Dschihad made in Germany
Zwei Bücher des Schriftstellers Steffen Kopetzkys schildern, wie Deutschland im Ersten Weltkrieg muslimische Kriegsgefangene für einen Dschihad gegen England und Frankreich gewinnen wollte. Mit dem Ziel, politisches Chaos anzurichten, sagt Kopetzky.
Ute Welty: Ob der Islam zu Deutschland gehört, darüber ist man in der aktuellen Bundesregierung höchst unterschiedlicher Meinung. Vielleicht hilft an dieser Stelle ein Blick in die Geschichte, denn die Geschichte des Islams in Deutschland ist sehr viel länger, als man gemeinhin meint. Hitler beispielsweise stockte die Waffen-SS mit kaukasischen und bosnischen Muslimen auf.
Aber schon der letzte deutsche Kaiser instrumentalisierte den Islam. Im Namen von Wilhelm II. sollte im Nahen Osten ein Dschihad entfacht werden, um die Gegner Deutschlands, also Großbritannien, Russland und Frankreich zu destabilisieren. Entworfen wurde dieser Plan von Max von Oppenheim, seines Zeichens Orientalist und Diplomat. Nachzulesen ist das alles bei Steffen Kopetzky in dessen Roman "Risiko". Jetzt hat er Oppenheims Original herausgegeben: "Denkschrift betreffend die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde". Guten Morgen, Herr Kopetzky!
Steffen Kopetzky: Guten Morgen!
Der Pan-Islamismus als grenzsprengende Kraft
Welty: Wenn man zum ersten Mal davon hört, dann klingt die Idee von Max von Oppenheim einigermaßen abstrus. Was weiß man über die Genese dieser Idee?
Kopetzky: Max von Oppenheim war ein deutscher Orientalist, der mit privatem Vermögen ausgestattet – er war Bankierssohn –, schon sehr früh angefangen hatte, den Orient auf eigene Faust zu erforschen. Er war sehr kundig, er konnte die Sprachen des Orients, war lange in Ägypten, und dort hat er Kontakt aufgenommen zu den Bruderschaften, die es auch damals in Ägypten schon gab, und erkannt, wie später übrigens auch Lenin das so formuliert hat – er hat erkannt, dass die Kolonien den Kolonialmächten natürlich unheimlich wichtig sind, aber deswegen auch eine große Schwäche darstellen.
Und er erkannte im Islam oder im Pan-Islamismus eine quasi die Grenzen sprengende internationale Kraft, die man aktivieren könnte, um sie eben gegen die Feinde Deutschlands, die Kolonialmächte, vor allem natürlich Frankreich, Großbritannien und Russland zu wenden.
Welty: Die Idee wurde ja konkretisiert, indem zum Beispiel in Wünsdorf in Brandenburg eine Moschee gebaut wurde, deren Überreste vor knapp drei Jahren entdeckt wurden. Welche Funktion sollte diese Moschee haben?
Kopetzky: Das Lager in Wünsdorf war die Reaktion darauf, dass man quasi von den ersten Kampfhandlungen im Jahr 1914 an natürlich auch sofort muslimische Gefangene gemacht hatte, die aufseiten der Franzosen zum Beispiel gekämpft haben. Es waren sehr viele Soldaten aus den Kolonialgebieten im Einsatz, auf britischer Seite übrigens auch aus Indien, über eine Million Soldaten involviert.
Und für diese gefangenen Muslime hat man also ein Lager eingerichtet, um sie dort gemäß den islamischen Gebräuchen versorgen zu können. Aber auch vor allem mit der Idee, ihre Gunst zu gewinnen und zu sagen, Deutschland ist islamfreundlich, wir unterstützen euren Kampf gegen eure vormaligen Herren. Tretet doch an die Seite des deutschen Kaisers, und Kaiser und Kalif quasi zusammen werden die Unterdrücker der islamischen Welt besiegen.
Lawrence von Arabien folgte demselben Modell
Welty: Muss ich mir das vorstellen wie so eine Art Umerziehungslager?
