Das Kopftuch hat "etwas mit einem Kostüm zu tun"

Moderation: Britta Bürger · 08.03.2013
Viele Frauen wüssten nicht, was sie tun, wenn sie sich verhüllen, sagt die islamische Kommunikationsmangarin Emel Zeynelabidin. Daher sei es wichtig, die Menschen aufzuklären, vor allem die Frauen. Ein Kopftuch sei "so uniformmäßig".
Britta Bürger: Die Kommunikationsmanagerin und Publizistin Emel Zeynelabidin ist inmitten des muslimischen Gemeindelebens in Deutschland aufgewachsen. 30 Jahre lang hat sie wie selbstverständlich ein Kopftuch getragen, bis sie es vor acht Jahren dem Bonner Haus der Geschichte geschenkt hat.

Seitdem zeigt Emel Zeynelabidin ihre Locken, seitdem hat ihr Geist angefangen zu atmen - so formuliert sie es in ihrem Buch "Erwachsen wird man nur im Diesseits". Frau Zeynelabidin, schön, dass Sie zu uns gekommen sind, herzlich willkommen!

Emel Zeynelabidin: Ich danke Ihnen für die Einladung!

Bürger: Vermutlich hat Ihr Geist schon vor dem Ablegen des Kopftuchs angefangen zu atmen? Wann hat das begonnen, dass das Anlegen des Kopftuchs am Morgen für Sie keine routinierte Selbstverständlichkeit war, sondern etwas, das Sie hinterfragt haben, das Sie vielleicht auch gestört hat?

Zeynelabidin: Wichtig ist, dass ich mein Kopftuch nicht von einem Moment zum anderen abgelegt habe, sondern dass ich einen Prozess von ungefähr einem Jahr vorher habe passieren lassen, ohne es als Prozess zu erkennen. Ich hatte ursprünglich gar nicht vor, mein Kopftuch abzulegen oder meine äußere Erscheinung zu verändern. Ich habe ein Jahr dazwischen mit Kopfschmuckmodellen experimentiert.

Da gab es also ein Schlupfmodell aus einem elastischen Stoff, was man als Kapuze überziehen kann, dann hatte ich mein Haubenmodell - das war mein Lieblingsmodell - und dann gab es noch die Hutmodelle, wo wir also einen Hut noch versehen haben mit einem Halsteil. Das waren schicke Kopfschmuckkreationen, mit denen ich interessanterweise dann plötzlich nicht mehr erkannt wurde auf der Straße als Muslimin.

Und diese Erfahrung, die ich dann in diesem ganzen Jahr mit den Kopfschmuckmodellen gemacht habe, die haben mich sehr geprägt. Das war eine Zeit, wo ich dann parallel dazu auch noch Rede und Antwort stehen musste den Journalisten, die interessiert daran waren, was es denn auf sich hat mit der Verhüllung. Es ging da nämlich um diese Kopftuchdebatte, die gerade begonnen hatte, im Jahre 2004 ...

Bürger: Aber ich würde gerne noch mal einen Schritt zurückgehen: Was war das für ein innerer Prozess, wie hat der begonnen, dass Sie gemerkt haben, ich fühle mich mit diesem Kopftuch nicht mehr wohl?

Zeynelabidin: Also, mit meinem Kopftuch - dieses klassische Kopftuch, was wir kennen - fing es an, langweilig zu werden. Ich hatte wahrscheinlich das Bedürfnis, mich etwas abzugrenzen von diesem kollektiven Erscheinungsbild, von diesem uniformen Erscheinungsbild. Dann kam die Idee mit der Hutmacherin, über eine Freundin. Aber das musste alles stimmen: Das heißt, die Haare, die Ohren und der Hals mussten bedeckt sein.

Bürger: Eine andere Form der Verhüllung.

Zeynelabidin: Wie die Regeln es vorschreiben!

Bürger: Mit welchen Argumenten wurden Sie denn dazu erzogen, ein Kopftuch zu tragen?

Zeynelabidin: Mit gar keinem Argument. Es gehörte dazu. Die Tradition schreibt vor, dass eine heranwachsende Muslimin mit ihrer ersten Regelblutung ihren Körper bedecken soll. Das ist eine Überlieferung aus den islamischen Quellen, aus der islamischen Geschichte. Und das wird praktiziert, und das wurde auch bei uns praktiziert. Da wurde nicht diskutiert oder nachgefragt oder protestiert, das gehörte einfach dazu!

