Das jüdische Lichterfest Chanukka

"Das Wunder der acht Tage im Tempel"

Ein Mann mit Kippa steht am 16. Dezember 2014 in Berlin vor dem Brandenburger Tor. Hier wurde am Abend der Chanukka-Leuchter entzündet.
Chanukka-Leuchten am Brandenburger Tor im Dezember 2014. © dpa / picture alliance / Lukas Schulze
Nils Ederberg im Gespräch mit Thorsten Jabs · 02.12.2018
Morgen beginnt das jüdische Lichterfest Chanukka. Weltweit gedenken Juden der Einweihung des zweiten jüdischen Tempels in Jerusalem im Jahr 164 vor Christus. Wie Juden in Deutschland Chanukka feiern, erklärt der Rabbiner Nils Ederberg.
Thorsten Jabs: Heute ist der 1. Advent, Weihnachten kommt jetzt mit riesigen Schritten auf uns zu – das christliche Fest der Liebe und Familie. Im Judentum gibt es ein ähnliches Fest, jedenfalls werden die Feste gerne miteinander verglichen, und zwar Chanukka. Juden gedenken weltweit der Wiedereinweihung des zweiten jüdischen Tempels in Jerusalem 164 vor Christus. Morgen beginnt das achttägige jüdische Lichterfest, heute Abend wird die erste Kerze angezündet und dann an jedem dieser acht Tage eine weitere Kerze. Darüber spreche ich jetzt mit dem Rabbiner Nils Ederberg. Guten Tag, Herr Ederberg, und herzlich willkommen bei uns im Studio!
Nils Ederberg: Guten Tag, vielen Dank für die Einladung!
Thorsten Jabs: Vom Gedenken an die Wiedereinweihung des Tempels habe ich gesprochen, es wird als Wunder von Chanukka bezeichnet. Was war dieses Wunder?
Nils Ederberg: Bei der Frage nach dem Wunder gibt es, wie häufig im Judentum, verschiedene Antworten. Wir haben die eine Antwort in den historischen Büchern, in den Makkabäer-Büchern, die auch in christlichen Bibeln teilweise Teil des biblischen Kanons sind, die aber jüdisch nicht überliefert wurden. Und dort wird die Geschichte erzählt, wie in einem Konflikt dieser hellenistischen Reiche, im Land Israel, Syrien, in diesem ganzen Bereich, wie es da zum Kampf kam zwischen Griechen und Juden, wobei man sich daran erinnern sollte, auch die Juden waren teilweise Griechen – also das ist etwas kompliziert, auch mit Bürgerkrieg. Und nach verschiedenen vielen Kämpfen ist der Tempel wiedererobert worden, und man hatte den Tempel eingeweiht und sollte das für alle Zeiten erinnern.

Gott wirkt ein Ölwunder

Das ist die Geschichte aus den Makkabäer-Büchern, das heißt die Geschichte des Kampfes der Makkabäer gegen die Griechen, gegen die Seleukiden. Das, was in der jüdischen Überlieferung steht, erwähnt die Makkabäer eigentlich nur als Zeitangabe - zur Zeit der Makkabäer - und betont Gottes Eingreifen: dass Gott das Volk gerettet hat und dass Gott ein Ölwunder gemacht hat. Als man den Tempel wiedererobert hatte, reichte das für den Gottesdienst, für den Kultus dort, taugliche Öl eigentlich nur noch für einen Tag. Aber, oh Wunder, es hat acht Tage lang gereicht. Das heißt, wir haben zwei verschiedene Helden in der Geschichte: In der historischen Überlieferung sind es die Makkabäer, die Kämpfer, und in der jüdischen religiösen Überlieferung ist es Gott, der das Volk gerettet hat.
Thorsten Jabs: Und das Fest Chanukka bezieht sich aber eher auf diese religiöse Überlieferung.
Nils Ederberg: Also das, was wir heute an sozusagen religiösen Zeremonien haben, das ist Teil dieser religiösen Überlieferung seit 2000 Jahren. Wir zünden Kerzen an, eine halbe Stunde lang soll man sie brennen haben, nachdem es dunkel geworden ist, man soll sie anschauen. Es hat sich eingebürgert, dass man Latkes, also eine Art Kartoffelpfannkuchen isst oder gebackene Krapfen, also im Winter Fettgebackenes, dass man spielt um Nüsse oder so etwas. Aber wir haben die Situation, dass Weihnachten auch über die letzten 150 Jahre ein viel festlicheres Fest geworden ist, dass man beschenkt wird und so weiter. Vor 200, 300 Jahren war das gar nicht der Fall.

