Das Klimaanlagen-Dilemma

Kühle Wohnung, warmer Planet

30:11 Minuten
Frontansicht eines großen, ockerfarbenen Hochhauses, an dem viele Wohnungen über eine Klimaanlage verfügen
Die Zahl der Hitzetage nimmt zu. Damit steigt auch der Bedarf an Klimaanlagen - was wiederum zur Klimaerwärmung beiträgt. © Unsplash/Annie Spratt
Von Günther Wessel · 21.06.2021
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Hitzewellen machen aus Wohnungen rasch gefühlt Glutöfen. In den USA sind Klimaanlagen daher längst allgegenwärtig. In Deutschland zeichnet sich ein ähnlicher Trend ab. Das Dilemma: Was die Wohnung kühlt, erwärmt die Erde. An Lösungen wird gearbeitet.
Im New Yorker Sommer braucht man eine Klimaanlage. In Deutschland manchmal auch. New Yorker Sommer sind heiß – sehr heiß –, und mitunter sehr schwül.
1902 war ein solcher Sommer. Es war heiß und feucht, und in der Druckerei Sackett and Wilhelms im Stadtteil Brooklyn war man verzweifelt: Die hohe Luftfeuchtigkeit, die mit der Sommerhitze einherging, ließ das Druckpapier aufquellen und verhinderte das Trocknen der Farben – die Druckmaschinen produzierten nichts als Ausschuss.

Der Mann, der den Sommer zähmte

So fragte die Druckerei bei der Ingenieurfirma Buffalo Forge, die eigentlich Heizungen und Heizlüfter baute, an, ob es irgendeine Möglichkeit gäbe, der Luft die Feuchtigkeit zu entziehen.
Willis Carrier steht neben einer aufwändig konstruierten Klimaanlage, die eher an eine große Industrieanlage erinnert.
Willis Carrier präsentiert: die erste Klimaanlage der Welt.© picture-alliance/Everett Collection
Ein Ingenieur namens Willis Haviland Carrier fand die Lösung: Er baute eine Heizungsanlage um. Statt heißen Wassers ließ er zuvor gekühlte Luft in die Rohre fließen. Die feuchte Luft in den Räumen kondensierte daraufhin an den kühlen Rohren – das ist der gleiche Effekt, den man im Sommer an jedem kühlen Bierglas feststellen kann. Das Wasser wurde dann aufgefangen und die Luft so entfeuchtet. Nebenher wurde – quasi als Dreingabe – die Raumluft gekühlt.
Willis Haviland Carrier war der Mann, der den Sommer zähmte.

Das Prinzip des Kühlschranks – nur umgekehrt

Eine Klimaanlage funktioniert eigentlich wie ein Kühlschrank. Beides sind Wärmeaustauschmaschinen. Beide Geräte transportieren Wärmeenergie, wobei diese immer von warm nach kalt fließt.
Das Prinzip ist einfach: Jeder Kühlschrank hat im Innern sogenannte Verdampferplatten, die für die Kühle sorgen, und an der rückwärtigen Außenseite eine schwarze Metall-Rohrbündel-Konstruktion, die wie ein dickeres Drahtgitter aussieht. Das ist er der sogenannte Verflüssiger. Ebenfalls auf der Rückseite sitzt eine kleine schwarze Kugel, der Verdichter.
Eine Klimaanlage besteht im Wesentlichen aus den gleichen Komponenten. Einem Gerät im Rauminneren – analog zu den Verdampferplatten – und einem außerhalb des Raumes, verbunden durch eine Rohrleitung, in der ein Kältemittel zirkuliert. Dieses Kältemittel nimmt die die Wärme aus dem Raum auf, der außerhalb liegende Verdichter saugt dieses erwärmte Kältemittel an, verdichtet es und bringt es so auf eine noch höhere Temperatur als sie außerhalb herrscht.
Die Wärme kann dadurch an die Umgebungsluft abgegeben werden, die sich natürlich weiter erhitzt. Danach fließt das Kältemittel durch ein Ventil zurück in das Gerät im Raum. Dabei wird der Druck verringert, das Kältemittel wird daher wieder gasförmig, kühlt durch diesen sogenannten Phasenübergang stark ab und kann erneut die Wärme aus dem Innenraum aufnehmen. Ein geschlossener Kreislauf.

