine positive Aufgeschlossenheit für das längste und ungewöhnlichste Orgelkonzert der Welt:
„Es kommen Menschen, die einfach völlig ohne Vorstellung sind, die einfach diesen Hinweis lesen und nur neugierig sind und gehen, nachdem sie erfahren haben, warum Menschen auf die Idee gekommen sind, so ein Projekt überhaupt ins Leben zu rufen, ich würde sagen, sie gehen zu 95 Prozent begeistert nach Hause. Es gibt nur ganz wenige, die diesen wichtigen philosophischen Hintergrund nicht erkennen und sich nur an diesem Ton entlanghangeln.“
„Das ist für viele Leute völlig verstörend, kein Mensch, der in das Konzert geht, kann es als Ganzes hören, wir hören nicht viel an Rhythmik und Melodik. Für die meisten der Besucher ist es der Umgang mit der Zeit. Wir leben in einer Zeit, wo wir keine Zeit haben und da wird es gemacht, was, ich sage es gern mit Shakespeare, was über Menschenwitz hinausgeht, was über unser eigenes Leben hinausgeht.“
Ein Glücksfall für das Projekt ist das ehemalige Gotteshaus, das einst Klosterkirche für die Zisterzienserinnen war. Doch das liegt schon lange zurück:
Rainer Neugebauer: „Für das Gebäude ist das eine Nutzung, der der ursprünglichen Nutzung wieder nahe kommt, es ist ja kein sakrales Gebäude mehr, unter Napoleon säkularisiert, es war Schweinestall, Brauerei, Scheune, man sieht diesem Gebäude die Spuren der Geschichte an, der Raum symbolisiert die Geschichte des Klosters seit dem 12. Jahrhundert.“
Margot Dannenberg: „Zu einem Orgelkonzert gehört auch eine Kirche, und was mich an diesem uralten Gemäuer fasziniert, ist, dass es sehr viele Parallelen gibt. Es war ja immerhin eine Klosterkirche, die Nonnen haben ja auch durch das Leben ihres Glaubens versucht, der Ewigkeit ein Stück näher zu kommen und wir wollen das auch mit diesem Stück von John Cage.“
In der Burchardi-Kirche stößt man auf eine kleine improvisierte Orgel, die von einem Sockel erklingt. Die entsprechenden Tasten werden von Sandsäckchen niedergedrückt. Im hinteren Bereich der Kirche arbeitet ein Blasebalg.
Zu Beginn des Werkes hörte der Besucher übrigens 17 Monate lang nur den Blasebalg, da „As slow as possible“ mit einer Pause anfängt. Die Stiftung ist knapp bei Kasse, gesteht Rainer Neugebauer freimütig, denn noch gibt es keine öffentlichen Zuschüsse für das Projekt, das Halberstadt doch immerhin – wie er stolz vermerkt – zum ersten und einzigen Mal auf die Titelseite der New York Times gebracht hat.
„Wir sehen hier am Rande der Kirche eine Stahlleiste, auf der Tafeln drauf sind. Das ist im Moment unsere Hauptfinanzierungsquelle. Wir verkaufen Klangjahre. Ein Klangjahr kostet mindestens 1000 Euro, da wird gesagt, das ist aber auch nicht wenig, aber das hängt hier 639 Jahre, wenn man tot ist und auf den Halberstädter Friedhof kommt, dann muss man nach 20 Jahren schon nachzahlen.“