Das Kreieren eines Charakters

Von Camilla Hildebrandt · 14.02.2011
Obwohl sie mit Star-Regisseuren und -Schauspielern arbeitet, sei ihr Job die meiste Zeit wenig glamourös, sagt Kostümbildnerin Sandy Powell. Bereits drei Mal wurde sie mit dem Oscar ausgezeichnet. Zur Zeit ist sie Jury-Mitglied bei der Berlinale.
Ein langes Kleid für die Konservative, ein Minirock für die Mutige?
Klar, solche Klassiker gebe es schon im Kostümdesign, sagt Sandy Powell. Aber vor allem sei es ihr Job, einen bestimmten Charakter zu kreieren, und nicht dem Schauspieler ein Kostüm überzustülpen.

"Es geht nicht darum, jemanden schön aussehen zu lassen. Wenn es so gewollt ist, OK. Aber meine Arbeit ist es, die Rolle, also den Charakter, zu verstehen und zu entscheiden, was er dementsprechend anziehen wird, sodass die Zuschauer wirklich an ihn glauben."

Aber ohne den Schauspieler zu kennen, habe es wenig Sinn etwas zu entwerfen, erklärt die schmale 50-Jährige mit dem roten Bubikopf.

"Du kannst das Skript lesen, eine Idee im Kopf haben, wie der Charakter aussehen soll, zum Beispiel der Böse: Ok ich ziehe ihm was Schwarzes an, denn das ist traditionell so. Aber dann schaust du den Schauspieler an, und er sieht schrecklich in Schwarz aus. Grün hingegen macht ihn viel böser."

"Auf meinen Ruf hin treffen wir aufeinander ... wer in Five Points das Sagen hat ..."

"Du hast zum Beispiel zwei Leute für dieselbe Rolle, aber sie spielen sie auf verschiedene Weise. Dann musst du sie auch unterschiedlich kleiden."

Kurz: Kostümdesign, das ist 80 Prozent Psychologie und nur 20 Prozent Kunst, behauptet Powell und lacht.

"Wenn der Schauspieler sich in seinen Kleidern gut fühlt, dann kann er auch seinen Job gut machen. Wenn nicht, kann er sich und dir das Leben sehr schwer machen. Also, zunächst musst du schnell seine Gefühle verstehen lernen, das heißt, was seine Rolle angeht, seinen Körper und seine Physiognomie. Es geht also vor allem auch darum, die Unsicherheiten oder kleinen Geheimnisse der Schauspieler zu verstehen."

Kleider selbst zu schneidern, für sich und ihre Puppen, damit hat Sandy Powell schon früh angefangen. Aber die Faszination für die Kostüm- und Theaterwelt kam erst durch das Tanz-Stück "Flowers" von Lindsay Kemp, das sie mit 14 Jahren im Theater gesehen hat.

"Das waren nicht nur die Kostüme, es war das ganze Gefühl dort im Theater, es war unglaublich visuell. Und es war alles zusammen: Das fantastische Licht, die fantastische Szenerie, ich fühlte mich verführt und dachte: Ich will Teil dieser Welt sein."

Oscar für Sandy Powell für das Beste Kostümdesign in "Young Victoria” von Jean-Marc Valleé, 2009

"Von nun an ... könnt ihr auf mich zählen."

Mit ihren langen, feinen Gliedmaßen, dem frechen, runden Gesicht und den strahlenden Augen, könnte man sich Sandy Powell auch ohne Weiteres auf der Bühne oder vor der Kamera vorstellen. Aber das interessiert sie nicht. Nach der Schule beginnt sie zielstrebig eine Ausbildung am Central Saint Martins College of Art and Design in London.

"Ich habe diese Uni dann ohne Abschluss verlassen, denn ich habe die Person getroffen, mit der ich arbeiten wollte, und das war viel mehr wert, als dort zu bleiben: Choreograf und Tänzer Lindsay Kemp. Er gab mir viel Freiheit, aber er hat mir auch sehr viel beigebracht. Ich denke, er war mein erster großer Lehrer. Der Zweite war dann Regisseur Derek Jarman. Er hat mich in die Filmwelt eingeführt."

Neun Oscar-Nominierungen, drei Oscar-Auszeichnungen, Arbeiten mit Regisseuren wie Martin Scorsese oder Steven Frears und Schauspielern wie Nathalie Portman, Cate Blanchet und Brad Pitt - ein Traumjob.

"Die Leute denken manchmal, dass das ein sehr glamouröses Leben ist als Kostümbildner, aber das ist es nicht. Die Welt des Films oder des Theaters, das ist glamourös, und ich liebe es, dort zu sein, aber wenn du arbeitest, ist es das nicht."

"Die vielen Stunden, die du arbeitest, sieben Tage die Woche, manchmal Monate lang, da musst du dein eigenes Leben völlig aufgeben."

"Auf dem Filmset ist es oft sehr langweilig, weil lange Zeit gar nichts passiert und du wartest und wartest."

"Wir könnten ein Flugzeug bauen..."

Familie, nein, die hat die gebürtige Londonerin nicht. Wegen ihrer Arbeit? Schon möglich.

"Wenn ich ein Filmprojekt beende, versuche ich immer ein paar Monate für mich zu haben, nicht eins nach dem anderen, denn dann bleibt da überhaupt kein Privatleben mehr. Wenn du aber arbeitest, dann ist die Film- oder Theatercrew deine Familie."

Und ihre Arbeit auf der diesjährigen Berlinale, als Mitglied der Wettbewerbs-Jury - das könnte sich Kostümbildnerin Sandy Powell schon öfters vorstellen.

"Ich liebe Filme! Das ist so eine fantastische Erfahrung, und ich wollte ehrlich gesagt schon immer in einer Filmjury Mitglied sein, und ich kann mir gar nichts schöneres Vorstellen, als die Möglichkeit zu haben, den ganzen Tag lang Filme anzusehen."

"In diesem Straßenkampf werde ich nicht verlieren, ihm gehört Pan Am, ihm gehört der Kongress, aber der Himmel gehört ihm nicht."