"Das ist keine Arbeitsmarktpolitik, die wir wollen"

Moderation: Birgit Kolkmann |
<strong>Birgit Kolkmann:</strong> Guten Morgen, Frau Buntenbach. Der Vizekanzler wurde gestern bei Ihnen ausgepfiffen, weil er gegen Mindestlöhne ist. "Steckt mal die Pfeife ein und denkt nach!", rief er den Delegierten gestern zu. Wird beim DGB nicht genug nachgedacht?
Annelie Buntenbach: Oh doch, beim DGB wird eine Menge nachgedacht. Und wir haben auch eine Reihe von sehr guten Beschlüssen gefasst, mit denen wir in die nächsten vier Jahre gehen können. Nämlich, dass wir keine Armutslöhne wollen, sondern einen besseren Schutz vor Armut brauchen. Und auch zu anderen Themen. Also ich glaube, es gibt eine Reihe von Sachen, wo ich mir wünschen würde, die große Koalition denkt da noch mal drüber nach. Denn Rente mit 67 zum Beispiel, da würde ich mir wünschen, dass die große Koalition noch mal darüber nachdenkt, ob das denn wirklich ein sinnvoller Schritt ist. Ich glaube das nicht.

Kolkmann: Sie haben jetzt ja gleich noch einen weiteren strittigen Punkt angesprochen, außer den Mindestlöhnen: die Rente mit 67. Ist da der Dissens zur Regierung doch sehr, sehr groß?

Buntenbach: Ja, da ist der Dissens groß. Man kann doch nicht einfach sagen: "Wir werden alle älter und deswegen können wir jetzt länger arbeiten", wenn gleichzeitig klar ist, dass die Arbeitsmarktsituation das überhaupt nicht hergibt. Wir haben die Arbeitsplätze nicht. Es ist doch so, wenn jemand älter als 40 ist, dann liest doch der Personalchef in der Regel nur noch bis zum Geburtsdatum. Und viele schaffen es ja jetzt auch schon nicht bis 65, aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie eben arbeitslos werden. Und die werden es bis 67 dann schon gar nicht schaffen. Das heißt, die Befürchtung ist - und ich glaube, das stimmt auch - das ist eine Rentenkürzung und lediglich eine Verlängerung von Arbeitslosigkeit für sehr viele. Und das können wir nur ablehnen und stattdessen eine vernünftige Reform der Sozialversicherungen einfordern, die sich auf eine breitere Grundlage für die Zukunft stellt.

Kolkmann: Nun ist ja die Verlängerung der Lebensarbeitszeit etwas, was man mittelfristig und langfristig sehen muss. In den nächsten zehn bis 15 Jahren wird sich die Arbeitsmarktsituation wahrscheinlich nicht grundlegend ändern. Sie sind ja nun auch in der DGB-Spitze, zuständig für die Bereiche Arbeit und Soziales: Müssen wir für die Zeit nach 15 Jahren durchaus darüber nachdenken, ob wir wegen der demografischen Entwicklung länger arbeiten müssen?

Buntenbach: Wenn wir das Problem der Arbeitslosigkeit wirklich gelöst haben sollten und Arbeitsplätze für alle eben auch da sind, dann kann man sicherlich auch über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit reden. Nur, das ist noch sehr, sehr lange hin.

Kolkmann: Von welchen Größenordnungen gehen Sie denn aus, beim DGB? Wann wird sich die Massenarbeitslosigkeit möglicherweise etwas verringern und wie lange - andersrum gefragt - müssen wir noch mit ihr leben?

Buntenbach: Wir müssen alles tun, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Und da gibt es auch politische Mittel - das ist ja kein Naturschicksal, dass die Arbeitslosigkeit so hoch ist. Wenn wir hier ständig eine Umverteilung haben von unten nach oben, die heißt: Die Menschen mit den geringeren Einkommen haben in der Tat immer weniger zur Verfügung, müssen aber immer mehr Lasten übernehmen, während die, die mehr haben, nicht in die Pflicht genommen werden, dann haben wir doch eine Situation, wo klar ist, dass die Binnenkonjunktur auch lahmt und dass die Menschen nichts in der Tasche haben, was sie denn ausgeben könnten. Und das ist ja einer der Punkte, an dem die hohe Arbeitslosigkeit liegt. Ansonsten wäre statt einer Arbeitszeitverlängerung natürlich eher eine Arbeitszeitverkürzung nötig und Investitionen in die Infrastruktur.

Kolkmann: Aber diese Forderungen, Frau Buntenbach, sind nun auch seitens der Gewerkschaften nun wirklich nicht neu. Sie sagten, es gibt auch Möglichkeiten in der Politik, etwas gegen die Massenarbeitslosigkeit zu tun. Rot-Grün hat auch einige Jahre regiert, und da ist auch nichts passiert. Im Gegenteil: Das, was sich Gerhard Schröder vorgenommen hatte, nämlich eine wesentliche Verringerung der Arbeitslosigkeit, hat er nicht geschafft, im Gegenteil. Also, was ist denn falsch gelaufen und wo haben die Gewerkschaften nicht richtig mitgemacht?

