"Das ist überhaupt gar nicht darstellbar in Deutschland"

Thomas Hartkopf im Gespräch mit Susanne Führer · 07.06.2011
Raus aus der Atomkraft, rein in die Erneuerbaren: Damit das klappt, sollen Pumpspeicher künftig große Energiemengen aufnehmen und bei Bedarf wieder abgeben. Thomas Hartkopf von der TU Darmstadt ist skeptisch, ob das in der nötigen Größenordnung funktioniert.
Susanne Führer: Der Countdown läuft: In einem Monat will die Bundesregierung die Gesetze, die die Energiewende einläuten, durch Bundestag und Bundesrat gebracht haben. Raus aus der Atomenergie, rein in die erneuerbaren Energien. Windparks auf hoher See, also sogenannte Offshore-Windparks, sollen dabei eine zentrale Rolle spielen – das klingt gut, ist aber auch nicht ohne Tücken. Und über die will ich nun mit Thomas Hartkopf sprechen. Er ist Professor für regenerative Energien an der TU Darmstadt. Guten Tag, Herr Hartkopf!

Thomas Hartkopf: Ja, guten Tag, Frau Führer!

Führer: Ich habe mir gestern noch mal die Bilder dieses Windparks Baltic 1 in der Ostsee angesehen, der vor einem Monat eröffnet wurde – von Bundeskanzlerin Merkel übrigens auch. Und diese Windenergieanlagen, diese einzelnen Türme, die sind zwischen 125 und 163 Meter groß. Ich habe mal nachgeguckt, zum Vergleich: Der Kölner Dom, also der Turm, ist 157 Meter groß – ich stelle mir vor, dass das nicht gerade leicht ist, solche Riesentrums da im Meer zu bauen, oder?

Hartkopf: Ja, das sind schon gigantische Anlagen, da haben Sie völlig recht. Aber wenn Sie mal gesehen haben, wie heute mit moderner Schiffstechnik und Schiffskranen so etwas aufgebaut wird – ich zeige meinen Studenten darüber immer einen Film, und die sind erstaunt, wie gut es eigentlich geht. Ich will damit nicht sagen, dass es einfach ist, aber die Technik ist beherrschbar. Man kann solche großen Objekte schon im Wasser aufstellen, das ist eigentlich machbar.

Führer: Aber es ist doch sicher aufwendig und teuer, oder?

Hartkopf: Natürlich! Ein Standort auf dem Wasser ist natürlich schwieriger zu erstellen als einer an Land – obwohl der Transport von großen Teilen auf dem Wasser unter Umständen sehr viel einfacher ist, als unter den vielen Brücken der Autobahnen durchzufahren. Aber Sie haben natürlich recht, da sind hohe Kosten mit verbunden, aber denen stehen ja auch Vorteile gegenüber. Man hat auf offener See immer einen sehr gleichmäßigen und einen sehr starken Wind. Um da mal einen Vergleich zu bringen, der natürlich nur ungefähr das beschreiben kann: Wenn Sie eine Windkraftanlage sich vorstellen, die an Land steht, in der Nähe der Küste, so hat die auf offenem Meer rund die doppelte Ausbeute im Jahr, und gegenüber dem Binnenland – immer von Ausnahmen abgesehen – ist die Ausbeute sogar zwischen drei- und zehnmal so hoch! Das sind schon Vorteile!

Führer: Die Frage ist natürlich, wann sich das dann rechnet. Weil ja wie gesagt der Bau auch schwerer ist. Sind die eigentlich fehleranfälliger, Herr Hartkopf? Ich meine, das Salzwasser führt ja doch vielleicht leichter zu Korrosionen und so weiter.

Hartkopf: Ja, das ist natürlich das Problem der Offshore-Anlagen. Eine Anlage an Land, da kann ich praktisch immer mit dem Auto vorfahren, und wenn nicht gerade ein schwerer Sturm heult, kann ich in den Turm reinklettern und gucken, was nicht in Ordnung ist. Aber bei den Anlagen auf hoher See ist das was anderes: Bei schwerer See dort anzulanden ist schwierig – man versucht es auch, mit Helikoptern dort zu landen –, und es ist jedenfalls mit großem Aufwand und großen Kosten verbunden, und insofern versuchen die Hersteller von solchen Windkraftanlagen, eben ihre Anlagen besonders wartungsarm und wenig störanfällig zu machen. Und das in einer Umgebung, wie Sie zurecht sagen ... wir haben salzhaltige Luft, das ist korrosiv, das ist schon nicht so ganz einfach.

Führer: Jetzt reden wir ja schon eine Weile immer wieder über das Problem, dass – sagen wir mal, der Stromverbrauch vor der Küste in der Nordsee oder in der Ostsee nicht gerade so hoch ist, wie da wo er wirklich gebraucht ... also, da wo der Strom produziert wird, da wird er nicht verbraucht. Und wie kommt nun der Strom von diesen Offshore-Anlagen dahin, wo er hinsoll, also zum Beispiel zu VW nach Wolfsburg oder nach München zu Siemens? Da sagen wir immer: Da müssen diese Hochspannungsleitungen gebaut werden, und das wäre ein großes Problem? Warum ist das so ein Problem?