Etwa drei Prozent der deutschen Haushalte haben Klimaanlagen

Wie viele Klimaanlagen in Deutschland, Europa und weltweit verkauft werden, dazu gibt es "nur ungefähre Zahlen", sagt Daniel de Graaf vom Umweltbundesamt in Dessau. "Wo die dann bleiben – ob die der Blumenhändler bei sich aufhängt oder ob die in den Privathaushalt gehen –, das weiß man nicht."
Daniel de Graaf beschäftigt sich beim Umweltbundesamt in Dessau mit fluorierten Treibhausgasen, zu denen auch die Kältemittel in Klimaanlagen gehören.
"Bei Umfragen kam raus – und die Zahl geisterte auch vorher schon so durch die Branche –, dass ungefährt drei Prozent der Privathaushalte in Deutschland eine Klimaanlage haben."

Deutscher Markt im Wachstum

Die japanische Fachzeitschrift Jarn gibt jährlich einen Branchenreport heraus, in dem sie den Markt für Raumklimageräte analysiert. Unter Raumklimageräten werden kleinere Geräte verstanden, die in Büros, Privathaushalten oder kleinerem Gewerbe zum Einsatz kommen – Großkühlanlage für ganze Bürogebäude fallen nicht darunter.
Der Weltmarkt schrumpfte 2020 um knapp 9 Prozent auf etwa 120 Millionen neu verkaufte Einheiten – die Coronakrise lässt grüßen. In den USA stieg der Verkauf um 11 Prozent an, was 21 Millionen Geräten entspricht.
Auch in Deutschland konnte die Branche Wachstumszahlen feiern: Sie verkaufte 15,6 Prozent mehr Klimageräte als im Vorjahr, was etwa 225.000 Stück entspricht.
"Die Generation, die heute ein Auto kauft, die kauft ein Auto mit einer Klimaanlage", sagt Dirk Trembisch von der Firma Berlin Klima. "Wenn Sie mal 20 Jahre zurückdenken: Da war eine Klimaanlage im Auto Luxus. Genauso, wie die Klimaanlage im Auto heute selbstverständlich ist, desto höher ist die Nachfrage natürlich auch im privaten Bereich. Weil die Leute einfach sagen: Wir sind älter geworden. Das wird immer gerne vernachlässigt, aber man kann die Hitze nicht mehr so gut verkraften wie man es vielleicht noch mit 20, 25 oder 30 konnte. Die Masse unserer Kunden mi Privatbereich ist über 45."

Immer mehr Hitzetage

Das Freiburger Öko-Institut e.V. schätzt in einer Studie aus dem Jahr 2019, dass die Zahl der Haushalte mit Klimaanlage in Deutschland von um drei Prozent im Jahr 2015 auf 25 Prozent im Jahr 2050 steigen wird.
Seit den 1990er-Jahren sind die Sommer in Deutschland massiv wärmer geworden. Die Temperatur der extremsten Sommer vor 1990 entspricht heute den Durchschnittstemperaturen.
Zwischen 1961 und 1990 gab es beispielsweise in Frankfurt am Main durchschnittlich 8,7 Hitzetage im Jahr, sprich Tage, an denen die Temperaturen auf über 30 Grad ansteigen. Im Zeitraum von 1990 bis 2019 waren es hingegen schon 16,3 Hitzetage pro Jahr.
Tendenz steigend: Der Rekordsommer 2018 brachte es gar auf 43.

Die Nachfrage steigt insbesondere in Schwellenländern

Weltweit – so schätzt die Internationale Energieagentur – wird es 2050 etwa 5,2 Milliarden Klimageräte geben. Ein Wachstum, das vor allem durch die Nachfrage in den Schwellenländern erfolgen wird.
Denn während in den USA in 90 Prozent aller Haushalte eine Klimaanlage brummt, rauschen in Indien nur in sieben Prozent der Haushalte solche Geräte oder in Mexiko und Brasilien in 16 Prozent.
Die Verbreitung von Klimaanlagen hängt dabei eng mit der wirtschaftlichen Entwicklung von Ländern zusammen.