Durch Weihnachten wurde Chanukka wichtiger

Das hat was zu tun mit der Entwicklung der städtischen Bevölkerung, Reichtum und so weiter, und jüdische Kinder hatten jetzt das Problem, dass sie keine Geschenke bekommen haben. Man hat aber zusammengelebt selbstverständlich, und deswegen war der soziale Druck da, dass man auch jüdisch was macht. Und dann auch natürlich von jüdischen Eltern: Die wollten, dass man dem schönen Weihnachtsbaum was entgegensetzt, dadurch wurde Chanukka wichtiger. Das ist das eine.
Das andere ist, dass man mit dem modernen Zionismus herauskommen wollte aus dieser Unterdrückung von Juden, des Juden, also im Bewusstsein der anderen ein Fußabtreter, man kann sie schlagen, man kann sie umbringen, man kann mit ihnen machen, was man will. Und der Zionismus hat sich zum Ziel gesetzt, auch jüdische Stärke zu zeigen, und hat deswegen in der jüdischen Geschichte nach Vorbildern gesucht, nach Helden, nach Kämpfern. Und da waren die Makkabäer ganz wichtig, und so hat man dann um 1900 angefangen, auch Chanukka-Umzüge zu machen, mit Chanukka-Fahnen, und bis heute heißen ganz viele jüdische Sportvereine in der Welt Makkabi. Auch in Berlin: Wir haben TuS Makkabi, eben nach den Makkabäern, nach den Helden von Chanukka.
Thorsten Jabs: Das hört sich jetzt so an, als gäbe es christliche Einflüsse auf Chanukka, aber das Kerzenanzünden zum Beispiel, das hört sich ja ein bisschen an, als wenn man Adventskerzen anzündet. Sind da auch jüdische Einflüsse auf das Weihnachtsfest, also gegenseitige Einflüsse zwischen Chanukka und Weihnachten, kann man das so sagen?
Nils Ederberg: Es ist immer eine Frage konkret, wer hat wen wann beeinflusst. Also das Chanukka-Kerzenzünden ist 2000 Jahre alt, das Adventskerzen-Anzünden ist eine Entwicklung des protestantischen Pietismus aus dem 19. Jahrhundert. Damals hat man das erfunden, das gab es vorher nicht. Also das ist ganz klar, das jüdische Kerzenanzünden ist älter als das Christentum. Aber was sich natürlich immer beeinflusst, egal ob man nun im Mittelalter mit dem Islam zusammenlebt oder in Europa mit dem Christentum – das, was die Nachbarn machen, beeinflusst auch das, was man selber macht, was man isst, Melodien, die man singt.

Christentum und Judentum beeinflussen einander

Insofern kann man eigentlich sagen im Judentum grundsätzlich, wir haben einerseits jüdische Sachen, die wir machen, das ist in der Tradition festgelegt, aber wie wir das genau machen, was wir dazu essen, mit welchen Melodien wir das singen, das ist kulturell verschieden. Wir haben gerade bei Chanukka im aschkenasischen, also sagen wir europäisch-, nordeuropäisch-, osteuropäisch-jüdischen Bereich eine ganz klare kulturelle Übernahme, und zwar bei dem Lied, was auch jedes Mal beim Kerzenzünden gesungen wird: "Maoz Tzur". (singt "Maoz Tzur") Ich kann nicht so gut singen, aber das ist die Melodie eines ganz bekannten Kirchenliedes. Die Melodie war schön und man hat sie übernommen. So was ist ganz typisch in jeder Richtung.
Rabbiner Nils Ederberg
Unser Gesprächsgast, der Rabbiner Nils Ederberg.© Tobias Barniske
Thorsten Jabs: Wie sieht es bei Ihnen in Ihrer Familie aus, wie feiern Sie Chanukka? Sie haben gesagt, es wird gebacken – backen Sie, ist es eben doch auch ein sehr starkes familiäres Fest? Kommt man zusammen, man spielt Spiele, also in der Beziehung auch ein bisschen ähnlich wie Weihnachten ein Fest der Besinnlichkeit?
Nils Ederberg: Es ist auf jeden Fall etwas, auch dadurch, dass es acht Tage sind, wir zünden jeden Tag selbstverständlich, wir laden Freunde ein, den einen Abend die Kinder aus der Klasse des einen Kindes, jeden anderen Abend andere Freunde. Dadurch, dass meine Frau Rabbinerin ist, ich bin Rabbiner, haben wir aber häufig noch Termine in der Schule, im Kindergarten, und dann sind es manchmal dreimal, dass man zündet, aber eigentlich ist es so, wir zünden, sobald es dunkel geworden ist, Lichter an, und das macht jeder selber, also jeder seine eigene Chanukkia. Da gibt es auch unterschiedliche Bräuche, ob die ganze Familie eine hat oder jeder seine eigene. Wir haben dann einen großen Tisch, das ist eine Holzplatte, die wird jedes Jahr rausgeholt, die ist schon völlig mit Wachsresten verziert, sagen wir mal, und dann, nachdem man gezündet hat, die Segenssprüche gesagt hat, zwei Lieder gesungen hat, setzt man sich hin und isst eben das Essen, was man gemacht hat, redet, liest, unterhält sich und freut sich. Und die Kinder kriegen, das stimmt auch, mittlerweile Geschenke, aber das ist tatsächlich ein Einfluss von Weihnachten.
Thorsten Jabs: Aber ist es denn auch so kommerziell wie Weihnachten?
Nils Ederberg: Das kommt immer auf die Familien an, aber grundsätzlich, wenn Sie acht Tage haben, dann ist es schon deutlich, dann gibt es acht Tage lang ein kleineres Geschenk auch. Einen Abend gibt es ein Pixi-Buch, man guckt schon, was die Kinder brauchen, was sie wollen, dann gibt es natürlich auch immer Verhandlungen – kommerziell eingeschränkt. Chanukka ist nicht das sozial entscheidende Fest, sondern sozial das wichtigste Fest ist Pessach im Frühling, wo man auch, wenn man einmal im Jahr seine Familie besucht, dann ist das zu Pessach. Chanukka, das macht man, aber dazu fährt man jetzt nicht quer durch Deutschland oder quer durch die Welt.

