"Das kann ein Sprungbrett sein"

Konrad Tack im Gespräch mit Frank Meyer · 24.02.2010
Konrad Tack, Geschäftsführer des Jobcenters Berlin-Neukölln, sieht durchaus Weiterentwicklungschancen für Arbeitnehmer, die tageweise Jobs annehmen. In der Realität sei es jedoch so, dass sich "da ein bestimmter Personenkreis immer wieder einfindet", sagte Tack.
Frank Meyer: Im Studio von Deutschlandradio Kultur ist jetzt Konrad Tack, der Geschäftsführer des Jobcenters Berlin-Neukölln, aus dem gerade unsere Reportage kam. Dort gibt es die einzige Tagelöhnervermittlung in Berlin und bundesweit weitere in München, in Hamburg und Frankfurt am Main.

Herr Tack, Knochenjobs werden an die Tagelöhner vermittelt, haben wir gerade gehört, auf Baustellen vor allem. Was gibt es sonst für Knochenjobs, die als Tagesjobs rausgehen?

Konrad Tack: Zum Beispiel im Transportgewerbe, im Baubereich hatten wir gesagt, im Gartenbaubereich, im Reinigungsgewerbe, und ja, ich denke, im Gaststättenbereich dann hin und wieder auch.

Meyer: Und das machen tatsächlich auch Rentner, solche Knochenjobs?

Tack: Machen Rentner, sind aber sicherlich die Ausnahme. Die Regel sind also die Männer vorwiegend, die dann in allen Alterskategorien sich bewegen und ja, hiermit zusätzlich Geld verdienen.

Meyer: Und geht es vor allem ums Geldverdienen oder geht es auch darum, zumindest tageweise in eine Struktur reinzukommen und auch zu sehen, ich arbeite, ich verdiene mir selbst was, ich bin selbstständig?

Tack: Also ich denke, beides ist ein Motiv, sowohl nicht wahr das Geld, aber auf der anderen Seite wirklich auch die in Gesprächen immer wieder auftretende Aussage, ich möchte meinen Tag strukturiert haben, ich will da nicht nur vor der Glotze hängen, ich will nicht nur in der Kneipe sitzen, ich will nicht nur mit Kumpeln also abhängen, wie man dann so schön sagen kann, sondern ich will wirklich was tun.

Und der Herr Schröder hat das ja schon mal in der Reportage dann auch zum Ausdruck gebracht, ein Teil will auch wirklich unabhängig werden und unabhängig sein und nicht also angewiesen sein auf diese Leistungen, und deshalb nehmen sie diese Arbeit an.

Meyer: Wie weit kann man da mit der Unabhängigkeit kommen, kann das auch ein Sprungbrett sein in einen richtigen Job, so ein Tagesjob?

Tack: Das kann ein Sprungbrett sein, aber das passiert also höchst selten. Also in der Regel ist es so, dass auch da ein bestimmter Personenkreis sich immer wieder einfindet.

Also ich denke, wenn man den Lauf des Jahres betrachtet, sind immer so rund 500 Personen, auf die diese Arbeiten dann immer wieder also zukommen und die auch diese Arbeit wollen. Und natürlich gibt es den ein oder anderen, nicht wahr, der darüber dann auch einen Weg also in eine feste Beschäftigung findet, aber wie gesagt, das ist selten.

Meyer: Und woran scheitert es bei den anderen?

Tack: Bei den anderen scheitert es daran, dass also häufig die Qualifikation fehlt, also zwei Drittel unserer Bewerber haben eben keinen beruflichen Abschluss. Dazu kommen, ja, gebrochene Lebensläufe, sehr vielfältige Motive, die dann im Hintergrund stehen und eigentlich eine Arbeit dauerhaft verhindern.

Also da sind Straffällige dabei, da sind Väter dabei, die also auch dann den Hintergrund haben, also mit Unterhaltszahlungen da im Verzug zu sein, und das spielt in der Regel dann eben auch eine Rolle, sich jedenfalls dort also um Arbeit zu kümmern, aber nicht in eine ständige Beschäftigung zu gehen.

Meyer: Und in welchem Umfang wird das wahrgenommen? Man muss ja wissen, dass die Zuverdienstgrenze für Hartz-IV-Bezieher liegt bei 100 Euro erst mal, die kann man mitnehmen, aber wenn man mehr verdient, dann behält man von jedem Euro, den man über diese 100 Euro hinaus verdient, nur 20 Cent, den Rest muss man abführen.

Und wenn man über 800 Euro kommt, dann behält man nur 10 Cent davon, das lohnt sich ja eigentlich überhaupt nicht. Arbeiten trotzdem manche mehr als bis zu dieser Grenze?