Ein Siegeszug von New York um die Welt

Was als Anlage zur Luftentfeuchtung in einer Druckerei begann, trat schnell seinen Siegeszug an. Willis Haviland Carrier meldete seine Erfindung zum Patent an und gründete 1915 eine Firma, die heutige Carrier Global Corporation, die rasch expandierte und noch heute zu den weltweit führenden Unternehmen in der Klimatechnik gehört.
Seine Erfindung überzog die USA mit dem charakteristischen sommerlichen Rauschen der Großstädte. "Die Amerikaner sind dafür berühmt, dass eine Klimaanlage nur dann als Klimaanlage zählt, wenn es richtig kalt und richtig laut ist", erklärt Uwe Franzke vom Institut für Luft- und Kältetechnik in Dresden. "Wir in Deutschland sagen, die beste Klimaanlage ist die, die man nicht hört und die uns als Menschen das Wohlfühlen ermöglicht, ohne dass wir anfangen zu zittern."
Von New York aus traten die Klimaanlagen ihren Siegeszug durch die USA an. Erst klimatisierten sich Gewerbebetriebe, dann folgten Kinos und Kaufhäuser, schließlich ab Ende der 1920er Jahre auch die ersten Wohnhäuser. Ab den 50ern boomte das Geschäft. Werbung tat das Ihrige dazu.

Klimaanlagen ermöglichen Aufschwung und Fortschritt

Die Klimaanlagen veränderten das Land. Der Norden hatte keinen klimatischen Vorteil mehr, der Süden, einst eine Auswandererregion wurde attraktiver. Palm Springs in Kalifornien mit Sommertemperaturen von über 40 Grad Celsius, Miami Beach in Florida, wo es zudem noch tropisch feucht ist – mit Klimaanlagen konnte man auch dort leben, wo es ansonsten zu heiß war: in Teilen von Kalifornien, Florida oder Texas, generell in den Südstaaten.
Gerade in den schwül-heißen Gebieten entlang der Golfküste wuchsen die Bevölkerungszahlen.
Weltweit profitierten die Länder in den feucht-heißen Klimazonen. Singapur beispielsweise, das sich in knapp 50 Jahren von einer sumpfigen Hafenstadt mit ein wenig Landwirtschaft, Fischerei und geringem Güterumschlag zur einer der wichtigsten Handelsmetropolen der Welt wandelte.
Panorama-Ansicht der Skyline von Singapur mit vielen Lichtern und beeindruckender Architektur
Die beeindruckende Skyline von Singapor: Erst die Klimaanlage ermöglichte dem Stadtstaat den Aufschwung, sagt Lee Kuan Yew, der ehemalige Premierminister.© Unsplash/Mike Enerio
Lee Kuan Yew, Premierminister des Stadtstaats von 1959 bis 1990, sagte in einem Gespräch mit der Zeitschrift New Perspectives Quarterly im Herbst 2009 auf die Frage, was der Grund für Singapurs Erfolg gewesen sei:
"Die Klimaanlage. Sie war die wichtigste Erfindung für uns, vielleicht sogar eine der bedeutendsten des Jahrhunderts. Sie änderte die Zivilisation, weil sie Entwicklung in tropischen Regionen ermöglichte. Ohne Klimaanlagen kann man nur in den kühlen Morgenstunden oder nach Sonnenuntergang arbeiten. Das erste, was ich als Premierminister tat, war Klimaanlagen in den Gebäuden der öffentlichen Verwaltung zu installieren. Das war der Schlüssel zur Effektivität der Verwaltung."
Heute lässt sich Singapur weitgehend in gekühlten Shopping Malls durchqueren. Während draußen 30 Grad und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit herrschen und die Menschen dem angepasst eher träge durch die Straßen von Schattenfläche zu Schattenfläche schlappen, herrscht in den Gebäuden bei zehn Grad niedrigeren Temperaturen hektische Betriebsamkeit – man arbeitet sich warm.

