"Das ist immer so unfassbar schicksalsschwer"
Der TV-Moderator Jörg Thadeusz führt die hohe Anzahl von Geschichtsdramen im Fernsehen auf das Interesse der Zuschauer an der Vergangenheit zurück. Allerdings wirkten viele Filme wenig glaubwürdig, weil sie immer auf die gleiche Art und Weise "heruntergekurbelt" und die Schauspieler immer so "rehäugig und schicksalswund" in die Kamera schauen würden, sagte Thadeusz.
Tom Grote: Irgendwie scheint das deutsche Fernsehen in eine Art Historienrausch gelandet zu sein. Nur mal ein paar Titel allein aus diesem Jahr: Die Luftbrücke, Die Sturmflut, Dresden - der Film, Die Mauer 1961 und jetzt gerade in der ARD, Der Untergang der Pamir. Jörg Thadeusz ist seit Jahren TV-Moderator und hat dabei unter anderem das Medienmagazin Polylux moderiert. Guten Tag Herr Thadeusz.
Jörg Thadeusz: Guten Morgen Herr Grote.
Grote: Traut man sich nicht an die Gegenwart oder wieso diese Geschichtsdramen?
Thadeusz: Ich glaube, weil das ja nun auch einfach spannend ist, wenn die Leute, die in Hamburg spazieren gehen, sich angucken, dass zwischen den Häusern so eine Marke ist, auf der steht, bis hier hin stand in dem Jahr das Wasser, da kriegen die so einen wohligen Schauder und dass man sich für Geschichte interessiert, das finde ich beim besten Willen nicht schlimm, dass es dann immer so schicksalsumflort sein muss und dass dann die Schauspieler die ganze Zeit bedeutungsvoll gucken, dass finde ich nicht unbedingt nötig.
Grote: Also mindestens 40 Jahre und dann kann aus jeder Katastrophe ein TV-Event gebastelt werden?
Thadeusz: Ja, das sollte auch, also das Fernsehen sollte sich auch schon mit den Dingen beschäftigen die irgendwann passiert sind, die spannend sind, weil wir müssen uns ja nun mal einfach schlicht damit abfinden, in meinem Fall jetzt als Enddreißiger, dass zwei Generationen vor uns eine ganze Menge los war. Wenn ich mir nur von meiner Oma angehört habe, wie sie meinen Großvater in Schleswig-Holstein in der Gefangenschaft aufgespürt hat. Da würden die Amerikaner aber ein fettes Melodram draus machen und das finde ich auch nicht weiter schlimm. Ich habe mir das ja gerne von ihr erzählen lassen. Die Art und Weise, darüber muss man dann gelegentlich zanken, glaube ich.
Grote: Machen wir erst einmal über den Namen, wie sollen wir die Dinger nennen? TV-Event, wie es bei den Privaten heißt, Geschichtsdrama, Fernsehen-Event?
Thadeusz: Da komm ich durcheinander, ich weiß ja nicht, was bei denen alles ein TV-Event ist. Ist das jetzt nur, wenn Sven Oskar an der Seite von Mandy Wetzel auf dem Eis strauchelt oder ist das eben auch Geschichte?
Grote: Alles Events wahrscheinlich.
Thadeusz: Die haben ja für alles da Superlative, der Historien-Megahammer, nennen wir es einfach Geschichte im Fernsehen.
Grote: Was ist das Verbindende in den Filmen, ich meine außer, dass Heino Ferch in jedem zweiten mitspielt?
Thadeusz: Ja, ich meine die Besetzung ist schon ziemlich ähnlich immer und ähnlich ist auch, ich finde das alles so ein bisschen hochglanzartig, das ist immer alles hochgejubelt, das wird an irgendeiner Stelle dann immer unfassbar schicksalsschwer. Die Schauspieler einigen sich glaube ich vorher mit dem Regisseur darauf, es kommen dann irgendwann die Stellen, da gucken wir dann rehäugig und schicksalswund. Das macht einen eigenartigen Eindruck, man hat das Gefühl, so hat es sich gewiss nicht zugetragen.