Bürger: Aber Sie sind ja in einem sehr traditionell geprägten Umfeld aufgewachsen. Ihr Vater war in den 70er-Jahren der Gründer der deutschen Sektion der türkischen Organisation Milli Görüs, heute ist sie wegen ihrer islamistischen Ausrichtung vom Verfassungsschutz, wird sie beobachtet.

Er hat Sie in eine arrangierte Ehe geführt, die mittlerweile geschieden wurde. Wie stark war der männliche Druck innerhalb dieser Familienkonstellation, in der Sie aufgewachsen sind, was auch das Kopftuch angeht?

Zeynelabidin: Wie gesagt, es gehörte dazu, es wurde darüber nicht diskutiert und ich habe mich dann allmählich daran gewöhnt. Und mein Vater hat auch keinen Druck ausgeübt. Ich ging in ein katholisches Mädchengymnasium, wo nur Schülerinnen waren, also, ich brauchte das Kopftuch auch in der Schule nicht zu tragen, auch nicht in Anwesenheit der männlichen Lehrer.

Er hat gewusst, wie er mich dahinführt, dass ich das dann als eine Selbstverständlichkeit akzeptiere. Aber ich kritisiere sehr, dass in diesen letzten acht Jahren andere Muslime oder organisierte Muslime die Kopftuchdebatte nicht zum Anlass nehmen, einen innerislamischen Dialog zu führen, eine Auseinandersetzung zu beginnen, auch Farbe zu bekennen! Dass also muslimische Männer nicht auf die Idee kommen zu sagen, Frauen, ihr braucht euch für uns nicht mehr zu verhüllen, wir brauchen diese Verhüllung nicht!

Weil, ursprünglich war die Verhüllung als Hilfestellung für die Männer gedacht gewesen: Sie sollten lernen, die gläubigen Frauen von den Sklavinnen zu unterscheiden durch dieses äußere Unterscheidungsmerkmal der Verhüllung, und sie sollten nicht mehr abgelenkt sein von den weiblichen Reizen, nachdem es zu diesem einen Unfall kam von einem Mann, der sich an einem schön geschmückten Dekolleté verguckt, gegen ein Hindernis rennt, seine Nase sich bricht und dann zum Propheten geht. Das ist ein Vorfall, der ist bekannt.

Bürger: Sie sind gläubige Muslimin, Sie haben sich unter anderem im Studium der Islamwissenschaften, glaube ich, auch intensiv mit dem Koran auseinandergesetzt, Sie haben ihn wirklich gelesen, Sie haben ihn studiert. Doch es kommt da anscheinend immer darauf an, durch welche Brille man diese Schriften liest, auf welche Auslegungen man da zurückgreift. Inwieweit liefert also der Koran selbst Ihnen jetzt eine Vorlage, das Kopftuch abzulegen?

Zeynelabidin: Ich brauchte nicht die Begründung des Korans, um mein Kopftuch abzulegen. Und ich glaube nicht, dass ich das Kopftuch trug, weil es der Koran vorschreibt. Ich hatte mich daran gewöhnt, es war eine Selbstverständlichkeit, die nicht infrage zu stellen ist, das war kein Thema! Mit der Kopftuchdebatte begann es, Thema zu werden. Die Menschen reagieren hier in dieser Mehrheitsgesellschaft anders auf mich, wenn ich plötzlich kein Kopftuch mehr trage. Und keiner kann mich zwingen, mich kenntlich zu machen, dass ich der oder der Religionsgemeinschaft angehöre, das ist meine freie Entscheidung!

Bürger: Das war ein Wunsch nach Emanzipation?

Zeynelabidin: Ich wollte mich einfach erweitern. Ich wollte mich besser verstehen, besser kennenlernen, das ist der natürliche Wunsch eines jeden Menschen, wenn er das zulässt. Es hat etwas mit der Entwicklung eines Menschen zu tun, einer Persönlichkeit zu tun.

Bürger: "Erwachsen wird man nur im Diesseits", so heißt ihr Buch, Emel Zeynelabidin, sie ist zu Gast hier im Deutschlandradio Kultur. Dieser Titel nennt das Diesseits, im Islam spielt ja das Jenseits eine große Rolle, auch die damit verbundenen Drohungen. Wird dem Diesseits zu wenig Bedeutung beigemessen?