Abends in die Oper - im Sommer ohne Klimatechnik undenkbar

Uwe Franzke weist darauf hin, dass man aber auch in gemäßigten Klimazonen Klimaanlagen braucht:
"Stellen Sie sich vor, welche Fortschritte wir in der Medizintechnik haben. In Deutschland sind alle OP-Säle vollklimatisiert. Das ist sowohl für den Patienten als auch für die Mediziner natürlich ein deutlicher Vorteil. Gehen Sie in die Reinraumtechnik, in die Chipproduktion: Sie könnten eine moderne Chipproduktion ohne Klimatisierung nicht aufrechterhalten. Das wäre undenkbar. Die Herstellungstoleranzen, die dort gefordert werden, können Sie nur mit konstanten Temperaturen erreichen. Gehen Sie in den Bereich der Lebensmitteltechnologie. Sie könnten zum Beispiel eiweißhaltige Produkte im Prinzip ohne Kälte nicht lagern. Gehen Sie in den Kulturbereich, in eine Oper, in ein Theater. Mit unserem heutigen Dresscode, mit dem wir normalerweise Kultur genießen, könnten sie es im Hochsommer in diesen Räumen ohne Klimatechnik nicht aushalten."

Klimatechnik zieht "ordentlich Strom"

Doch leider haben technische Erfindungen oft Nebenwirkungen, mitunter ironische: Klimaanlagen kühlen das Zimmer, aber erwärmen die Welt.
"Sie haben natürlich den Energiebedarf", erklärt Daniel de Graaf vom Umweltbundesamt in Dessau. "Eine Klimaanlage benötigt Strom, und das auch nicht zu knapp, wenn sie auf Volllast läuft. Ein Staubsauger kommt auf 1,6 Kilowatt, wenn Sie den volle Lotte laufen lassen. So ein handelsübliches Splitgerät hat 3,5 Kilowatt Kälteleistung, also ungefähr das Doppelte wie ein Staubsauger. Wenn es dann im Sommer ordentlich heiß wird, dann wird diese Leistung auch aufgerufen. Dann ziehen die ordentlich Strom."
Was Daniel de Graaf vom Umweltbundesamt viel findet, sieht Dirk Trembisch von Berliner Klima, der Anlagenverkäufer und -aufsteller, anders: Er rechnet vor und sieht sich auch von der Stiftung Warentest darin bestätigt, dass gute Splitgeräte pro Sommersaison bei etwa vier Stunden Nutzung je Tag weniger als 100 Kilowattstunden verbrauchen.
"Sie sind mit 30 Euro dabei. 30 Euro im Jahr für ein kleines Schlafzimmer von 20 Quadratmetern. Das sind Peanuts. Beim Energieverbrauch unterscheidet sich natürlich ein gutes Gerät von einem schlechten."
Nach erwähnter Studie des Freiburger Ökoinstituts verbrauchen die in Privathäusern und -wohnungen installierten Klimaanlagen derzeit ein Prozent des gesamten Stromes in Deutschland. 2050 sollen es aber, bei der genannten Deckung von 25 Prozent, wahrscheinlich drei bis sechs Prozent sein – abhängig davon, inwieweit es gelingt, den Stromverbrauch der Geräte zu senken.

Billig-Produkte bringen nichts

Energetisch gesehen schneiden die sogenannten Monoblockanlagen aus dem Super- oder Baumarkt am schlechtesten ab. Das sind diese Geräte, die im Raum stehen, kalte Luft ausblasen, und die warme Luft über einen Schlauch, der aus dem Fenster gehängt wird, herausleiten.
"Eine Technik, die nicht wirklich funktioniert", sagt Dirk Trembisch. "Ich bringe ja in den Raum erst mal wieder Wärme rein, habe in diesen Geräten einen Kompressor drin, und dann habe ich einen Abluftschlauch. Die Abwärme sollen dann über einen Luftaustausch nach draußen gebracht werden. Mit einem Abluftschlauch, der so 10 bis 15 Zentimeter im Durchmesser hat. Luft ist erst einmal der schlechteste Wärmeträger überhaupt, und das zweite ist, wenn ich das richtig gut abdichte und hänge diesen Schlauch da irgendwie aus dem Fenster und mach das ganz dicht, dann puste ich ja aus dem Raum Luft raus. Das heißt, dann kriege ich ein Unterdruck im Raum, und es pumpt von woanders ungekühlte Luft nach. Das ist keine Lösung."
Dennoch werden sie gekauft. Zum einen wegen des vermeintlich niedrigen Preises – den hohen Stromverbrauch kalkuliert niemand ein –, zum anderen, weil es oft keine andere Möglichkeit gibt, das Dachgeschoss zu kühlen, erklärt Uwe Franzke vom Institut für Luft- und Kältetechnik:
"Die Menschen sind doch verzweifelt. Ein Gerät innen und ein Gerät außen zu haben, das geht im Mietbereich in der Regel gar nicht, weil der Vermieter keine Zustimmung dafür gibt. Zu dieser Schlauchlösung bedarf es keiner Zustimmung. Die können sie einfach machen."