Kopetzky: Könnte man vielleicht mit dem Begriff "Umerziehung" … Ja, in der Art könnte man mit dem Begriff vielleicht arbeiten. Ja, ich denke schon.
Welty: Das Ziel Oppenheims ist es also gewesen, politisches Chaos anzurichten. Inwieweit muss er als Gegenspieler gesehen werden zu T.E. Lawrence, besser bekannt als Lawrence von Arabien, der ja quasi zeitgleich für die Unabhängigkeit der arabischen Länder gekämpft hat?
Kopetzky: T.E. Lawrence folgte demselben Modell, das Oppenheim entworfen hat. Oppenheim selbst entwarf ja einen Plan. Diese Denkschrift ist wirklich ein Masterplan zur Revolutionierung der islamischen Welt, von Marokko bis Bengalen. Und T.E. Lawrence wiederum hat sich auf die arabische Welt konzentriert und hat unter den drei rivalisierenden größeren Stammesverbänden auf der Arabischen Halbinsel eben den einen lokalisiert, den er gegen die Osmanen mobil machen konnte, eben die Familie Saudi, der Saudis. Und es war, wie bei Oppenheim skizziert, eben ja ein Guerillakrieg, ein Krieg, wie er moderner nicht hätte sein können. Insofern hatten die beiden dieselbe Idee, dieselbe Taktik, aber Lawrence war eben erfolgreich.
Welty: Und auch er mit unterschiedlichen Zielen, oder?
Kopetzky: In der Tat. Der große Bündnispartner in der islamischen Welt für Deutschland war dann natürlich das Osmanische Reich, die Türken. Und T.E. Lawrence hat diese Art von Guerillastrategie, die Oppenheim für die kolonialen Gebiete der deutschen Gegner entworfen hat, dann eben quasi auf die Osmanen selber angewandt.
Die Sollbruchstellen der islamischen Welt aufgezeigt
Welty: Letzten Endes ist Oppenheims Plan ja nicht aufgegangen, Sie haben es gerade schon angedeutet, jedenfalls nicht für den Moment des Ersten Weltkriegs. Aber inwieweit wirkt dieser Plan bis heute nach?
Kopetzky: Oppenheim zeigte ganz klar die Sollbruchstellen der islamischen Welt auf. Er benannte eben die internen Schwierigkeiten, die man anfachen und die man schüren könnte, die Konflikte zwischen den verschiedenen religiösen Spielarten des Islams, die jahrhundertealten Bruchlinien eben, und wie man sie eben nutzen könnte, um für Verwirrung und Chaos zu sorgen. Was ihn so wichtig und interessant macht für uns, ist eben zu sehen, dass unsere Beziehung zum Islam, zum Nahen Osten, zu all diesen Gebieten, die weit weg von uns zu sein scheinen, eben sehr viel älter sind, und dass eben damals schon erkannt wurde, wie nahe der Nahe Osten eben auch tatsächlich ist, und dass er natürlich Einfluss hat auf die Situation, auf die Politik etwa bei uns in Europa.
Welty: Was folgt darauf für die Beurteilung der aktuellen Debatte, in die sich ja jetzt auch Bundestagspräsident Schäuble eingeschaltet hat?
Kopetzky: Also ich versuche immer wieder, so einen Schritt zurückzutreten, wenn ich auf die Gegenwart schaue, und mit einem gewissen kühleren Blick, auch vielleicht einem spieltheoretischen Blick heranzugehen und zu sagen, lass uns doch mal vernünftig schauen, was unserem Land wirklich nützt.
Und da muss man einfach sagen, den Islam als selbstverständlich zu betrachten und ihn als Verbündeten zu gewinnen in unserer eigenen politischen Entwicklung – was ich da sehe, ist eben die europäische Einigung –, sollte eigentlich unser Ziel sein, unser Land und die Menschen hier zu einen. Und das erste Wort unserer Hymne ist schließlich "Einigkeit" und Recht und Freiheit. Und diese Einigkeit ist ein ganz großes Gut, macht uns auch stärker.
