"Das kann das Ende von Scientoloy bedeuten"

Ursula Caberta im Gespräch mit Ulrike Timm · 24.07.2009
Die Scientology-Kritikerin Ursula Caberta sieht in den jüngsten schweren Vorwürfen zweier früherer Top-Scientologen eine besondere Brisanz. "Es packen aus die rechte und die linke Hand des Bosses", sagte Caberta.
Ulrike Timm: Und darüber wollen wir sprechen mit Ursula Caberta. Sie leitet die AG Scientology in Hamburg und ist eine der weltweit schärfsten Kritikerinnen der Organisation. Schönen guten Tag!

Ursula Caberta: Tag!

Timm: Frau Caberta, das sind zwei Führungskräfte des innersten Kreises, die da auspacken, das hat zweifellos besondere Qualität, aber erläutern Sie uns bitte mal genauer: Wer packt da aus?

Caberta: Es packen aus die rechte und die linke Hand des Bosses David Miscavige, also dem Führer von Scientology weltweit. Die beiden waren praktisch die linke und die rechte Hand dieses Menschen, und das schon ein paar Jahre, sind auch mit ihm groß geworden in der Organisation, sind also nicht zufällig in den Funktionen, in denen sie waren, und insofern hat das eine besondere Brisanz.

Timm: Und welche Bedeutung hatten die beiden für Scientology als Funktionäre?

Caberta: Also der Mark Rathbun, der eine, der auch meisten erzählt bisher, war verantwortlich für die internationalen Finanzen eine ganze Zeit, war aber auch so etwas mehr so der Troubleshooter von dem David Miscavige. Immer, wenn irgendwo was querlief, denn wurde der eingesetzt. Es gibt Aussagen von ihm, dass er auch, als Tom Cruise, also das Aushängeschild von Scientology, sich mal absetzen wollte, eingesetzt wurde, ihn wieder einzufangen und Ähnliches. Also das ist schon eine der bedeutendsten Personen dort gewesen.

Timm: Mark Rathbun hat ja als Finanzchef durchgesetzt, dass Scientology als Kirche in den USA steuerbegünstigt ist. Es geht also auch um Geld, wenn er jetzt über Betrug redet. Heißt das im Umkehrschluss, ohne ihn wäre Scientology in den USA keine anerkannte religiöse Bewegung, sondern ein schlichtes, etwas obskures Unternehmen?

Caberta: Na ja, das ist auch so ganz nicht richtig, sie sind in den USA nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt, das gibt’s in den USA ebenso wenig wie woanders, sondern sie sind steuerbefreit, also ein gemeinnütziger Verein, was aber an den politischen Auswirkungen nichts ausmacht. (…) war dafür mit zuständig, und David Miscavige, also die beiden, haben die ganzen Sachen mit der US-amerikanischen Finanzbehörde geführt, haben das durchgesetzt, und darüber plaudert er jetzt, dass das zustande gekommen ist dadurch, dass sie Beamte und Mitarbeiter der US-amerikanischen Finanzbehörde mit Klagen und sonst was überzogen haben und es dann einen Deal gab: Wir ziehen unsere Klagen zurück – Tausende von Klagen, es waren nicht ein paar – und dafür kriegen wir die Gemeinnützigkeit, also die Steuerbefreiung.

Das hat also nichts damit zu tun, dass das in irgendeiner Form irgendetwas Weltanschauliches oder Religiöses ist, was schlicht und ergreifend ein Deal, damit die Finanzministerium endlich Ruhe vor diesen Attacken von Scientology hat. Und dass er das jetzt erzählt, ist natürlich viel Wert, weil aus dieser Steuerbefreiung sich ganz viel politischer Druck aus den USA ergab.

Timm: Beide sind aber schon vor längerer Zeit ausgestiegen, und man muss kein Freund von Scientology sein, um zu vermuten, dass da persönliche Rechnungen offen waren und jetzt heftigst nachgetreten wird. Sind beide vollkommen glaubwürdig?

Caberta: Natürlich, wobei Mike Rinder natürlich noch viel mehr. Natürlich sind sie glaubwürdig, alle Aussteiger aus Scientology sind glaubwürdig, und mit offenen Rechnungen hat das auch nichts zu tun, sondern die beiden sind einen Weg gegangen, den schon viele vor ihnen gegangen sind. Es sind auch früher schon Führungspersonen ausgestiegen, allerdings nicht die rechte und die linke Hand des Bosses, das macht die Brisanz noch mal deutlich.

Und der Mike Rinder war ja der oberste internationale Geheimdienstchef von Scientology, der ja auch einiges erledigt hat für die Organisation, an Kritikerbekämpfung und Verfolgung von Aussteigern. Insofern ist das nicht irgendwer. Die sind glaubwürdig, die sind absolut glaubwürdig, wie alle Aussteiger mit ihrer Geschichte, die sie in Scientology erlebt haben, immer glaubwürdig waren.

Timm: Welche Folgen hat denn dieser Krach für Scientology?