Klimakiller Kältemittel

Aber ist es nicht letztlich egal, wieviel Strom wir verbrauchen? Solange dieser aus erneuerbaren Energien stammt? Eher nicht, da die Herstellung von Solarzellen oder Windrädern auch nicht CO2-neutral ist.
Doch es gibt es noch ein weiteres, sehr klimarelevantes Problem: das Kältemittel, das durch die Rohre kreist und für die Kühlung sorgt. Dieses hat ein "hohes Treibhauspotential", sagt Daniel de Graaf vom Umweltbundesamt.
Es gibt unterschiedliche Kältemittel. Künstliche und natürliche wie Propan, Ammoniak und Kohlendioxid. Alle Kältemittel besitzen einen sogenannten GWP-Wert, der das jeweilige Global Warming Potential beschreibt, also wie stark das Kältemittel zur Erderwärmung beiträgt.
Die Referenzgröße dabei ist Kohlendioxid mit einem GWP-Wert von 1. Das Standard-Kältemittel besitzt einen GWP-Wert von 2088, was bedeutet, dass wenn ein Kilo davon in die Atmosphäre entweicht, entspricht das etwas mehr als zwei Tonnen CO2.

Kältemittel bleiben nicht im Kreislauf

Schon 1987 wurde Kältetechnik deshalb weltweit reguliert. Damals wurden Fluorchlorkohlenwasserstoffe, FCKW, verboten, weil sie verantwortlich für den Abbau der Ozonschicht sind.
Trotzdem: In Altanlagen kühlen immer noch FCKW. Bis 2040. 2016 wurden dann in einem weiteren Abkommen auch die teilfluorierten Kohlenwasserstoffe HFKW gebannt. Deutschland ratifizierte diese Übereinkunft 2017, die USA und China haben jetzt vor, es ebenfalls zu tun.
"Das Kältemittel bleibt leider nicht zu 100% in diesem Kreislauf, sondern ein Teil entweicht schon bei der Befüllung, aber auch im Betrieb durch winzigste Löcher in den Kupferleitungen", erklärt Daniel de Graaf. Diese Kupferleitungen "sind miteinander verlötet. Durch diese Anschlüsse haben Sie immer kleinste Leckagen. Das summiert sich dann bei den Split-Geräten auf ungefähr fünf Prozent Kältemittelverlust im Jahr. Da sind allerdings auch Havarien drin und die Eingriffe durch Wartungen. Es kommt hin und wieder mal vor, dass irgendwo ein großer LKW so eine Außeneinheit abräumt, weil er das falsch eingeschätzt hat. Dann haben Sie natürlich einen Totalverlust, das geht dann auch in die allgemeine Leckage mit ein."

Bedarf minimieren statt Alternativen konstruieren

Der Gebrauch von alternativen Kältemitteln ist ein bisschen kompliziert. Natürliche Gase wie Propan mit einem GWP von drei sind brennbar und explosionsfähig – da muss man sicherstellen, dass sich keine explosionsfähige Atmosphäre bildet, sollte sich das Kühlmittel komplett in einen Innenraum entleeren.
Aber vielerorts, vor allem in gemäßigten Klimazonen, gibt es durchaus einfache Alternativen zur Klimaanlage, sagt Uwe Franzke:
"Lasst uns zunächst einmal den Bedarf an Kältetechnik verringern. Dass man jetzt nicht auf Teufel komm raus Kältetechnik installiert, sondern dass man zunächst einmal den Bedarf an Kältetechnik minimiert. Der Architekt kann durch die Gestaltung der Fassade, durch die Gestaltung der Fenster, aber auch durch die Wahl von Baustoffen – reden wir noch über Beton in unseren Gebäuden oder reden wir nur noch über Gipskarton zum Beispiel –, über alle diese Stellschrauben kann der Architekt einen sehr großen Einfluss darauf nehmen, welche Kälteleistung hinterher überhaupt notwendig ist."
Daniel de Graaf fügt hinzu:
"Ein gutes Baukonzept ist in Deutschland eine sehr gute Alternative. Man kann auch so bauen, also gut isoliert, verschattet, außenliegender Sonnenschutz. Dass ich also über die Fenster keine solaren Gewinne habe, die ich dann wieder aufwendig mit einer Klimaanlage nach draußen bringen muss. Dann gibt es weitere Strategien wie beispielsweise eine Fassaden- oder Dachbegrünung. Dann heizt sich auch die Fassade nicht so auf."