Buntenbach: Also falsch gelaufen ist sicherlich, die zum Beispiel von Hartz IV oder von den Hartz-Gesetzen eine Verringerung der Arbeitslosigkeit zu versprechen. Das ist ja genau nicht passiert. Die Instrumente, die da eingesetzt worden sind, haben eben nicht getaugt, sondern…

Kolkmann: Müssen die wieder weg, die Hartz-Gesetze?

Buntenbach: Die Richtung, in die die Hartz-Gesetze gehen, die taugt nicht. Das heißt, wir brauchen da eine grundsätzliche Revision in der Arbeitsmarktpolitik.

Kolkmann: Nachbessern oder weg damit?

Buntenbach: Wir brauchen andere Gesetze. Die Logik, der die Hartz-Gesetze folgen, die ist falsch. Weil, es kann nicht darum gehen, immer mehr Sanktionen gegen Arbeitslose zu verhängen - und an der Stelle setzt ja im Moment die Politik an -, um die dann in Arbeit zu bringen, und zwar in Arbeitsplätze, die es überhaupt nicht gibt. Und da dann eben die Leistungen abzusenken, damit die Menschen, die ja eigentlich arbeiten wollen, dann immer noch nicht arbeiten können, aber eben schlechtere Leistungen haben. Das ist keine Arbeitsmarktpolitik, die wir wollen, sondern die Bundesagentur zum Beispiel hat einen sozialpolitischen Auftrag und den muss sie auch wahrnehmen. Da geht es nicht nur um Finanz- und Effizienzgesichtspunkte, sondern da geht es eben auch um Qualifizierung; da geht darum, dass die Mittel für Bildung sowohl bei Arbeitslosengeld I als auch Arbeitslosengeld II nicht wieder zurückgegeben werden, sondern dass die eben wirklich auch bei den Arbeitslosen ankommen und damit auch Möglichkeiten geschaffen werden, über Weiterqualifizierung, über Umschulung, über Fortbildung Menschen eben wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen.

Kolkmann: Wie konstruktiv ist denn das, was die Gewerkschaften in Zusammenarbeit mit der Regierung einbringen wollen? Da hat ja Vizekanzler Müntefering Ihnen auch ein paar scharfe Worte zugerufen auf dem Kongress, und zwar fordert er eine konstruktive Mitarbeit bei den anstehenden Sozialreformen und nicht, dass die Gewerkschaften sich aus Prinzip verweigern. In den letzten Jahren war ja die Zusammenarbeit nicht gut. Oder gar nicht vorhanden.

Buntenbach: Ja aber nicht deswegen, weil sich hier jemand aus Prinzip verweigert hätte, sondern unsere Vorschläge, die wir ja auf den Tisch gelegt haben - wie wir die Sozialversicherungen zum Beispiel reformieren wollen -, die gingen schlicht in eine ganz andere Richtung, als die, in die die Regierung gegangen ist. Wir wollen eine Bürgerversicherung, wir wollen eine Verbreiterung des sozialen Schutzes, eine gute Qualität eben für alle, die sowohl bei der Gesundheit als auch der Rente nicht die Versorgung abhängig macht vom Geldbeutel. Das sind für uns ganz wichtige Punkte, und da würden wir gerne konstruktiv mitarbeiten und haben unsere Vorschläge auch auf den Tisch gelegt. Genauso wie zum Beispiel zur Globalisierung. Auch da hat Michael Sommer eine Menge zu gesagt. Das heißt, es gibt eine Reihe von Punkten, wo wir sehr gute Vorschläge - wie ich finde - gemacht haben, hier auch auf dem Kongress diskutieren. Und da würde ich mir wünschen, dass die Regierung den Weg mit uns auch zusammen geht. Allerdings werden wir den Weg in Richtung zum Beispiel Absenkung der Rente oder weitere Privatisierung im Gesundheitswesen, die zulasten der unteren Einkommen gehen, nicht mitgehen.
Kolkmann: Noch eine Frage zu der neuen Personalspitze des DGB: Ursula Engelen-Kefer ist nach der Kampfabstimmung ausgeschieden, Ingrid Sehrbrock als CDU-Politikerin sitzt jetzt mit im DGB-Vorstand. Sie versteht sich als Brücke auch zur großen Koalition. Könnte es da sein, dass der Gesprächsfaden wieder ein bisschen besser wird?

Buntenbach: Es ist für eine Einheitsgewerkschaft sehr wichtig, dass eben die unterschiedlichen politischen Positionen, die in der Gewerkschaft ja auch vertreten sind, sich auch im Bundesvorstand wieder finden. Und natürlich hoffen wir auch, dass also damit die Gesprächsfähigkeit in die verschiedenen Richtungen dann entsprechend gut ist und dass da dann die Gespräche über diese Probleme, die uns in der nächsten Zeit beschäftigen werden, auch laufen können.

Kolkmann: Die stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Annelie Buntenbach, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Vielen Dank dafür.

Buntenbach: Gerne.