Zeynelabidin: Ich habe diesen Titel ganz bewusst ausgesucht mit dem Wunsch, dass klar wird, dass das Leben hier stattfindet. Dass das Erwachsenwerden hier stattfinden muss, dass jeder hier lernen muss, Verantwortung für sein Leben zu tragen, ohne einen Maßstab, der vorgibt, was erlaubt und was verboten sei. Ich möchte, dass über das Thema Erwachsenwerden diskutiert wird.

Bürger: Heißt das, der muslimische Glaube ist für Sie nicht nur eine Art Rückbesinnung, sondern etwas, das durchaus weiterentwickelt werden kann, etwa im Sinne eines aufgeklärten Islam?

Zeynelabidin: Ich bin der Meinung, dass der Islam es nicht nötig hat, aufgeklärt zu werden, der Islam ist der Islam. Vielmehr ist es wichtig, sich auf die Aufklärung der Muslime zu konzentrieren, vor allen Dingen der Frauen unter den Muslimen. So viele Frauen wissen nicht, was sie tun, wenn sie sich verhüllen!

Bürger: Aber es gibt ja auch viele junge, durchaus selbstbewusste und gebildete Frauen, die genau im Gegenteil behaupten, sie trügen das Kopftuch freiwillig und bewusst als Symbol ihrer Religiosität, gerade als Antwort auf Leute wie Alice Schwarzer, die im Kopftuch die Flagge des Islamismus sehen. Was erwidern Sie solchen Frauen, die das Kopftuch eben gerade positiv besetzen wollen?

Zeynelabidin: Also, ich möchte jetzt keiner Frau zu nahe treten, die das Kopftuch wirklich als Teil ihres Lebens oder ihres Lebensprozesses tragen will, meine Tochter trägt ja selbst auch noch die Verhüllung. Aber ich weiß von vielen Gesprächen, dass es sehr viele verschiedene Motive gibt, dieses Kopftuch zu tragen.

Und gerade heute ist es auch ein soziologisches Phänomen geworden, ein Kopftuch zu tragen, es ist eine Markierung von Abgrenzung, es ist ein Protest, es ist aber auch eine Zurschaustellung der Weiblichkeit geworden. Also, es ist so facettenreich geworden!

Was ich sehr bedaure, ist, dass es nichts mit dem Ursprung mehr zu tun hat. Der Ursprung war gewesen: Unterscheidungsmerkmal und Neutralisierung der weiblichen Reize. Und das ist bei den wenigsten heute vorzufinden! Und das muss klar ausgesprochen werden: Was ihr hier macht, ist gut und schön, ist auch vielleicht wichtig für euren Lernprozess, für eure Erfahrungserweiterung, aber es hat nichts mit Religion zu tun! Also haltet bitte Gott und Religion davon fern!

Bürger: Wenn Sie heute von sich Fotos mit Kopftuch sehen, was für eine Frau sehen sie dann?

Zeynelabidin: Ich erkenne mich nicht mehr. Ich bin unscheinbar mit einem Kopftuch. Also, ich erkenne keine Person, eine von vielen. Es ist irgendwie so uniformmäßig. Also, ich habe zwischendurch, in den letzten Jahren, als Komparsin auch ab und zu mal, bin ich in Rollen geschlüpft, wo ich ein Kopftuch aufsetzen sollte und dann langen Mantel und dann die türkische Passantin spielen sollte, und das war schon witzig! Ich habe dann sofort gespürt, dass das ein Kostüm ist! Das heißt, diese Verhüllung hat auch etwas mit einem Kostüm zu tun, mit einem Kostüm, das man überzieht, um in eine Rolle zu schlüpfen! Nämlich die Rolle der muslimischen Frau!

Bürger: Emel Zeynelabidin, herzlichen Dank für das Gespräch!

Zeynelabidin: Ich danke Ihnen für die Fragen!

Bürger: "Erwachsen wird man nur im Diesseits", so heißt das Buch, über das wir gesprochen haben. Erschienen ist es im Verlag 3.0.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Fußgänger gehen durch Berlin-Kreuzberg.
Fußgänger gehen durch Berlin-Kreuzberg.© AP
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