"Das ist wirklich die helle Freude"

Moderation: Tom Grote · 04.10.2007
Der Filmjournalist Sebastian Handke hat den jetzt angelaufenen US-Animationsfilm "Ratatouille" als "fast ein Meisterwerk" bezeichnet. Man spüre sofort, "dass er auf allen Ebenen mit derselben Sorgfalt und Liebe zum Detail hergestellt wurde", sagte Handke. Zu bemängeln sei höchstens, dass der Film Erwachsenen fast etwas mehr zu sagen habe als Kindern.
Tom Grote: Sebastian Handke ist Filmjournalist, schreibt unter anderem für den "Tagesspiegel" und die "Welt am Sonntag" und ist jetzt im Studio. Guten Morgen, Herr Handke.

Sebastian Handke: Guten Morgen.

Grote: Sind Sie denn auch so begeistert von "Ratatouille"?

Handke: Ja, ich bin auch sehr begeistert von "Ratatouille". Es ist ein Film, ihn anzusehen, das ist wirklich die helle Freude, weil man - wie es meistens bei Pixar ist - sofort spürt, dass er auf allen Ebenen mit derselben Sorgfalt und Liebe zum Detail hergestellt wurde. Man merkt richtig, dass es den Machern bei Pixar eine Herzensangelegenheit ist, und zwar auf allen Ebenen.

Das heißt, nicht nur auf Ebene der Animation selbst - das ist man ja mittlerweile schon gewohnt, wenn ein neuer Animationsfilm kommt, dass man dann auch sieht, dass die Technik mittlerweile noch besser geworden ist -, sondern das Schöne bei Pixar ist, dass alle anderen Ebenen des Films, sei es nun die Filmmusik oder seien es die Darsteller, die man sich holt, um die Figuren zu sprechen, mit eben derselben Sorgfalt behandelt werden. Ganz besonders eben die Ebene der Geschichte und der Figuren, die bei Pixar-Filmen immer sehr viel plastischer sind als bei den meisten Animationsfilmen der Konkurrenz.

Grote: Also ist das der große Unterschied zu anderen Firmen wie zum Beispiel Dreamworks, die ja auch erfolgreiche Filme gemacht haben wie "Shrek", dass man bei Pixar sagt: Das Wichtigste ist eine Geschichte, und dann ist noch wichtig eine gute Geschichte, und dann noch eine gute Geschichte?

Handke: Ja, das kann man durchaus so sagen. Gerade das wahrscheinlich wichtigste Konkurrenzstudio, also Dreamworks, die die Filme wie "Shrek" gemacht haben. Das sind Filme, die auch technisch immer auf der Höhe der Zeit sind und die auch sehr kurzweilig und unterhaltend sind, die aber doch einen sehr eigenen Humor haben, der sehr zeitgebunden ist und oft auch sehr viele billige Witze hat.

Wenn man diese ganzen Pointen wegnimmt, zum Beispiel bei "Shrek" die Parodien über Märchenklischees oder so, wenn man diese ganzen Sachen wegnimmt, bleibt bei "Shrek" eigentlich nichts mehr übrig. Und bei Pixar ist das so: Die haben diese Witzchen auch mit drin, aber da ist das nur eine Zutat, da hat man wirklich trotzdem noch wirklich sehr schöne Geschichten, wie eben jetzt auch bei "Ratatouille".

Grote: Ich habe jede Menge Kritiken gelesen über "Ratatouille", und ich habe in keiner einzigen Kritik auch nur ein einziges, schlechtes Wort gefunden. Wie kann das sein?

Handke: Ich weiß nicht, der Film ist einfach ein - man muss da einfach das Wort Meisterwerk fast in den Mund nehmen. Wenn es etwas gibt, was man vielleicht - wenn man unbedingt was finden möchte - bemängeln könnte, dann, dass der Film vermutlich Erwachsenen fast ein bisschen mehr zu sagen hat als Kindern.

Grote: Also kein reiner Kinderfilm.

Handke: Die haben schon auch ihre Freude dran, es ist genug Slapstick drin und genug Witz und gerade die Hauptfigur, die Ratte, ist ja auch ein bisschen niedlich und so. Also, die haben schon ... Aber es geht ja auch um Kunst und das Verhältnis zur Kunst, und dann spielen solche Sachen wie Erbschaftsrecht eine Rolle und so, und kleine Kinder können damit natürlich nicht so arg viel anfangen. Aber trotzdem, es ist wie immer bei Pixar: Im Grunde genommen haben alle Publikumsschichten was zu finden in diesem Film.

Grote: Es geht da auch um ungeheuer gutes Essen - kriegt man doll Hunger, wenn man den Film gesehen hat?

Handke: Ja, schon. Es ist auch so, Brad Bird hat auch im Interview gesagt, sie haben sehr lange daran gearbeitet, dieses Essen appetitlich aussehen zu lassen, und das ist auch ausgesprochen gut gelungen. Man sieht selbst den Unterschied, ob Früchte nass sind oder nicht, und auch überhaupt, die ganzen Kochutensilien in der Küche, also, da kriegt man schon Hunger.