Grote: Wann schluchzt Jörg Thadeusz bei TV-Dramen?
Thadeusz: Ich habe gesehen "Nicht alle waren Mörder", die Verfilmung der Autobiografie von Michael Degen. Das fand ich sehr, sehr gut, da fand ich Nadja Uhl richtig unglaublich stark, wie sie die schwierige Aufgabe bewältigt hat, mit einem Mann, der die Geschichte von sich und seiner Mutter aufgeschrieben hat, dann die Mutter zu verkörpern, die der Mann natürlich noch ganz klar vor Augen hat. Das war toll und das war auch mitten in den Alltag rein, in den Alltag zur Nazizeit. Dass die DVD vom SWR Schulen zur Verfügung gestellt wird, das ist für mich kein Wunder, denn auf eine sehr unterhaltsame Art und Weise nähert man sich da dem düsteren Teil der Geschichte, wie man es besser eigentlich nicht machen kann.
Grote: Das ist aber auch eine andere Liga.
Thadeusz: Inwiefern?
Grote: Naja, als diese TV-Historiendramen, von denen wir gesprochen haben
Thadeusz: Das ist auch schon nicht ohne Aufwand geschehen das Ganze. Das hat die ARD auch hochgejubelt. Da gab es vorher so eine Vorprämiere in einem Berliner Kino, also das haben die schon ernst gemeint. Die haben jetzt nicht so wahnsinnig viel Plakate aufgehängt, wo dann immer drei bekannte deutsche Schauspieler beieinander drehen in 60er Jahre Klamotten und sagen, uns steht bald das Wasser bis zum Hals, weil wir die Hamburger Sturmflut nachspielen.
Grote: Bleiben wir mal bei diesem Film "Sturmflut" und "Dresden" und "Die Mauer 1961" oder die "Pamir" jetzt gerade. Die Geschichte ist, um es vorsichtig zu sagen, in der Regel ziemlich doof, zumindest 100 Mal gesehen. Die Effekte sind naja. Warum zieht es offenbar trotzdem bei den Zuschauern?
Thadeusz: Weil die sich dann zum einen natürlich da hinsetzten und sagen, ein Glück, dass wir da nicht am Wasser wohnen und ja da erinnere ich mich auch noch dran, da habe ich doch seiner Zeit als kleiner Junge noch was im Fernsehen gesehen oder im Radio gehört oder meine Mutter hat gesagt, oh Gott Hamburg säuft ab. Also das ist so ein bisschen Erinnerung, das ist so ein bisschen wie beim Familientreffen, nur das man die schrecklichen Verwandten dabei nicht aushalten muss.
Grote: In der Süddeutschen Zeitung von heute, da findet sich ein Artikel über Schludrigkeiten, im gestern in der ARD laufenden Pamir-Film. Da steht, "so bescheuert wäre kein Kapitän gewesen, bei Windstärke acht mit allen Segeln gesetzt rumzukurven". Eigentlich haben wir ja ein Recht, man müsste Genauigkeit bei solchen Filmen schon erwarten, nicht?
Thadeusz: Ja, wobei da bin ich immer ein bisschen, da finde ich es oft sehr naseweis, da auch von den Medienjournalisten da rum zu prokeln. Gut, wenn das jetzt so wirklich da so eigenartige Sachen sind, wie klare seglerische Vergehen, aber ich erinnere mich "Band of Brothers" beispielsweise vom amerikanischen Sender HBO gemacht, von Steven Spielberg und Tom Hanks begleitet die hundert erste Luftlandedivision von Amerika in einer Ausbildung bis nach Deutschland. Ich weiß nicht, ob das alles hundertprozentig historisch stimmt, ich weiß aber, dass diese zwölf Teile, die das glaube ich hat, einen in einem Ausmaß gefangen nehmen, dass man sich genau vorstellen kann, meinen Güte, das ist ja heftig, wie schrecklich ist das für diese jungen Männer gewesen, sich einfach nach Europa versetzen zu lassen. Und da hätten natürlich deutsche Filmemacher wieder irgendeine Liebesgeschichte eingefügt, die in einem dunklen Ardennenwald, zur Zeit der Ardennenoffensive beim besten Willen nicht hätte stattfinden können, mangels Frauen einfach und das stört mich dann mehr. Also mich stört mehr, dass sie, wie Sie gerade auch schon sagten, auf diese erwartbare Art und Weise heruntergekurbelt wird.
