Das Kölner Loch

Von Stefan Keim |
"Wenn ein Mensch ein Loch sieht", schreibt Kurt Tucholsky, "hat er das Bestreben, es aufzufüllen. Dabei fällt er meist hinein." Seine Schlussfolgerung: "Loch ist Schicksal". Mit dieser Lebenseinstellung wäre Kurt Tucholsky heute der ideale Kulturdezernent für Köln.
Köln ist die Stadt der Löcher. Nicht nur im Kulturetat, das ist überall so. Doch wohin man schaut, gähnen schwarze Löcher, von denen einige langsam wieder gefüllt werden. Da wäre zunächst das Loch überhaupt, das so genannte "Kölner Loch". Es befindet sich im Zentrum der Stadt, am Neumarkt. Dort wurden anno 2002 Kunsthalle, Kunstverein und VHS-Forum abgerissen. Ein neues, tolles Museumszentrum sollte entstehen, aber man vergaß, die für den Bau nötigen Landesmittel zu beantragen. Dass die bankrotte Stadt über 60 Millionen Euro aus den eigenen fleischlosen Rippen schneiden könnte, war illusorisch.

Also wartete man, drei Jahre lang, Loch ist Schicksal. Nun endlich beteiligt sich das Land, der Bau beginnt, zunächst mal mit der Tiefgarage. So ein Autoloch kann man immer brauchen, falls es oben doch nicht weiter gehen sollte. Und Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma jubelt, die "überaus vielfältige Kölner Museumslandschaft" werde "um eine weitere Perle bereichert".

Doch viele dieser Perlen glänzen nur noch matt. Weil sie keiner poliert. Nicht nur die Zuschüsse werden immer knapper, viele Leitungsposten waren lange Zeit verwaist. Dass ein Museum einen Direktor braucht, weil Ausstellungen mit großem zeitlichem Vorlauf geplant werden müssen, kratzt in Köln niemanden. Die Personallöcher sind nun zum Teil gefüllt, aber die Folgen der Leerstellen wird die Kölner Kulturszene noch spüren.

Auch das Amt des Kulturdezernenten blieb nach dem Tod Marie Hüllenkremers lange unbesetzt. Immerhin versuchte Oberbürgermeister Schramma einen Schnellschuss. Christoph Nix, bekannt als Mann der großen Worte und fröhlicher Schaumschläger, wurde von der regierenden CDU mitten im Wahlkampf als neuer Dezernent ausgerufen. Ohne Rücksprache mit Koalitionspartner und Opposition. Als sich immer mehr Nix-Kritiker meldeten, machte man die Entscheidung schnell rückgängig. Ein Kölner Loch mit Nix zu füllen, das wäre eine zu prägnante Pointe gewesen.

Spontane Personalpolitik zeichnet die Kölner auch in anderen Fällen aus. Als Opernintendantin hatte man Barbara Mundel erkoren, eine renommierte Frau, die für innovative Konzepte steht. Das wussten manche Kölner Kulturpolitiker aber nicht, und als man es ihnen erzählte, war das Entsetzen groß. Schließlich soll Theater in Köln vor allem schön sein. Oberbürgermeister Schramma schmiss Barbara Mundel raus, bevor sie ihr Amt angetreten hatte – am Telefon.

Auch was Stilfragen angeht, sitzt die Kölner Kulturpolitik tief im Loch. Dass sich Köln in dieser Situation als Kulturhauptstadt bewarb, war ein schlechter Witz. Man gab viel Geld für die Werbung aus – und scheiterte in der ersten Runde.

In Köln leben viele bekannte Künstler und Komponisten, einige international bekannte Spezialensembles für Musik in historischer Aufführungspraxis sind hier zu Hause, auch einige gute freie Theatergruppen. Alle klagen über völliges Desinteresse der Stadt an ihrer Arbeit und spielen vor allem auswärts.

Der neue Kulturdezernent muss von ganz unten anfangen, Kontakte aufbauen, viel Müll zusammen kehren, sich langsam aus dem Kölner Loch heraus arbeiten. Eine seiner wichtigsten Aufgaben wird es ein, überhaupt ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass man Kulturpolitik ernst nehmen muss, dass Museen und Theater Planungssicherheit brauchen. Sonst herrscht unproduktives Chaos.

Auch Rheinländer sollten die alte westfälische Bauernregel beherzigen: Muht die Kuh laut im Getreide, war ein Loch im Zaun der Weide. Herr Tucholsky, mit Verlaub, Loch ist nicht Schicksal.