Gemeinsames Gedenken an die Shoa

Thorsten Jabs: Chanukka wird auch dazu genutzt, jüdisches Leben in Deutschland zu demonstrieren. In Berlin steht vor dem Brandenburger Tor bereits ein zehn Meter hoher Chanukka-Leuchter, und heute Abend zündet Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das erste Licht an. Außerdem wird an das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte erinnert, den Holocaust, in vier Metropolen weltweit. In Jerusalem, Moskau, New York und in Berlin findet die International Holocaust Survivors Night statt, in der Holocaust-Überlebende in der dritten Chanukka-Nacht gemeinsam Kerzen entzünden. Gehört dies auch irgendwie zur Besinnlichkeit, jüdisches Leben nach außen zu zeigen und an die schwersten Stunden der jüdischen Geschichte zu erinnern?
Nils Ederberg: Zum einen ist klar, Chanukka und Purim, das sind zwei sogenannte kleinere Feste, die im religiösen Sinne viele Parallelen haben, so wie man sie begeht. Es sind beides Feste, die daran erinnern, dass Gott das Judentum vor der Vernichtung aus der Gefahr gerettet hat. Insofern ist es auch passend, wenn man die Shoah erinnert. Wir haben eine ganze Reihe von verschiedenen Zeiten, wo an die Shoah, an den Holocaust erinnert wird, und es ist noch nicht klar, was sich davon durchsetzt. Nach jüdischer religiöser Tradition wäre das eigentlich Tischa beAv, der neunte Tag des Monats Av, an dem an alle Katastrophen des jüdischen Volkes – die erste Tempelzerstörung, erstes Exil, die zweite Tempelzerstörung et cetera – erinnert wird.
Gerade in Deutschland müssen wir eine Balance halten. Wir können dieser Geschichte nie entgehen und wollen das auch nicht, aber gleichzeitig ist Judentum etwas Positives, und das bedeutet, gerade Chanukka ist Freude. Wer das wie mit etwas anderem kombiniert, weiß ich nicht. Das zu der Frage mit den großen Chanukkia, Chanukka-Leuchten, die die Chabad-Lubawitsch-Bewegung überall in der Welt aufstellt, das sehe ich ein bisschen zweischneidig. Einerseits ist es so, dass für viele Juden das ein ganz wichtiges Zeichen ist, dass Judentum öffentlich sichtbar ist, nicht nur Weihnachtsbäume, sondern auch unsere Chanukkia. Das ist die eine Perspektive. Die andere Perspektive ist, das ist natürlich PR, es ist groß, und es ist auch dann genau das Gegenteil von besinnlich zu Hause miteinander, das ist Geschmackssache.