Grote: Herr Thadeusz, braucht es denn diese meistens ja sehr schmalzige Liebesgeschichte, um den historischen Stoff zu vermitteln, oder andersherum braucht es jedes Mal ein historisches Ereignis, um die gleiche schmalzige Liebesgeschichte zu verpacken?
Thadeusz: Das zweite ist im Prinzip noch finstrer. Die zweite Variante ist es glaube ich. Ich glaube schon, dass wir uns mit den Sachen, die passiert sind, beschäftigen sollten. Warum sollten wir denn den Mauerbau, was viele junge Leute heute wieder anfängt zu interessieren, wo es die Generation gibt, die die Mauer gar nicht mehr gesehen hat, warum soll man denn das weglassen? Warum soll man sich nicht der Realität stellen, dass viele Menschen eben die Zeitung nicht mehr lesen, dass gerade viele junge Leute bestimmt keine Lust mehr haben, ein dickes Buch dazu zu lesen, sondern dass sie im Zweifelsfall von so etwas im Fernsehen lernen? Und ich bin schon dafür, dass man das umsetzt. Ich frage mich nur, ob es auf die Art und Weise immer wieder geschehen muss, wie wir es dann sehen.
Grote: Wird damit auch nicht eine Generation von Leuten herangezogen, die die TV-Historien-Dramen nicht mehr kennen und nicht mehr wirklich wissen, was geschehen ist?
Thadeusz: Oh, da steigen wir ganz tief ein in den Schlamm des Kulturpessimismus. Nein, vor so etwas habe ich so oder so niemals Angst, weil ich vorhin auch mit der U-Bahn gefahren bin und geguckt habe, was lesen die jungen Leute denn so und da ist eine ganz Menge dabei, was mich dann doch sehr beruhigt. Also wer weiß schon, was wirklich passiert ist. Das finde ich zu hochmütig, wenn man sich da hinstellt und sagt, ich weiß doch, wie das Kriegsende war, da ist in Karlshorst, da ist die Kapitulation unterschrieben worden und so weiter und so weiter. Ich weiß auch nicht, wie es passiert ist.
Ich muss mich auch auf Sachen verlassen, die irgendjemand aufgeschrieben hat. Erinnern wir uns daran, dass bei Joachim Fest Zweifel aufgekommen sind, stimmte das denn so alles, wie er das mit Speer aufgeschrieben hat, und die Bücher hab ich in der Tat auch gelesen, also da kommt man sich ja hinterher genauso betuppt vor, nein, ich finde, wenn man versucht, sich mehr der Sache zu nähern, mehr der Würde dieses Moments und gewiss auch der Helden, die es dort gegeben hat, sich auf eine menschliche Art und Weise zu nähern, dann ist da schon eine ganze Menge geholfen, als wenn da nur irgendein Blondchen mit irgendeinem gut aussehenden Offizier dann da wieder zusammenkommt und das ist eigentlich das dicke Dinge bei der "Luftbrücke" gewesen. Ich finde auch nicht, dass bei diesem Dresdenfilm mit Felicitas Woll, sie da ihre Sache schlecht gemacht hat. Ich möchte jetzt um Gotteswillen auch nicht alle Schauspieler da nieder reden, das ist nur wirklich die Enge der Geschichte. Das muss nicht immer unbedingt so sein.
Grote: Wieso hat man sich gerade auf die 50er und 60er Jahre so eingeschossen?