Und in dem Sinne, finde ich, sollte man endlich anfangen, den Islam ranzuholen und auch zu sagen, wir können auch froh sein, wenn wir ein vernünftiges Verhältnis zum Islam entwickeln. Diese ganzen Debatten, gehört der Islam dazu oder nicht, das sind doch letztlich nur Spaltdiskussionen, die uns eigentlich eher schwächen.
Unsere Gegenwart ist "etwas verwirrt"
Welty: Warum gelingt das denn so wenig, den berühmten Schritt zurückzutreten und mal in Ruhe zu überlegen, wo stehen wir und wo wollen wir hin?
Kopetzky: Manchmal kommt es mir so vor, als ob unsere Öffentlichkeit, unsere Gegenwart etwas verwirrt ist, dass man quasi auch auf ganz viele Aspekte blickt und gar nicht recht weiß, was alles gleichzeitig passiert. Und das wird natürlich dann benutzt von Kräften, um quasi die Öffentlichkeit in eine bestimmte Richtung zu drängen.
Ich finde, wichtig ist, dass man den Schritt zurück macht, auf die Geschichte blickt, aber eben auf eine Zukunft schaut. Wenn man sich anschaut … Sich vorzustellen, wie kann sich ein Land entwickeln? Entwickelt sich ein Land stärker, in dem man Unterschiede betont, in dem man Differenzen betont, in dem man immer wieder sagt, der gehört nicht dazu, der gehört nicht dazu, oder in dem man versucht, Konzepte der Einheit zu entwickeln und zu sagen, wie können wir alle zusammen nach vorn kommen?
Der Blick auf die Vergangenheit ist normalerweise ein Zeichen für den Niedergang, der Blick auf die Zukunft ist ein Zeichen eigentlich für den Aufschwung. Und wir sollten uns viel mehr mit unserer zukünftigen Gesellschaft beschäftigen, als immer nur den Blick zurück zu werfen und zu sagen, früher war es anders, früher war es so, und wir wollen dahin zurück.
"Ich denke, man braucht ein Ziel"
Welty: In welcher Form könnte das passieren, und welche Rolle könnten dabei die sozialen Netzwerke spielen?
Kopetzky: Sie meinen, in welcher Form …?
Welty: Diese Auseinandersetzung stattfinden könnte und dieser Blick nach vorn und das Entwickeln eines Konzepts für ein Miteinander.
Kopetzky: Ich denke, man braucht ein Ziel. Bei allen politischen Entwicklungen ist es wichtig, ein Ziel zu kennen. Ich glaube, sagen zu können, dass für mich und meine Generation – ich bin 1971 geboren, also so mitten noch im Kalten Krieg – die größte Faszination nach wie vor die Erweiterung der politischen Union in Europa darstellt.
Das ist das, was ja auch von vielen Populisten, auch vom Ausland zum Teil eben attackiert wird. Das ist natürlich klar. Sonst entsteht da möglicherweise ein ganz neuer Player. Aber das ist etwas, was mich persönlich fasziniert. Die politische Union mit Frankreich ist der nächste Schritt, der vor uns liegt, und darauf sollten wir uns konzentrieren.
Die Netzwerke, die muss jeder so nutzen, wie er es für richtig hält. Wichtig ist aber auch, dass man seine Informationen aus verlässlichen Quellen holt und dass man eben auch das normale Gespräch mit dem Nachbarn, mit dem Mitmenschen sucht und nicht nur darauf vertraut, dass man durch die Medien Kontakt mit Wirklichkeit hält.
Welty: Der Islam in Deutschland. Der Schriftsteller Steffen Kopetzky hat sich damit ausführlich beschäftigt. Ich sage Danke schön für Ihre Expertise!
Kopetzky: Sehr gern!
Welty: Und Steffen Kopetzky hat herausgegeben Max von Oppenheim und dessen "Denkschrift betreffend die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde". Das Buch ist gerade erschienen im Verlag Das kulturelle Gedächtnis, und 112 Seiten kosten 18 Euro.
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