"Das jüdische Penicillin"

Von Peter Kaiser · 03.02.2012
Kein, Blut, keine Sahne, keine Butter: Die koschere Hühnersuppe zählt zu den traditionellen jüdischen Gerichten. Manche attestieren der "Goldenen Joich", wie die Suppe auch genannt wird, sogar wundersame Heilkräfte.
"Ich setze ein Hähnchen in kaltes Wasser und muss aufkochen, dann abschäumen, und dann gibt es dazu Zwiebeln, Möhren, Petersilie, Lorbeerblatt, schwarzen Pfeffer...."

Arbeitsalltag im jüdischen Restaurant "Le Chaim" in Berlin. Die kasachische Köchin Alona Trikowsky kocht Hühnersuppe für die Gäste heute Abend.
Wohl kaum ein Gericht ist weltweit so verbreitet und zugleich regional so unterschiedlich wie die Hühnersuppe. In afrikanischen Ländern etwa schlürft man das gebrühte Huhn mit Okra und Erdnusscrème. Araber löffeln sie mit Harissa und Joghurt. "Soto Ayam" sagen Indonesier zu ihrer Suppe, Thailänder schätzen die "Tom Kha Gai" mit Chili, Zitrone und Kokosmilch. Mais und Jalapenios, Tortillastreifen und Avocado muss in mexikanische Töpfe.

Für Juden, sagt Mirjam Goldmann, Kuratorin der "Koscher und Co. - Ausstellung" im Jüdischen Museum Berlin, ist die "Goldene Joich" zu allen Zeiten ein Muss.

"Die Hühnersuppe zählt zu den traditionellen jüdischen Gerichten. Man spricht sogar von dem 'jüdischen Penicillin', und meint damit die Hühnersuppe, weil ihr eben als heiße Bouillon Wunderkräfte für alle möglichen Erkältungskrankheiten zugesprochen werden."

Alona Trikowsky: "Ich denke, Hühnerbrühe ist gesund und macht kräftig. Deswegen essen die Leute sie gern."

Es gibt 265 Rezepte für das jüdische Penicillin oder die "Goldene Joich". Mal wird das Huhn mit, mal ganz ohne Innereien gekocht. Das geputzte Gemüse wird sowohl grob geschnitten, als auch sehr fein gewürfelt in die Suppe getan.

"Möhren zum Beispiel schneidet man in kleine Stücke, und Zwiebeln kommen nur für den Geschmack hinein, die kommen ganz in die Brühe, und wenn sie gekocht sind, dann einfach weg."

Und mal kommt ein Lorbeerblatt rein, mal keines, mal Wacholderbeeren oder nicht, Porree oder nicht, Muskat, Petersilie oder...

"Eines ist auf jeden Fall wichtig", sagt Morderlein Naftlay, vom Restaurant "Le Chaim":

"Koscheres Huhn, ohne Blut also. Kein Blut und keine Sahne. Ein Huhn, das ohne Blut ist, also geschächtetes Huhn."

Mirjam Goldmann: "Grundsätzlich ist es so, dass für das Kochen im Judentum die Gesetze der Kaschrut gelten, die jüdischen Speisegesetze. Und das bedeutet für die Hühnersuppe, dass keine Zusätze aus Milch enthalten sein dürfen. Das heißt, es gibt keinen Schuss Sahne am Schluss oder Ähnliches. Auch Butter wird man nicht darin finden."

Und dann gibt es noch eine sehr spezielle Überlegung zur jüdischen Hühnersuppe.

"Es gibt dann auch Überlegungen, ob eine jüdische Hühnersuppe von einer nichtjüdischen Mutter gekocht auch noch wirksam sein kann oder nicht."


"Es muss koscher sein, dann wird es genauso gut sein, denke ich. Es gibt keinen Unterschied, ob es eine jüdische Mutter macht oder eine nichtjüdische. Hauptsache, sie macht es mit Herz, und es muss koscher sein. Dann wird es genauso lecker sein, als wenn es eine jüdische Mutter oder Oma macht."

Wie auch immer. In der klassischen jüdischen Hühnersuppe ist drin, was auch in vielen Hühnersuppen - ob koscher oder nicht - zu finden ist.

Mirjam Goldmann: "Es ist eine klassische Bouillon, das heißt, man beginnt mit Sellerie und Möhren und den traditionellen Dingen. Man könnte auch andere Fleischstücke noch dazu tun, so sie denn koscher sind, und dann wird das Huhn gekocht, und das ist es. Es gibt dann die Variante, dass grade zu Pessach die sogenannten Matzeklößchen noch eingefügt werden, das ist aber kein Muss, sondern eine saisonale Veränderung für die Pessachzeit."

Dass das "jüdische Penicillin" so gut wirkt, hat seinen nachweisbaren Grund, sagt Rainer Stange, Naturmediziner am Immanuel-Krankenhaus in Berlin.

"Ja, das ist in der Tat erstaunlich, dass es in fast allen Küchen der Welt eine Form der Hühnersuppe gibt. Die meisten Bürger werden wahrscheinlich zustimmen, wenn man sagt, dass die Hühnersuppe irgendwo etwas Wärmendes hat. Also im Vergleich jetzt zu Rindfleischsuppe würde man, jetzt verfroren zu dieser Jahreszeit, von draußen reinkommt, würde man viel eher die Hühnersuppe bevorzugen. Warum das so ist? Gut, Zink nehmen wir mit jeder Nahrung zu, das ist ein lebensnotwendiges Spurenelement, wenn man Zinkmangel hat, dann merkt man das sehr schnell."

Im Hühnerfleisch ist also viel Zink enthalten, das stärkt die Abwehrkraft, beziehungsweise lässt Erkrankte schneller gesunden. Aber vielleicht spielt auch ein mentaler Faktor eine Rolle: denn viele denken beim Löffeln der Suppe an die Großmutter oder die Mutter weit weg...

Naftaly: "Also die jüdische Hühnersuppe bedeutet für mich etwas Warmes zum Essen, was sehr Leckeres, und was einfach zur jüdischen Speise gehört. Das ist bei uns Standard, eine Hühnersuppe. Weil es immer unsere Eltern gemacht haben, was wir als Kinder immer gern gegessen haben. Und das haben wir bei uns in Erinnerung wenn wir in ein jüdisches Restaurant gehen, koscheres Restaurant, dann bestellt man sich immer einen Hühnersuppe, weil ja immer die Mutter, die Oma jüdische Suppen gekocht haben, und das will man immer wieder in Erinnerung behalten."

"Das ist unbeschreiblich, die Hühnersuppe von Oma-Art ist einfach schön, und die wird auch im Restaurant fast so gemacht, weil es jüdische Köche gibt, die so was machen und die auch eine jüdische Oma hatten, und so weiter."