Thadeusz: Ich glaube, das ist im Moment so ein Phänomen, das kommt auch modisch ganz gut, das kann man sich doch vorstellen, da kann man sich noch was angucken. Aber wir haben ja auch seiner Zeit die Napoleon-Verfilmung gesehen im ZDF mit einem reisen Staraufgebot. Heino Ferch hatte da so eigenartige, typische Kotletten aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts, das war nicht übel. Alexandra Maria Lara hat die polnische Gräfin gespielt, wegen der Napoleon beinahe den Verstand verloren hätte. Das rutschte oft so ein bisschen an einem vorbei, wirkte auch zwischen durch so wie Ohnesorg-Theater auf französische Revolution getrimmt, aber ich kann mir vorstellen, da gibt es auch noch andere Stoffe. Die Marie-Antoinette-Verfilmung jetzt auch im Kino, also ich kann mir vorstellen, dass man da munter durch die Zeiten reist.
Grote: Es kommt sogar was Neues, die ARD hat jetzt angekündigt, eine Doku-Serie, "Die Bräuteschule 1958".
Thadeusz: Gut, da sind wir dann noch bei einer anderen Sache, dass Leute irgendein fürchterliches Joch auf sich nehmen und dann noch mal so leben wie früher...
Grote: …Das hat ja damit nichts zu tun stimmt.
Thadeusz: Und dann hinterher auf dem Zimmerchen aber dann doch ihren MP3-Player ans Ohr legen. Aber das finde ich ganz eigenartig, weil dieser dokumentarische Anspruch dabei. Wenn wir darüber reden, wie ist es wirklich gewesen, ich hab schon bei Phoenix, ich hab schon bei 3Sat hervorragende Zusammenfassungen gesehen von diesen ganzen Dokumentationen gesehen, die in ARD und ZDF laufen, also da wird für ein geschichtsinteressierten Menschen eine ganze Menge angeboten und wie gesagt, ich bin gespannt, welche historischen Phänomene da in Zukunft noch anstehen.
Grote: Denn das ist die große Frage, irgendwann sind die Katastrophen der 50er und 60er verwurstet. Was kommt dann? Das Wunder von Brokdorf?
Thadeusz: Das ist ja auch schon verfilmt, " Der Tag an dem Bobby Ewing starb" lief im Kino. Aber wie wird es zum Beispiel aussehen, wenn Heino Ferch endlich Heinrich Heine spielt? Das hätte sich in diesem Jahr eigentlich auch schon angeboten. Die große Mozart-Verfilmung gibt es leider schon. Beethoven, der taube, ungerechte Beethoven…
Grote: Kommt jetzt ein Spielfilm wieder, aber nicht ein deutscher, sondern ein amerikanischer?
Thadeusz: Oh, da können wir ja darauf hoffen, dass er unter Umständen gut ist.
Grote: Jörg Thadeusz, seit Jahren TV-Moderator, unter anderem für das Medienmagazin Polylux.
Jörg Thadeusz: Guten Morgen Herr Grote.
Grote: Traut man sich nicht an die Gegenwart oder wieso diese Geschichtsdramen?
Thadeusz: Ich glaube, weil das ja nun auch einfach spannend ist, wenn die Leute, die in Hamburg spazieren gehen, sich angucken, dass zwischen den Häusern so eine Marke ist, auf der steht, bis hier hin stand in dem Jahr das Wasser, da kriegen die so einen wohligen Schauder und dass man sich für Geschichte interessiert, das finde ich beim besten Willen nicht schlimm, dass es dann immer so schicksalsumflort sein muss und dass dann die Schauspieler die ganze Zeit bedeutungsvoll gucken, dass finde ich nicht unbedingt nötig.
Grote: Also mindestens 40 Jahre und dann kann aus jeder Katastrophe ein TV-Event gebastelt werden?
Thadeusz: Ja, das sollte auch, also das Fernsehen sollte sich auch schon mit den Dingen beschäftigen die irgendwann passiert sind, die spannend sind, weil wir müssen uns ja nun mal einfach schlicht damit abfinden, in meinem Fall jetzt als Enddreißiger, dass zwei Generationen vor uns eine ganze Menge los war. Wenn ich mir nur von meiner Oma angehört habe, wie sie meinen Großvater in Schleswig-Holstein in der Gefangenschaft aufgespürt hat. Da würden die Amerikaner aber ein fettes Melodram draus machen und das finde ich auch nicht weiter schlimm. Ich habe mir das ja gerne von ihr erzählen lassen. Die Art und Weise, darüber muss man dann gelegentlich zanken, glaube ich.