Hartkopf: Ich denke mal, das Bauen von Hochspannungsleitungen an sich ist nicht das Problem, sondern das Problem liegt eigentlich in der Akzeptanz der Bevölkerung, dass diese Leitungen gebaut werden. Wir haben heute ein Netz in Deutschland, das ist sehr früh schon gebaut worden, und man hat es so angelegt, dass man sowieso die Produktion von Strom immer in die Nähe des Verbrauchs gelegt hat. So, und das ist jetzt anders, wie Sie es schon eben richtig gesagt haben. Wir haben jetzt an der Nordsee, was eigentlich hinsichtlich industrieller Produktion, Schwerindustrie und hohem Stromverbrauch eher zurücksteht, während man in anderen Gebieten Deutschlands den Strom benötigt – und dazu sind Leitungen erforderlich. Man könnte diese Hochspannungsleitungen bauen, technisch ist das kein Problem! Aber Sie kennen ja die Diskussion um die Akzeptanz – Deutschland ist sehr, sehr dicht und sehr eng besiedelt –, und das geht eben nicht problemlos. Und dieses Problem ist auch nicht neu. Auch früher schon haben Energieversorger eigentlich jede Gelegenheit genutzt, eine Leitung zu bauen, weil die Genehmigungszeiten schon deutlich über zehn Jahren gelegen haben.

Führer: Aber sind das tatsächlich rein ästhetische Fragen, Herr Hartkopf, die bei diesen Stromleitungen, im Protest gegen diese Stromleitungen eine Rolle spielen?

Hartkopf: Ich sage es mal so: Wenn man gegen etwas protestiert, sind natürlich alle Argumente, die man finden kann, diejenigen, die man auch benutzt. Viele haben Angst vor den elektromagnetischen Feldern, die von Stromleitungen ausgehen, und man hat Sorgen vor den Geräuschen, die von den Hochspannungsleitungen ausgehen – es ist tatsächlich so, dass bei bestimmten Wetterlagen, wenn es neblig ist und Tropfen an den Leitungen hängen, dass dann mehr Krach entsteht als im Sommer, wenn es ganz warm draußen ist.

Führer: Thomas Hartkopf, Professor für regenerative Energien an der TU Darmstadt ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur. Herr Hartkopf, nun haben wir ja mit dem Wind immer das Problem, dass der nicht unbedingt dann weht, wann er soll, sondern dann, wann er will, und das ist dann ja nicht immer morgens um sieben, wenn die halbe Republik sich gerade Kaffee kocht, duscht, toastet, und so weiter – wie kann man denn diese aus dem Wind gewonnene Energie speichern für den Fall, dass mal Flaute herrscht?

Hartkopf: Ja, das ist ein Punkt, den Sie absolut zu Recht ansprechen und der in meinen Augen in der bisherigen Diskussion auch immer etwas kurz kommt. Man sagt zwar: Ja, ja, wir wollen diesen schwankenden Wind speichern. Aber eigentlich keiner hat so genau gesagt, wie. Da ist dann mal von Batterien die Rede, von Wasserstoff- und Brennstoffzellen – man muss sich mal folgendes vor Augen halten: Wir wollen ja eines Tages rund 40 Prozent unseres Stromes aus fluktuierenden regenerativen Energien herstellen. Die restlichen 40 Prozent sollen andere sein.

Führer: Aus fluktuierenden regenerativen Energien?

Hartkopf: Ja. Entschuldigung ...

Führer: Also, die schwanken?

Hartkopf: Ja, dass sind die schwankenden, ...

Führer: Wind ... Sonne ... ?

Hartkopf: ... die mit dem Wind schwanken und dem Sonnenlicht schwanken. Diese schwankenden regenerativen Energien würden bei einem Stromverbrauch, wie es kommt – eine sehr große Zahl, wir brauchen im Jahr mal rund 600 Gigawattstunden Strom, das soll sich zwar verringern, aber wenn sie da diese 40 Prozent drauf anwenden, dann sind es rund 250.000 Gigawattstunden, die gespeichert werden. Jetzt wird oft gesagt: Ja, wir haben doch Pumpspeicherwerke in Deutschland, wir müssen vielleicht noch ein oder zwei dazubauen. Die gesamte Speicherkapazität unserer Pumpspeicher in Deutschland, das sind rund 100 Gigawattstunden, je nach dem, wie man es rechnet, auch ein bisschen mehr. Aber wir brauchen ein Vielfaches davon. Mit 10.000 Gigawattstunden kommen wir gar nicht hin, wir brauchen also das 100- bis 500-fache. Und das ist überhaupt gar nicht darstellbar in Deutschland, so viel Pumpspeicher zu bauen.