Grote: In Ihrer Kritik über den Film, da schreiben Sie oder haben Sie geschrieben im "Tagesspiegel", der Film habe nur 200 Millionen Dollar eingespielt bislang in den USA. "Nur" 200 Millionen?

Handke: Ja, das ist natürlich ein Betrag, von dem viele in Hollywood inzwischen nur noch träumen können. Für Pixar-Verhältnisse, muss man allerdings sagen, ist das ein bisschen enttäuschend, also, die Ergebnisse von Filmen wie "Die Unglaublichen" oder "Finding Nemo" liegen weit darüber.

Das mag auch daran liegen, dass es wahrscheinlich schon Leute gibt, die nicht so gerne Ratten in Küchen zuschauen wollen. Also, das Thema spielt möglicherweise da vielleicht eine Rolle, aber ich glaube, es liegt vor allen Dingen daran, dass die Konkurrenz diesen Sommer sehr groß war mit vielen Fortsetzungsfilmen, "Shrek 3" und der dritte Teil der Piratentrilogie und so weiter, "Spiderman", ich glaube, der Grund liegt eher darin, dass es nicht so groß war.

Grote: Sie haben es vorhin schon ein bisschen angedeutet und viele Kritiker finden das auch, die meinen nämlich, besser ginge es einfach nicht mehr in Sachen Computerfilme wie jetzt bei "Ratatouille". Was meinen Sie?

Handke: Ja, man kann glaube ich sagen, dass diese ganze Technologie auf einem Stand angekommen ist, wo jetzt im Grunde genommen eigentlich alles möglich ist und es dann tatsächlich an der Künstlerpersönlichkeit des Regisseurs auch liegt, welche Mittel er da auswählt.

Das Besondere an Pixar ist, was man glaube ich gar nicht so wahrnimmt, dass Pixar ein reines Animationsstudio ist für Computer, das heißt, die benutzen nicht diese sogenannte Motion-Capture-Technologie, bei der man echte Schauspieler benutzt, die dann sozusagen dem Computer die Bewegungen vormachen, und der Computer rechnet das dann in Bewegungen um.

Und Pixar ist sehr stolz darauf, dass sie diese sehr moderne Technologie eben nicht benutzen, sondern reine Animation. Das heißt also, die ganzen Bewegungen der Figuren - die wirken natürlich trotzdem sehr natürlich, aber die sind sehr frei gestaltet.

Und da sind ganz andere Formen des Slapsticks dann auch möglich, was man in "Ratatouille" sehr schön sehen kann an der Figur des Küchenjungen, der ja sehr lang ist und sehr lange Arme hat und sehr schlaksig und bei dem vieles schief läuft. Und wie der da so durch die Küche tänzelt und fällt und fliegt, das könnte man mit Motion Capture gar nicht machen, weil das mit menschlichen Körpern gar nicht machbar ist.

Grote: Pixar-Chef Lasseter lässt jetzt wieder traditionelle Zeichentrickfilme malen, jetzt noch Kurzfilme, aber man munkelt von einem längeren Film, der geplant sei. Ist das die Zukunft - also wieder weg von Computerfilmen?

Handke: Disney hat tatsächlich bekannt gegeben, dass es einen abendfüllenden gezeichneten Spielfilm 2009, glaube ich, wieder geben wird, der wird wahrscheinlich heißen "Die Prinzessin und der Frosch". Ich glaube, das hat damit was zu tun, also, Disney hat seine Animationsabteilung umstrukturiert.

Es gibt da jetzt im Grunde genommen drei Abteilungen: Das ist die Pixar, die ja von Disney aufgekauft wurden, dann seit kurzem ist auch Robert Zemeckis - das ist der Regisseur von solchen Filmen wie "Polarexpress" - mit dabei, macht ein Studio. Und dann gibt es noch das hauseigene, alte, traditionsreiche Studio, die machen auch jetzt diesen handgezeichneten Film wieder.

Und meine Vermutung ist, dass man sozusagen drei Studios hat, die sich dann auf drei Animationstechniken wahrscheinlich spezialisieren werden in Zukunft. Man darf auch nicht vergessen, die wirklich künstlerisch anspruchsvollsten Animationsfilme entstehen ja in Japan, in dem Ghibli-Studio zum Beispiel, sehr berühmt, und die sind alle handgezeichnet, also, die kommen gut ohne Computer aus.

Grote: In Frankreich, wo jetzt schon sieben Millionen Leute "Ratatouille" gesehen haben, sind Ratten so was von in, vor allem Kinder wollen jetzt unbedingt einen echten Nager zu Hause haben. Da müsste man doch die lieben Eltern eigentlich warnen, mit ihren Kindern in den Film reinzugehen, oder?

Handke: Na ja, andererseits - ich habe auch gehört, dass in Amerika zum Beispiel dieser Film auch Einfluss hatte auf die Ernährung. Da wurde teilweise auch bei der Werbung damit gearbeitet, und irgendwie neues Interesse an gehobener französischer Küche irgendwie geweckt ...

Grote: Zumindest weg von Fast Food.

Handke: Genau. Also, diese … gibt es da wohl, das wäre dann sozusagen die positive Seite der Medaille.