Ein bepflanztes Dach senkt die Temperatur

All das sind Bausteine, ebenso wie weiße Dachflächen in manchen Regionen. Man dürfe da, so Uwe Franzke, keine Wunder erwarten, aber all das helfe, wie auch die Querlüftung von Räumen oder Dachgauben statt Dachflächenfenstern oder die Dachbegrünung: Beträgt die Oberflächentemperatur auf einem mit Teerpappe gedeckten Dach mittags 90 Grad Celsius, so liegt die bei gleicher Außentemperatur auf einem bepflanzten Dach bei nur 20 Grad.
Auch wie die Umgebung eines Hauses aussieht, ist wichtig. Zumindest im Einfamilienhausbereich kann man da selbst wählen: Pflanzt man Bäume und Sträucher in Hausnähe oder versiegelt man die Fläche mit Verbundsteinen oder einem der Schottergärten des Grauens?
Mehrere Häuser mit komplett begrüntem Dach
Ein Häuschen buchstäblich "im Grünen": Das "ökologische Dorf" in Düsseldorf-Unterbach. Begrünte Dächer kühlen auf natürliche Weise.© picture alliance /dpa/Horst Ossinger
Schließlich schafft sich der Mensch seine Welt und auch sein Klima – seit langem, was zunächst positiv war. Johann Gottfried Herder schrieb 1784:
"Nun ist keine Frage, daß, wie das Klima ein Inbegriff von Kräften und Einflüssen ist, der Mensch auch darin zum Herrn der Erde gesetzt sei, daß er es durch Kunst ändre. Seitdem er das Feuer vom Himmel stahl, seitdem er Tiere und seine Mitbrüder selbst zusammenzwang und sie sowohl als die Pflanze zu seinem Dienst erzog, hat er auf mancherlei Weise zur Veränderung desselben mitgewirkt. Europa war vormals ein feuchter Wald, und andre jetzt kultivierte Gegenden waren’s nicht minder: es ist gelichtet, und mit dem Klima haben sich die Einwohner selbst geändert."

Einsparpotenzial bei der Entfeuchtung

Zwei technische Verbesserungen können das System der Klimaanlagen zukünftig nachhaltiger machen. Eine, die wohl relativ schnell machbar ist, eine weitere, die wohl noch etwas mehr Entwicklungszeit benötigen wird.
Die eine ist, die Kühlung der Luft und deren Entfeuchtung voneinander zu trennen. Denn wie ein Kühlschrank, der mehr Energie verbraucht, wenn er an den Kühlplatten Reif oder gar Eis ansetzt, so verbraucht auch eine Klimaanlage mehr Energie, wenn an dem Kälteverdampfer Wasser kondensiert.
Denn heute ist Willis Haviland Carriers Nebenher-Erfindung, die Kühlung des Raumes, der Hauptzweck und das ursprüngliche Ziel, die Entfeuchtung, nur ein lästiger Energiefresser, erklärt Uwe Franzke:
"Für diesen Entfeuchtungsprozess brauchen wir bis zu 50 Prozent der Kälteleistung. Das heißt: Wenn wir die Entfeuchtung von der Kühlung trennen, könnten wir die Kälteanlagen 50 Prozent kleiner bauen. Das ist Energieeinsparung pur."