Führer: Das heißt, wir brauchen doch Kohlekraftwerke oder Atomkraftwerke, die zuverlässig, gleichmäßig Energie liefern.

Hartkopf: Das will ich nun unbedingt nicht sagen, nur: Man muss einsehen, wir leisten uns ja zur Zeit, wenn man so will, zwei Kraftwerksparks. Das ist der eine Kraftwerkspark, der regenerativ ist, der heute rund 18 Prozent zur Stromversorgung beiträgt, und dann gleichzeitig ein konventioneller Kraftwerkspark, der in der Lage wäre, 100 Prozent zu bringen. Und solange wir immer den einen Park sozusagen laufen lassen können, wenn der andere mal nicht funktioniert, dann haben wir eigentlich gar keine Probleme. Nur, das ist natürlich eine sehr teure Lösung, denn wenn denn der Wind weht und die Sonne scheint, dann bleiben die anderen Kraftwerke still stehen. Und das ist genau so, wenn man sich eine Fabrik mit Autoproduktion vorstellt, wo eben mal wochenweise nicht gearbeitet wird. Und da kann sich jeder vorstellen, dass das wohl sehr teuer ist.

Führer: Aber gibt es nicht noch – also, nun bin ich keine Ingenieurin, sonst würde ich jetzt hier nicht mit Ihnen sprechen – aber gibt es nicht noch andere Möglichkeiten als Pumpspeicherwerke, um die Energie zu speichern?

Hartkopf: Ja, das wird nicht so einfach sein! Die Pumpspeicherwerke sind die Speicher, die jetzt nach heutigem Stand der Technik am meisten Strom speichern. Viele denken dann auch an normale Batterien oder sogar an Autobatterien, aber wenn man mal nur annimmt, dass man 10.000 Gigawattstunden von den 250.000 speichert – und das ist bestimmt nicht zu viel –, dann würde, wenn man die Zielpreise für Elektroautos nimmt, würde man dafür zwei Billionen Euro ausgeben müssen. Und das ist ein Betrag, der ist einfach zu hoch! Und es kommt noch eins dazu, das sind die sogenannten Saisonspeicher. Ich speichere dann ja in so einem großen Speicher nicht nur den Wind, der vielleicht heute weht, aber morgen nicht da ist, sondern denjenigen, der vielleicht im Sommer gebraucht wird und im Winter gespeichert werden muss. Und so ein Speicher wird ja dann nur zwei-, drei-, viermal im Jahr entladen. Unsere Pumpspeicher, die wir heute haben, die werden täglich ... wird das Wasser rausgepumpt und fließt dann wieder herunter, um Strom billig wieder herzustellen.

Führer: Aber, Herr Hartkopf, ...

Hartkopf: Und von dieser Preisdifferenz leben die Anlagen! Der große Speicher rentiert sich nicht!

Führer: Aber dann wären wir wieder am Anfang des Gesprächs – dann ist es ja vielleicht doch nicht so sinnvoll, dass man immer in diese gigagroßen Anlagen investiert, Offshore-Anlagen, kilometerlange Hochspannungsleitungen legt, sondern dann vielleicht doch sinnvoller kleine, dezentrale Energiegewinnungsmöglichkeiten, wie eben Windräder an Land, zu schaffen. Oder?

Hartkopf: Also ich denke es so: Sicherlich ist dezentrale Erzeugung sehr wichtig, aber hier werden die großen Strommengen nicht zustande kommen. Wir sind hier auf neue Ideen angewiesen, und es gibt ja die Idee, den Strom in Wasserstoff umzuwandeln. Aber der Wasserstoff ist eigentlich kein Stoff, den wir heute händeln, um Energie zu verteilen. Und es gibt jetzt eine Idee, die auch vom Zentrum in Ulm sehr stark propagiert wird und wo auch Forschungsergebnisse erzielt worden sind, dass man den überschüssigen Strom einfach in Erdgas umwandelt. Wir haben ja eine Erdgasstruktur in Deutschland, wir können also dieses Erdgas sehr gut auch zu Gaskraftwerken transportieren, die Strom erzeugen – wir bräuchten dann gar keine Hochspannungsleitungen –, und der Speicher entfällt. Das ist eigentlich das Bohrloch, aber das ist ja schon da. Aber ich muss dazu sagen, das ist noch sehr viel Zukunftsmusik, das steht heute noch nicht zur Verfügung, und das wird noch sehr lange dauern – und was das kosten wird, weiß man auch noch nicht.

Führer: Kurz zum Schluss: Im Jahr 2050 soll der Anteil der erneuerbaren Energien in Deutschland bei 80 Prozent liegen. Halten Sie das für machbar?

Hartkopf: Solange noch andere Kraftwerke daneben stehen, ja.

Führer: Thomas Hartkopf war das, Professor für regenerative Energien an der Technischen Universität Darmstadt. Danke für das Gespräch, Herr Hartkopf!

Hartkopf: Ja, gerne, Frau Führer! Auf Wiederhören!


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