Caberta: Also im Moment ist es so, dass in den USA dadurch, dass sie auch gesprochen haben, öffentlich gesprochen haben – das machen ja nicht alle, viele haben ja auch Angst vor den Repressalien, die dann Herr Miscavige mit seinen Truppen anlegt, und sagen lieber nichts. Die beiden sprechen jetzt öffentlich auch in den USA. Das kann das Ende von Scientology bedeuten, wenn das in den USA aufgenommen wird und auch die US-amerikanischen Behörden sehen, dass das, wenn die beiden Führungskräfte reden, vielleicht doch nicht das so ne harmlose Truppe ist, wie das in den letzten Jahren von den Vereinigten Staaten immer dargestellt wurde.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", im Gespräch mit der Scientology-Kritikerin Ursula Caberta. Frau Caberta, wenn zwei Ex-Führungskräfte Scientologys offenbaren, was immer vermutet wurde, aber schwer zu beweisen ist – es gibt Gewalt, es geht um Geld, das ist letztlich der Kern –, schwächt das Scientology auch über die amerikanischen Grenzen hinaus?

Caberta: Ja natürlich. Außerdem, also was die beiden erzählen, dass Miscavige seine Leute prügelt und dass sie auch von ihm geschlagen worden ist, also Gewalt als Repressalie an der Tagesordnung ist vom obersten Boss, das macht natürlich kein gutes Bild, auch nicht in den USA. Und sie berichten ja auch, dass sie selber auch geschlagen haben, weil das sich von oben nach unten fortsetzt. Also das wirft ein Bild auf Scientology, was für viele, die sich mit Scientology auseinandersetzen, jetzt nicht überraschend ist, aber in der Dramatik, wie die das schildern, dass sie auch in Wasser geschmissen worden mit vollen Klamotten und mit nassen Klamotten dann da rumlaufen mussten und Ähnliches, das hat ja voll da ähnliche eben Ausmaße, die da stattfinden, und zwar auch bei den Führungskräften. Das wirft natürlich ein Bild auf Scientology, was bisher vor allen Dingen in den USA in der Öffentlichkeit so noch nicht diskutiert wurde.

Timm: In Deutschland tritt Scientology ja als sehr smarte Organisation auf. Welche Strategie wird denn aktuell in Deutschland verfolgt, um wen wird vor allem geworben?

Caberta: Scientology wirbt immer um alle, also die nehmen jeden. Sie haben die verschiedensten Abteilungen, die zuständig sind. Das World Institute of Scientology Enterprises, der Wirtschaftsarm, die sind für die Wirtschaft zuständig, um über Kommunikationsberatung, Unternehmensberatung die Leute und damit auch die Firma in die Organisation zu ziehen.

In Hamburg haben wir ja im Gegensatz zu Berlin keine Straßenwerbung mehr, also das sogenannte "raw meat", rohe Fleisch, so heißen in der Scientology-Sprache die Nichtscientologen, können sie in Hamburg von der Straße nicht mehr fischen, das ist in anderen Städten dieser Republik noch anders. Also wir müssen ihnen so ein bisschen was abschneiden, aber das sind die üblichen Werbemethoden, die gab’s immer. Und an der Strategie hat sich auch noch nichts geändert. Vielleicht ändert sich das, wenn Miscavige in den USA fällt und der ganze Laden zusammenbricht. Ich meine, dann kann ich mir wohl endlich ’nen neuen Job suchen.

Timm: Sie selber haben in fast zwei Jahrzehnten Arbeit gegen Scientology Ihre Meinung geändert. Viele Jahre wollten Sie "nur" in Anführungszeichen umfassend aufklären, meinen aber inzwischen, Scientology müsse verboten werden in Deutschland. Warum? Und was sollte das bringen?

Caberta: Na ja, Aufklärung hat natürlich ’ne ganze Menge gebracht. Also ich glaube, Scientology in Deutschland hat es schwerer als in anderen Ländern, und auch durch die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, also das Einsortieren dieser Organisation in die neue Form des politischen Extremismus, es war natürlich ein Riesenschritt, die da hinzubringen, wo sie hingehören, in die politisch extremistische Ecke.

Aber politische Extremisten guckt man sich ja umsonst intensiver an als andere Gruppen, um dann irgendwann vielleicht auch zu sagen: Die werden für unsere Gesellschaft zu gefährlich, dass wir sie verbieten lassen müssen. Und zu dieser Auffassung ist das Land Hamburg – ist ja nicht meine persönliche Auffassung, sondern ich arbeite ja für die Hamburger Landesregierung –, es ist also Auffassung der Hamburger Landesregierung und des Landes Bayern, Hamburg und Bayern Hand in Hand in dieser Frage. Ich glaube, wenn die sich nicht selbst zerlegen, gerade da in den USA, wenn das nicht gelingt, werden wir nicht drumrum kommen, sie irgendwann hier zu verbieten, um Mensch und Gesellschaft vor dieser Organisation zu schützen.

Timm: Frau Caberta, kann ich Sie zum Schluss verführen, auf einer Skala von eins bis zehn mal zu orten, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist nach diesen Ereignissen, dass sich Scientology selbst zerlegt und Sie sich einen neuen Job suchen müssen?

Caberta: Na ja, eins ist die höchste oder zehn ist die höchste Wahrscheinlichkeit?

Timm: Die Zehn ist die höchste.

Caberta: Dann sind wir jetzt bei drei.

Timm: Da haben wir noch viel Luft nach oben.

Caberta: Das stimmt.

Timm: Ursula Caberta, die schärfste Scientology-Kritikerin in Deutschland und eine der schärfsten weltweit, über die neuesten Vorgänge bei Scientology. Vielen herzlichen Dank fürs Gespräch!

Caberta: Gerne!