Grote: Machen wir erst einmal über den Namen, wie sollen wir die Dinger nennen? TV-Event, wie es bei den Privaten heißt, Geschichtsdrama, Fernsehen-Event?
Thadeusz: Da komm ich durcheinander, ich weiß ja nicht, was bei denen alles ein TV-Event ist. Ist das jetzt nur, wenn Sven Oskar an der Seite von Mandy Wetzel auf dem Eis strauchelt oder ist das eben auch Geschichte?
Grote: Alles Events wahrscheinlich.
Thadeusz: Die haben ja für alles da Superlative, der Historien-Megahammer, nennen wir es einfach Geschichte im Fernsehen.
Grote: Was ist das Verbindende in den Filmen, ich meine außer, dass Heino Ferch in jedem zweiten mitspielt?
Thadeusz: Ja, ich meine die Besetzung ist schon ziemlich ähnlich immer und ähnlich ist auch, ich finde das alles so ein bisschen hochglanzartig, das ist immer alles hochgejubelt, das wird an irgendeiner Stelle dann immer unfassbar schicksalsschwer. Die Schauspieler einigen sich glaube ich vorher mit dem Regisseur darauf, es kommen dann irgendwann die Stellen, da gucken wir dann rehäugig und schicksalswund. Das macht einen eigenartigen Eindruck, man hat das Gefühl, so hat es sich gewiss nicht zugetragen.
Grote: Wann schluchzt Jörg Thadeusz bei TV-Dramen?
Thadeusz: Ich habe gesehen "Nicht alle waren Mörder", die Verfilmung der Autobiografie von Michael Degen. Das fand ich sehr, sehr gut, da fand ich Nadja Uhl richtig unglaublich stark, wie sie die schwierige Aufgabe bewältigt hat, mit einem Mann, der die Geschichte von sich und seiner Mutter aufgeschrieben hat, dann die Mutter zu verkörpern, die der Mann natürlich noch ganz klar vor Augen hat. Das war toll und das war auch mitten in den Alltag rein, in den Alltag zur Nazizeit. Dass die DVD vom SWR Schulen zur Verfügung gestellt wird, das ist für mich kein Wunder, denn auf eine sehr unterhaltsame Art und Weise nähert man sich da dem düsteren Teil der Geschichte, wie man es besser eigentlich nicht machen kann.
Grote: Das ist aber auch eine andere Liga.
Thadeusz: Inwiefern?
Grote: Naja, als diese TV-Historiendramen, von denen wir gesprochen haben
Thadeusz: Das ist auch schon nicht ohne Aufwand geschehen das Ganze. Das hat die ARD auch hochgejubelt. Da gab es vorher so eine Vorprämiere in einem Berliner Kino, also das haben die schon ernst gemeint. Die haben jetzt nicht so wahnsinnig viel Plakate aufgehängt, wo dann immer drei bekannte deutsche Schauspieler beieinander drehen in 60er Jahre Klamotten und sagen, uns steht bald das Wasser bis zum Hals, weil wir die Hamburger Sturmflut nachspielen.
Grote: Bleiben wir mal bei diesem Film "Sturmflut" und "Dresden" und "Die Mauer 1961" oder die "Pamir" jetzt gerade. Die Geschichte ist, um es vorsichtig zu sagen, in der Regel ziemlich doof, zumindest 100 Mal gesehen. Die Effekte sind naja. Warum zieht es offenbar trotzdem bei den Zuschauern?
Thadeusz: Weil die sich dann zum einen natürlich da hinsetzten und sagen, ein Glück, dass wir da nicht am Wasser wohnen und ja da erinnere ich mich auch noch dran, da habe ich doch seiner Zeit als kleiner Junge noch was im Fernsehen gesehen oder im Radio gehört oder meine Mutter hat gesagt, oh Gott Hamburg säuft ab. Also das ist so ein bisschen Erinnerung, das ist so ein bisschen wie beim Familientreffen, nur das man die schrecklichen Verwandten dabei nicht aushalten muss.