Mit Klimananlagen CO2 aus der Luft holen

Die andere technische Verbesserung ist ein wenig komplizierter. Roland Dittmeyer erforscht am Karlsruher Institut für Technologie wie sich die Klimaanlagen auch dafür nutzen lassen, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zurück zu gewinnen: "Wir kommen um direct air capture auf lange Sicht nicht rum", sagt er.
"Direct air capture" bezeichnet die Rückgewinnung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre, um dessen Konzentration dort zu reduzieren und so den Klimawandel aufzuhalten oder abzumildern.
Das Problem dabei ist, dass das CO2 schwer einzufangen ist, weil es nur in sehr geringen Anteilen in der Luft ist. Genug um klimawirksam zu sein, aber doch sehr verdünnt: Nur 420 von einer Million Teilchen sind Kohlendioxid. 0,042 Prozent. Deshalb muss bei der direct air capture sehr viel Luft umgeschlagen werden.
"Dann kam die Überlegung: Wir handhaben in Klima- und Lüftungsanlagen sehr große Mengen Luft. Wenn man betrachtet, welche Luftmengen an größeren Anlagen gehandhabt werden, und wieviel das in Summe ist, dann kommt man zu dem Schluss, dass das eine attraktive Quelle sein kann."
Denn so kann man bestehende Infrastrukturen nutzen, und nur wenig mehr Energie fällt zusätzlich für die Abscheidung des CO2 und dessen Umwandlung in synthetische Kraftstoffe an. Mit Hilfe von Ökostrom soll nämlich dann aus dem Kohlendioxid und Wasser ein sogenanntes Synthesegas hergestellt werden, das dann zu flüssigen Kohlenwasserstoffen umgewandelt wird: zu Benzin, Diesel oder Kerosin.
"Ein Extremfall wäre sowas wie Manhattan: Wenn man dort die Lüftungsanlagen durchgängig mit so etwas bestücken würde, kämen etliche Millionen Tonnen heraus. Mein erstes Ziel wäre, damit die aktuellen benutzten fossilen Kraftstoffe zu ersetzen."
Man könnte das gewonnene Kohlendioxid aber natürlich auch einfach einlagern und damit dauerhaft der Atmosphäre entziehen. Obwohl – so einfach ist die Lagerung dann doch nicht. Aber machbar.

Wie Klimatechnik nachhaltig werden kann

Die Maßnahmen der Reihe nach – von leicht zu schwierig:
  • Das laute Rauschen der Klimaanlagen abstellen
  • Gebäude mit außenliegendem Sonnenschutz versehen
  • Dächer begrünen oder weißen, Bäume und Gärten in die Straßen.
  • Die dann noch nötigen Klimaanlagen mit erneuerbaren Energien betreiben und mit emissionsarmen Kältemitteln befüllen
  • die Kühlung und die Entfeuchtung trennen und das ganze System am Ende noch zur Rückgewinnung von CO2 aus der Atmosphäre nutzen.
  • Nicht zuletzt nicht immer alles auf Kühlschranktemperatur runterkühlen: 18 oder 20 Grad im Büro sind keine Option, wenn draußen 35 herrschen – auch wenn sich der Anzugträger dann im Jackett wohlfühlt. Das spart Energie und ist auch gesünder.
Generell sollte der Temperaturunterschied zwischen innen und außen nicht größer als 6 Grad Celsius sein, sagt Uwe Franzke:
"Bei einer Außentemperatur von 32 Grad würde man also etwa 26 Grad in den Räumen anstreben. Das hängt einfach damit zusammen, dass Sie den Raum ja wieder verlassen irgendwann und dann, wenn die Temperaturdifferenz zu groß wird, fühlen Sie sich einfach unwohl."
Dann ist Klimatechnik vielleicht perfekt und nachhaltig.

Weltweite Klimanormierung - ein (Alb-)Traum?

Natürlich stellt sich generell die Frage, ob die weltweite Normierung des Klimas auf einen mitteleuropäischen Frühsommertag mit Temperaturen um 22 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von etwa 50 Prozent so sinnvoll ist. Ja, es gibt gute Argumente dafür – vor allem sind es wirtschaftliche.
Europa hat sein Wirtschaftssystem weltweit exportiert, und nun folgt das ideale Klima. Ein normiertes im Innenraum, während das Äußere immer größere Kapriolen schlägt.
Ist dieses mitteleuropäische Frühsommertagswohlfühlwetter überhaupt ein Menschheitstraum? Eine Welt ohne Kälte und zu große Hitze, ohne Schnee, Regen oder Schwüle, überall mehr oder weniger gleich – und zwischendrin wird im Winterurlaub kurz der Thrill der Kälte oder im Sommerurlaub der Thrill der Hitze gesucht.

Specher: Timo Weisschnur, Cathlen Gawlich, Lisa Mattiuzzo, Lars Schmidtke
Ton: Christoph Richter
Regie: Frank Merfort
Redakteur: Martin Hartwig

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