Antisemitismus einer enthemmten Minderheit

Thorsten Jabs: Gerade in dieser Woche ist der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, im Amt bestätigt worden. Er sprach mit Blick auf Antisemitismus von einer bedenklichen gesellschaftlichen Entwicklung. Seine Vorvorgängerin, Charlotte Knobloch, hat auch in dieser Woche gesagt, das Problem sei so drängend wie lange nicht, ihr falle es zunehmend schwer, mit Blick auf das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden optimistisch zu bleiben. Wie steht es da um das jüdische Leben im Alltag, zum Beispiel, wenn so ein Fest wie Chanukka gefeiert wird? Wie reagieren Nichtjuden in Deutschland darauf? Erleben Sie so etwas, wenn Sie mit Nichtjuden darüber sprechen, dass jetzt ein Fest für Sie ansteht?
Nils Ederberg: Die Frage ist immer, wo und wie man sich begegnet. Das heißt, ich habe jetzt keine Chanukka-Beleuchtung im Fenster – also die Kerzen zünden wir natürlich, wenn Kerzenzünden ist, an –, ich habe keine Chanukka-Anstecker an meiner Winterjacke oder Chanukka-Wimpel an meinem Fahrrad, insofern ist das nicht so extrem öffentlich. Auf die Frage, wie andere Nichtjüdische auf Chanukka reagieren: Ich kann sagen, in dem Haus, in dem wir wohnen, ist das völlig normal für alle. Wenn das Laubhüttenfest ist, haben wir unsere Laubhütte im Hinterhof, und nach einer Woche ist sie wieder weg. Das ist alles völlig normal.
Zur grundsätzlichen Aussage vom jetzt wiedergewählten Schuster, auch von Charlotte Knobloch, die Sie ansprachen: Ich glaube, man muss unterscheiden zwischen einer gesellschaftlichen Mehrheit, wo ich das Problem Antisemitismus überhaupt nicht sehe, sondern eine ganz, ganz starke Bereitschaft und einen festen Willen, solidarisch zu sein und so etwas nicht zuzulassen. Und andererseits eines enthemmten rechten Flügels, der durch gerade die Echokammern der neuen sozialen Medien der Meinung ist, wir sind die Mehrheit, so ist doch eigentlich die Wahrheit, und Sachen öffentlich sagt und sich gegenseitig bestärkt, die unvorstellbar gewesen sind. Wir merken das gerade in den USA in der Columbia University mitten in New York: Das Büro einer Bekannten von uns ist mit Hakenkreuzen beschmiert worden, die Synagoge von Freunden von uns in Kalifornien ist mit Hakenkreuzen beschmiert worden.
Wir haben – ich sag das extra, das hat natürlich immer auch in Deutschland eine besondere Bedeutung –, aber wir haben international ein Erstarken der neuen Rechten, die sehr bedrohlich ist, die auch in die Richtung von Terrorismus sich hinbewegt, aber ich sehe nicht die Gefahr, dass die deutsche Gesellschaft und die in Deutschland Tonangebenden – Polizei, Gerichte und so weiter – da in irgendeiner Weise gefährdet oder für uns gefährlich seien, ganz im Gegenteil.

Selbstverständliche Religionsausübung ist Normalität

Thorsten Jabs: Und wenn wir jetzt Chanukka sehen, kann das auch etwas dazu beitragen, zum Beispiel Antisemitismus zu bekämpfen, um jüdisches Leben einfach als etwas Selbstverständliches wie Sie sagen zu demonstrieren und ein Fest zu feiern, das eben auch fröhlich ist?
Nils Ederberg: Jede selbstverständliche Religionsausübung ist ein Schritt der Normalität. Wenn man bei muslimischen Gemeinden zum Ramadan eingeladen ist, ist das ein Schritt zu einer Normalität, einem Miteinanderfeiern. Ich finde es ganz wichtig, dass man sich gegenseitig einlädt zum Feiern, dass man aber dann auch das Eigene macht und das Eigene nicht darauf abstellt, was denken jetzt die anderen, was wäre jetzt politisch geschickt. Chanukka – wir zünden im Kern, wir zünden die Kerzen an, wir sehen die Kerzen und erinnern uns an Gottes Rettungshandeln, wir essen und wir reden miteinander, und das ist die Basis. Und das machen wir auch mit Nachbarn, die wir einladen, aber es ist nicht in erster Linie eine politische Demonstration von irgendetwas.
Thorsten Jabs: Herr Ederberg, vielen Dank für das Gespräch und den Besuch hier bei uns im Studio!
Nils Ederberg: Danke sehr!
Thorsten Jabs: Der Rabbiner Nils Ederberg über das jüdische Lichterfest Chanukka, das morgen beginnt. Heute Abend entzünden Juden weltweit dafür die erste Kerze und starten in die besinnlichen acht Tage im Kreis der Familie.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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