Grote: In der Süddeutschen Zeitung von heute, da findet sich ein Artikel über Schludrigkeiten, im gestern in der ARD laufenden Pamir-Film. Da steht, "so bescheuert wäre kein Kapitän gewesen, bei Windstärke acht mit allen Segeln gesetzt rumzukurven". Eigentlich haben wir ja ein Recht, man müsste Genauigkeit bei solchen Filmen schon erwarten, nicht?
Thadeusz: Ja, wobei da bin ich immer ein bisschen, da finde ich es oft sehr naseweis, da auch von den Medienjournalisten da rum zu prokeln. Gut, wenn das jetzt so wirklich da so eigenartige Sachen sind, wie klare seglerische Vergehen, aber ich erinnere mich "Band of Brothers" beispielsweise vom amerikanischen Sender HBO gemacht, von Steven Spielberg und Tom Hanks begleitet die hundert erste Luftlandedivision von Amerika in einer Ausbildung bis nach Deutschland. Ich weiß nicht, ob das alles hundertprozentig historisch stimmt, ich weiß aber, dass diese zwölf Teile, die das glaube ich hat, einen in einem Ausmaß gefangen nehmen, dass man sich genau vorstellen kann, meinen Güte, das ist ja heftig, wie schrecklich ist das für diese jungen Männer gewesen, sich einfach nach Europa versetzen zu lassen. Und da hätten natürlich deutsche Filmemacher wieder irgendeine Liebesgeschichte eingefügt, die in einem dunklen Ardennenwald, zur Zeit der Ardennenoffensive beim besten Willen nicht hätte stattfinden können, mangels Frauen einfach und das stört mich dann mehr. Also mich stört mehr, dass sie, wie Sie gerade auch schon sagten, auf diese erwartbare Art und Weise heruntergekurbelt wird.
Grote: Herr Thadeusz, braucht es denn diese meistens ja sehr schmalzige Liebesgeschichte, um den historischen Stoff zu vermitteln, oder andersherum braucht es jedes Mal ein historisches Ereignis, um die gleiche schmalzige Liebesgeschichte zu verpacken?
Thadeusz: Das zweite ist im Prinzip noch finstrer. Die zweite Variante ist es glaube ich. Ich glaube schon, dass wir uns mit den Sachen, die passiert sind, beschäftigen sollten. Warum sollten wir denn den Mauerbau, was viele junge Leute heute wieder anfängt zu interessieren, wo es die Generation gibt, die die Mauer gar nicht mehr gesehen hat, warum soll man denn das weglassen? Warum soll man sich nicht der Realität stellen, dass viele Menschen eben die Zeitung nicht mehr lesen, dass gerade viele junge Leute bestimmt keine Lust mehr haben, ein dickes Buch dazu zu lesen, sondern dass sie im Zweifelsfall von so etwas im Fernsehen lernen? Und ich bin schon dafür, dass man das umsetzt. Ich frage mich nur, ob es auf die Art und Weise immer wieder geschehen muss, wie wir es dann sehen.
Grote: Wird damit auch nicht eine Generation von Leuten herangezogen, die die TV-Historien-Dramen nicht mehr kennen und nicht mehr wirklich wissen, was geschehen ist?
Thadeusz: Oh, da steigen wir ganz tief ein in den Schlamm des Kulturpessimismus. Nein, vor so etwas habe ich so oder so niemals Angst, weil ich vorhin auch mit der U-Bahn gefahren bin und geguckt habe, was lesen die jungen Leute denn so und da ist eine ganz Menge dabei, was mich dann doch sehr beruhigt. Also wer weiß schon, was wirklich passiert ist. Das finde ich zu hochmütig, wenn man sich da hinstellt und sagt, ich weiß doch, wie das Kriegsende war, da ist in Karlshorst, da ist die Kapitulation unterschrieben worden und so weiter und so weiter. Ich weiß auch nicht, wie es passiert ist.