Tack: Ich denke schon. Also erstens gibt es ja einen Teil der Bewerber oder Kunden, die dort auftreten, die überhaupt keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen, weil sie sagen, also ich will ich keiner Form also mit dem Staat, in Anführungsstrichen, also was zu tun haben, und die anderen, ja, muss man sehen, dass die natürlich also auch Hartz-IV-Leistungen ja bekommen, also die berühmte Grundsicherung plus also die Kosten der Unterkunft, die ihre Krankenversicherung bezahlt wird, eine Pflegeversicherung bezahlt wird, eine Rentenversicherung bezahlt wird, das heißt also, die ja durchaus also dann dieses Geld zusätzlich haben zu dem, nicht wahr, was sie da als Grundsicherung bekommen. Und insofern lohnt es sich dann doch für den ein oder anderen, also diese Arbeiten dann zu machen.

Meyer: Heute wurde in verschiedenen Zeitungen gemeldet, dass die Bundesregierung offenbar plant, diese Zuverdienstgrenzen anzuheben. Für wie sinnvoll halten Sie das aus Ihrer Sicht?

Tack: Also ich kann der Politik natürlich also nicht irgendwelche vorlauten Ratschläge in den Bereichen geben. Ich denke nur, dass man aufpassen muss, dass nicht über diesen Weg reguläre Arbeitsverhältnisse in solche Teilarbeitsverhältnisse dann also aufgelöst werden und wir immer mehr Menschen dann haben, die also von Transferleistungen abhängig sind und dann nur über den Zuverdienst also in eine Größenordnung kommen, wo sie dann ein vielleicht etwas angenehmeres Leben dann führen können.

Meyer: Jetzt haben wir ja eine ausgeprägte Hartz-IV-Debatte in der letzten Zeit, das ist ja auch der Hintergrund für diese Serie hier bei uns im Programm im Deutschlandradio Kultur, und in dieser Debatte fiel auch das Stichwort Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger. Was halten Sie davon?

Tack: Der Gesetzgeber hat schon also im Jahre 2004 im Sozialgesetzbuch II festgeschrieben, dass wenn wir Arbeitsangebote machen können, die betreffenden Personen das auch eben dann annehmen müssen. Es gibt keinerlei Berufsschutz also in den Bereichen. Das heißt also, die Voraussetzungen, um Leistungen nach dem SGB II zu beziehen, sind schon sehr rigide und sehr harsch gefasst. Aus dem Grunde finde ich diese Debatte schlicht und ergreifend überflüssig.

Meyer: Und wenn Sie so Sätze hören wie, wir schützen die Schwachen vor den Faulen, wie das Guido Westerwelle gesagt hat bei seiner Aschermittwochsrede?

Tack: Das ist natürlich sehr populär, also in der Form also auch zu reden, und man muss nur aufpassen, dass man nicht also Vorurteile dort bestärkt, die der Realität also einfach nicht entsprechen. Also jeder, der also so argumentiert, den lade ich gerne ein, also dann in das Jobcenter Neukölln zu kommen, und wir würden gerne dann mit ihm eine Debatte vor Ort führen, auch mit den Kunden, die dann also zu uns kommen, und er wird erleben, dass ein Großteil also unserer Kunden tatsächlich also arbeiten möchte, dass sie unabhängig werden möchten, also von den Transferleistungen, und dass es immer einen Teil gibt, die versuchen also, die Sozialsysteme zu nutzen und den Solidaritätsgedanken auch hintanstellen. Das ist also keine Situation, die mit SGB II erst entstanden ist, sondern die es also wirklich deutlich länger gibt und immer dann, nicht wahr, wenn also es um Sozialleistungen geht.

Meyer: Nun machen Sie ein ganz spezielles Angebot als einziges Jobcenter in Berlin, eben diese Tagesjobs, und das gibt es eben nur in vier deutschen Großstädten. Warum gibt es das eigentlich so selten?

Tack: Also ich weiß nicht, was dazu geführt hat, dass also diese Jobvermittlungen dann irgendwann bei der Bundesagentur früher ja beheimatet waren, dann irgendwann auch eingestellt worden sind, kann ich die Gründe nicht mehr nachvollziehen.

Ich kann nur für unser Jobcenter sagen, wenn wir in der Größenordnung von zwei Drittel Bewerber haben, die also keinen Berufsabschluss haben, dann suche ich also jede Möglichkeit, auch eine niederschwellige Möglichkeit und halte dafür Kapazitäten vor, um diesen Menschen dann eben auch eine Chance zu bieten, auch wenn sie nur eben vielleicht tageweise stattfindet.

Meyer: Moderne Tagelöhner, die Tagesjobs. Darüber haben wir gesprochen mit Konrad Tack, dem Geschäftsführer des Jobcenters Berlin-Neukölln, in unserer Hartz-IV-Reihe "Soziale Gerechtigkeit". Am Freitag werden wir die weiterführen, am Freitag werden wir über Hartz IV als Bleibeprämie reden, über die Frage, ob ohne den Sozialstaat ganze Regionen in Deutschland entvölkert wurden. Mehr dazu am Freitag um 14:07 Uhr.
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