Ich muss mich auch auf Sachen verlassen, die irgendjemand aufgeschrieben hat. Erinnern wir uns daran, dass bei Joachim Fest Zweifel aufgekommen sind, stimmte das denn so alles, wie er das mit Speer aufgeschrieben hat, und die Bücher hab ich in der Tat auch gelesen, also da kommt man sich ja hinterher genauso betuppt vor, nein, ich finde, wenn man versucht, sich mehr der Sache zu nähern, mehr der Würde dieses Moments und gewiss auch der Helden, die es dort gegeben hat, sich auf eine menschliche Art und Weise zu nähern, dann ist da schon eine ganze Menge geholfen, als wenn da nur irgendein Blondchen mit irgendeinem gut aussehenden Offizier dann da wieder zusammenkommt und das ist eigentlich das dicke Dinge bei der "Luftbrücke" gewesen. Ich finde auch nicht, dass bei diesem Dresdenfilm mit Felicitas Woll, sie da ihre Sache schlecht gemacht hat. Ich möchte jetzt um Gotteswillen auch nicht alle Schauspieler da nieder reden, das ist nur wirklich die Enge der Geschichte. Das muss nicht immer unbedingt so sein.
Grote: Wieso hat man sich gerade auf die 50er und 60er Jahre so eingeschossen?
Thadeusz: Ich glaube, das ist im Moment so ein Phänomen, das kommt auch modisch ganz gut, das kann man sich doch vorstellen, da kann man sich noch was angucken. Aber wir haben ja auch seiner Zeit die Napoleon-Verfilmung gesehen im ZDF mit einem reisen Staraufgebot. Heino Ferch hatte da so eigenartige, typische Kotletten aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts, das war nicht übel. Alexandra Maria Lara hat die polnische Gräfin gespielt, wegen der Napoleon beinahe den Verstand verloren hätte. Das rutschte oft so ein bisschen an einem vorbei, wirkte auch zwischen durch so wie Ohnesorg-Theater auf französische Revolution getrimmt, aber ich kann mir vorstellen, da gibt es auch noch andere Stoffe. Die Marie-Antoinette-Verfilmung jetzt auch im Kino, also ich kann mir vorstellen, dass man da munter durch die Zeiten reist.
Grote: Es kommt sogar was Neues, die ARD hat jetzt angekündigt, eine Doku-Serie, "Die Bräuteschule 1958".
Thadeusz: Gut, da sind wir dann noch bei einer anderen Sache, dass Leute irgendein fürchterliches Joch auf sich nehmen und dann noch mal so leben wie früher...
Grote: …Das hat ja damit nichts zu tun stimmt.
Thadeusz: Und dann hinterher auf dem Zimmerchen aber dann doch ihren MP3-Player ans Ohr legen. Aber das finde ich ganz eigenartig, weil dieser dokumentarische Anspruch dabei. Wenn wir darüber reden, wie ist es wirklich gewesen, ich hab schon bei Phoenix, ich hab schon bei 3Sat hervorragende Zusammenfassungen gesehen von diesen ganzen Dokumentationen gesehen, die in ARD und ZDF laufen, also da wird für ein geschichtsinteressierten Menschen eine ganze Menge angeboten und wie gesagt, ich bin gespannt, welche historischen Phänomene da in Zukunft noch anstehen.
Grote: Denn das ist die große Frage, irgendwann sind die Katastrophen der 50er und 60er verwurstet. Was kommt dann? Das Wunder von Brokdorf?
Thadeusz: Das ist ja auch schon verfilmt, " Der Tag an dem Bobby Ewing starb" lief im Kino. Aber wie wird es zum Beispiel aussehen, wenn Heino Ferch endlich Heinrich Heine spielt? Das hätte sich in diesem Jahr eigentlich auch schon angeboten. Die große Mozart-Verfilmung gibt es leider schon. Beethoven, der taube, ungerechte Beethoven…
Grote: Kommt jetzt ein Spielfilm wieder, aber nicht ein deutscher, sondern ein amerikanischer?
Thadeusz: Oh, da können wir ja darauf hoffen, dass er unter Umständen gut ist.
Grote: Jörg Thadeusz, seit Jahren TV-Moderator, unter anderem für das Medienmagazin Polylux.